Ein paar Gedanken zum Wochenende beim Rückblick auf eigenartige Debatten. Zur Türkei, zu Trump, immer wieder Russland. Verlogen und gedankenlos.
Die „Schurken“ Trump und Erdogan werden benutzt, um uns – die angeblich liberale, demokratische, aufgeklärte Gesellschaft – im besten Licht erscheinen zu lassen. Hier wird die Methode „Haltet den Dieb“ subtil und massiv zugleich angewandt. Je schlimmer Trump ist und sich äußert, umso großartiger erstrahlen wir. In Sachen Türkei tut man so, als hätten wir mit diesem Land nahezu nichts zu tun. Wir sind aber zusammen mit der Türkei Mitglied der NATO. Frau Merkel hat in unserem Namen mit Erdogan einen Deal gemacht, um die Flüchtlinge in der Türkei zurückzuhalten. Wir haben enge Wirtschaftsbeziehungen zu der Türkei. Und es leben viele Türken hier bei uns in Deutschland. Die haben wir zum größeren Teil hierhergeholt. Albrecht Müller
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Nicht konsequent:
Wenn die Türkei so schlimm ist, wenn sie keine Demokratie ist, dann muss man sie in mittlerer Frist aus der Nato hinauswerfen, oder noch besser: selbst aussteigen; denn die NATO soll doch ein Verteidigungsbündnis von Demokratien sein.
Wenn Trump so schlimm ist, wie es scheint und vor allem unsere so genannte liberale Gesellschaft ihn zeichnet, dann macht es ja nun wirklich keinen Sinn, mit ihm in einem Militärbündnis zu sein.
Denn in der Tätigkeit dieses Bündnisses zeichnen sich seine schlimmsten Seiten ab: Kriege führen, Kriege gewinnen, wie er erklärt, was gleichzeitig heißt, dass er sie führen will. Frau von der Leyen kann doch mit gutem Gewissen diesem Präsidenten nicht noch mehr Militär und militärische Mittel anbieten. Das ist nicht konsequent.
Wenn Erdogan und seine Helfer so schlimm und undemokratisch sind, dann ist es auch nicht zu verantworten, ihm Hunderttausende Flüchtlinge zu überlassen und ihm dafür Geld zu geben. Kontrollieren wir, was er mit dem Geld macht? Kontrollieren wir, was er mit den Flüchtlingen macht? Werden diese „demokratisch“ behandelt? Werden diese in der Türkei menschenwürdig behandelt?
Das fragen wir nicht, aber wir führen hier große Debatten um die Auftritte türkischer Minister.
Die Folgen unseres Geredes und unserer Entscheidungen werden nicht bedacht
Zugegeben, es ist ein Problem, türkische Minister aus dem Kabinett des Präsidenten Erdogan hier Reden halten und Wahlkampf machen zu lassen. Aber wir führen diese Debatte ohne Rücksicht zum Beispiel auf die hier lebenden Türken, und auch ohne Rücksicht darauf, welche Folgen die entstandene Konfrontation für das Denken und die Gefühle der Deutschland-Türken hat. Die hier lebenden Türken werden mit Auftrittsverboten für Minister ihres Heimatlandes gefühlsmäßig gegen ihre neue Heimat in Stellung gebracht; die Unterstützung für das zurecht kritisierte Referendum wird so eher gestärkt als vermindert.
Wie steht es um unsere Demokratie? Schlecht!
In den Texten, Reden und Redensarten zur Türkei, zu Russland und in gewisser Weise auch zu Trump taucht immer wieder die Grundmelodie auf: Dort gibt es keine Demokratie oder sie wird gerade beschädigt. Hierzulande aber, da leben wir in einer Demokratie, so der immer wiederkehrende Unterton.
Zunächst einmal ist in diesen Äußerungen und Gefühlswallungen zu erkennen, dass wir inzwischen einen Zustand erreicht haben, der den Akteuren den Schlachtruf ermöglicht: wir kennen keine Parteien mehr, wir alle sind Demokraten, CDU/CSU, FDP, die Grünen und die SPD. Die Linke nicht, das ist immer noch das Schmuddelkind und auch am Anheften dieses Etikettes richten sich die Vertreter der Menschenrechte und der Demokratie auf, drastischer gesagt: sie geilen sich auf.
Jene, die in Anspruch nehmen, wir seien eine wirkliche Demokratie, operieren absolut oberflächlich.
Sie vergessen dabei sogar die Sprüche, die sonst aus ihren eigenen Reihen zu hören sind, wir lebten in einer Post-Demokratie. Lange bevor dieser Begriff aufkam, hatten wir einen Zustand erreicht, der von Demokratie zu sprechen nicht erlaubt. Das muss ich wohl begründen, obwohl wir das auf den NachDenkSeiten und ich in meinem Buch „Meinungsmache“ schon vielfältig getan haben:
- Wer über viel Geld und publizistische Macht verfügt, der kann in unserem Land weitgehend bestimmen, was politisch entschieden wird. Der FAZ Herausgeber Paul Sehte sprach schon in den sechziger Jahren davon, Pressefreiheit sei die Freiheit von 200 Leuten, ihre Meinung zu verbreiten.
- Zu den zentralen Fragen unserer Zeit werden gut ausgedachte Kampagnen der Meinungsbeeinflussung gefahren. Die Beispiele haben wir schon oft genannt. Deshalb nur zwei Hinweise:
- die Zerstörung der Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rente wurde geplant und systematisch betrieben, um der Versicherungswirtschaft und den Banken ein neues Geschäftsfeld bei der staatlich geförderten privaten Altersvorsorge zu öffnen.
- es ist der Rüstungswirtschaft gelungen, im Verein mit gefügigen Politikern und Atlantikern in den Medien ein neues Feindbild Russland aufzumachen, die Konfrontation neu zu beleben und aufzurüsten statt abzurüsten.
Demokratisch ist keine dieser Entscheidungen zustande gekommen. Das gilt hier wie bei Dutzenden von ähnlich wichtigen Entscheidungen unserer Gesellschaft.
Die vergangene Woche war gerade zum Feindbildaufbau geprägt von wahnsinnigen Kampagnenelementen. Wir hatten auf die große Dokumentation bei ARTE hingewiesen. Im Deutschlandfunk gab es vieles zum Thema, unter anderem ein Stück von Sabine Adler, einschlägig bekannt für diese Art von Kampagnen, zur Rolle Russlands beim künftigen Bundestagswahlkampf. Wenn Sie noch Bedarf haben, zu prüfen, in welchem undemokratischen Zustand Medien bei uns sind, wichtige Medien, dann hören Sie sich diese Sendung an oder lesen Sie den Text. Hier ist er.