Der Nobel-Preisträger als neoliberaler Propagandist – Der Fall Vargas Llosa

Frederico Füllgraf
Ein Artikel von Frederico Füllgraf
Der Nobel-Preisträger als neoliberaler Propagandist - Der Fall Vargas Llosa

Warum führt ein preisgekrönter, weltrenommierter Romanautor ein stundenlanges Fernsehinterview in Spanien und duzt sich mit einem korrupten Unternehmer, der als gewählter Präsident seit eineinhalb Jahren Argentinien in Grund und Boden wirtschaftet? Wieso lässt sich ein gebildeter Autor zu dummen Parolen hinreißen wie “alle linken Regierungen Lateinamerikas sind populistische Gauner”? Wie kommt ein Nobelpreisträger der Literatur dazu, ein kontinentales Treffen “im Namen der Freiheit” mit den finstersten Figuren der lateinamerikanischen Politik und Medienlandschaft einzuberufen, wie den ehemaligen, rechtsextremistischen Henker Kolumbiens, Alvaro Uribe, den mexikanischen Rechtsaußen Felipe Calderón und den exilkubanischen Extremisten und Castro-Hasser, Carlos Alberto Montaner? Fragen an Mario Vargas Llosa. Von Frederico Füllgraf.

Der Nobelpreisträger als Asteroid

Der preisgekrönte Peruaner ist unbestrittenermaßen seit mehr als vierzig Jahren einer der hervorragendsten, jedoch auch der politisch umstrittenste Schriftsteller Lateinamerikas.

Als Autor eines Mammutwerkes, mit mindestens 23 Romanen und doppelt so vielen Essaybänden, gelangen ihm Meisterwerke mit häufig autobiographischem Charakter über die Kultur, die gesellschaftlichen Verhältnisse und historische Figuren, nicht nur seines Heimatlandes Peru, sondern des lateinamerikanischen Kontinents.

Mit zwei in Brasilien und im Grenzland zu Kolumbien angesiedelten Romanen – “Der Krieg am Ende der Welt” (1982) und “Der Traum des Kelten” (2011) – widmete sich V. Llosa zwei tragischen Figuren der realen Geschichte. Einerseits dem gegen Ende des 19. Jahrhunderts gescheiterten nordostbrasilianischen Volksaufstand von Canudos des messianischen Führers Antonio Conselheiro, andererseits den Aufklärungsmissionen des britischen Konsuls, Menschenrechtlers und irischen Nationalisten, Sir Roger Casement, der Massenmorde im ehemals belgischen Kongo und später am Oberen Amazonas aufspürte.

Der tüchtige – manche seiner Kritiker sagen auch, streberhafte und ruhmsüchtige – Peruaner versuchte sich in nahezu allen literarischen Genres als Autor von Kriminalromanen, Komödien, literaturwissenschaftlichen und – allerdings empfehlenswerten – kulturkritischen Abhandlungen wie “La civilización del espectáculo”, das 2013 in Deutsch unter dem Titel “Alles Boulevard: Wer seine Kultur verliert, verliert sich selbst” erschien und als Generalabrechnung mit der “Herrschaft der Rampensäue” (FAZ, 24.05.2012) beziehungsweise mit dem Amüsierbetrieb in der Kultur zu verstehen ist.

Die nicht seltenen Verrisse seiner Publikationen wurden jedoch von den Leitmedien größtenteils ignoriert und mit einer Flut von Ehrungen und Auszeichnungen kompensiert, unter anderem 2008 mit dem „Freiheitspreis“ der Friedrich-Naumann-Stiftung, 2011 mit dem Orden vom Aztekischen Adler, 2011 mit der Nominierung zum Mitglied der American Academy of Arts and Sciences und 2012 mit dem Carlos-Fuentes-Preis.

Im Jahr 2010 kam der Nobelpreis für Literatur dazu. Seitdem ist V. Llosa medial kaum zu überbieten, u.a. als Kolumnist der in gesamt Lateinamerika abgedruckten oder zitierten spanischen Tageszeitung “El País”.

Seine Erhebung in den spanischen Adelsstand, vier Jahre später, muss als Krönung seiner geduldeten oder gar provozierten institutionellen Vereinnahmung durch Medien, Kapital und Staat gedeutet werden.

Worüber der mediale Hof um V. Llosa und der Peruaner allerdings selbst nicht gern reden, ist der eigentliche Grund seiner endgültigen Übersiedlung nach Spanien.

Die schrittweise Hispanisierung des Literaten begann 1990, nach seiner blamablen Niederlage als angeblich favorisierter Präsidentschaftskandidat gegen Alberto Fujimori, der ihn in der Stichwahl mit 62,4 Prozent gegen 37,4 Prozent besiegte. Beschämt über das Fiasko, packte V. Llosa seine Koffer und emigrierte wenig später nach Spanien, wo ihm zum Trost die spanische Staatsbürgerschaft und die Mitgliedschaft in der Königlich-Spanischen Akademie verliehen wurde.

Der Nobelpreisträger erreichte jedoch das, was Johannes Keppler, Galileo Galilei oder Isaac Newton sich nur posthum hätten erträumen können: seine Verewigung am Weltenhimmel mit der Taufe des als “1990 VL4” kaum bekannten Asteroiden in “(17466) Vargasllosa”. Die Internationale Astronomische Union begründete die Widmung mit „seiner Kartographie der Machtstrukturen und scharfkantigen Bilder individuellen Widerstands, des Aufruhrs und der Niederlage“.

In welchem Augenblick haben die guten Geister Mario Vargas Llosa verlassen?

Mit dem Rücken zum Eingang der Tageszeitung La Crónica schaut Santiago Zavala mit lieblosem Blick auf die Tacna-Allee in Lima. Er sieht die ewig vorbeirauschenden Autos, die Betonwüste asymmetrischer und farbloser Hochhäuser und das Gerippe der Leuchtreklamen-Schilder, die im Nebel des grauen Mittags schweben. Und er fragt sich wortwörtlich, “In welchem Augenblick hat Peru es verschissen?”.

Mit dieser emblematischen Szene beginnt V. Llosas vielgefeierter und -übersetzter Roman “Gespräch in der Kathedrale” aus dem Jahr 1969. Nach einer Liste der spanischen Tageszeitung “El Mundo” gehört er zu den 100 hervorragendsten spanischsprachigen Romanen des 20. Jahrhunderts.

Zavala fühlte sich wie ein Stück Peru und zur Beantwortung seiner tiefsinnigen Frage schlendert er gesenkten Hauptes und mit den Händen in den Hosentaschen durch die hastige Menschenmenge, an den krakeelenden Zeitungsverkäufern vorbei, in Richtung einer verkommenen Kneipe mit dem frommen Namen “Catedral”.

Dort trifft der aus der oberen Mittelschicht stammende, dreißigjährige Journalist auf den alten Ambrosio, einen ehemaligen Fahrer seines Vaters, nach dessen Familiennamen der Leser vergeblich suchen wird. Vielleicht deshalb, weil er arm und ein von Indianern und Afrikanern abstammender Mischling ist.

Das Gespräch findet am Biertisch statt, dauert etwa vier Stunden lang und die von Zavala und Ambrosio wechselseitig erzählten Geschichten führen den Leser in die Zeit der Diktatur General Manuel Odrías zurück, der von 1948 bis 1956 mit brutaler Gewalt und Korruption acht Jahre lang über das Andenland herrschte. Jedoch mit einer interessanten Pointe, für die sich Zavala zu Tode schämt: sein Vater, don Fermín, war nämlich hochgestellter Beamter in jener Diktatur.

In diesen vier Stunden gelingt den beiden Gesprächspartnern mit der Beschreibung einer Vielzahl von Einzelschicksalen eine Art Gruppenbild der peruanischen Gesellschaft, in der eine korrupte und unfähige einheimische Bourgeoisie die Hauptrolle spielt.

Es ist aber auch ein autobiografisch nuancierter Porträtversuch über den Spross ebendieser herrschenden Klasse, den seine sozialen Wurzeln und die damit verbundene politische und moralische Unsittlichkeit anwidern, der jedoch, ideologisch hin- und hergerissen, nicht so genau weiß, wo er hingehört.

Fast fünfzig Jahre danach – in denen über Jahrzehnte hinweg herrschende Militärdiktaturen von neoliberalen Ausverkaufs-Regierungen, diese wiederum von demokratischen Regierungen mit sozialer Umverteilungspolitik und Letztere von neuerlichen, spätliberalen, rabiaten Umsturz-Regimen abgelöst wurden – stellt sich allerdings die etwas vornehmer formulierte Frage, “in welchem Augenblick haben die guten Geister Mario Vargas Llosa verlassen?”.

“Ideologische Rückbildung”

Als ehemaliges Mitglied der Kommunistischen Partei Perus trat der Schriftsteller mit zorniger Gesellschaftskritik in den Kreis jener lateinamerikanischen Schriftsteller, die seit Anfang der 1960er Jahre mehrheitlich mit der kubanischen Revolution und ihrem Führer, Fidel Castro, sympathisierten.

Jedoch nach wiederholten Aufenthalten in Kuba – wo er angeblich mit Regimegegnern gefüllte “Konzentrationslager” gesehen haben wollte – und seiner Entrüstung über den sowjetischen Eingriff gegen den sog. Prager Frühling im Jahr 1968 wendete sich V. Llosa mit großen Schritten vom Lager fortschrittlicher Werte ab. Seine Mutationen vom Sartre-Anhänger mit linkem Anstrich zum Erzkonservativen lassen sich u.a. in seinen zwischen 1962 und 1982 geschriebenen Aufsätzen nachlesen, die im Band “Gegen Wind und Wetter” (Suhrkamp, 1988) zusammengefasst sind.

Zunächst mit politischen Essays und Vorträgen, schließlich mit der von ihm vor Jahren gegründeten “Internationalen Stiftung für die Freiheit” (Fundación Internacional para la Libertad – FIL), entpuppte sich V. Llosa als zunehmend radikalisierter, neoliberaler Gelegenheits-Ideologe.

Im Getümmel seiner politischen Dreckschleuder liest man markige Sätze wie:

„Der Sozialismus, der Nationalsozialismus und der Faschismus sind kollektivistische Phänomene der Vergangenheit. Heute drücken sie sich aber im Nationalismus und in den religiösen Fundamentalismen aus. Auf gewundene Art sprießt das Phänomen in ganz Lateinamerika in Kleidern, die nicht beleidigend, sondern ehrenhaft erscheinen”.

Oder:

„Wenn wir eine höhere Entwicklung erreichen, die Zivilisation und die Rechtschaffenheit wählen wollen, müssen wir entschlossen diese kollektivistische Ausbrut bekämpfen. Mit guten Ideen können wir sie besiegen”.

Luis Fernando Sarango Macas, ein ecuadorianischer Sprachwissenschaftler, führt diese Sätze als Beispiele für eine “ideologische Rückbildung” V. Llosas an (“¿Quien es este personaje llamado Mario Vargas Llosa?” Boletín ICCI-ARY, Dezember 2003).

Pionier der rechtsradikalen, neoliberalen Offensive in Lateinamerika

Der verstorbene peruanische Professor und Lehrer-Gewerkschafter José Ramos Bosmediano kritisierte vor etlichen Jahren V. Llosas Populismus-Begriff; eines der Flaggschiffe der neoliberalen Rhetorik. Er schrieb: „Geht es nach den seltsamen Kenntnissen der Politischen Ökonomie des Herrn Mario Vargas Llosa, so ist es schlichtweg ´Populismus´, wenn der Staat wichtige Bereiche eines oder mehrerer Wirtschaftsunternehmen unter seine Verwaltung stellt. Und was noch schlimmer sei: dieses nationale Eigentum führe unaufhaltsam ´in den Abgrund´…” (“Mario Vargas Llosa y su guerra neoliberal, Punto de vista y propuesta, 01.05.2012).

Mit genau dieser Rhetorik holte V. Llosa zu wütenden Attacken gegen die argentinische Präsidentin Cristina Kirchner aus, als diese im Jahr 2012 die Rückführung des von Carlos Menem in den 1990er Jahren privatisierten und an den spanischen Multi REPSOL verscherbelten, staatlichen Erdölkonzern YPF beschloss. Und dies aus guten Gründen: entgegen vertraglicher Verpflichtungen hatte REPSOL in den vergangenen zehn Jahren kaum investiert und die Förderung auf den Tiefpunkt sinken lassen.

„Wann hat Argentinien es verschissen?”, fragte V. Llosa mit noch unverblümterer Fäkalsprache ins Publikum, während eines Auftritts auf der Buchmesse von Buenos Aires im April 2011. Ehe sich ein wohlerzogener Argentinier traute, bediente er sich einer Ellipse und beantwortete selbst die Frage: “Argentinien fiel in den Abgrund, als es sich für die Massendemokratie, das Wahlrecht und den Wohlfahrtsstaat entschied” (“El escribidor y el otro”, Mario Wainfeld – Pagina 12, 22.04.2011).

Von Zurückhaltung und Respekt keine Spur bei dem eingereisten Literaten und Freizeit-Agitator.

Der verstorbene uruguayische Schriftsteller Eduardo Galeano empfahl einst, “diesem Herrn sollte man nicht den Gefallen tun, ihn mit faulen Eiern zu bewerfen”.

Indessen, ein zentraler Satz seiner Essay-Sammlung – “der zeitgenössische Intellektuelle wird aus Opportunismus, Feigheit oder Blindheit häufig zum Verbündeten der Barbarei” – ist Vargas Llosas´ politischer Wende zum ironischen Verhängnis geworden, nämlich sein Bündnis mit der Barbarei.

Sein Auftritt auf der Buchmesse war nur ein Nebenschauplatz. Seine Landung in Buenos Aires war einem internationalen Treffen der Mont Pèlerin Society geschuldet, die 1947 vom Papst der neoliberalen Doktrin, Friedrich von Hayek, gegründet wurde und als Schaltstelle sämtlicher neoliberaler think tanks arbeitet, wie V. Llosas “Internationale Stiftung für die Freiheit”

Seit Jahrzehnten bildet sich der Nobelpreisträger mit Hayeks und Milton Friedmans Schriften seine ideologische Meinung heran, die gegen den Wohlfahrtsstaat, die demokratischen Rechte und für das Imperativ der absoluten Herrschaft des Marktes ihren weltweiten, ideologischen Feldzug führen.

Dass Hayek und Friedman als Berater der blutigen Diktatur Augusto Pinochets tätig waren, massive Folter und Mord als “Kollateralschäden“ duldeten, davon will er nichts gewusst haben.

Ebenso wenig will der Schreiberling nicht darüber im Bilde gewesen sein, dass die neoliberale Ausbrut in Brasilien mit Lügen, Drohungen und Verschwörungen den Sturz von Präsidentin Dilma Rousseff vorbereitet und gefeiert hat. Als unverfrorene Frechheit hatte er anlässlich Rousseffs Wahlsieg im November 2014 orakelt, „Dilma soll nicht diese Wahlfälschung unterstützen“. Nach einhelliger Bewertung von unabhängigen Wahlbeobachtern hat es sich um einen sauberen Wahlvorgang gehandelt.

Seit dem Staatsstreich vom August 2016 gegen Rousseff liebäugelt der Literat und Freizeit-Verschwörungstheoretiker nun mit den Erzfeinden der Präsidentin. Sein neuester Held ist ausgerechnet der weltweit umstrittene, vom medialen Mainstream umjubelte und von den USA ausgebildete Richter Sérgio Moro („Las delaciones premiadas“, Mario Vargas Llosa – „El País“, 19.02.2017).

Im Übrigen legte sich V. Llosa mit sämtlichen Regierungen und Staatschefs an – von Kuba über Bolivien, Ecuador, Argentinien, Brasilien und Venezuela – die der neoliberalen Heilslehre zuwiderhandelten.

Boliviens indianischen Staatschef Evo Morales bezeichnete er im Juli 2016 als „extrem autoritär und demagogisch“. Morales überlegte nicht zweimal und twitterte in den Äther: „Vargas Llosa glaubt, die Macht soll allein von Bankern und transnationalen Konzernen ausgeübt werden!“. Und gab noch einen drauf: „Neokolonialer Rassist“.

Kuba hatte er längst als „blutige Diktatur“ beschimpft, als er sich im April 2014 in Venezuela mit der rechtsradikalen Opposition traf und bald darauf einen „Aufruf an Lateinamerika“ verfasste, zur Unterstützung dieser Opposition und ihrer wegen gewaltsamen Umsturzversuchen inhaftierten Führer.

Den zwar nicht immer geschickt handelnden, jedoch demokratisch gewählten Chávez-Nachfolger Nicolás Maduro schimpfte er einen „Diktator“. Und sogenannte „Diktatoren“ sollten nach des Schriftstellers unverblümter Meinung umgebracht werden.

In einem Interview für den privaten TV-Sender Univisón vom September 2014, aus Anlass der Vorstellung von V. Llosas Roman „Das Fest des Ziegenbocks“ – über den bei einem Attentat erschossenen, dominikanischen Diktator Rafael Trujillo – fragte der Journalist Jorge Ramos, ob es legitim sei, einen Diktator zu ermorden. Ohne mit der Wimper zu zucken, antwortete der Nobelpreisträger: „Ich glaube, ja! Der Tyrannenmord ist absolut legitim“. „Auch die Gebrüder Castro?“, fragt Ramos genauer.

Die frappante Antwort V. Llosas lautet: „Ich glaube, in Kuba gibt es für einen anderen Ausweg keinen Freiraum mehr”. (Vargas Llosa: se vale matar al dictador – Univision)

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