Aufbau Gegenöffentlichkeit erfolglos? Das politische Aus von Andrea Ypsilanti könnte dafür sprechen
Müntefering rührte beim Landesparteitag der hessischen SPD vom Wochenende keine Hand für ein bisschen Respekt vor der Arbeit von Ypsilanti. Er trat nach und wurde dafür nicht gerügt. Ypsilanti kündigte an, die Verantwortung für das Wahlergebnis im Januar zu übernehmen. Das war sozusagen das Ende eines Versuchs. Die Aufklärung durch Aufbau einer Gegenöffentlichkeit hat in diesem konkreten Fall versagt. Die NachDenkSeiten wie auch andere kleinere Medien haben dies nun über ein Jahr lang versucht. Die Hauptmedien und die von ihnen beförderten politischen Interessen waren stärker. Albrecht Müller
Beim gedanklichen Versuch, Bilanz zu ziehen, erreichten mich eine Reihe von Mails zum Thema. Einige davon geben wir im Anhang zur Kenntnis.
In der ersten Mail wird noch einmal auf die Methoden aufmerksam gemacht, mit denen die dominanten Meinungsmacher gearbeitet haben.
In der zweiten Mail werden wir auf einen Beitrag zur Rolle der Emotionalisierung in der Politik aufmerksam gemacht. Diesen Literaturhinweis geben wir gerne weiter.
Die dritte und die vierte Mail dienen eher der Ermunterung. Sie zeigen die kleinen Fortschritte beim Aufbau einer Gegenöffentlichkeit – zum einen mit einem Hinweis auf das Forum in der Süddeutschen Zeitung anlässlich eines Artikels über den Professor Sinn, zum anderen der Hinweis auf das Politische Feuilleton vom 16. Dezember im Deutschlandfunk. Dort wurde auf den von den NachDenkSeiten verbreiteten Brief an Bundesfinanzminister Steinbrück Bezug genommen, mit dem wir unseren Anteil am Rettungsschirm anzufordern empfahlen.
Der Misserfolg beim Aufbau einer Gegenöffentlichkeit gegen die Kampagne zu Ypsilantis Versuch, in Hessen eine leicht linke Mehrheit zur politischen Wirkung kommen zu lassen, hat verschiedene Gründe: Offensichtlich ist es möglich, die Meinung zu einer politischen Frage dann unbeeindruckt von Gegenbewegungen und sachlichen Zweifeln machen zu können, wenn die Träger einer solchen Meinungsbildungskampagne erstens über nahezu unbegrenzte mediale Mittel verfügen (jeden Tag in der Bild-Zeitung und SpiegelOnline ein Artikel, ein Kommentar, eine Story, eine Schlagzeile) und zweitens aus verschiedenen Ecken kommen. Koch und Müntefering, die Bild-Zeitung und die Frankfurter Rundschau, Müller-Vogg mit seiner unsäglichen Kolumne in der Bild-Zeitung und Klaus Bölling mit einer Außenansicht in der Süddeutschen Zeitung – wenn solche im Urteil der meisten Zeitgenossinnen und Zeitgenossen immer noch als verschieden bis gegenläufig bewerteten Absender das Gleiche sagen und schreiben und senden, dann erhalten die transportierten Botschaften eine dichte Glaubwürdigkeit, die man mit noch so guten Argumenten und Fakten kaum erschüttern kann.
Hinzu kam im besonderen Fall eine – von mir noch nicht durchschaute – Emotion bis unterschwellige Aggression gegen die Person Andrea Ypsilanti.
Vielleicht ist es auch der Reiz, eine Person gemeinsam fertig zumachen, eine Art von gemeinsamer Opfer-Jagd, zu der sich die „Herr-schaften“ vereinbart hatten.
Mit demokratischer Gesinnung oder mit irgendwelchen demokratischen Regeln hat dies alles nichts mehr zu tun. Aber diese Einsicht spielt schon lange keine Rolle mehr in unserem Land, das offensichtlich von einem Niedergang demokratischer Verhältnisse geplagt ist.
Anhänge
1. Mail F.K. vom 14.12.2008/Hinweis auf Phoenix:
Ein Lehrstück an neoliberaler Interviewführung können sie am morgigen Montag um 09:15 Uhr auf Phoenix bestaunen. Alfred Schier spricht “Im Dialog” mit Andrea Ypsilanti, und votiert dabei ganz offen für eine große Koalition unter Roland Koch, tätigt Aussagen wie “Die Linkspartei ist die Nachfolgepartei der SED” und ignoriert konsequent jeglichen Hinweis Andrea Ypsilantis auf die (Un)Möglichkeit der Durchsetzung politischer Inhalte.
Und zu allem Überfluss: Schier: “Geben sie mir ihr Wort, dass es nicht zu dieser Fotohandy-Aufforderung kam?” Man beachte einerseits die Wortwahl, und andererseits das journalistisch unsägliche Aufgreifen bereits dementierter Gerüchte um ganz gezielt politische Inhalte suggestiv zu vermitteln. Kein Hinweis auf die Energielobby und Scheer, kein Hinweis auf den persönlichen Amtsanspruch Walters, kein garnichts.
Sendungen wie diese stehen symbolisch für den journalistischen Ausverkauf dieses Landes.Den Link zur Sendung (Videostream und Podcast, Hinweise auf Wiederholungen) finden sie hier…
Liebe Grüße, viel Kraft, Glück und Erfolg für Sie und ihr Projekt im neuen Jahr.
2. Mail H.R. vom 13.12. mit Literaturhinweis zum Thema Emotionalisierung der Politik/Fall Hetze gegen Andrea Ypsilanti:
Guten Abend,
zunächst meinen Dank für Ihre Bemühungen um den Aufbau einer Gegenöffentlichkeit. Es ist mehr als notwendig. Bin täglich Gast auf NDS. Allerdings bin ich sehr skeptisch, was den Erfolg der Sache angeht.
Liegt daran, daß ich Hesse bin. Ich habe meine Regierung nicht bekommen, und muß vermutlich nochmals 5 Jahre den schwarzen Roland erdulden. Welch eine Hetze über Frau Ypsilanti in den regionalen Medien (Fuldaer Zeitung) hereinbricht, sprengt jedes tolerierbare Maß. Leider sind die Kommentare der Redaktion online nicht abrufbar. Doch zur Sache.Von der bpb (Bundeszentrale für politische Bildung) wird die Reihe APuZ (Aus Parlament und Zeitgeschehen) herausgegeben. In der Ausgabe vom 27.10.2008 Nr. 44-45/2008 mit dem Titel “HIRNFORSCHUNG” findet sich ein lesenswerter Artikel zum Thema Emotionalisierung der Politik und der Rolle der Medien von Farah Dustdar: „Demokratie und die Macht der Gefühle”.
Hier wird zumindest angerissen, welche Rolle die Medien bei der Beeinflussung der Öffentlichkeit -eben der Wähler – spielen. Wie aus einer Demokratie eine Mediendemokratie oder Mediokratie wurde. Ich erwähne diese Publikation, weil sie von der bpb herausgegeben wird, also einer staatlichen Quelle, demnach nicht im Ruf linker Umtriebe stehend, fern jeder Verschwörungstheoretiker. Das könnte sie zu einer seriösen Diskussionsgrundlage zur Aufklärung der Öffentlichkeit machen. Es ist nun mal eminent wichtig, die Bevölkerung über die massive Manipulation durch die Medien (insbesondere der öffentlich-rechtlichen, die eine Anscheinsseriosität erlangt haben) aufzuklären. Zudem ist die Publikation kostenlos zu beziehen. Vielleicht hilft’s ja zum Aufbau der Gegenöffentlichkeit.
Beste Grüße und lassen Sie nicht nach in Ihrem Eifer
Ihr Leser H. R.
3. Mail W.J. vom 16.12.2008
Hallo NDS,
schauen Sie sich bitte mal dieses SZ-Interview mit dem Herrn Sinn und – vor allem – die Leserkommentare an. Fast alle negativ, ironisch bis sarkastisch und sehr viele werden gar nicht veröffentlicht (meine Satire auch nicht).
Hier hat sich scheinbar viel Wut auf den Herrn Professor und seine neoliberalen Weisheiten aufgestaut.
Daran erkennt man, dass eine Gegenöffentlichkeit wie die NDS wichtig ist und auch nützt.
Bitte weiter so auch in 2009
Grüße aus München, W. J.Hier zum Artikel:
Ifo-Chef Sinn zur Finanzkrise: Glücksrittertum der Moderne
Risikoreiche Geschäfte der Investmentbanker und zu geringe Eigenkapitalquoten der Banken – Ifo-Chef Hans-Werner Sinn über die Ursachen der Finanzkrise und die Lehren, die gezogen werden müssen.
Den vollständigen Artikel können Sie sich unter dieser Adresse anschauen…
4. Mail P.P. vom 16.12.2008
Ich habe vorhin im Auto das Feuilleton gehört. Bitte unbedingt reinhören, falls Sie es nicht schon getan haben. Sehr schöner Bezug auf die NDS darin.
Freundliche Grüße aus Blankenburg