Die Fakes des neuen Bundespräsidenten und seiner Mitstreiter bei der Agenda 2010 und der Ukraine Krise

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Weil wir NachDenkSeiten-Macher nicht immer meckern wollen, hatte ich mir fest vorgenommen, die Wahl Steinmeiers zum Bundespräsidenten nicht zu kommentieren. Aber dann hat er sich am Tag der Wahl in einem Interview mit der ARD in einer Weise geäußert, die Widerspruch hervorrufen muss. Der neue Bundespräsident macht sich Sorgen wegen der Verbreitung von Falschmeldungen in den sozialen Medien, er sieht darin ein Risiko für die Demokratie. Und er sieht nicht, dass in den etablierten Medien und von der etablierten Politik, gerade auch von ihm, Unwahrheiten verbreitet worden sind und mit Lügen Politik gemacht worden ist. Frank Walter Steinmeier ist einer der Verbreiter von schwerwiegenden „Fakes“. Albrecht Müller

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Zunächst zu den Quellen: Die einschlägigen Passagen finden Sie im Interview bei Minute 6, ab der Minute 8 und dann besonders ab Minute 10:30.

Die ARD berichtet über das Interview mit dem neu gewählten Bundespräsidenten unter anderem folgendes:

Falschmeldungen als Risiko für die Demokratie

Steinmeier rief die Politik auf, mit der jüngeren Generation wieder direkter ins Gespräch zu kommen. Dazu wolle auch er “Begegnungsformate” zwischen dem Präsidenten und der Jugend schaffen, etwa Schulbesuche oder Wettbewerbe.

Die Rolle des Onlinedienstes Twitter in politischen Debatten sieht Steinmeier kritisch. “Es hat sich jetzt schon bewiesen, dass auch leichtere politische Probleme kaum in 140 Zeichen unterzubringen sind. “Dieses Schwarz und Weiß, das Gut und Böse, dieses Ja und Nein – das ist wünschenswert, das verstehe ich auch, aber das kann Politik eben nicht immer liefern.” Die zu lösendenden Probleme seien oft schwieriger.

Als Risiko für die Demokratie bezeichnete Steinmeier die Verbreitung von Falschmeldungen und die häufig rauen Umgangsformen in sozialen Medien wie Twitter und Facebook. Ein Teil der Diskussionen wandere in Bereiche des Internets ab, in denen Politiker und klassische Medien “schon gar nicht mehr wahrgenommen werden”. Dort würden viele Nutzer nur nach einer “Verstärkung der eigenen Meinung” suchen.

Man müsse darauf aber beharren, Fakten und Lügen weiter auseinanderzuhalten. “Wenn wir das aufgeben, dann wird das Fundament unserer Demokratie zerbröseln”, mahnte Steinmeier.

Nun zu den von Frank-Walter Steinmeier und vielen seiner Mitstreiter verbreiteten Unwahrheiten:

  1. Selbst in dem Interview nach der Wahl zum Bundespräsidenten hat dieser eine grandiose Unwahrheit aufgetischt. Er behauptete zur Begründung der Agenda 2010, damals sei die Zahl der Arbeitslosen jedes Jahr um 500.000 gestiegen. Siehe im Interview bei Minute 6 und 15 Sekunden.

    Das ist, leider muss man das sagen, in einer zentralen Frage, die die Verantwortung des neuen Bundespräsidenten in seiner Funktion als Chef des Bundeskanzleramtes betrifft, glatt gelogen.

    Hier finden Sie die amtliche Tabelle zur Entwicklung der Arbeitslosenzahl von 1991-2008:

    Arbeitslose und Arbeitslosenquote von 1991-2008

    Arbeitslose und Arbeitslosenquote von 1991-2008

    Quelle: Statistisches Bundesamt

    Diese Tabelle ist in vieler Hinsicht interessant:

    • Die Entscheidung über die Agenda 2010 ist im Jahre 2003 getroffen worden, sie war im Jahr 2002 vorbereitet worden. Im Jahre 2003 war mit 4.376.795 Arbeitslosen gerade wieder die Arbeitslosenzahl des Jahres 1997 mit 4.384.456 erreicht. Das entsprach ungefähr der Arbeitslosenzahl des Jahres 1998, nämlich 4.280.630 – , als Frank-Walter Steinmeier mit dem neuen Bundeskanzler Gerhard Schröder ins Bundeskanzleramt einzog.
    • In keinem der Jahre bis zum Jahr 2003 ist die Arbeitslosigkeit um 500.000 gestiegen.
    • Sie ist zunächst einmal – ohne Agenda 2010 – zwischen 1998 und dem Jahr 2001 um rund 400.000 gesunken.
    • Dass dann zwischen dem Jahr 2001 und dem Jahr 2003 die Arbeitslosigkeit stieg – in zwei Jahren um ungefähr 400.000 – war die Folge eines Konjunktureinbruchs und des Beginns der sogenannten Sparpolitik des Bundesfinanzministers und “Sparkommissars“ Hans Eichel im Kabinett Schröder und nicht die Folge mangelnder Reformfreudigkeit, wie der neue Bundespräsident Steinmeier das heute darstellt. Damals ist die Binnennachfrage von staatlicher Seite und von Seiten der Deutschen Bundesbank massiv eingedämmt worden.

    Lassen Sie einfach mal die Passagen im Interview der ARD mit Steinmeier etwa ab der Minute 6 auf sich wirken und vergleichen Sie diese mit der oben wiedergegebenen Entwicklung der Arbeitslosenziffern. Dann haben Sie einen weiteren Beleg dafür, in welchen Kreisen Fakes verbreitet werden.
    Jedenfalls ist es sehr bedrückend, dass der neue Bundespräsident in seinem ersten großen Interview und am Tag seiner Wahl derart massive Unwahrheiten verbreitet, um das ausgesprochen unsoziale Werk der Regierung Schröder, die Agenda 2010, zu rechtfertigen.

    Wenn Steinmeier die Größe besessen hätte oder noch besitzen würde, endlich einzugestehen, dass die Agenda 2010, an der er maßgeblich mitgewirkt hat, ein Missgriff war und ein Schlag gegen jene Menschen in Deutschland, denen es nicht besonders gut geht, dann würde ich meine Kritik an diesem Bundespräsidenten sofort einstellen. Aber dieses kleine Vergnügen bereitet Frank-Walter Steinmeier uns vermutlich nicht. Schade!

    Bitte verbreiten Sie diese Tatsachen weiter. Wir dürfen dem Establishment nicht durchgehen lassen, dass diese Personen nach der Methode „Haltet den Dieb“ auf die Medien im Internet jene schlimmen und lügenhaften Methoden projizieren, die sie selbst immer wieder benutzt haben.

  2. Die von Frank Walter Steinmeier als Chef des Bundeskanzleramtes massiv propagierte und dann zusammen mit Schröder und der rot-grünen Koalition durchgesetzte Agenda 2010 gründete auf einer abenteuerlichen Behauptung des Bundeskanzleramtes in seinem im Dezember 2002 veröffentlichten sogenannten Kanzleramtspapier. Dort ist behauptet worden, die angeblich zu hohen Lohnnebenkosten seien schuld an der hohen Arbeitslosigkeit. Deshalb müssten sie gesenkt werden, zum Beispiel durch das Zusammenstreichen der Arbeitslosenversicherung.

    Wörtlich:

    „Wie schädlich steigende Lohnnebenkosten sind, zeigt die Entwicklung seit der Wiedervereinigung: 1990 betrugen die Beitragssätze zur Sozialversicherung noch 35,5 Prozent. Bis 1998 waren sie auf den historischen Höchstwert von 42 Prozent gestiegen. Im gleichen Zeitraum ist die Arbeitslosigkeit von 2,6 Mio. auf 4,28 Mio. Arbeitslose im Jahresdurchschnitt gestiegen. Die Zahl der Erwerbstätigen ging von 38,5 Mio. auf 37,2 Mio. in 1997 zurück.“

    Für diese Entwicklung waren ganz andere Faktoren von Bedeutung und einflussreich – zum Beispiel die Zinspolitik der Bundesbank und das Hin und Her der staatlichen Konjunkturpolitik. Und dennoch hat der damalige Chef des Bundeskanzleramtes und heutige Bundespräsident auf eine Monokausalität zurückgegriffen, die man nur als abenteuerlich bezeichnen kann. Und übrigens auch feindselig gegenüber der Arbeitnehmerschaft. Lohnnebenkosten sind nämlich deren Beiträge zur sozialen Sicherung und sie sind deshalb überhaupt nicht per se negativ zu betrachten.

    Die Behauptung, die hohe Arbeitslosigkeit sei eine Folge zu hoher Lohnnebenkosten ist eine typische und in den Konsequenzen weitreichende Unwahrheit, ein Fake des Establishment zulasten der abhängig Beschäftigten.

  3. Wie alle Vertreter der Agenda 2010 und der sogenannten Reformpolitik verbreitet auch der neue Bundespräsident nun die Unwahrheiten über die Erfolge beim Kampf gegen Arbeitslosigkeit. Hunderttausende sind einfach aus der Arbeitslosenstatistik hinausgerechnet worden. Hunderttausende sind in den Niedriglohnsektor und in prekäre Arbeitsverhältnisse verschoben worden. Und dennoch wird behauptet, es gehe uns gut. Das gilt nicht annähernd für alle Menschen in Deutschland. Es wird dabei vergessen gemacht, dass es in weiten Regionen Menschen gibt, die keine Arbeit haben beziehungsweise in prekären Arbeitsverhältnissen stecken und nicht mehr daraus herauskommen. Es gibt hunderttausende von Menschen, die überschuldet sind. Und die meisten Menschen, auch jene, die Arbeit haben, arbeiten unter enorm großen Stress.
  4. Ein eindeutiges Fake der etablierten Politik und Medien und der ihnen dienenden Wissenschaft waren die Behauptungen, die demographische Entwicklung sei bedrohlich und man könne das Problem nur durch eine neue oder zumindest eine ergänzende Privatvorsorge für das Alter lösen. Schon die Behauptung über die Dramatik der demographischen Entwicklung war unwahr; das Scheitern der Riester-Rente und der anderen Formen der Privatvorsorge zeigt, dass auch die angebotene Lösung ein übles und lügenhaftes Konstrukt war. Das zu erkennen, war schon damals möglich. Die NachDenkSeiten und ich selbst haben schon seit 2003 darauf aufmerksam gemacht.
  5. Für den neuen Bundespräsidenten Steinmeier beginnt die Ukraine Krise mit der sogenannten Annexion der Krim durch Russland. Er hat dies zuletzt kurz vor der Wahl zum Bundespräsidenten in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung behauptet.

    Wörtlich:

    „Es steht außer Frage, wer den Ukraine-Konflikt zu verantworten hat. Die völkerrechtswidrige Annexion der Krim, die Destabilisierung der Ost- Ukraine gehen auf das Konto Russlands.“

    So einfach ist die Welt und das Weltbild des Herrn Bundespräsidenten. Tatsächlich hat die Ukraine-Krise schon viel früher begonnen, spätestens mit dem Versuch der USA, die Ukraine mit 5 Milliarden $ für Propaganda und Meinungsmache zu destabilisieren. 5 Milliarden $ haben die USA in sogenannte NGOs und allerlei ideologische Aufrüstung in der Ukraine investiert. Auch die Vorgänge auf dem Maidan und der Putsch gegen den damaligen Präsidenten einschließlich der Schüsse auf dem Maidan kommen im zurechtgebastelten Weltbild des ehemaligen Außenministers und neuen Bundespräsidenten offensichtlich nicht mehr vor. Im Westen, vor allem bei der NATO und den USA wird diese Version bis heute aufrechterhalten. Weil dann die Russen an dem Konflikt schuld sind und nicht mindestens ebenbürtig, wenn nicht sehr viel mehr, der Westen.

    (Eine Abbildung des SZ Interviews mit der entsprechenden Passage befindet sich im Anhang)

Zum Schluss noch einmal der Hinweis auf die Methode „Haltet den Dieb“, die das Establishment nunmehr gegenüber den Kritikern im Internet anzuwenden versucht.

Deshalb die Bitte an die NachDenkSeiten-Leserinnen und -Leser, auf diesen gravierenden Manipulationsversuch hinzuweisen. Es gilt immer wieder: Aufklärung verlangt, auf die Methoden der Manipulation aufmerksam zu machen. Andernfalls kommt man nämlich überhaupt nicht mehr nach. Die Selbstdarstellung des neuen Bundespräsidenten und die Darstellung der Vergangenheit durch ihn ist ein Musterbeispiel dafür. Die Fakes wurden von den Etablierten und nicht von den Kritikern im Netz entwickelt und praktiziert. Nunmehr schon jahrzehntelang.

Anhang:

Auszug aus dem Interview der Süddeutschen Zeitung mit Frank-Walter Steinmeier vom 27. Januar 2017