Viel Lärm um nichts – wie schnell sich Menschen, die sich selbst links verorten, aufwiegeln lassen
Die WELT hat ein Interview mit Oskar Lafontaine geführt und ZEIT.de landet mit diesem Stück einen Quotenerfolg. Warum? Die Hamburger konzentrierten das gesamte Interview auf ein, zwei Passagen zur Einwanderungspolitik, verdrehten die Aussagen Lafontaines gehörig und zogen damit binnen kürzester Zeit hunderte erboste Kommentatoren an – meist Menschen, die sich selbst links verorten. Von Jens Berger
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Und diese erbosten Kommentatoren erzählten die Geschichte vom rechten Lafontaine natürlich prompt über ihre eigenen Kanäle in den Sozialen Netzwerken weiter. Und schon war der Shitstorm des Tages geboren. „Eine Linke mit Lafontaine sei unwählbar“, „Lafontaine und Wagenknecht unterscheide[te]n sich doch kaum mehr von der AfD“, „wer Lafo wählt, der wählt Petry“, so posaunten es die User von Facebook heute Nachmittag ins Netzwerk. Aber warum?
Grund dafür ist vor allem diese Passage aus dem Text von ZEIT.de:
Auch im Streit um Abschiebungen positionierte sich der Fraktionsvorsitzende der saarländischen Linken deutlich. “Wer illegal über die Grenze gekommen ist, der sollte ein Angebot bekommen, freiwillig zurückzugehen. Wenn er dieses Angebot nicht annimmt, bleibt nur die Abschiebung”, sagte Lafontaine. Damit ging der Oppositionsführer im saarländischen Landtag auf Distanz zu vielen Parteikollegen, die sich gegen Abschiebungen nach Afghanistan oder nordafrikanische Staaten einsetzen.
Quelle: ZEIT.de
Dumm nur, dass Lafontaine im Interview überhaupt nichts von Abschiebungen nach Afghanistan oder Nordafrika gesagt hat und sich ganz ausdrücklich an den Landesregierungen mit linker Regierungsbeteiligung orientiert:
Viele Bundesländer setzen richtigerweise auf die freiwillige Rückkehr und bieten Hilfe an. Letztendlich muss aber der Staat darüber entscheiden können, wen er aufnimmt. Das ist nun mal die Grundlage staatlicher Ordnung. Wer illegal über die Grenze gekommen ist, der sollte ein Angebot bekommen, freiwillig zurückzugehen. Wenn er dieses Angebot nicht annimmt, bleibt nur die Abschiebung. Das sehen auch die Landesregierungen so, an denen die Linke beteiligt ist.
Quelle: WELT.de
Die Landesregierungen, an denen die Linke beteiligt ist, sind übrigens auch ganz explizit gegen Abschiebungen nach Afghanistan. Und überhaupt ist selbst mit viel Phantasie aus den Zitaten Lafontaines nichts herauszulesen, über das man sich als Linker nun aufregen könnte. Viel Lärm um nichts. Aber lesen Sie sich das Interview ruhig mal in aller Ruhe – und bitte ohne Schaum vor Mund – durch. Es ist sehr interessant und lesenswert. Und eine Lektion, wie ein Medium wie ZEIT.de selbst linke Leser ohne Probleme mit Kampagnenjournalismus aufwiegeln kann, ist es allemal. Traurig, aber wahr.