Hinweise des Tages
Hier finden Sie einen Überblick über interessante Beiträge aus anderen Medien und Veröffentlichungen. Wenn Sie auf “weiterlesen” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (CR/JB)
Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:
- Die EU-Kommission spielt mit dem Feuer
- Was der Fall Deniz Yücel mit der Datenhehlerei und der EU-Anti-Terror-Richtlinie zu tun hat
- Showdown Erdogan gegen Merkel nützt beiden Regierungen
- Wer mit dem Teufel isst
- Happy Birthday Maastricht: Kieler IfW-Forscher fordert Eurorauswurf für mehr Stabilität
- Falsche Feinde
- Diese 12 Firmen sind die größten Steuertrickser in der EU
- Wenn Gerechtigkeit mehr Wachstum schafft
- Armut
- Bundesregierung beharrt auf Kindergeldkürzung für EU-Ausländer
- Statistische Sterbefälle und story telling bei Dieselgate
- Nur Papiertiger? – Die „Neue“ deutsche Afrikapolitik
- Scharade im kontrollfreien Raum: Hat die EU gar keinen Türkei-Deal geschlossen?
- So will Schulz bei der Agenda 2010 nachbessern
- Reporter ohne Grenzen: Weitere Verfassungsbeschwerde gegen BND-Überwachung
- Trump lügt nicht allein
- Sie stehen für intellektuelle Redlichkeit, Frau Wagenknecht
- Was bleibt von Bernie Sanders? Lehren für linke Mobilisierung
Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.
- Die EU-Kommission spielt mit dem Feuer
Obwohl die EZB ständig Geld verteilt, schwächelt die Realwirtschaft in Europa. Die EU-Kommission will das mit einer Kapitalmarktunion lösen. Das ist ein schwerer Fehler.
Die Europäische Kommission beklagt die anhaltend schwachen Investitionen in Europa – und hat die vermeintliche Lösung dafür schon parat: Die Unternehmen sollen ihre Investitionen in Zukunft unabhängiger von Bankkrediten finanzieren können. Denn, so die Argumente der Kommission, die Banken vergäben wegen der faulen Papiere in ihren Bilanzen zu wenige Kredite an Unternehmen. Außerdem erschwerten zu strenge Regeln die Finanzierung von Investitionen.
Nun sollen die aus der US-Immobilienkrise berüchtigten Verbriefungen – die Bündelung, Verpackung und der Verkauf von Krediten unterschiedlicher Qualität – neu belebt werden. Sie sollen es ermöglichen, Kreditrisiken über Ländergrenzen hinweg zu verteilen. Das mache die Unternehmensfinanzierung unabhängiger von der nationalen Konjunktur, argumentiert die EU-Kommission. Ihr Ziel ist also eine Kapitalmarktunion.
Über die Verbriefung von Krediten könnten sich Banken zudem fauler Papiere entledigen. Institutionelle Investoren wie Pensionsfonds oder Schattenbanken könnten Verbriefungen kaufen, Liquidität erhöhen und somit den Banken die Kreditvergabe erleichtern, erklärt die Kommission. Darum würden insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) von der Kapitalmarktunion profitieren.
Quelle: Sahra Wagenknecht und Fabio De Masi in der ZEITAnmerkung Albrecht Müller : Sehr interessant; nebenbei: wo bleiben die anderen Parteien und ihre Fachleute?
- Was der Fall Deniz Yücel mit der Datenhehlerei und der EU-Anti-Terror-Richtlinie zu tun hat
Wir fordern die Freilassung von Deniz Yücel und aller anderen inhaftierten Journalisten in der Türkei. Gleichzeitig möchten wir an Einschränkungen der Pressefreiheit in Deutschland und der EU erinnern, mit denen sich – bei veränderter politischer Lage – ähnliche Vorwürfe konstruieren lassen könnten.
Der Fall Deniz Yücel zeigt sehr deutlich, dass Pressefreiheit in der Türkei nur noch auf dem Papier existiert. Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten sind in Erdogans Regime in Haft, zahlreiche kritische Medien geschlossen und Stimmen jenseits der regierenden AKP mittlerweile weitgehend verstummt. Bis nach Deutschland hinein werden zudem Menschen eingeschüchtert, die den versiegenden Fluss von alternativen Informationen aus der Türkei durchbrechen. […]
Nun ist die Situation hierzulande natürlich eine sehr andere, doch Einschränkungen der Pressefreiheit sind in den letzten Jahren auch in Deutschland und anderen Ländern der EU zu beobachten. Auch sie wären bei einer veränderten politischen Lage geeignet, um ähnliche Vorwürfe gegen Journalisten zu konstruieren: Mit dem BND-Gesetz ist beispielsweise eine Überwachung ausländischer Journalisten möglich, der Datenhehlerei-Paragraph kann den Umgang mit rechtswidrig erworbenen Daten (bspw. durch einen Hack) bestrafen und die neue EU-Anti-Terror-Richtlinie ist so schwammig formuliert, dass sie Journalisten in die Nähe einer Terror-Verherrlichung stellen könnte.
Wir wollen deswegen mit diesem Artikel ein bisschen vor der eigenen Haustüre zu kehren – und die Gesetze, Richtlinien und Pläne vorstellen, welche die Pressefreiheit hier bedrohen: […]
Quelle: Netzpolitik.orgAnmerkung Jens Berger: Löblich, dass netzpolitik.org aus dem Chor derer ausschert, die den Fall Yücel nutzen, um sich selbst in einem besseren Licht darzustellen. Lesen Sie dazu bitte auch Albrecht Müllers Gedanken zum Wochenende.
- Showdown Erdogan gegen Merkel nützt beiden Regierungen
Fast fühlt man sich an die Zeiten des Stalinismus erinnert, wo Oppositionelle als trotzkistisch-faschistische Agenten diffamiert und verfolgt wurden, wenn der türkische Präsident Erdogan den Journalisten Deniz Yücel gleich zum “deutschen Agenten und PKK-Mitglied” stempelt.
Die Message von Erdogan ist klar, er spielt die nationalistische Karte und will bei den rechten Wählern Stimmen für sein Referendum sammeln. Da helfen starke Worte gegen Deutschland immer. Deniz Yücel ist da nur das Opfer, auf dessen Rücken der Streit ausgetragen wird. Es ist auch die Rache von türkischen Nationalisten und Islamisten an einer Merkel-Regierung, die eigentlich schon immer deutlich gemacht hatte, dass sie die Türkei nicht in der EU haben will. […]
Doch auch in Deutschland kann zunächst die Union von dem Konflikt profitieren. Diejenigen, welche die Türkei schon immer für nicht EU-kompatibel bezeichnet haben, können sich bestätigt fühlen. Es gab noch vor einigen Jahren vor allem bei den Grünen und den Sozialdemokraten Stimmen, die sich für weitere Kontakte zwischen der EU und der Türkei aussprachen und darauf hinwiesen, dass die Rechte in der Türkei von einer ablehnenden Haltung profitieren kann.
Diese Kräfte bezogen sich vor allem auf liberale Gruppen, Reformlinke und Teile der kurdischen Bewegung, die sich von einer Annäherung der Türkei an die EU eine Stärkung der Menschenrechtsposition erhofften. Linke Gruppen in und außerhalb der Türkei haben bereits seit Langem darauf hingewiesen, dass diese Vorstellung illusionär ist. […]
Heute sind aber auch bei den Linksliberalen kaum noch Stimmen zu hören, die eine EU-Option für die Türkei für möglich halten. Heute dominiert in Deutschland eine ganz große Koalition von der Linkspartei bis weit rechts von der Union, die Erdogan in die Schranken weisen wollen. Oft wird sogar ein propagandistisches Bild projiziert, als würde Erdogan in Deutschland mitregieren und Merkel wurde aufgefordert, sich nicht von ihm erpressen zu lassen. Da werden aber die Machtverhältnisse auf groteske Weise umgekehrt. Tatsächlich kann Erdogan gegenüber den Deutschen auf dem Rücken von Deniz Yücel den starken Mann markieren. Viel mehr Macht hat er aber auch nicht. Selbst nach der Zuspitzung der Auseinandersetzung wird beispielsweise das Flüchtlingsabkommen nicht infrage gestellt. Denn die Türkei will den Eindruck vermeiden, man könne sich auf sie als Pförtner der Festung Europas nicht mehr verlassen.
Quelle: Telepolis - Wer mit dem Teufel isst
In Ägypten sucht Angela Merkel die Nähe eines weiteren Diktators. Obwohl das Beispiel Türkei zeigt, wie erpressbar sie sich dadurch macht.
Ehre, wem Ehre gebührt: Bisher haben weder die Bundesregierung noch SPD oder Union gefordert, syrische Flüchtlinge endlich abzuschieben, weil es in ihrer Heimat auch sichere Gebiete gebe. Aber der Wahlkampf hat ja auch gerade erst angefangen. Da geht vielleicht noch was. (…)
Gerade hat sich Angela Merkel mit dem ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi in Kairo über das Thema unterhalten. Mit Verfolgung kennt der sich aus, allerdings nicht als Opfer, sondern als Täter. Seit dem von ihm geleiteten Militärputsch 2013 ist die Menschenrechtslage in Ägypten dramatisch.
Oppositionelle werden weggesperrt, manche auch gleich zum Tode verurteilt. Organisationen, in- und ausländische, die sich kritisch mit der Situation auseinandersetzen, werden in ihrer Arbeit behindert oder einfach geschlossen. Das Land steht am Rande des Staatsbankrotts, nicht zuletzt deshalb, weil viele Militärs in die eigene Tasche wirtschaften.
Und mit dem Regime dieses Staates möchte die deutsche Bundeskanzlerin gerne so eng wie möglich in der Flüchtlingsfrage zusammenarbeiten. Am liebsten wäre ihr ein Abkommen, vergleichbar dem mit der Türkei: Europa zahlt, im Gegenzug werden uns Flüchtlinge vom Hals gehalten. So weit sei man allerdings noch nicht, erklärte die Besucherin aus Berlin am Ende ihres Gastauftritts in Kairo. Soll man das jetzt für eine beruhigende Nachricht halten? (…)
Wer mit dem Teufel isst, braucht einen langen Löffel, hat William Shakespeare geschrieben. Angela Merkel scheint derzeit lediglich über einen Eierlöffel zu verfügen, während der türkische Präsident Recep Erdogan eine Suppenkelle zu haben scheint. Und in dieser Situation wirbt die Kanzlerin um einen Deal mit einem weiteren Diktator, dieses Mal in Ägypten? Nein, sie ist nicht lernfähig. Das ist eine schlechte Nachricht für Deniz Yücel. Und für alle anderen Verfolgten auf der Welt.
Quelle: taz - Happy Birthday Maastricht: Kieler IfW-Forscher fordert Eurorauswurf für mehr Stabilität
Aus Anlass des Geburtstags des berühmten Maastrichter Vertragswerks wurde u.a. vom IfW-Forscher Stefan Reitz kürzlich eine Analyse im Wirtschaftsdienst unter dem Titel: „25 Jahre Maastrichter Verträge – reale Divergenzen und institutionelle Reformen“ veröffentlicht. Sie zielt darauf ab, das Maß der gegenseitigen wirtschaftlichen Annäherung der Euroländer seit 1995 zu untersuchen, und – überraschend ist es natürlich nicht – entführt die Leserinnen und Leser sofort ins neoklassische Dogma von den „hochgefährlichen Staatsschulden“. Wie bei vielen Ökonomen üblich werden die politischen Vorgaben für die Eurozone trotz aller problematischen Erfahrungen nämlich einfach zur ökonomisch notwendigen und unhinterfragbaren Realität erklärt: „Die Funktionsfähigkeit der Eurozone basiert auf der No-Bail-out-Regel und dem Stabilitäts- und Wachstumspakt.“
Durchaus beachtlich ist aber, dass in der Analyse Krisenphänomene und tatsächliche wirtschaftliche Annäherung (Konvergenz) analytisch derart vermengt werden, dass die bisherige1 Annäherung Südeuropas an Kerneuropa weitgehend untergeht (obwohl selbst die Autoren von einer „anhaltenden Krise im Euroraum“ sprechen und somit die besondere wirtschaftliche Situation anerkennen).
Quelle: Maskenfall - Falsche Feinde
Von links und rechts wird die Bundesregierung für ihre Wirtschaftspolitik kritisiert – zu Unrecht.
Was eint Donald Trump und Alexis Tsipras? Beide sind wütend auf Deutschland. Der rechte amerikanische Präsident und der linke griechische Premier meinen, die Bundesrepublik übervorteile sie.
Trumps oberster Handelsberater hat die Anklage offen ausgesprochen: Die Deutschen betrieben Lohn- und Währungsdumping. Erst hätten sie übermäßig gespart und die Löhne niedrig gehalten, dann auf sinistre Weise den Kurs des Euro gedrückt, damit ihre Autos und Maschinen im Rest der Welt zur billigen Ware werden.
Auch wenn man Tsipras zuhört, könnte man glauben, die Deutschen führen wie Bulldozer über ihre Wirtschaftspartner hinweg. Lautstark beschwert er sich darüber, dass Berlin die von der Krise gebeutelten Griechen drangsaliere, statt ihnen Schulden zu erlassen. Bei der Europäischen Zentralbank gelten deutsche Politiker und Ökonomen sowieso als die größten Störenfriede, weil sie die Politik des billigen Geldes ablehnen. Vor allem wenn Wolfgang Schäuble stichelt, wie gerade wieder geschehen, stellen sich bei der EZB alle Nackenhaare auf.
Der Euro ist zu billig – doch dafür können die Deutschen nichts
Sind die Deutschen also wirklich die Schurken der Weltwirtschaft? Absolut nicht! Sie sind nur in einer besonderen Situation.
Nie waren ihre Exporteure erfolgreicher als 2016. Die Wirtschaft schraubte den Überschuss im Handel auf eine Viertelbillion Euro, weil Mario Draghi mit Nullzins und Geldflut genau das erreicht hat, was er wollte: Der Euro-Kurs ist gegenüber dem Dollar stark gesunken – und für die Bundesrepublik eigentlich zu niedrig. Das macht deutsche Autos in Amerika günstig und amerikanische Autos in Deutschland teuer.
Nur können die Deutschen ausnahmsweise nichts dafür. […]
Lohndumping kann man Deutschland auch nicht mehr vorwerfen. Allein in den vergangenen drei Jahren sind die Löhne um über sechs Prozent gestiegen – nach Abzug der Inflation. Und die staatlichen Investitionen steigen Jahr für Jahr. Wer den offiziellen Zahlen misstraut, sollte beim Nachhauseweg einen Blick auf all die Baustellen werfen.
Quelle: Uwe Jean Heuser in der ZEITAnmerkung unseres Lesers J.A.: Falsche Feinde – oder falsche Freunde? Sind die anderen Länder, die uns zu mehr Konsum, höheren Löhnen und mehr Investitionen auffordern, wirklich unsere Feinde? Nichts, was Heuser vorbringt, ergibt Sinn, außer als tumbes Sprachrohr des Finanzministers. Hier wird der starke Export durch den niedrigen Eurokurs begründet, obwohl nicht der Export an sich, sondern der Außenhandelsüberschuß, in der Kritik steht, und zwar völlig zu Recht. Was soll das sein, wenn nicht deutsches Lohndumping? Die passable Lohnentwicklung der letzten drei Jahre (plus 6 Prozent real) zu erwähnen, aber mal eben die katastrophale Entwicklung der 20 Jahre davor – minus 1,6 Prozent (!!!!) von 1992 bis 2012 – zu unterschlagen, hat exakt nichts mit Journalismus und alles mit blanker Propaganda zu tun. “die staatlichen Investitionen steigen Jahr für Jahr” – die ZEIT (wahrscheinlich so eine Kommunistenpostille) stellt fest, daß “Deutschland […] bei den öffentlichen Investitionen […] Klassenletzter” ist. Schieritz hat das vor einem halben Jahr so zusammengefaßt: “Der deutsche Staat investiert deutlich weniger als früher und weniger als beinahe jedes einigermaßen entwickelte Land dieser Erde.” Und dann so was Unterirdisches und Unfundiertes von Heuser: peinlich.
- Diese 12 Firmen sind die größten Steuertrickser in der EU
Große Unternehmen mit Milliarden-Umsätzen zahlen oft deutlich weniger Steuern als ihre Angestellten. Denn der arbeitenden Bevölkerung werden die Steuern direkt vom Lohnzettel abgezogen. Konzerne wenden dagegen allerhand Tricks an, um Gewinne zu verschleiern und so wenig Steuern wie möglich zu zahlen. Das sind alles andere als Kinkerlitzchen: Allein der EU entsteht dadurch ein jährlicher Schaden von rund 1.000 Mrd. Euro.
Wieviel Geld versickert in Steuersümpfen?
7.600 Milliarden Dollar
Auf diese Summe beläuft sich das Privatvermögen, das Superreiche laut dem französischen Ökonomen Gabriel Zucman weltweit in Steuersümpfen bunkern. Davon stammen…
2.600 Milliarden Dollar
…aus Europa, 1.300 Milliarden aus Asien, 1.200 Milliarden aus den USA, 800 Milliarden aus den Golf-Ländern, 700 aus Lateinamerika und 200 aus Russland.
8 % des Weltvermögens
…werden laut Zucman von reichen Privatpersonen am Fiskus vorbei in Steuersümpfen geparkt.
250 Milliarden Dollar
In dieser Höhe soll sich laut Tax Justice Network der Steuerentgang in den Herkunftsländern der Vermögen bewegen.
1.000 Milliarden Euro
So hoch ist laut EU-Kommission der Schaden für die EU-Mitgliedsstaaten durch Steuertrickserei. Das ist fast das Dreifache des Budgetdefizits der EU-Mitgliedsländer.
Quelle: Kontrast Blog - Wenn Gerechtigkeit mehr Wachstum schafft
Mit den Agenda-Reformen der ersten Generation hat Deutschland, ganz grob gesagt, eher die erste Option gewählt: durch viel Kostenkappen und Verzicht dafür zu sorgen, dass mehr einfachere Arbeit geschaffen wird und sich das teure Made in Germany günstiger verkauft. Erfolgreich.
Die Kehrseite: Über Jahre hinweg gab es kaum Investitionen in die Zukunft; alles in allem wird heute real weniger in Ausrüstungen investiert als 2008. Und: Nach OECD-Schätzung ist das Wachstumspotenzial der deutschen Wirtschaft heute geringer als vor den Reformen in den Neunzigerjahren.
Entwurf eines Mittelwegs
All das ist kein Grund, die Agenda 2010 gleich rückabzuwickeln. Nur: Wenn all das stimmt, was Wissenschaftler herausgefunden haben, birgt das eine ganz neue Erkenntnis, wie die nächste Agenda-Runde aussehen sollte.- Dann ist es womöglich sinnvoll, den Leuten (auch mal) mehr Zeit zu lassen, um sich zu qualifizieren und den passenden Job zu finden – aus wirtschaftlichen, nicht (nur) aus sozialen Gründen.
- Dann ist es nicht nur gutmenschlich, sondern für Wirtschaft und Wohlstand im Land sinnvoll, die unteren Löhne eine ganze Weile schneller zulegen zu lassen als die obersten – zumal die Reichen ohnehin immer nur einen kleinen Teil ihres Geldes ausgeben. Die deutsche Volkswirtschaft würde es bekanntlich robuster machen, wenn sie nicht mehr so relativ einseitig vom guten Export abhängen würde.
- Dann geht es darum, viel mehr positive Anreize für Investitionen zu setzen, statt nur Kosten zu kappen – etwa dadurch, dass Investitionen schneller steuerlich abgeschrieben werden können.
- Und dann ergibt es Sinn, Überschüsse im Staatshaushalt sehr viel mehr für bessere Straßen, Schienen, Schulen und Forschungsaufträge auszugeben – statt Steuern zu senken, was ohnehin nur den relativ Bessergestellten zugutekommt, die überhaupt so viel verdienen, dass sie Steuern zahlen müssen.
Das heißt nicht, dass alles gut ist, was gleichmacht. Höchste Zeit aber, mit dem altbackenen Geplapper aufzuhören, wonach gutes Wirtschaften immer irgendwie mit Verzicht und Entbehrung zu tun hat – und die Wirtschaft angeblich gleich kollabiert, wenn es weniger ungleich zugeht.
Quelle: Spiegel OnlineAnmerkung unseres Lesers M.M.: Leider kann oder will sich Herr Fricke nicht wirklich von der Agenda 2010 lösen, und man muss den Artikel bis zum Ende lesen um zu den wirklich guten Aussagen vorzustoßen, aber eine solchen Artikel bei Spiegel-Online zu lesen hat mich (positiv) überrascht.
- Armut
- Armut kann man nicht weglügen
Mit 15,7 Prozent hat die Armutsquote in Deutschland einen neuen Höchststand erreicht. Schnell sind all diejenigen zu hören, die die Zahlen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes relativieren oder weglügen wollen. Sicher geht es den Armen hier besser als den Verhungernden in Zentralafrika, oder den Menschen in Rumänien oder Bulgarien. Armut ist immer relativ.
Jeder Vierte arbeitet im Niedriglohnsektor, viele sind als Leiharbeiter oder mit schlecht bezahlten Werkverträgen oder in Minijobs beschäftigt. Die Zahl von Rentnern, die auf Grundsicherung angewiesen sind, nimmt zu. 330.000 Haushalten wurde der Strom abgestellt, die Energiearmut wächst. 40 Prozent der Haushalte haben seit der Jahrtausendwende reale Einkommensverluste. Die „Deutschland geht es gut“-Rhetorik der Kanzlerin und das folgenlose soziale-Gerechtigkeits-Geschwätz der letzten Jahre sind eine Verhöhnung der Menschen, die davon betroffen sind,
All denjenigen, die die Zahlen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes schönreden wollen, wäre zu wünschen, dass sie selbst einmal mit Niedriglohn, Hartz IV oder gesperrtem Stromanschluss auskommen müssen.
Die Agenda 2010 und die Steuer- und Sozialgesetze der letzten Jahre, die zu dem Auseinanderfallen der Gesellschaft geführt haben, müssen von Grund auf korrigiert werden. Das muss auch Martin Schulz einsehen. Jetzt sind die Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat da, um für Millionen Menschen das Leben zu verbessern. Diese Mehrheiten müssen jetzt genutzt werden. Was nach der Bundestagswahl ist, weiß niemand. Der heilige Martin hat den Bettler nicht jahrelang frieren lassen, sondern seinen Mantel sofort mit ihm geteilt. Wer arm bleibt, stirbt früher!
Quelle: Oskar Lafontaine via Facebook - Lauter zufriedene Rentner
Altersarmut sei derzeit noch kein großes Thema, sagen die Autoren der Altersstudie 2017. 85 Prozent der Rentner in Deutschland sagten von sich selbst, dass die zufrieden oder sogar sehr zufrieden seien. Allerdings nehmen die soziale Unterschiede zu. Wie sich das auf die soziale Zufriedenheit auswirke, sei noch nicht abzusehen.
Christa Kleefisch angelt sich noch einen Pfannkuchen vom Teller. Die 75-Jährige sitzt mit ihrer Seniorengruppe beim Frühstück in der Tagespflege der Diakonie in Berlin – und sie ist bester Laune.
“Krille werde ich genannt, weil ich die Berliner Göre hier in unserer Einrichtung bin. Kann noch kiecken, kann noch loofn, kann mir koofn, watt mir irjendwie jefällt, mir jeht es jut auf dieser Welt.”
Trotz aller Gebrechen, ihr geht es gut. Damit gehört Christa Kleefisch zu der deutlichen Mehrheit der deutschen Rentner – immerhin 85 Prozent – die von sich sagen, sie seien zufrieden oder sogar sehr zufrieden. Das ist das zentrale Ergebnis der Altersstudie 2017 im Auftrag des Versicherungskonzerns Generali. Für die Studie wurden über 4.000 Deutsche zwischen 65 und 85 Jahren befragt. Entscheidend für die Zufriedenheit sei die gesellschaftliche Schicht der Befragten, sagt der Autor der Studie, Michael Sommer vom Allensbach Institut.
Quelle: DeutschlandfunkAnmerkung unseres Lesers M.H.: …. offenbar sind die Studienersteller mit Scheuklappen durch die Großstädte gegangen; selbst im wirtschaftlich besser aufgestellten Bayern finden sich div. ältere Hilfsbedürftige, wenn man mit offenen Augen durch die Straßen geht.
Wieso haben eigentlich die Tafeln überall Zulauf?
So wird Stimmung gemacht und der Deutschlandfunk übernimmt dies ohne kritischen Kommentar; geistige Brandstiftung gehört eigentlich bestraft! - Auch das viele Geld macht deutsche Rentner nicht glücklich
Jahr für Jahr ist die Politik bemüht, Millionen deutsche Ruheständler mit satten Rentenerhöhungen zufriedenzustellen. Eine Umfrage offenbart, dass das Geld zwar ankommt. Doch seinen Zweck verfehlt.
Viele Milliarden Euro kosten die regelmäßigen Rentenerhöhungen den deutschen Steuerzahler jedes Jahr – rund fünf Prozent mehr gab es allein im vergangenen Jahr. Nun stellt sich heraus, dass dieses zusätzliche Geld die deutschen Rentner offenbar gar nicht zufriedener macht.
Diesen Schluss lässt die Generali Altersstudie 2017 zu, die das Institut für Demoskopie Allensbach im Auftrag des Versicherers Generali nach 2013 zum zweiten Mal durchgeführt hat. Die Ergebnisse haben durchaus politische Sprengkraft. Denn die jüngeren Generationen betrachten die jährlichen Erhöhungen ohnehin mit Skepsis. Viele haben das Gefühl, diese Zuwendungen heute zu finanzieren, ohne später selbst in den Genuss solcher Gelder zu kommen.
Auf der Zufriedenheitsskala von null („überhaupt nicht zufrieden“) bis zehn („völlig zufrieden“) wählten die Ruheständler in der Umfrage im Durchschnitt 7,2. Das ist ein leichter Rückgang beim Glücksempfinden. Bei der letzten Erhebung vor vier Jahren lag der durchschnittliche Zufriedenheitswert noch etwas höher.
Quelle: WeltAnmerkung unserer Leserin N.M.: ich möchte Sie auf einen recht abenteuerlichen Artikel von Nando Sommerfeldt und Holger Zschäpitz in der WELT KOMPAKT von Donnerstag, dem 2. März 2017 aufmerksam machen, der mich doch sehr ärgert.
Geschrieben nach dem Motto: Am Anfang steht eine Meinung, die ich irgendwie versuchen muss, zu rechtfertigen und zu begründen. “Untermauert” werden soll das ganze mit zwei Grafiken. Die eine Grafik entstammt dabei tatsächlich der Generali Altersstudie, auf die im Artikel bezug genommen wird, wobei ich gestehen muss, dass ich den ersten Teil der Grafik nicht verstehe. Was bedeuten denn die Zahlen 0,1,3,5,9,10,…? Im Übrigen ist interessant, dass die Autoren bei konkreten Einkommenszahlen der Rentner wohl eher die Oberschicht im Blick haben: ein Haushaltsnettoeinkommen von durchschnittlich 2410 Euro im Monat (…) hätten laut aktueller Umfrage die 65- bis 85-Jährigen. Entstammt diese Zahl der Generali Altersstudie oder einer anderen Umfrage? 2410 Euro im Monat…- mein GEHALT liegt jedenfalls deutlich darunter. Wenn es dann um die Zufriedenheit in den “sozial schlechter gestellten Schichten” geht, hält man sich mit Zahlenmaterial zur Einkommenshöhe zurück. So genau soll das wohl niemand wissen, es könnte vermutlich die Thesen gefährden.
Die zweite Grafik zur Generationengerechtigkeit des Rentensystems hat dann wiederum mit dem Thema an sich gar nichts zu tun. Lediglich ein Satz ganz am Anfang des Artikels thematisiert die so genannte Generationengerechtigkeit. Ein Satz wird mit einer Grafik untermauert!? Auch wenn mir natürlich klar ist, worauf man hinaus will, fühle ich mich als Leserin doch verwirrt. Auch entstammt diese Grafik gar nicht der Generali Altersstudie; als Quelle wird Civey angegeben. Civey ist ein Unternehmen, dass laut Internetseite “repräsentative Umfragen im Internet ermöglicht”.
Die Schlussfolgerungen am Ende des Textes setzen dem ganzen Artikel dann noch das Krönchen auf: Staatliche Unterstützung beim Thema Gesundheit und VHS-Gutscheine. Das hat wirklich BILD-Zeitung-Niveau. (…)
Vor allem die Mittel, wie hier Meinungsmache betrieben wird, finde ich höchst erschreckend. Wenn man den Print-Artikel vor sich hat, sind da die Überschrift als Aufmacher und die beiden Grafiken, die sofort ins Auge fallen und vor allem den Lesern/-innnen, die den Artikel nur oberflächlich überfliegen, sofort ins Auge stoßen und vermutlich haften bleiben.
- Armut kann man nicht weglügen
- Bundesregierung beharrt auf Kindergeldkürzung für EU-Ausländer
Die Bundesregierung erhöht in dem Streit über die geplante Kürzung des Kindergelds für im Heimatland lebende Kindern von EU-Ausländern den Druck auf die Europäische Kommission. In einem gemeinsamen Brief haben Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD), Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries (SPD) die zuständige EU-Sozialkommissarin Marianne Thyssen aufgefordert, die EU-Regeln zu ändern, um eine Indexierung des Kindergelds, sprich eine Anpassung an die Lebenshaltungskosten im Heimatland des Kindes, zu ermöglichen. Das berichtet die Frankfurter Allgemeine Zeitung (F.A.Z./Samstagsausgabe). Das auf den 13. Februar datierte Schreiben liegt der Zeitung vor.
Die Minister argumentieren in dem Brief, Ziel des Kindergelds sei es, für die Eltern „unvermeidbare Sonderbelastungen durch das Aufziehen von Kindern“ auszugleichen. Entscheidend dafür sei das Preisniveau des Lands, in dem die Kinder lebten. Wenn die Regeln für die Freizügigkeit in der EU nicht angepasst würden, sei die Akzeptanz dieses Prinzips gefährdet, heißt es weiter. Politisch sei eine Änderung möglich. Schließlich hätten die EU-Staats- und Regierungschefs den Briten im Februar 2016 genau das zugestanden, um den Brexit zu verhindern. Mit dem Votum der Briten für den Austritt aus der EU war diese Zusage allerdings hinfällig geworden. Die EU-Kommission argumentiert bisher, die Indexierung des Kindergelds führe zu Bürokratie und stelle eine europarechtswidrige Diskriminierung dar. Außerdem werde das Problem überbewertet. Die Einsparungen für Deutschland wären geringer als 0,1 Prozent der jährlichen Kindergeldausgaben.
Quelle: Frankfurter AllgemeineAnmerkung Jens Berger: Wir erinnern uns – die Möglichkeit, das Kindergeld für EU-Ausländer zu kürzen, wurde vor ziemlich genau einem Jahr geschaffen und uns von den Medien als „Briten-Bonus“ verkauft. Die Geschichte wurde folgendermaßen erzählt: Um den Rechtspopulisten in Großbritannien ein Zückerli zu geben und damit die Brexit-Wahrscheinlichkeit zu senken, stimmen wir, also die „guten Europäer“, dieser Forderung zähneknirschend zu. Schon damals wiesen wir von den NachDenkSeiten darauf hin, dass dies ein abgekartetes Spiel der Deutschen ist, die exakt diese Forderung gegen klassische Gastarbeiterländer wie Polen auf dem Rücken der Brexit-Debatte durchdrücken wollten. Und siehe da: Ein Jahr später ist Großbritannien in den Brexit-Verhandlungen und „ausgerechnet“ Deutschland kämpft für die Kindergeldkürzung. Aber wir glauben ja immer noch, dass wir die „Guten“ sind und wundern uns dann immer, wenn die Solidarität der Europäer mit uns ihre Grenzen hat.
- Statistische Sterbefälle und story telling bei Dieselgate
Dieselfahrzeuge sind nicht gut für die Umwelt. Aber für den Absatz war es gut, sie so erscheinen zu lassen. Wer weiß, was da im Laufe der Zeit noch auf den Tisch kommt. Dass nur VW kreative Software zur gefälligen Anzeige niedriger Abgaswerte auf dem Prüfstand eingesetzt hat, kann man sich fast nicht vorstellen. Aber VW wurde erwischt. Das kostet den Konzern allein in Amerika mehr als 20 Mrd. Dollar. Seltsamerweise wird das in Deutschland eher achselzuckend zur Kenntnis genommen, ebenso wie die Tatsache, dass die VW-Kunden hierzulande mit womöglich nicht ganz nebenwirkungsfreien Software-Updates abgespeist werden und demnächst vielleicht 80 % der Dieselfahrzeuge nicht mehr überall in die Städte dürfen.
Der Schutz von VW gehört zur Staatsraison. Da ist es aus Sicht von Dobrindt & Co. gut, wenn die enormen finanziellen Folgen der Abgas-Manipulationen in Amerika hierzulande nicht so viel Wirbel machen – und die gesundheitlichen Folgen gar nicht weiter thematisiert werden. Die gibt es nämlich auch. Vor etwa eineinhalb Jahren hatte ich hier auf Gesundheits-Check auf erste Berechnungen zur Zahl zusätzlicher Sterbefälle durch die Abgas-Manipulationen hingewiesen. Zwischenzeitlich sind ein paar mehr Studien erschienen, ganz aktuell eine von Chossière et al., einer Forschergruppe am MIT, in der Zeitschrift Environmental Research Letters.
ScDemnach ist durch die Abgas-Manipulationen in Europa mit zusätzlich 1.200 vorzeitigen Sterbefällen zu rechnen, allein 500 in Deutschland. Die Autoren verweisen selbst auf große Unsicherheiten in ihren Berechnungen und auch die Konfidenzintervalle bei der Zahl der vorzeitigen Sterbefälle in den einzelnen Ländern sind sehr groß. Sollte man also besser auf solche Berechnungen verzichten? Oder rücken sie durch ein ganz anderes story telling die tödlichen Dimensionen der Geschichte doch zu Recht ins Licht?
Quelle: ScienceBlogs - Nur Papiertiger? – Die „Neue“ deutsche Afrikapolitik
Die deutschen Pläne zur Förderung der Entwicklung in Afrika und zur Bekämpfung von Fluchtursachen drohen bereits im Ansatz zu scheitern.
Afrika steht im Zentrum der deutschen G20-Präsidentschaft. Mit neuen Partnerschaften (Compacts with Africa) sollen die Investitionsbedingungen in ausgewählten afrikanischen Ländern verbessert und dadurch deutsche Unternehmen auf den Kontinent gelockt werden. Zudem hat Entwicklungsminister Gerhard Müller (CSU) vor Kurzem seinen Marshallplan mit Afrika vorgestellt. Müllers Plan geht über die Investitionsförderung hinaus. Er will auch „schädliche Exporte nach Afrika [stoppen], die aufkeimende Industrien zerstören“. Ebenso plant Müller, unlautere Finanzströme zu bekämpfen, die Afrika Milliardensummen kosten (s. hier). Doch Müller fordert auch verstärkte Anstrengungen von Seiten der afrikanischen Partner. Er fordert „gute Regierungsführung“.
Die deutschen Pläne für Afrika basieren größtenteils auf neoliberalen Grundannahmen, die schon in der Vergangenheit kaum Erfolge gezeitigt haben. Doch das ist nicht der einzige Mangel der neuen Entwicklungspläne. Es fehlt der „neuen“ deutschen Afrikapolitik auch an politischer Kohärenz, sodass die Pläne in vielen Bereichen Papiertiger zu werden drohen
Quelle: Makroskop - Scharade im kontrollfreien Raum: Hat die EU gar keinen Türkei-Deal geschlossen?
1.Das erstinstanzliche Gericht der EU – im Rechtsschutzsystem der Union für Klagen von Einzelpersonen zuständig – hat am 28. Februar 2017 über drei Klagen von Asylsuchenden entschieden, die für ihre drohende Überstellung in die Türkei die Vereinbarung verantwortlich machen, die der Europäische Rat am 18. März 2016 mit der türkischen Regierung geschlossen hat und der Öffentlichkeit unter der Bezeichnung „EU-Türkei-Erklärung“ bekannt gegeben wurde. Das Gericht hat die Klagen ohne mündliche Verhandlung abgewiesen. Das Publikum reibt sich erstaunt die Augen: an der „Erklärung EU-Türkei“ sei die EU gar nicht beteiligt gewesen, so das Gericht. An dem maßgeblichen Treffen am Sitz des Europäischen Rates in Brüssel hätten die Staats- und Regierungschefs nicht in ihrer Eigenschaft als Mitglieder dieses Unionsorgans teilgenommen, sondern ein „internationales Gipfeltreffen“ veranstaltet. Für den Türkei-Deal seinen allein die Mitgliedstaaten als völkerrechtliche Akteure verantwortlich, das Gericht also nicht zuständig. (…)
Die Zulässigkeit dagegen war problematisch. Einzelpersonen können gegen eine Handlung der EU nur dann direkt vor dem Gerichtshof der EU klagen, wenn sie von ihr Handlung „unmittelbar betroffen“ sind (Art. 263 Abs. 4 AEUV). Es wäre den Klägern wohl schwer gefallen, dies nachzuweisen. Die restriktive Auslegung dieses Zulässigkeitserfordernisses wird gemeinhin damit begründet, dass Einzelpersonen ein alternativer Klageweg vor einem nationalen Gericht zur Verfügung steht (hier: in Griechenland), das dann den Gerichtshof im Wege der Vorabentscheidung mit dem Fall befasst. Hätte sich das Gericht auf dieses Argument gestützt, wären die Klagen zwar gescheitert, es hätte aber nicht zugleich die Justiziabilität des Türkei-Deals insgesamt in Frage gestellt.
Quelle: Verfassungsblog - So will Schulz bei der Agenda 2010 nachbessern
Das Konzept sieht Korrekturen und Weiterentwicklungen der Agenda vor – jenes Reformprogramms, das 2003 unter dem SPD-Kanzler Gerhard Schröder ins Werk gesetzt wurde und die Partei spaltete. Ein zentraler Punkt betrifft das Arbeitslosengeld I. Bislang erhalten Arbeitslose es höchstens zwölf Monate – es sei denn, sie sind älter als 50, dann steigt die maximale Bezugsdauer schrittweise auf 24 Monate. Hier setzt das Konzept an, das Arbeitsministerin Andrea Nahles in ihrer Funktion als Leiterin der entsprechenden SPD-Arbeitsgruppe zum Wahlprogramm erarbeitet hat. Am Montag soll es in den SPD-Spitzengremien beraten werden.
Künftig sollen Arbeitslose ein Recht auf Weiterbildung haben, das es so bisher nicht gibt. Finden sie innerhalb von drei Monaten keine neue Stelle, sollen sie ein Angebot für eine “Qualifizierungsmaßnahme” bekommen. Zuständig sein soll die Bundesagentur für Arbeit, die in “Bundesagentur für Arbeit und Qualifizierung” umbenannt würde. Für die Dauer der Qualifizierung soll der Teilnehmer ein neues “Arbeitslosengeld Q” in Höhe des Arbeitslosengeldes I bekommen.
Nach Ende der Qualifizierung bekommt der Betroffene dann wieder das normale Arbeitslosengeld. Neu daran ist, dass die Bezugsdauer des “Arbeitslosengelds Q” nicht auf die Zeit angerechnet wird, die ein Betroffener Anspruch auf Arbeitslosengeld I hat. Bislang war es so, dass für die Zeit der Qualifizierung die Bezugsdauer des Arbeitslosengelds um die Hälfte gemindert wurde.
Quelle: Süddeutsche ZeitungDazu: Linke an SPD: Ihr müsst mit Hartz IV brechen
Martin Schulz will die Agenda 2010 teilweise zurücknehmen. Für die Linken ist das Augenwischerei. Die Parteichefin erklärt, was ein wirklicher Bruch mit Schröders Reformen bedeuten würde. Und auch die Grünen kritisieren den SPD-Kandidaten.
Vertreter der Oppositionsparteien im Deutschen Bundestag werfen der SPD vor, am Hartz-IV-System festhalten zu wollen. „Ein längerer Bezug von Arbeitslosengeld I ist gut“, sagte die Vorsitzende der Linkspartei Katja Kipping an diesem Samstag in Berlin. „Aber zu einem wirklichen Bruch mit Agenda 2010 und Hartz IV gehört die Abschaffung der Sperrzeiten und der Hartz-IV-Sanktionen.“ Sie seien Schikane.
Sie reagierte damit darauf, dass die SPD unter ihrem designierten Parteichef und Kanzlerkandidaten Martin Schulz den Bezug von Arbeitslosengeld verlängern möchte, wenn sich die Betroffenen weiterqualifizieren. Ein entsprechendes Konzept soll der Parteivorstand am kommenden Montag beschließen. (…)
„Wir wollen ein Recht auf Weiterbildung einführen“, heißt es in der entsprechenden Beschlussvorlage. Die oberste Arbeitsbehörde soll in „Bundesagentur für Arbeit und Qualifizierung“ umbenannt und gesetzlich verpflichtet werden, Arbeitslosen ein Angebot für eine Qualifizierungsmaßnahme zu machen, wenn sie innerhalb von drei Monaten keine neue Beschäftigung finden. Für die Dauer der Qualifizierung wird „Arbeitslosengeld Q“ in Höhe des Arbeitslosengeldes I gezahlt.
Die Grünen-Arbeitsmarktexpertin Brigitte Pothmer lobte, dass Schulz die Verlängerung des Arbeitslosengeld-Bezugs an Qualifizierung koppeln will. Das Prinzip gelte aber schon heute. Gerade wenn es um Ältere gehe, hätten sich zudem Lohnkostenzuschüsse bewährt. „Größtes Manko des Konzepts: Arbeitslosengeld-II-Bezieher haben davon nichts“, so Pothmer: „Damit fallen 63 Prozent aller Arbeitslosen hinten herunter.“
Quelle: Frankfurter Allgemeine - Reporter ohne Grenzen: Weitere Verfassungsbeschwerde gegen BND-Überwachung
Reporter ohne Grenzen legt Verfassungsbeschwerde gegen die Massenüberwachung des Bundesnachrichtendienstes ein, wie aus einer Pressemitteilung hervorgeht.
Konkret richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen die „strategische Fernmeldeüberwachung“ des BND im Jahr 2013: Nach allem, was über den Umfang der Überwachung vor allem des E-Mail-Verkehrs zwischen In- und Ausland sowie über die vom BND verwendeten Suchkriterien bekannt ist, müsse Reporter ohne Grenzen davon ausgehen, dass auch zahlreiche E-Mails der Organisation erfasst wurden – und dass diese Praxis unverhältnismäßig und nicht vom G-10-Gesetz gedeckt sei. Dies beeinträchtige massiv die Arbeit von Reporter ohne Grenzen und verletze die Interessen der Organisation. (…)
Zuvor wurde eine Klage durch Reporter ohne Grenzen zur Arbeit des BND vom Bundesverwaltungsgericht in Leipzig aufgeteilt. Das Gericht stellte „Nachfragen zur Anonymisierung grundrechtsgeschützter Daten“, lehnte aber den „Klagepunkt zur strategischen Auslandsüberwachung“ ab.
Vor einer Woche wurde bekannt, dass der BND gezielt Journalisten und Medien, darunter die New York Times und die BBC, abgehört hat. Vertreter der Opposition im Bundestag forderten eine umgehende Aufklärung des Skandals.
Quelle: Netzpolitik.org - Trump lügt nicht allein
Merkel, Kauder und Konsorten lügen schon viele Jahre
Schulz rede Deutschland schlecht, „wie man es sonst eigentlich nur von Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine gewohnt ist“, schreibt Volker Kauder in einem Gastbeitrag für die “Welt am Sonntag”. Wie Merkel sagt auch Kauder: Deutschland geht’s gut. Sie lügen seit vielen Jahren.
Die Renten sinken, der Durchschnitts-Rentner in Österreich hat 800 Euro mehr im Monat – aber Deutschland geht’s gut.
40 Prozent der Deutschen haben seit 1999 reale Einkommens-Verluste, können sich also weniger leisten – aber Deutschland geht’s gut.
Mehr als zwei Millionen Kinder wachsen in Armut auf – aber Deutschland geht’s gut.
Wenn Lügen kurze Beine haben, dann könnten Merkel und Kauder unterm Teppich Fallschirm springen.
Quelle: Oskar Lafontaine via Facebook - Sie stehen für intellektuelle Redlichkeit, Frau Wagenknecht
Darf eine Linke auf Wunden zeigen, auf die vorher schon Rechte gezeigt haben? Darüber hat Redakteurin Gisela Rauch nachgedacht. Und dann an Sahra Wagenknecht geschrieben.
Sehr geehrte Frau Wagenknecht, vor einigen Tagen hat die „Süddeutsche Zeitung“ ein Portrait über Sie veröffentlicht; ein dicht geschriebenes und ganz und gar abwertendes Portrait. Am Textbeginn dürfen namentlich nicht genannte Personen Sie als „Autistin“, als „gefährlich“ und als „unterwegs nach rechts“ beschreiben. Am Textende heißt es, dass Sie „in anderthalb Stunden kein einziges Mal gelacht“ hätten. Dazwischen erfährt der Leser, dass Sie Halb-Iranerin sind, Ihr „eigenes Fremdsein aber unterwegs abgestreift haben“, dass Sie einen eleganten Mantel tragen und Ihr Ehemann Oskar Lafontaine von einem Nazi-Lehrer geprägt worden ist. Wozu all diese subtil als biografische Details verbrämten Spitzen? Wozu anonyme Beschimpfungen? Ach so – um zu zeigen, dass Sie, die Spitzenkandidatin der Linken, „oft stramm rechts“ klingen. Das ist die These der Autorin. Und so steht es in der Überschrift. (…)
Der Text hat mich nicht losgelassen. Manchmal muss ich herumwühlen in Geschriebenem, um herauszufinden, ob Andeutungen stimmen. Also habe ich, sehr geehrte Frau Wagenknecht, viel über Sie und von Ihnen gelesen, unter anderem Ihre Bundestagsreden. Auch jene vom November 2016, aus der die SZ-Autorin unter dem Motto „Und der Ton wird schärfer“ zitiert: „Je mehr Hartz-IV-Empfänger – und Sie wissen, dass die meisten Flüchtlinge im nächsten Jahr Hartz IV bekommen werden – , desto teurer wird es für den Postzusteller und die Aldi-Kassiererin“. Dieser Satz; er gilt der Süddeutschen offenbar als Beleg für rechtes Denken. (…)
Ja, Frau Wagenknecht, den Satz haben Sie gesagt. Allerdings nicht ins Blaue hinein, wie es der SZ-Text suggeriert, sondern mit Blick auf steigende Krankenversicherungsbeiträge für gesetzlich Versicherte.
Doris Pfeiffer, Chefin des Spitzenverbands der gesetzlichen Kassen, hat schon vor Monaten genau diesen Bezug hergestellt zwischen vielen anerkannten Flüchtlingen und steigenden Krankenkassenbeiträgen, wie man etwa in der „Zeit“ vom 14. Juli 2016 nachlesen kann. Was Sie in Ihrer Rede weiter gesagt haben, war, dass über höhere Krankenkassenbeiträge die kleinen Leute die Zahlungen für Hartz-IV-Leistungen für Flüchtlinge in stärkerem Maße finanzieren müssen als deren „privat versicherter Chef“, der samt seiner Konzerne von der Finanzierung solcher gesamtgesellschaftlicher Aufgaben verschont werde. Das haben Sie gesagt, nicht mehr. Einen stramm rechten Denkansatz kann ich dabei nicht erkennen. Ich sehe nur eine leicht linkslastige Erklärung volkswirtschaftlicher Zusammenhänge. Vielleicht bin ich zu unvoreingenommen.
Quelle: MainPost - Was bleibt von Bernie Sanders? Lehren für linke Mobilisierung
Bernie Sanders ist es gelungen einer breiten Basisbewegung in den USA eine Stimme zu verleihen. Was von der Bewegung nach dem Wahlkampf übrig bleibt und was wir auch hier in Österreich von ihr lernen können, analysiert Rainer Hackauf.
Die US-Demokraten wurden in den letzten Jahren von erfolgreichen Basisbewegungen unter Druck gesetzt: Occupy!-Bewegung, Proteste von LehrerInnen, die Bewegung von Fastfood-Angestellten für höhere Löhne, Initiativen gegen Zwangsräumungen und Verschuldung sowie die Bewegung gegen rassistische Polizeigewalt sorgten für Aufsehen. Gemeinsam hatten die Bewegungen, dass sie grundlegende Ungleichheiten in den USA breitenwirksam zum Thema machten und so der US-Linken neuen Auftrieb verliehen.
Diese von Basisbewegungen eröffneten Räume konnten in der Vergangenheit schon PolitikerInnen wie der New Yorker Bürgermeister Bill de Blasio für sich nützen. Im Zuge der Präsidentschaftswahlen versuchte aber alleine Bernie Sanders diese Stimmen anzusprechen. Sanders konnte im Wahlkampf Kräfteverhältnisse verschieben, weil er es schaffte, einer breiten Koalition „von unten“ eine Stimme zu verleihen. Und was noch wichtiger ist, er konnte diese auch für seinen Wahlkampf mobilisieren.
Quelle: mosaik