Die Weißwäscher: Aus Niederlagen werden Erfolge
Da verliert die CDU bei der Kommunalwahl in NRW knapp 7% und dennoch redet der CDU-Landeschef Rüttgers von einem „großartigen Ergebnis“. Da erzielt die SPD nach einem Absturz bei der vorigen Wahl mit einem weiteren Minus von über 2% ihr schlechtestes Ergebnis seit Bestehen dieses Landes und dennoch redet der SPD-Landesvorsitzende Schartau von einer „guten Basis“. Das Umdeuten von Niederlagen zu Erfolgen muss beim Wahlvolk den bitteren Eindruck hinterlassen: Egal ob, wie oder was ihr wählt, wir deuten das Ergebnis so um, dass wir uns bestätigt fühlen.
„Schämst Du dich nicht? Was machst du aus dem Denken? Das ist das Edelste, was der Mensch tun kann und du machst es zu einem schmutzigen Geschäft“ sagt der brave Bauer Sen in Brechts „Kongress der Weißwäscher“ zu dem auf den Straßenstrich herunter gekommenen Intellektuellen Tui, als dieser ihm „eine Meinung über die politische Lage“ für billiges Geld anbieten will. Ähnlich müsste wohl das brave Wahlvolk reagiert haben, wenn es die Kommentare der Politiker über die Kommunalwahlen in NRW verfolgte.
Um die Interpretationshoheit über den Wahlausgang zu erlangen, stellten sich wenige Augenblicke nach den ersten Hochrechnungen die Repräsentanten der Parteien an die Straße und bieten den die tatsächlichen Ergebnisse zur Kenntnis nehmenden Zuschauern ihre Meinung über die politische Lage an. Egal ob und wie ihr gewählt habt: Ihr habt uns einen „Riesenerfolg“ beschert sagt der Tui von der CDU. Ihr habt uns „stabilisiert“ sagt der Tui von der SPD. Beide wollen, dass man ihnen ihre Meinung als Meinung über die politische Lage abkauft. Vergleicht das Wahlvolk seine eigene Beurteilung über die politische Lage mit der Meinung der Tuis über deren politische Lagebeurteilung, so kann es eigentlich nur sein Vertrauen in die Redlichkeit unserer politischen Vordenker verlieren.
Egal ob, was und wie ihr gewählt habt, wir deuten das Ergebnis in einen Sieg für uns um.
Nun mögen die ganzen Zahlenspielereien in sich richtig sein. Natürlich hat die CDU trotz einer heftigen Niederlage mehr Prozente erreicht als Rot und Grün zusammen. Und natürlich hat die SPD gemessen an den Europawahlen und gemessen an früheren Umfragen zugelegt. Sicher stellt die eine oder andere Partei in der einen oder anderen Stadt wieder den Oberbürgermeister und die stärkste Ratsfraktion, aber haben sie damit bei einer Wahlbeteiligung von etwas über der Hälfte der Wahlberechtigten auch eine Mehrheit des Wahlvolkes hinter sich?
Warum die Wähler nicht mehr an die Wahlurne gehen, warum sie aus Protest rechtsradikal oder populistische Wählervereinigungen wählen, das interessiert unsere politischen Weißwäscher offenbar nicht, Hauptsache man ist wieder die stärkste Fraktion geworden oder man hat einem amtierenden OB eine Stichwahl aufgezwungen.
Glaubt man wirklich, dass man mit solchen wohlfeilen „Meinungsangeboten“ die nächsten Wahlen gewinnen kann? Sieht man nicht den gefährlichen Weg, auf dem man sich mit solchen Interpretationen der Wählermeinungen befindet?
Egal ob man an Zustimmung verliert, der Erhalt der Macht wird zum Gradmesser des Erfolgs gemacht und nicht das Ringen um die Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger für das eine oder andere politische Konzept.
Den ganzen Wahlabend hat man von keinem einzigen Politiker auch nur eine einzige Aussage zu irgendeinem politischen Konzept gehört. Im Gegenteil: Voller Erleichterung wurde vielfach betont, dass Hartz keine Rolle mehr gespielt habe.
Merken eigentlich unsere Spitzenpolitiker nicht mehr, dass sich die Bürgerinnen und Bürger entsetzt von der Politik abwenden, wenn die „politischen“ Beurteilungen über einen Wahlausgang mit den Beurteilungsmaßstäben ihrer Wählerinnen und Wähler über das, was Politik leisten soll, nichts mehr oder nur noch wenig zu tun haben?
Wenn sich die Bürgerinnen und Bürger mit ihren Vorstellungen von Politik in der Politik nicht mehr repräsentiert fühlen, kann das gefährlich werden für eine demokratische Verfassung der Politik.
P.S.: Weil auf den Nachdenkseiten so häufig die Medien kritisiert werden, soll auch einmal lobend erwähnt werden, dass Anne Will in den Tagesthemen den Weißwäschern ziemlich an die ziemlich schmutzige Wäsche gegangen ist.