Zur Präsidentenwahl in Österreich. Ein Kommentar von Hans Bleibinhaus.
Vorweg die Information zum (vorläufigen) Ergebnis der gestrigen Wahl: 51,7 % für van der Bellen, 48,3 % für Hofer. – Die erneute Wahl Alexander van der Bellens mit deutlich größerer Mehrheit als bei der annullierten Stichwahl vom 22. Mai 2016 kam zumindest für die Mehrheit der Umfrageinstitute, die auf ein 51:49-Ergebnis zugunsten von Norbert Hofer tippten, wieder einmal überraschend. Die Wahlbeteiligung ist leicht gestiegen und sogar in ländlichen Gebieten haben mehr Wähler als vorher für den freundlichen Professor als Bundespräsident gestimmt. Albrecht Müller.
Die Erleichterung im liberalen Bürgertum ist groß und die Gefahr besteht, dass mit dieser politischen Beruhigungspille in Österreich alles so weitergeht wie bisher. Es wird darauf ankommen, ob die Parteien, die ganz oder teilweise für Alexander van der Bellen und gegen Norbert Hofer eintraten, wahrnehmen, dass fast die Hälfte der Wähler gegen die bisherige Politik im Land protestiert hat.
Heinz-Christian Strache, der Vorsitzende der FPÖ, hat gleich nach den Hochrechnungen die eigentlich nicht zu überhörende Warnung ausgesprochen, diese Bundespräsidentenwahl sei erst der Anfang und man werde noch zeigen, was alles in der FPÖ stecke.
Es wird vor allem auf die SPÖ ankommen, der die FPÖ vor allem bei der arbeitenden Mitte, den Arbeitslosen und ärmeren Bevölkerungsgruppen Konkurrenz macht, welche Lehren sie aus diesem Ergebnis zieht. Zwar ist Österreich, verglichen mit Deutschland, geradezu ein Sozialstaat, aber die Ergebenheit der Großen Koalition aus SPÖ und ÖVP gegenüber den Anforderungen der globalisierten Wirtschaft und die gleichzeitige Vernachlässigung der Interessen einer Mehrheit der Bevölkerung ist weiter Wasser auf die Mühlen der Rechten. Die Befolgung der von der EU vorgegebenen Austeritätspolitik mit Hinnahme einer hohen Arbeitslosigkeit, steuerlicher Schonung der Reichen, Vernachlässigung öffentlicher Investitionen, Einsparungen bei Bildung und Gesundheit ist keine gute Idee, das Schwinden der ÖVP und die Erosion der ehemaligen Volkspartei SPÖ aufzuhalten.
Der Erfolg Alexander van der Bellens ist vermutlich vor allem auf zwei Faktoren zurückzuführen (näheres müssen die Soziologen in den kommenden Wochen herausfinden):
- Die überraschende Wahl Trumps zum Präsidenten der USA hat zwar bei der FPÖ ein vorübergehendes Hoch ausgelöst und zugunsten Hofers das Klischee vom tatkräftigen Macher bestärkt, andererseits aber hat sie das Risikobewusstsein im liberalen Bürgertum der Städte viel nachhaltiger auf den Plan gerufen.
- Die Erfahrungen mit den Schwierigkeiten in Großbritannien nach der Brexit-Entscheidung haben insbesondere in der Landbevölkerung die Sensibilität bezüglich ihrer Abhängigkeit von den Agrarsubventionen der EU erhöht und dort für einen vielerorts beachtlichen Swing zu seinen Gunsten gesorgt.
Norbert Hofer und die FPÖ haben in den letzten Wochen des Wahlkampfes zwar etwas davon bemerkt und sehr zurückgesteckt mit ihren forschen Sprüchen zur Möglichkeit eines EU-Austritts auch von Österreich, propagieren jedoch unverdrossen die Abkehr von der EU und dem globalisierten Kapitalismus hin zu einem autoritär geführten nationalen Kapitalismus. Davon, so suggerieren sie ihrer Anhängerschaft, ergäbe sich dann auch – hokus pokus – die Lösung aller sozialen Fragen.
Daran glaubt heute offenbar fast die Hälfte der österreichischen Wählerschaft.
Es wird sich zeigen, welche Folgerungen daraus gezogen werden.
Hans Bleibinhaus lebt teilweise in Österreich.