Merkels flache Neujahrsrede, der übliche Manipulationsversuch und bar jeder Selbstkritik
Wie gerne hätte ich mit einem Lob für unsere Bundeskanzlerin das Jahr begonnen. Sie hat mir aber mit ihrer Neujahrsrede jede Möglichkeit dafür unter den Füßen weggezogen. Lesen Sie die Rede unten in der Anlage nach. Die ersten acht Zeilen reichen schon: Es sind „Prüfungen“ über uns gekommen. „Die schwerste Prüfung“ sei „ohne Zweifel der islamistische Terrorismus“. Er habe „uns Deutsche schon seit vielen Jahren im Visier“. „Er“, der islamistische Terrorismus ist nach den Vorstellungen von Frau Merkel einfach so über uns gekommen. Ohne unser eigenes Zutun! Ohne die Kriege und die Regime-Change-Versuche des Westens! Einfach so! Wie man ein Volk an Silvester so für dumm verkaufen kann, das ist schon große Klasse. Es funktioniert offenbar immer noch und immer wieder. Albrecht Müller.
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An Silvester war ich Zeuge eines Gesprächs unter Freunden. Es kreiste um die Frage, wie wir uns vor dem Terror schützen, ob die Gesetze reichen, ob wir mehr Polizei brauchen. Was falsch gemacht wird auf dem Feld der inneren Sicherheit usw. – So weit haben es Merkel und ihre Helfer in den Medien schon gebracht. Wir folgen ihrer Methode, die Debatte auf Symptome zu verengen. Wir diskutieren, wie wir mit Terroranschlägen fertig werden. Und nicht mehr, wie wir die Spirale von Gewalt und Gegengewalt unterbrechen könnten. Voraussetzung für eine solche Debatte wäre, dass wir endlich begreifen, inwieweit wir im Westen selbst mitverantwortlich sind für das, was in Berlin, in Ansbach, in Würzburg und sonst wo geschieht. Aber diese Zusammenhänge begreifen wir wohl schwer. Schon am 25. Juli 2016 hatte ich auf den NachDenkSeiten gefragt: Ob die Deutschen mal begreifen, dass sie die Gewalttaten auch ihrer Bundeskanzlerin und den Kriegen ihrer Freunde in den USA etc. zu verdanken haben? Bis ins Kanzleramt drang diese Frage nicht vor.
Verlogen bis zum geht nicht mehr …
Merkel spricht von der „festen Entschlossenheit, der Welt des Hasses der Terroristen unsere Mitmenschlichkeit“ … entgegenzusetzen. – Unsere Mitmenschlichkeit? Mit den von Deutschland und Europa mit beschlossenen Sanktionen gegen Syrien hungern wir seit Jahren das dortige Volk aus. Der Westen hat von Anfang an islamistische Gruppen unterstützt. Wir haben Krieg in Afghanistan geführt. Von deutschem Boden aus gesteuerte Drohnen treffen und zerstören Menschen, auch solche, die nicht mit uns im Krieg sind. Wir, der Westen, haben in Libyen und im Irak ein unmenschliches Chaos hinterlassen. Und wir Deutschen waren mehr daran beteiligt, als öffentlich bekannt ist. Mit Waffenlieferungen sowieso.
Unsere „Werte“ seien der Gegenentwurf zur hasserfüllten Welt des Terrorismus. Unsere Werte? Der Westen hat sich eingemischt, weil er am Öl des Nahen Ostens und des mittleren Ostens interessiert ist und weil die Hintermänner der politischen Entscheidungen bei uns ihre Waffen verkaufen wollen.
Verengung als Methode der Manipulation
Das Wort Hass kommt auf der ersten Seite der Neujahrsrede gleich dreimal vor. Das ist ein Begriff aus dem zwischenmenschlichen Bereich. Er wird hier auf Kollektive übertragen: die Islamisten hassen uns, den Westen, die Lebensweise des Westens usw. Damit wird die skizzierte Einengung betrieben, die es einem erlaubt, die wirklichen Ursachen der Terroranschläge und der Konflikte nicht ansprechen zu müssen.
Auch die Debatte, die innerhalb der Union, also zwischen CSU und CDU über Obergrenzen bei Flüchtlingen und über Abschiebung und Verschiebung der Polizeigewalt auf Bundesebene geführt wird, dient der Verengung. Alles wird sauber getrennt: Im Kloster Seeon formuliert die CSU ihre Forderungen zur Flüchtlingspolitik, und am Monatsende geht es dann bei der Sicherheitskonferenz in München zur Sache, wahrscheinlich mit Redensarten zu einer weiteren Verschärfung der internationalen Konflikte.
„Offen“ und „Offenheit“ könnte das neue Unwort des Jahres werden
Originalzitat Merkel:
„Indem wir unserem Leben und unserer Arbeit nachgehen, sagen wir den Terroristen: Sie sind Mörder voller Hass, aber wie wir leben und leben wollen, das bestimmen nicht Sie. Wir sind frei, mitmenschlich, offen.“
Darin steckt eine bemerkenswerte Klitterei. Es fängt damit an, dass die politisch Verantwortlichen unsere Freiheit durch allerlei Gesetze zur inneren Sicherheit und zur Überwachung mehr und mehr beschränken. Es geht weiter mit der Ignoranz gegenüber den vielen Menschen, denen es nicht gut geht und die es auch in unserem Lande gibt. Merkel und ihre Koalition und die ihnen folgenden Medien überfluten die vielen Sorgen vieler Menschen, deren Sorgen um den Arbeitsplatz und um die soziale Sicherheit mit massivem Gerede darüber, dass es uns allen gut gehe. Die Propaganda über den besten Arbeitsmarkt aller Zeiten zum Jahresanfang sei ein einschlägiges Beispiel dafür. Mit dieser Propaganda wird ein beachtlich breites Segment unserer Gesellschaft aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Denn ihre wirtschaftliche Lage, ihre Lebenslage, spielt offenbar keine Rolle bei der Bewertung der Lage unseres Landes.
Damit wir nicht allzu viel über soziale Gerechtigkeit nachdenken und sprechen müssen, haben die Meinungsmacher in Politik und Medien einen Ersatzbegriff und Ersatzwert für Gerechtigkeit erfunden: Offenheit. Wir sind eine offene Gesellschaft! Wir sind offen für andere Menschen. Vor kurzem habe ich mal an einem Abend über mehrere Stunden Deutschlandfunk gehört. Da kamen dieser Begriff und die Feier dieses Begriffes permanent und penetrant vor. Man merkte so richtig, dass Journalistinnen und Journalisten froh sind, sich nicht über Humanität und Gerechtigkeit den Kopf zerbrechen zu müssen. Unser Wert ist jetzt die Offenheit. Achten Sie mal drauf.
Zu den Prüfungen, die über uns gekommen sind, gehört laut Merkel auch die Krise der Europäischen Union. Aber ihre eigene Rolle bei der Verursachung dieser Krise sieht sie nicht.
Das sei eine Errungenschaft, die jetzt infrage gestellt sei. Dass die deutsche Bundesregierung an der Krise in Europa einen großen Teil Schuld trägt, dass die von Angela Merkel auch in ihrer Neujahrsansprache indirekt gefeierte besondere Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft ein zu erwartendes Problem für die Volkswirtschaften unserer Nachbarn geworden ist, sieht diese Bundeskanzlerin nicht oder sie will es nicht zugeben. Jedenfalls redet sie einfach darüber hinweg.
Die Krise der Europäischen Union ist von der deutschen Bundesregierung wesentlich mitverursacht worden. Man hätte erwarten können, dass sie in ihrer Neujahrsansprache damit selbstkritisch umgeht und dann auch Wege weist, wie wir in Europa solidarisch mit den Problemen anderer Völker umgehen und endlich wieder zu einer gleichschrittigen Entwicklung kommen.
Wenn die deutsche Bundeskanzlerin die von ihr wie eine Monstranz vor sich her getragenen Werte ernst nähme, dann müsste sie sich darum kümmern, dass die Menschen in Griechenland und in Kroatien, in Spanien und in Italien und in Frankreich wieder auf die Beine kommen. Wenn die Hälfte der Jugendlichen in einem europäischen Land arbeitslos ist, dann kann man auch in Deutschland nicht so tun, als sei die Welt in Ordnung. Aber das ist wohl viel zu viel an Einsicht und an Solidarität verlangt. Wenn das aber so ist, dann sollte man nicht darüber hinweg schwadronieren, dass die Folgen dieses Auseinanderentwickelns und Auseinanderklaffens auch uns bei nächster Gelegenheit einholen wird.
Insgesamt ist die Neujahrsrede der deutschen Bundeskanzlerin ein flaches Werk, ein Armutszeugnis. Gönnen Sie sich trotzdem 5 Minuten zur Lektüre des Textes:
Anlage
Neujahrsansprache der Bundeskanzlerin Angela Merkel vom 31.12.2016:
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
2016 war ein Jahr schwerer Prüfungen. Darüber möchte ich heute Abend zu Ihnen sprechen – aber auch darüber, warum ich trotz allem für Deutschland zuversichtlich bin und warum ich so sehr von den Stärken unseres Landes und seiner Menschen überzeugt bin.
Die schwerste Prüfung ist ohne Zweifel der islamistische Terrorismus, der auch uns Deutsche seit vielen Jahren im Visier hat.
2016 griff er uns mitten in unserem Land an: in Würzburg, in Ansbach und vor wenigen Tagen erst am Weihnachtsmarkt hier an der Gedächtniskirche in Berlin.
Und –ja – es ist besonders bitter und widerwärtig, wenn Terroranschläge von Menschen begangen werden, die in unserem Land angeblich Schutz suchen. Die genau deshalb die Hilfsbereitschaft unseres Landes erlebt haben und diese nun mit ihren Taten verhöhnen. Wie sie auch diejenigen verhöhnen, die tatsächlich unseren Schutz brauchen und verdienen.
Was also ist dann mit der Zuversicht, von der ich zu Beginn sprach?
Zuversicht inmitten der tiefen Trauer um die Toten und Verletzten?
Ich meine, wir konnten sie hier in Berlin und in vielen anderen deutschen Städten gerade in diesen schweren Tagen spüren: in dem Trost, den wir spenden oder
bekommen können.
Und in einer festen Entschlossenheit, der Welt des Hasses der Terroristen unsere Mitmenschlichkeit und unseren Zusammenhalt entgegenzusetzen.
Indem wir unserem Leben und unserer Arbeit nachgehen, sagen wir den Terroristen:
Sie sind Mörder voller Hass, aber wie wir leben und leben wollen, das bestimmen nicht Sie. Wir sind frei, mitmenschlich, offen.
Auch indem wir zum Beispiel mit den Bildern des zerbombten Aleppo in Syrien vor Augen noch einmal sagen dürfen, wie wichtig und richtig es war, dass unser Land auch im zurückliegenden Jahr denjenigen, die tatsächlich unseren Schutz brauchen, geholfen hat, hier bei uns Tritt zu fassen und sich zu integrieren.
Das alles – es spiegelt sich wider in unserer Demokratie, in unserem Rechtsstaat, in unseren Werten.
Sie sind der Gegenentwurf zur hasserfüllten Welt des Terrorismus, und sie werden stärker sein als der Terrorismus. Wir gemeinsam sind stärker. Unser Staat ist stärker.
Unser Staat tut alles, um seinen Bürgern Sicherheit in Freiheit zu gewährleisten.
Diese Arbeit ist nie beendet, und gerade in diesem Jahr haben wir den Sicherheitsbehörden viel neue Unterstützung gegeben. 2017 werden wir als Bundesregierung dort, wo politische oder gesetzliche Veränderungen nötig sind, schnellstens die notwendigen Maßnahmen in die Wege leiten und umsetzen.
Viele verbinden mit diesem Jahr 2016 auch das Gefühl, die Welt insgesamt sei aus den Fugen geraten oder das, was lange Zeit als Errungenschaft galt, sei jetzt in Frage gestellt. Die Europäische Union zum Beispiel. Oder gleich die parlamentarische Demokratie, die sich angeblich nicht um die Interessen der Bürger kümmere, sondern nur dem Nutzen einiger weniger diene.
Was für Zerrbilder.
Ja, Europa ist langsam. Es ist mühsam. Es hat tiefe Einschnitte wie den Austritt eines Mitgliedsstaats hinzunehmen. Und –ja -Europa sollte sich auf das konzentrieren, was es wirklich besser kann als der nationale Staat.
Aber nein – wir Deutschen sollten uns niemals vorgaukeln lassen, eine glückliche Zukunft könnte je im nationalen Alleingang liegen.
Wo Europa – wie im globalen Wettbewerb, beim Schutz unserer Außengrenzen oder bei der Migration – als Ganzes herausgefordert wird, muss es auch als Ganzes die Antwort finden – egal wie mühsam und zäh das ist. Und wir Deutschen haben jedes Interesse daran, eine führende Rolle dabei zu spielen.
Ein Zerrbild ist es auch, das manche von unserer parlamentarischen Demokratie zeichnen. Doch sie ist stark. Sie ermöglicht Mitwirkung und Mitsprache. Sie akzeptiert, nein, sie fordert Widerspruch und Kritik. Kritik, die friedlich und im Respekt vor dem einzelnen Menschen daherkommt, die Lösungen und Kompromisse sucht und nicht ganze Gruppen ausgrenzt.
2017 ist auch das Jahr der nächsten Bundestagswahl. Ich werde mich für eine politische Auseinandersetzung einsetzen, bei der wir über vieles leidenschaftlich streiten werden, aber stets wie Demokraten, die nie vergessen, dass es eine Ehre ist, unserer Demokratie und damit den Menschen zu dienen.
Zu dem, was mir Mut für unser Deutschland macht, gehört auch unsere soziale Marktwirtschaft. Sie lässt uns Krisen und Veränderungsprozesse besser meistern als jedes andere Wirtschaftssystem auf der Welt. Noch nie hatten so viele Menschen Arbeit wie heute. Unsere Unternehmen stehen überwiegend gut da. Unser wirtschaftlicher Erfolg gibt uns die Möglichkeiten, unser Sozialsystem zu stärken und all denen zu helfen, die Hilfe brauchen. Ab morgen treten zum Beispiel wichtige Verbesserungen in der Pflege in Kraft.
Mut machen mir auch der Enthusiasmus und Erfindungsgeist, mit dem in deutschen Unternehmen und an unseren Hochschulen für die Zukunft geforscht und entwickelt wird. Ob neue Energien oder die Digitalisierung – wir haben auf allen Gebieten die Chance, nicht Getriebene zu sein, sondern zu denen zu gehören, die die neuen Wege entdecken und bestimmen.
Dafür braucht es einen offenen Blick auf die Welt und Selbstvertrauen – in uns und unser Land.
Zusammenhalt, Offenheit, unsere Demokratie und eine starke Wirtschaft, die dem Wohl aller dient: Das ist es, was mich für unsere Zukunft hier in Deutschland auch am Ende eines schweren Jahres zuversichtlich sein lässt.
Keiner dieser Werte ist uns einfach so gegeben. Für jeden werden wir auch 2017 arbeiten müssen, alle gemeinsam, jeder nach seinen Möglichkeiten – und diese Arbeit wird sich lohnen.
Ich wünsche Ihnen und Ihren Familien von Herzen ein frohes neues Jahr, Glück, Gesundheit und Gottes Segen.