Eine revolutionäre Idee – à la SPD
Hier eine Glosse von Joke Frerichs zu den Konsumgutscheinen. Albrecht Müller
Eine revolutionäre Idee – à la SPD
Von Joke Frerichs
Als ich zum erstenmal von der Idee hörte, Konsumgutscheine auszugeben, dachte ich mir: prima Vorschlag. Die Not ist groß und da sind ungewöhnliche Maßnahmen erforderlich. Wie nach dem Krieg, als der Schwarzmarkt blühte und durch die Ausgabe von Essensmarken erreicht wurde, dass der Austausch von Äquivalenten wieder halbwegs zu funktionieren begann. Vorher konnte man für ein paar Zigaretten wahre Wunderdinge kaufen. Aber das gehört nicht hierher. Historische Vergleiche hinken immer.
Nun haben Vorschläge wie dieser den Vorteil, dass sich keiner so recht etwas darunter vorstellen kann. Das wiederum führt dazu, dass sich jeder aufgerufen fühlen kann, sich dazu zu äußern: Politiker vorneweg – vor allem aus der SPD (da diese Partei doch wie keine andere kriegs- Entschuldigung: ich wollte sagen: krisenerprobt ist). Aber auch Gewerkschaftsführer; Sozialaktivisten; Wirtschaftsweise; Zeitungskommentatoren; Steuerexperten; Einzelhandelsverbandsvertreter und natürlich: Herr Lauterbach, der sich so ziemlich zu allem äußert. Seltsamerweise hat man bisher noch nichts von Herrn Rürup gehört, obwohl er gerade jetzt gebraucht würde. Eine neue „Rürup-Kommission“ liegt doch geradezu in der Luft – in dieser Notlage. Aber der Herr ist wohl schon zu sehr mit seinem neuen Job beschäftigt.
Wie gesagt: keiner weiß, was genau gemeint ist und so reden sie denn alle durcheinander. Beim Begriff fängt es schon an: Konsumgutscheine oder –schecks; 250 € oder 500; mit oder ohne Eigenbeteiligung; für Alle oder nur für Bedürftige; als Steuergutschrift oder sozusagen cash; in Banken oder Geschäften einzulösen oder vom Finanzamt verschickt. Die Liste der ungelösten, überaus schwierigen Probleme ließe sich noch verlängern. Z.B. ist auch noch ungeklärt, wer das Porto für die Versendung der Gutscheine zahlt – der Empfänger oder der Absender. Ersteres würde die konjunkturelle Wirkung der Maßnahme erheblich schmälern.
Je länger die Diskussion dauert, desto mehr an nachdenkenswerten Facetten gewinnt sie: der Vertreter des Einzelhandelsverbandes warnt davor, die Leute könnten jetzt vor Weihnachten ihren Konsumrausch plötzlich einstellen und abwarten, bis die Gutscheine kommen. Da das bis zum Karneval dauern kann, wäre die Wirkung fatal. Geradezu konjunkturschädigend. Und genau das Gegenteil hat man doch erreichen wollen. Andere befürchten, dass noch mehr überflüssiger Ramsch gekauft wird als ohnehin schon. Wieder andere wissen schon jetzt nicht mehr, was sie schenken sollen. Und kämen dann möglicherweise in noch größeren Entscheidungsstress. Und was ist, wenn die Leute irgendein Zeug kaufen, das in China produziert wurde. Das bringt doch für die Arbeitsplätze hierzulande nichts. Von den möglichen Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit ganz zu schweigen! Und schließlich könnte man auf die Idee kommen, sich dem Konsum ganz zu verweigern (solche humorlosen Gesellen soll es ja geben). Andere wiederum zahlen vielleicht ihre Schulden damit ab (auch das brächte die Konjunktur nicht in Schwung) – usw. usf.: Man sieht auf den zweiten Blick: die Lage ist verzwickter als man denkt.
Da finde ich die Idee des SPD-Vorstands nachahmenswert, in dieser schwierigen Situation noch schnell eine „Investitionskonferenz“ einzuberufen. Damit man – gemeinsam mit Bürgermeistern und Kommunalpolitikern – überlegen kann, wofür das Geld eigentlich (wie heißt es so schön sozialdemokratisch?) punktgenau und natürlich: zielorientiert ausgegeben werden soll. (Normalerweise könnte man sich die Konferenz und die damit verbundenen Spesen sparen – ein Gang in eine nahegelegene Schule oder über unsere Straßen würde reichen). Aber wie gesagt: die Not ist groß und da macht sich eine Konferenz immer gut. Und die Idee bringt Zeit. Bis dahin kann vielleicht sogar der Herr Steinbrück überzeugt werden, der immer etwas länger braucht – zumal er doch das Ganze aus seiner eigenen Tasche bezahlen muss.
Ich staune auch nicht schlecht, wenn ich sehe, dass revolutionäre Ideen wie diese immer auch gewaltige Persönlichkeitsveränderungen bewirken. Und das in kürzester Zeit! Dem Thema und der Tragweite des Vorschlags angemessen, fordert z.B. ein gewisser Hubertus Schmoldt, seinerseits Vorsitzender der ansonsten überaus sozialpartnerschaftlich orientierten Chemie-Gewerkschaft: “Man muss einmal zuschlagen, und das muss sitzen.“ Ich dachte, ich hätte mich verlesen – aber nein: so stand es in der FR – schwarz auf weiß. Und was in der Zeitung steht, stimmt bekanntlich. Ich finde, der Mann hat Recht, obwohl ich nicht genau weiß, ob es bereits einen diesbezüglichen Gewerkschaftsbeschluss gibt. Hier ist wieder einmal die Koordinierungsfunktion des DGB gefragt. Auch deshalb, weil Herr Schmoldt 250 e fordert und Herr Bsirske 500. Da gibt es Klärungsbedarf und außerdem hat sich die IG-Metall noch nicht zu Wort gemeldet.
Nicht verschwiegen werden soll, dass auch Herr Koch aus Hessen sich zu Wort gemeldet hat. Der ist dank der SPD mal wieder in der glücklichen Lage, Wahlkampf führen zu dürfen. Bekanntlich die Zeit, in der er besonders ideenreich agiert. Stichwort: Unterschriftenaktion gegen Ausländer: Verschärfung des Jugendstrafrechts für ausländische Jugendliche usw. Dieser feine Herr war sicherlich auch am jüngsten Beschluss des CDU-Parteitages beteiligt, auf dem beschlossen wurde, dass man in Deutschland deutsch redet. Grundgesetzlich abgesichert. (Da wird unserem Bundespräsidenten wieder eine schwere Gewissensentscheidung abverlangt).
Aber zum Thema zurück: Dieser Herr Koch nannte den Vorschlag aus der SPD: verrückt; fahrlässig und falsch. Also muss doch was dran sein an dem Vorschlag! Der Schäfer-Gümbel soll sich bloß nicht irritieren lassen.
Man sieht schon: diese Idee mit den Konsumgutscheinen hat was. Man kommt ins Nachdenken – ja sogar ins Tagträumen. Da kam mir doch die völlig utopische Idee, wie es wäre, wenn man gleich das Geld abschaffen würde. Das wäre doch wahrhaft radikal (was ja bekanntlich heißt, ein Problem an der Wurzel zu packen oder so ähnlich). Eine Welt ohne Geld – das wäre es doch. Wie gesagt – völlig utopisch, aber doch irgendwie attraktiv. Wenigstens, um davon zu träumen. Konsumgutscheine statt Geld. Oder gleich: zurück zur Tauschgesellschaft. Man wüsste wieder um den wahren Wert der Dinge; wäre gezwungen sich Gedanken darüber zu machen, wieviel Arbeit in einem bestimmten Gebrauchsgegenstand steckt. Vielleicht sogar darüber, unter welchen Arbeitsbedingungen sie hergestellt worden sind. Ich sehe uns schon bei Karl Marx, Das Kapital, Band 1, nachschlagen: 20 Ellen Leinwand = soundsoviel Weizen = soundsoviel Schuhe usw. Man würde wieder mehr über den Gebrauchswert der Dinge nachdenken. Im ganz wörtlichen Sinne: Brauche ich ein bestimmtes Ding wirklich oder nicht? Was würde ich dafür eintauschen? Usw.usf.
Natürlich wäre es gut, wenn die ganze Angelegenheit mit einer Art „Währungsreform“ eingeführt würde. Nur dass diesmal nicht die berühmten 40 Mark für Jeden (so lautete doch das Märchen, das zum sog. Wirtschaftswunder führte), sondern Konsumgutscheine ausgegeben würden. Für Jeden die gleiche Anzahl – und möglichst zweckgebunden – schon wegen der Zielgenauigkeit. Das Statistische Bundesamt könnte ermitteln, wieviele Gutscheine man so durchschnittlich zum Leben braucht und dann kann‘s losgehen. Details könnten auf Sonderparteitagen geklärt werden.
Man stelle sich doch einmal vor: eine Welt ohne Geld. Keiner würde mehr an Kriegen verdienen, (die, wie Bertolt Brecht zurecht sagte, solange stattfinden werden, wie es Leute gibt, die daran verdienen); die Banken würden auf einen Schlag ihre faulen Kredite los; Herr Steinbrück seine (oder besser: unsere) Staatschulden (denn wir zahlen sie schließlich); wieviele Verbrechen aus Geldgier wären gänzlich überflüssig; der Bundespräsident müsste nicht länger über die angebliche „Gier“ unserer Bänker lamentieren; und schließlich könnte man über viel wichtigere Dinge im Leben nachdenken als über das liebe Geld. Statt „Geld regiert die Welt“ oder „Geld allein macht nicht glücklich“, würde man ganz bescheiden sagen: „Auch der Gutschein hat sein Gutes“ – daher wahrscheinlich auch der Name! (Zur Klärung könnte man einen Wettbewerb ausschreiben. Dichter und Denker wären gefordert; die diversen Think Tanks des Landes ebenso).
Was einem doch für Ideen kommen – und das alles ausgelöst durch den genialen Vorschlag einiger SPD-Politiker. Die – wie bei ihren Reformen üblich – die Sache einmal wieder nicht gründlich genug durchdacht haben (sie verabscheuen nun mal alles Radikale!) Aber immerhin: sie werfen Probleme auf, statt sie zu lösen, und wie man sieht, beschäftigt das wieder sehr viele Leute – die in der Zwischenzeit jedenfalls nicht auf dumme Gedanken kommen. Etwa dergestalt, dass möglicherweise unser ganzes System falsch konstruiert sein könnte. Auf solche Gedanken kommen natürlich nur Träumer und Ewiggestrige wie ich.