Wer solche Parteifreunde hat, braucht keine politischen Gegner
Sahra Wagenknecht hat es wieder getan. Sie hat der Rheinischen Post ein Interview gegeben, in dem sie ihre pessimistische Einschätzung zur ökonomischen Zukunft Griechenlands dargelegt und die diesbezügliche Informationspolitik der Bundesregierung hart kritisiert hat. Wie so oft bekam sie dafür leider nicht nur Applaus, sondern brachiale Kritik – und zwar nicht vom politischen Gegner, sondern von vermeintlichen Parteifreunden. In der Zeitschrift „Sozialismus“ und im „Neuen Deutschland“ warf ihr der stellvertretende Parteivorsitzende Axel Troost sogar vor, sie bediene „nationalistische Ressentiments“. Warum? Weil Wagenknecht die Milliardenzahlungen an Banken und Fonds, die hierzulande unter dem Begriff „Rettungsprogramm für Griechenland“ subsummiert werden, doch tatsächlich als „Milliardengrab für deutsche und europäische Steuergelder“ bezeichnet. Wenn das nicht erlaubt sein soll, kann sich die Linkspartei auch auflösen und mit der Politik aufhören. Von Jens Berger.
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Was hat Sahra Wagenknecht denn wörtlich gesagt, dass nun Troost und zwei seiner Freunde die Dolche unter ihrer Toga zücken? In einem Interview in der Rheinischen Post sagte sie laut einer Pressemeldung der RP Folgendes:
Seit Jahren täuscht Schäuble die deutsche Öffentlichkeit, obwohl er weiß oder zumindest wissen sollte, dass Griechenland pleite ist, sagte Wagenknecht der in Düsseldorf erscheinenden “Rheinischen Post” (Mittwochausgabe). Die von der Bundesregierung mit zu verantwortenden Kredite an das Land seien “ein Milliardengrab für die deutsche und europäische Steuergelder”, sagte Wagenknecht. Griechenland sei mit diesen Krediten nicht gerettet worden, sondern Banken und Hedgefonds. Ob Griechenland weiterhin seine Perspektive innerhalb der für seine Volkswirtschaft viel zu harten Währung des Euro sehe, müsse letztlich die griechische Bevölkerung entscheiden. “Allerdings spricht einiges dafür, dass eine wirtschaftliche Erholung jenseits dieses Korsetts um einiges leichter wäre”, sagte Wagenknecht.
Wer in diesen Worten „nationalistische Ressentiments erkennt, darf sich gerne bei mir melden. Alles, was Sahra Wagenknecht in diesen Sätzen sagt, sollte eigentlich unter linken Ökonomen weitestgehend unstrittig sein.
Zum Hintergrund drei Artikel auf den NachDenkSeiten:
- Merkels Milliardenhypothek – das falsche Spiel mit Griechenlands Schulden
- Griechenland und der Euro – Was Merkel und Schäuble der Öffentlichkeit verschweigen
- Geschichte wiederholt sich – das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce
- Täuscht Schäuble die Öffentlichkeit?
Die Antwort auf diese Frage gab der Finanzjournalist Wolfgang Münchau bereits vor knapp einem Jahr in einem Insiderartikel für die britische Financial Times:
Unter vier Augen geben hochrangige deutsche Regierungsbeamte natürlich zu, dass Griechenland einen Schuldenerlass braucht. Sie sind schließlich nicht blind. Aber sie sind auch in der Lüge gefangen, dass Griechenland zahlungsfähig sei, was sie ja ihren eigenen Hinterbänklern immer wieder aufgetischt haben. Ohne diese Lüge wäre Griechenland wohl nicht mehr im Euro. Aber diese Lüge kann nicht ewig aufrecht erhalten werden.
Wolfgang Münchau in der Financial Times (Übersetzung aus dem Englischen)Dass Griechenland de facto zahlungsunfähig ist, weiß selbstverständlich auch das Bundesfinanzministerium. Dies ist auch der Grund, warum man in Berlin so sehr bemüht ist, die Fakten bis 2018 unter dem Tisch zu halten und bis dahin einen offenen Konflikt unter den Gläubigern zu vermeiden. 2018 ist Wolfgang Schäuble nämlich ziemlich sicher nicht mehr im Amt.
- Ist Griechenland pleite?
Diese Formulierung ist freilich umgangssprachlich und nicht juristisch. Juristisch gesehen ist Griechenland nicht pleite, weil es die laufenden Schulden durch neue Schulden begleichen kann. Ökonomisch und umgangssprachlich spielen derlei Feinheiten aber keine so große Rolle. Griechenland schafft es auch im optimalen Fall ohne Neuverschuldung gerade einmal, die alten Schulden samt Zinsen durch neue Schulden zu bedienen. Von einem „echten“ Abbau der Verschuldung, also einer Rückzahlung, die nicht nur durch neue Schulden finanziert wird, kann also nicht die Rede sein und selbst die optimistischsten Prognosen sehen kaum eine Chance für ein derartiges Szenario. Die Frage ist also nicht, ob Griechenland pleite ist, sondern wann die Gläubiger dies dem Land zugestehen und endlich den zwingend notwendigen großen Schuldenschnitt vornehmen, dem Land also Schulden erlassen.
- Sind die Kredite ein Milliardengrab für den Steuerzahler?
So lange man alte durch neue Kredite bedient, ist das ganze Geschäft zumindest aus bilanzieller Sicht kein Verlustgeschäft. Erst wenn man der Wahrheit ins Auge blickt und den Schuldenschnitt vornimmt, müssen die ausgefallenen Forderungen wohl oder übel als Verlust gebucht werden[*]. Und genau dieser Punkt ist besonders delikat, da sich hier die Geschichte von der „Rettung“ Griechenlands in Luft auflöst. Wie mittlerweile auch Axel Troost bekannt sein dürfte, war die gesamte „Rettung“ am Ende des Tages vor allem eine Umschuldung. Im März 2010 war Griechenland noch zu 100% bei privaten Gläubigern verschuldet, bereits im August 2013 waren es nur noch 19%, während 81% der griechischen Staatsanleihen von Gläubigern aus dem öffentlichen Sektor, also der EZB, dem IWF und eben den Eurostaaten gehalten wurden. Mittlerweile ist der private Sektor fast völlig ausbezahlt und die öffentliche Hand hält nahezu die gesamte griechische Staatsverschuldung.
Wie nicht nur Sahra Wagenknecht, sondern auch die NachDenkSeiten mehrfach mit Nachdruck angemerkt haben, ist diese Verschiebung der Schulden von privaten zu öffentlichen Gläubigern ein falsches Spiel von Angela Merkel und Wolfgang Schäuble, für das schon bald irgendwer die Rechnung bezahlen muss. Und da es eher unwahrscheinlich ist, dass die Großaktionäre der Banken plötzlich ihr Gewissen entdecken und freiwillig die Forderungen übernehmen, werden die Verluste nun einmal aus Steuermitteln ausgeglichen werden müssen. Das zu erkennen und klar zu formulieren, ist kein „Bedienen nationalistischer Ressentiments“, lieber Herr Troost. Im Gegenteil. Wenn die politische Linke bei dieser Täuschung mitmacht, muss sie sich nicht wundern, dass die enttäuschten Wähler zu AfD und Co. überlaufen. Mehr noch: Wenn die Linke bei dieser Täuschung mitmacht, macht sie sich auch mitschuldig. Und dies vollkommen ohne Not, war es doch eigentlich eben die Linke, die die Idiotie dieser Umschuldung angeprangert und das falsche Spiel von Schäuble und Co. kritisiert hat. Und das soll nun alles falsch sein, weil man „nationalistische Ressentiments bedient“; wenn man in einem Nebensatz erwähnt, dass die Milliarden, mit denen das oberste Prozent auch bei der vermeintlichen „Griechenland-Rettung“ herausgeboxt wurde, auch vom deutschen Steuerzahler bezahlt werden muss? Das ist doch lächerlich. Doch Sahra Wagenknechts Äußerungen lassen auch Raum für sachlichen Widerspruch.
- Ginge es Griechenland ohne den Euro wirklich besser?
Bei dieser Frage bewegen wir uns aufs Glatteis, da man hier nicht strikt nach Lehrbuch vorgehen kann. Sowohl mit als auch ohne Euro hätte Griechenland gute Chancen, wenn die Gläubiger mitspielen würden und es Rahmenbedingungen gäbe, die den Griechen wohlgesonnen sind. Im Rahmen des Euros könnte dies ein groß angelegtes Investitionsprogramm sein, ohne Euro könnte dies ein Korridor festgelegter Wechselkurse sein, von dem Griechenland freilich profitieren könnte. Die Krux ist nur: Unter den gegebenen Umständen sind derlei positive Szenarien nicht eben wahrscheinlich und es sieht eher danach aus, als ob die Griechen mit oder ohne Euro vor einem verlorenen Jahrhundert stehen. Ob „einiges dafür spricht, (dass) eine wirtschaftliche Erholung jenseits (des Euro-)Korsetts um einiges leichter wäre”, wie Sahra Wagenknecht es formuliert, ist daher auch eher eine akademische Frage, da ein politischer Paradigmenwechsel, der für eine wirtschaftliche Erholung zwingend nötig wäre, selbst am fernen Horizont nicht sichtbar ist. Dass jedoch auch ein „weiter so“ keine Antwort sein kann, sollte ebenfalls klar sein.
Daher muss man frei und offen über derlei Fragen debattieren. Denn auch für das Kontra-Szenario gilt exakt das Gleiche. Auch Troosts Idee von einem langfristigen Erfolg der „Reformbemühungen“ innerhalb des Euro-Regimes kann nur dann glücken, wenn die Gläubiger und die Verantwortlichen für die Rahmenbedingungen voll und ganz mitspielen. Das ist jedoch erst recht unwahrscheinlich, womit dieses Szenario auch eher naiv wirkt.
Ein Szenario, das vom guten Willen Merkels, Brüssels, der EZB und des IWF abhängt und an die Akzeptanz der Finanzmärkte gekoppelt ist – denn nur mit dieser Akzeptanz kann Griechenland, wie geplant, sich ab 2018 wieder über die Märkte finanzieren – kann doch bitte nicht allen Ernstes von linken Finanzpolitikern für „alternativlos“ erklärt werden! Genau dies ist es aber, was Axel Troost mit seinem Wagenknecht-Bashing betreibt.
Um die Sache scheint es hier jedenfalls nicht mehr zu gehen. Und wer parteipolitische Streitereien öffentlich austrägt und dann auch noch mit der „Nationalismus-Keule“ kommt, muss sich auch nicht wundern, wenn der Partei die Wähler weglaufen. Es scheint mir fast so, als hätten einige Linken-Politiker den festen Plan, die Fünf-Prozent-Hürde im September doch noch zu reißen. Anders sind derlei Heckenschützen-Aktionen kaum zu verstehen.
[«*] * Natürlich gibt es Möglichkeiten, dies mit Hilfe der EZB so zu gestalten, dass es keine Auswirkungen auf die Haushalte hätte. Bundesregierung und Bundesbank lehnen dies jedoch unter Verweis auf monetaristische Dogmen strikt ab.