Eine brisante Antwort der Bundesregierung zur wichtigen Rolle Ramsteins im US-Drohnenkrieg
Die Bundesregierung hat am 30. November 2016 in einer Bundestagsfragestunde durch den Staatsminister im Auswärtigen Amt (AA) Michael Roth (SPD) nach mehrjähriger Verzögerung eine brisante Antwort auf eine parlamentarische Anfrage des Abgeordneten Hunko (Die Linke) zur bedeutsamen Rolle der US-Airbase Ramstein im globalen US-Drohnenkrieg gegeben, mit der sie frühere eigene Auskünfte modifiziert. Albrecht Müller.
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Staatsminister Roth erklärte jetzt u.a., “die US-Seite” habe der Bundesregierung am 26. August 2016 mitgeteilt, dass “die globalen Kommunikationswege der USA zur Unterstützung unbemannter Luftfahrzeuge Fernmeldepräsenzpunkte auch in Deutschland einschlössen, von denen aus die Signale weitergeleitet würden. Einsätze unbemannter Luftfahrzeuge würden von verschiedenen Standorten aus geflogen, unter Nutzung diverser Fernmelderelaisschaltungen, von denen einige auch in Ramstein laufen würden. Außerdem teilte sie (= die US-Seite) mit, dass im Jahr 2015 in Ramstein eine Vorrichtung zur Verbesserung der bereits zuvor vorhandenen Fernmeldeausstattung fertiggestellt worden sei, und sie hat uns darüber informiert, dass Ramstein eine Reihe weiterer Aufgaben unterstütze, darunter die Planung, Überwachung, Auswertung von zugewiesenen Luftoperationen.”
Mit den Ausführungen des AA-Staatsministers Michael Roth werden die brisanten Whistleblower-Enthüllungen des früheren US-Drohnenkriegspiloten Brandon Bryant, dem dafür 2015 von IALANA und der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler der Whistleblower-Preis verliehen wurde, der Sache nach bestätigt. Zugleich wird damit das Prozessvorbringen der Bundesregierung in mehreren verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu Ramstein korrigiert, in denen sie erklärt hatte, von einer Einbeziehung der Airbase Ramstein in den globalen US-Drohnenkrieg könne aufgrund der Auskünfte der US-Regierung keine Rede sein.
Die Bundesregierung geht nach der Erklärung von AA-Staatsminister Roth allerdings auch nunmehr weiter davon aus, es gelte “weiterhin die Zusicherung der Vereinigten Staaten, dass Aktivitäten in US-Militärliegenschaften in Deutschland im Einklang mit dem geltenden Recht erfolgen.” Und Staatsminister Roth weiter: “Ich kann nicht generell von einem völkerrechtswidrigen Verhalten sprechen; wir können das nur auf den Einzelfall bezogen tun. Insofern kann ich darüber auch nichts sagen; denn ich vermag die Verantwortlichkeiten, die sich aus Ramstein heraus ergeben, nicht zu beurteilen.”
Diese “letztlich rechtsnihilistische Haltung der Bundesregierung” wird von Kritikern wie dem früheren Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Dieter Deiseroth kritisiert. Deiseroth dazu in einer aktuellen Stellungnahme:
“Die von den USA auch über die Airbase Ramstein geführten Drohnenangriffe in Afghanistan, Pakistan, Somalia und Jemen mit dem Ziel der Tötung von als Terroristen verdächtigten Personen forderten bisher schon unzählige unschuldige Opfer unter der Zivilbevölkerung. Zahlreiche andere Untersuchungen, u.a. des UN-Sonderberichterstatters, haben aufgedeckt: Die US-Drohnenkriegsführung richtet sich nicht nur gegen kämpfende Aktivisten von Kriegsparteien („Kombattanten“), sondern auch gegen die Zivilbevölkerung in den Einsatzgebieten. Die Zahl der unschuldigen zivilen Opfer der US-Drohnenangriffe ist zwischenzeitlich um ein Vielfaches höher als diejenige von getöteten Kombattanten. Diese Feststellungen sind durch die beschwichtigenden Erklärungen des scheidenden US-Präsidenten Obama nicht aus der Welt geschaffen worden. Im Gegenteil.
Es geht um schwere Rechtsbrüche. Militärische Drohnenangriffe müssen sich u.a. an den Anforderungen der Art. 51 und 57 des Zusatzprotokolls I zu den Genfer Abkommen messen lassen. Danach sind sie völkerrechtswidrig, wenn der „Begleitschaden“ vorhersehbar war und wenn er durch die Anwendung praktisch möglicher Vorsichtsmaßnahmen bei der Wahl der Angriffsmittel und -methoden vermeidbar gewesen wäre oder wenn die mit ihm verbundenen Verluste unter der Zivilbevölkerung, die Verwundung von Zivilpersonen, die Beschädigung ziviler Objekte oder mehrere derartige Folgen zusammen in keinem Verhältnis zum erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil stehen. Auch bei nicht völkerrechtswidrigen Angriffen, durch welche die Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft gezogen werden kann, muss eine wirksame Warnung vorausgehen, wenn die gegebenen Umstände dies erlauben. Diese Anforderungen werden in vielen Fällen nicht eingehalten. Warum sollte dies ausgerechnet bei den US-Drohnenangriffen anders sein, die über Ramstein “laufen”. Die Aussagen des Whistleblowers Brandon Bryant belegen dies.
Die US-Drohnenangriffe gegen Ziele u.a. in Pakistan, Jemen und Somalia verstoßen ferner gegen die territoriale Integrität dieser Zielstaaten (Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta). Sie können auch nicht als Selbstverteidigung nach Art. 51 UN-Charta gerechtfertigt werden, da von diesen Staaten keine (gegenwärtigen) militärischen Angriffe gegen die USA ausgehen. Eine Ermächtigung durch den UN-Sicherheitsrat nach Art. 39 und 42 UN-Charta liegt nicht vor.
Die deutsche Bundesregierung ist mit-verantwortlich dafür, dass mit der US-Airbase Ramstein deutsches Territorium in diesen globalen US-Drohnenkrieg einbezogen wird. Das verstößt gegen das Grundgesetz. Denn die deutsche Verfassung verbietet, dass deutsche Hoheitsträger völkerrechtswidrige Handlungen oder Zustände auf oder über deutschem Hoheitsgebiet dulden oder gar unterstützen.
Die Unterstützung einer völkerrechtswidrigen Militäraktion kann nicht nur durch die militärische Teilnahme an Kampfhandlungen erfolgen, sondern auch auf andere Weise. Ein völkerrechtliches Delikt kann nämlich sowohl durch ein Tun als auch – wenn eine völkerrechtliche Pflicht zu einem Tun besteht – durch Unterlassen begangen werden. Eine Beihilfe zu einem völkerrechtlichen Delikt ist selbst ein völkerrechtliches Delikt.
Anhaltspunkte und Maßstäbe für die Beantwortung der Frage, wann eine Hilfeleistung durch eine Nicht-Konfliktpartei zugunsten eines kriegführenden Staates völkerrechtswidrig ist, ergibt sich u.a. aus der von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 14. Dezember 1974 ohne formelle Abstimmung im Wege des allgemeinen Konsenses als Bestandteil der Resolution 3314 (XXIX) beschlossenen “Aggressionsdefinition”. Sie ist inzwischen als Völkergewohnheitsrecht allgemein anerkannt. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 21.Juni 2005 – 2 WD 12.04 – Rn. 217 ff.) bereits entschieden. In Art. 3 Buchst. f) der o.g. “Aggressionsdefinition” heißt es, dass als “Angriffshandlung” im Sinne des Art. 39 UN-Charta unter anderem folgende Handlung anzusehen ist:
“Die Handlung eines Staates, die in seiner Duldung besteht, dass sein Hoheitsgebiet, das er einem anderen Staat zur Verfügung gestellt hat, von diesem anderen Staat dazu benutzt wird, eine Angriffshandlung gegen einen dritten Staat zu begehen.”
In Sachen Ramstein (vgl. dazu unser Interview in den NachDenkseiten vom 25.8.2016) gibt es eine interessante Korrektur in der Informationspolitik der Bundesregierung. Die Bundesregierung hat am 30. November 2016 in einer Bundestagsfragestunde durch den Staatsminister im Auswärtigen Amt (AA) Michael Roth (SPD) nach mehrjähriger Verzögerung eine brisante Antwort auf eine parlamentarische Anfrage zur bedeutsamen Rolle der US-Airbase Ramstein im globalen US-Drohnenkrieg gegeben, mit der sie frühere eigene Auskünfte modifiziert:
Hier die vollständige youtube-Aufzeichnung der Fragestunde:
Und hier der Auszug aus dem vorläufigen Sitzungsprotokoll des Deutschen Bundestages:
205. Sitzung des 18. Deutschen Bundestages am Mittwoch, 30. November 2016
Fragestunde (Auszug aus dem Protokoll)
Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Ich rufe die Frage 16 des Abgeordneten Hunko auf:
Welchen Stand hat die seit April 2014 ausstehende Beantwortung eines Fragenkatalogs der Bundesregierung an die US-Regierung zur Beteiligung von US-Anlagen in Ramstein oder Stuttgart als Relaisstation am US-Drohnenkrieg (fragegegenständlich sind nicht Starts und Landungen von Drohnen, sondern deren Steuerung via Ramstein), an die das Auswärtige Amt zunächst „fortgesetzt“, dann „eindringlich“ und „mit Nachdruck“, zwischenzeitlich „fortgesetzt eindringlich“ und nunmehr „wiederholt nachdrücklich“ erinnert haben will (vergleiche die Antwort der Bundesregierung auf meine mündlichen Fragen 18, Plenarprotokoll 18/78, sowie 37, Plenarprotokoll 18/178), obwohl die zuständige Staatsministerin Dr. Maria Böhmer mir auf meine mündliche Frage 3, Plenarprotokoll 18/45, vor zweieinhalb Jahren die Beantwortung „innerhalb weniger Wochen“ versprach, und inwiefern rechnet die Bundesregierung während der Amtszeit des US-Präsidenten Barack Obama überhaupt noch mit einer Beantwortung bzw. sonstigen finalen Klärung ihrer offenen Fragen, zumal die Angelegenheit (zumindest angesichts fehlender Medienberichte) offensichtlich nicht beim jüngsten Besuch des noch amtierenden US-Präsidenten in Berlin in der 46. Kalenderwoche dieses Jahres zur Sprache kam?
Herr Staatsminister Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Kollege Hunko, die Bundesregierung hat sich zu dem Themenbereich, den Sie jetzt in Ihrer Frage angesprochen haben, bereits am 28. September 2016 im Rahmen der PSK-Unterrichtung der Obleute des Auswärtigen Ausschusses geäußert. Die Unterrichtung wurde damals von meinem Kollegen, dem Politischen Direktor des Auswärtigen Amts, vorgenommen. Der Politische Direktor unterrichtete damals die Obleute des Auswärtigen Ausschusses über ein am 26. August 2016 erfolgtes Gespräch mit Vertretern der US-Botschaft im Auswärtigen Amt. Die US-Seite hat in dem damals stattgefundenen Gespräch bestätigt – abermals bestätigt –, dass unbemannte Luftfahrzeuge von Ramstein aus weder gestartet noch gesteuert würden. Sie teilte überdies mit, dass die globalen Kommunikationswege der USA zur Unterstützung unbemannter Luftfahrzeuge Fernmeldepräsenzpunkte auch in Deutschland einschlössen, von denen aus die Signale weitergeleitet würden. Einsätze unbemannter Luftfahrzeuge würden von verschiedenen Standorten aus geflogen, unter Nutzung diverser Fernmelderelaisschaltungen, von denen einige auch in Ramstein laufen würden. Außerdem teilte sie mit, dass im Jahr 2015 in Ramstein eine Vorrichtung zur Verbesserung der bereits zuvor vorhandenen Fernmeldeausstattung fertiggestellt worden sei, und sie hat uns darüber informiert, dass Ramstein eine Reihe weiterer Aufgaben unterstütze, darunter die Planung, Überwachung, Auswertung von zugewiesenen Luftoperationen. In Reaktion auf diese neuen Informationen haben wir hochrangige Gespräche in Washington Mitte September geführt, wiederum über unseren Politischen Direktor, und wir werden dazu selbstverständlich auch weiterhin mit der amerikanischen Seite in Kontakt bleiben. Für uns, Herr Abgeordneter Hunko, ist aber ein Punkt ganz entscheidend: Es gilt weiterhin die Zusicherung der Vereinigten Staaten, dass Aktivitäten in US-Militärliegenschaften in Deutschland im Einklang mit dem geltenden Recht erfolgen.
(Zuruf von der LINKEN: Das müssen Sie doch überprüfen!)
Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Herr Hunko.
Andrej Hunko (DIE LINKE): Vielen Dank. – Herr Staatsminister Roth, das ist jetzt interessant. Wir haben über Jahre nachgefragt, ob Ramstein eine Relaisstation für den völkerrechtswidrigen US-Drohnenkrieg ist.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da hat sich der Untersuchungsausschuss mit beschäftigt!)
Es ist jetzt zum ersten Mal die Bestätigung auch durch die Bundesregierung gekommen, dass Ramstein eine Relaisstation ist. Vielen Dank dafür. Mich würde schon interessieren, welche Konsequenzen Sie daraus ziehen. Sie sagen: Na ja, es ist nicht völkerrechtswidrig, weil die USA sagen: Es ist nicht völkerrechtswidrig. – Wie ist denn Ihre Einschätzung des US-Drohnenkriegs, für den Ramstein eine zentrale Relaisstation ist?
Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Herr Staatsminister.
Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Ich habe Ihnen schon die Stellungnahme der Bundesregierung dazu übermittelt. Die Informationen, die für Sie jetzt offenkundig neu sind, Herr Hunko, haben wir bereits vor Monaten dem Auswärtigen Ausschuss gegeben. Aus der bloßen Tatsache, dass Deutschland den USA Gelände für die Luftwaffenbasis Ramstein zur Verfügung stellt, folgt keine allgemeine Verantwortung für alle Einsätze, nur weil für diese relevante Steuerungssignale möglicherweise auch über Ramstein geleitet werden könnten. Für uns gilt die Zusicherung der Vereinigten Staaten, und diese Zusicherung habe ich Ihnen noch einmal übermittelt.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Herr Hunko.
Andrej Hunko (DIE LINKE): Vielen Dank. – Herr Roth, ich will sagen: Das ist keine neue Information für uns. Aber neu ist, dass die Bundesregierung das hier zum ersten Mal öffentlich macht. Ich will trotzdem noch einmal nachfragen. Sie sagen, die Zusicherung der USA sei für Sie maßgeblich. Wie ist denn die eigene Einschätzung der Bundesregierung bezüglich der Völkerrechtskonformität oder -nichtkonformität des US-Drohnenkriegs, der offenbar auch über Ramstein läuft?
Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Noch einmal: Zu der Frage, ob solche Einsätze auch ohne die Relaisstation in Ramstein durchgeführt werden könnten, hat sich die US-Regierung ja nicht geäußert. Es ist auch ausgesprochen unwahrscheinlich, Herr Kollege, dass sich die amerikanische Regierung überhaupt zu operativen Details einschließlich solcher, zu denen Operationen unbemannter Luftfahrzeuge gehören, äußern wird. Für die Vereinigten Staaten von Amerika ist dies kein völkerrechtswidriger Vorgang.
(Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Die Bundesregierung?)
Insofern ist Ihnen die Position bekannt. Es ist auch aus unserer Sicht so allgemein kein völkerrechtswidriger Vorgang, weil wir uns – auch das zeichnet die Rechtsprechung aus – nur den genauen und konkreten Einzelfall veranschaulichen können. Ich kann nicht generell von einem völkerrechtswidrigen Verhalten sprechen; wir können das nur auf den Einzelfall bezogen tun. Insofern kann ich darüber auch nichts sagen; denn ich vermag die Verantwortlichkeiten, die sich aus Ramstein heraus ergeben, nicht zu beurteilen.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Herr Movassat.
Niema Movassat (DIE LINKE): Danke. – Herr Staatsminister, ich glaube, die Völkerrechtsliteratur, zumindest hier in Europa, ist sich weitgehend einig, dass der sogenannte Krieg gegen den Terror – unter diesem Label finden ja auch die US-Drohneneinsätze statt – aus völkerrechtlicher Sicht nicht einen bewaffneten Konflikt darstellt. Man ist sich gleichzeitig einig, dass außerhalb bewaffneter Konflikte die Tötung von Menschen völkerrechtswidrig ist und damit natürlich auch gegen das Grundgesetz verstößt, weil die Regeln des Völkerrechts über das Grundgesetz Anwendung in Deutschland finden. Insofern muss die Erkenntnis, dass über Ramstein die Funksignale an die Drohnen übermittelt werden, für die Bundesregierung ein Grund sein, das völkerrechtlich intensivst zu prüfen und daraus Schlüsse zu ziehen. Ich erinnere hier an eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtes Köln, das, weil ihm ein Nachweis auf der Tatsachenebene nicht möglich war, die Klage von Jemeniten, die hier geklagt hatten, abgewiesen hat. Aber das, was Sie hier sagen, ändert natürlich schon die Tatsachengrundlage. Daher meine Frage: Welche völkerrechtliche Prüfung plant die Bundesregierung zu diesem Thema? Oder wollen Sie sich ausschließlich auf das verlassen, was die US-Regierung Ihnen mitteilt?
Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Frau Präsidentin! Herr Abgeordneter Movassat, wir verlassen uns ja nicht alleine auf die Aussagen, sondern wir bleiben mit den Vereinigten Staaten im regelmäßigen Gespräch. Wir bleiben da am Ball, um die notwendigen Informationen zu erhalten. Ich habe aber schon deutlich gemacht, dass die Bewertung von Einsätzen unbemannter Luftfahrzeuge aus Sicht der Bundesregierung immer von den Umständen des Einzelfalls abhängig ist. Wir können deshalb keine pauschalen Äußerungen und Bewertungen darüber treffen.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Herr Ströbele.
Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Staatsminister, es ist doch immer wieder wichtig, dass man in die Fragestunde kommt; –
Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Stimmt.
Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): – denn da bekommt man tatsächlich auch mal neue Informationen. – Ich gehe davon aus, dass dem Außenministerium und auch Ihnen bekannt ist, dass ein ausgewachsener Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages sich intensiv mit diesem Thema beschäftigt, insbesondere mit dem, was über Ramstein geschieht. Jetzt meine konkrete Frage: Ist der Bundesregierung bzw. dem Außenministerium bekannt, dass im Untersuchungsausschuss ein Zeuge aus den USA, Brandon Bryant, ausgesagt hat, dass er selber ein solcher Drohnenpilot gewesen ist, der die Drohnen von den USA in Ziele etwa in Somalia gelenkt hat, dass die Befehle, die er dazu bekommen hat, und die Leitungen immer über Ramstein gelaufen sind, dass er weit über 1.000 solcher Einsätze – also von den USA aus gelenkt – geflogen hat, dass dabei viele Menschen umgekommen sind und dass er für diese Tätigkeit sogar einen Orden in den USA bekommen hat? Ist das nicht Anlass genug für die Bundesregierung, der Frage nachzugehen, ob die Einsätze, die über Ramstein laufen, nicht tatsächlich auch gegen deutsches Recht verstoßen – die einzelnen Einsätze?
Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Frau Präsidentin! Herr Ströbele, auch ich freue mich immer sehr, wenn Sie hier sind; das ist für mich gewinnbringend, sehr häufig zumindest. Ich will noch einmal deutlich machen, dass wir uns nicht einfach nur auf irgendwelche Informationen verlassen, sondern Ansprechpartner für uns ist die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika. Die Aussagen sind für uns die Informationen, die ich an Sie und an Kolleginnen und Kollegen des Bundestages weiterleite. Das habe ich heute getan. Das haben die Kolleginnen und Kollegen bereits im Sommer getan, unmittelbar nach den neuen Erkenntnissen, die uns seitens der Vereinigten Staaten übermittelt worden sind. Ich will noch hinzufügen, dass die Vereinigten Staaten für die Drohneneinsätze konkrete, am Völkerrecht orientierte Regeln entwickelt haben, die kürzlich öffentlich zugänglich gemacht worden sind. Im Juli und August dieses Jahres wurden neue und bestehende US-Richtlinien zu Einsätzen unbemannter Luftfahrzeuge veröffentlicht. Ich sage das noch einmal, weil selbstverständlich auch für uns das Völkerrecht strikt gilt. Die Vereinigten Staaten haben uns gegenüber zum Ausdruck gebracht, dass diese Maßstäbe selbstverständlich auch für sie gelten.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Dr. Neu.
Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE): Vor gut einem Jahr waren Kollege Ströbele und ich unter anderem in Ramstein. Wir haben den dortigen Kommandanten gefragt, ob es irgendeine Verbindung zwischen Ramstein und den Drohneneinsätzen gibt. Das hat er aufgrund der militärischen Signalerfassung ausgeschlossen. Das heißt, der dortige Kommandant hat uns, Kollegen Ströbele und mich, offensichtlich belogen. So ist der Stand, den Sie uns gerade mitgeteilt haben, dass durchaus die Relaisstation Ramstein eine wesentliche Rolle spielt. Wir halten fest: Der US-amerikanische Kommandant in Ramstein hat die Abgeordneten des Deutschen Bundestages im Oktober 2015 bezüglich der Frage, inwiefern Ramstein eine Rolle im Drohnenkrieg spielt, belogen. Nun zu meiner Frage: Der Bundesgerichtshof in Leipzig hat infolge des Irakkrieges 2003 das Urteil gefällt, dass auch die Zurverfügungstellung des eigenen Territoriums – in diesem Fall Deutschland –, sei es der Luftraum, sei es der Boden, für Dritte – in diesem Fall die USA – für völkerrechtswidrige Kriege eine Beteiligung an einem völkerrechtswidrigen Einsatz darstellt. Meine Frage ist: Wie bewerten Sie dieses Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahre 2003 vor dem Hintergrund Ihrer Interpretation? Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Herr Staatsminister.
Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Frau Präsidentin! Herr Kollege Neu, ich kann mich nur noch einmal wiederholen: Es gilt nach wie vor die strikte Zusicherung der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika, dass in Deutschland geltendes Recht eingehalten wird.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das ist gelogen!)
Darüber hinaus kann ich zu Ihrer Spekulation, dass jemand die Unwahrheit gesagt hat, nichts sagen, weil ich die Aussagen des Repräsentanten der US-Armee, den Sie und Herr Ströbele getroffen haben, nicht kenne.
Anhang: Relevante Passagen aus dem NachDenkseiten-Interview mit D. Deiseroth vom 25.8.2016 zu rechtlichen verfassungs- und völkerrechtlichen Verpflichtungen der deutschen Bundesregierung:
Interviewer Paul Schreyer: Die Drohnentötungen finden oftmals außerhalb konkreter Kriegszonen oder abseits von Gefechten statt. Ihrem Wesen nach sind sie dann terroristische Mordanschläge und somit offenkundiges Unrecht. Nach allen rechtsstaatlichen Prinzipien dürfen kriminelle Gegner außerhalb des Schlachtfeldes, auch wenn sie terroristische Taten begangen haben, nur juristisch und polizeilich verfolgt werden. Stattdessen exekutieren manche Staaten, wie die USA, sie seit einigen Jahren einfach – im Grunde ein moralischer Rückfall in frühere Jahrhunderte. Brandon Bryant, der an Drohneneinsätzen mit insgesamt mehr als 1600 Toten beteiligt war, hat öffentlich gemacht, dass die Drohnenflüge und Tötungen von Jemen bis Pakistan nur unter Beteiligung des Stützpunkts Ramstein möglich sind, weil die Steuerungssignale der Drohnen, insbesondere auch die Videodaten der Kameras, technisch über diesen Stützpunkt geleitet werden müssen. Auch viele der Soldaten, die an der Planung und Durchführung der Flüge beteiligt sind, sitzen in Ramstein, wie Bryant persönlich erlebt hat. Trotzdem unternimmt die Bundesregierung nichts, um das zu unterbinden. Sind US-Stützpunkte wie Ramstein exterritoriales Gelände? Gehören sie rechtlich gesehen nicht zu Deutschland? Gilt dort kein Völkerrecht?
Dieter Deiseroth: Die US-Airbase Ramstein wie auch alle anderen Militärstützpunkte der USA in Deutschland liegen auf deutschem Staatsgebiet. Ihr Territorium ist nicht exterritorial, sondern Bestandteil der Bundesrepublik Deutschland. Die Liegenschaften sind den US-Streitkräften allein zur Nutzung, nicht zu Eigentum überlassen worden. Völkerrechtliche Grundlage für die Nutzung waren nach dem Ende des 2. Weltkrieges zunächst besatzungsrechtliche Beschlagnahmen und Requisitionen, später dann von den USA mit der Bundesrepublik Deutschland abgeschlossene völkerrechtliche Verträge, Abkommen und Vereinbarungen. Die Nutzung der US-Militärstützpunkte in Deutschland beruht heute durchweg nicht mehr auf originärem Besatzungsrecht, sondern auf vertraglicher Basis. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang vor allem der sog. Stationierungsvertrag von 1954/1955, das NATO-Truppenstatut von 1951/1955 und das Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut von 1959/1963 mit seinen nachfolgenden Ergänzungen und Änderungen. Danach muss von den US-Streitkräften für jede von ihnen in Deutschland militärisch genutzte Fläche eine spezielle Liegenschaftsvereinbarung mit den zuständigen deutschen Stellen der Bundesliegenschaftsverwaltung abgeschlossen werden, in der die zulässige Nutzung festgelegt ist. Vielfach sind die Nutzungsregelungen nur sehr pauschal und unpräzise erfolgt. Das kann geändert werden. Dazu besteht auch Anlass, schon um sicherstellen zu helfen, dass dort alles nach „Recht und Gesetz“ abläuft.
Paul Schreyer: Die Bundesregierung erklärt, die US-Regierung habe ihr versichert, dass Drohneneinsätze „in keiner Weise von Deutschland aus gesteuert oder durchgeführt würden“. Im Wortsinne könnte das stimmen, denn die Technik erlaubt eine Steuerung aus den USA. Dennoch geht nichts ohne die Signalübermittlung über Ramstein. Sind solche Erklärungen am Ende also bloß rhetorische Winkelzüge?
Dieter Deiseroth: Die bisherigen Verlautbarungen und Erklärungen der Bundesregierung gegenüber dem Parlament und in der Öffentlichkeit zur Rolle der US-Airbase Ramstein im globalen US-Drohnenkrieg halte ich für skandalös. Es ist beschämend, dass sich das Verfassungsorgan Bundestag und die Medien die regierungsoffiziellen Verschleierungstaktiken gefallen und durch plumpe sprachliche Tricks von notwendigen weiteren Klärungen ablenken lassen. Die Bundesregierung unterhält seit 1996 in Ramstein beim Oberbefehlshaber der US-Luftwaffe ein „Verbindungskommando der Bundesluftwaffe“, das unmittelbaren Zugang zum US-Kommandeur hat und seinerseits dem Inspekteur der Bundesluftwaffe berichtet. Sie kennt die Existenz der US-Relaisstation in Ramstein und des dortigen „Air and Space Operations Center (AOC)“ mit einer großen Zahl von Satellitenantennen, in dem Hunderte von US-Soldaten und andere Mitarbeiter rund um die Uhr zur Übermittlung der Steuerungsbefehle für die Drohneneinsätze und deren Auswertungsdaten tätig sind. Sie ist 2011 in der Errichtungsphase von der US-Seite vorab darüber informiert worden. Jedenfalls seit den Enthüllungen Brandon Bryants sowie den ergänzenden Recherchen und Publikationen im Nachrichtenmagazin „Der SPIEGEL“ und in der „Süddeutschen Zeitung“ besteht für die deutsche Bundesregierung alle Veranlassung, von der US-Regierung die überprüfbare Zusicherung einzufordern, dass die Anlagen auf der US-Airbase Ramstein nicht in die gezielten Tötungsaktionen im Rahmen des US-Drohnenkriegsprogramms eingebunden sind und dafür genutzt werden. Nach einem bekannt gewordenen „internen Vermerk“ hat die damalige Staatssekretärin im Auswärtigen Amt, Frau Emily Haber, im Juni 2013 exakt dies gefordert. Weiter soll es in dem Vermerk heißen, genau dies sei von der Bundesregierung abgelehnt worden: „Bundeskanzleramt und Verteidigungsministerium plädieren … dafür, Druck aus Parlament und Öffentlichkeit auszusitzen.“
Paul Schreyer: Die Bundesregierung erklärt weiter, man könne nur „einen konkreten Drohneneinsatz bei Kenntnis aller maßgeblichen Tatsachen“ bewerten und nicht allgemein von einem Rechtsbruch ausgehen. Was entgegnen Sie?
Dieter Deiseroth: In dem von Prof. Graßl und mir herausgegebenen Doku-Buch über die Verleihung des Whistleblower-Preises 2015 u.a. an Brandon Bryant ist ein an IALANA gerichtetes Auskunftsschreiben des Bundesverteidigungsministeriums vom 2. Juli 2015 dokumentiert, in dem es heißt, ein konkreter Drohneneinsatz könne rechtlich nur „bei Kenntnis aller maßgeblichen Tatsachen bewertet werden“; dies sei „immer eine Frage des Einzelfalls, wobei in erster Linie Ziel des Einsatzes, äußere Rahmenbedingungen und gegebener Kenntnisstand der Verantwortlichen im Mittelpunkt stehen würden“. Auf die über die US-Airbase Ramstein gesteuerten Drohneneinsätze der US-Streitkräfte und der CIA im globalen US-Drohnenkrieg übertragen heißt dies: Die Bundesregierung kann deren Rechtmäßigkeit ohne eine Einzelfallprüfung weder bestätigen noch verneinen. Sie kann mithin jedenfalls deren Rechtswidrigkeit, also die Unvereinbarkeit mit geltendem Völkerrecht, auch nicht in Abrede stellen. Da sie die erforderliche eigenständige Prüfung nach eigenem Bekunden bisher weder vorgenommen hat noch vornehmen will, kann sie damit auch nicht ausschließen, dass bei dem über Ramstein verlaufenden globalen US-Drohnenkrieg Völkerrechtsverstöße erfolgen.
Paul Schreyer: Ist sie dazu verpflichtet?
Dieter Deiseroth: Anhaltspunkte und Maßstäbe für die Beantwortung der Frage ergeben sich unter anderem aus der von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 14. Dezember 1974 ohne formelle Abstimmung im Wege des allgemeinen Konsenses als Bestandteil der Resolution 3314 (XXIX) beschlossenen „Aggressionsdefinition“. In Artikel 3 Buchstabe f) dieser insoweit völkergewohnheitsrechtlich anerkannten „Aggressionsdefinition“ heißt es, dass als völkerrechtswidrige „Angriffshandlung“ im Sinne des Artikel 39 UN-Charta unter anderem folgende Handlung anzusehen ist:
„Die Handlung eines Staates, die in seiner Duldung besteht, dass sein Hoheitsgebiet, das er einem anderen Staat zur Verfügung gestellt hat, von diesem anderen Staat dazu benutzt wird, eine Angriffshandlung gegen einen dritten Staat zu begehen.“
Dies hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 21. Juni 2005 (Az.: 2 WD 12.04 – Rn. 217 ff.) bereits entschieden.
Anhaltspunkte und Maßstäbe für die Beantwortung der Frage, wann eine Hilfeleistung durch eine Nicht-Konfliktpartei zugunsten eines kriegführenden Staates (hier also: der USA) völkerrechtswidrig ist, ergeben sich ferner aus dem völkerrechtlichen Neutralitätsrecht. Letzteres hat seine Grundlage im Völkergewohnheitsrecht und im V. Haager Abkommen (V. HA) betreffend die Rechte und Pflichten neutraler Staaten im Falle eines Landkriegs vom 18. Oktober 1907. Dieses ist für Deutschland nach wie vor in Kraft. Seine Regelungen sind übrigens auch in die vom Bundesministerium der Verteidigung erlassene Zentrale Dienstvorschrift (ZDv) 15/2 vom August 1992 aufgenommen worden. Nach Artikel 1 des V. HA ist das Gebiet eines „neutralen“, also eines nicht am bewaffneten Konflikt beteiligten Staates, „unverletzlich“; jede Kriegshandlung ist darauf untersagt (vgl. dazu auch Nr. 1108 ZDv 15/2). Verboten ist insbesondere auch, „Truppen oder Munitions- oder Verpflegungskolonnen durch das Gebiet einer neutralen Macht hindurchzuführen“ (Artikel 2 V. HA). Sinngemäß gilt dies auch für relevante Hard- und Software sowie den „Transport“ militärischer Daten für die Drohnenkriegsführung. Im Verhältnis zu einer Konfliktpartei, die den Verboten der Artikel 1 bis 4 des V. HA dadurch zuwiderhandelt, dass sie im Sinne des V. HA das Territorium eines neutralen Staates als Basis für militärische Operationen einbezieht und nutzt, ist der „neutrale Staat“ zum aktiven Tätigwerden und damit zum Einschreiten verpflichtet, um die Neutralitätsverletzung zu beenden.
Paul Schreyer: Was folgern Sie daraus?
Dieter Deiseroth: Man kann es klar und unmissverständlich formulieren: Die deutsche Bundesregierung verschließt ihre Augen vor den Vorgängen, die im Rahmen des globalen US-Drohnenkriegs über die Airbase Ramstein ablaufen. Und dies, obwohl sie völkerrechtlich mitverantwortlich dafür ist, dass mit der US-Airbase Ramstein deutsches Territorium jedenfalls in völkerrechtswidrige Attacken gegen Nicht-Kombattanten im Rahmen des globalen US-Drohnenkrieges einbezogen wird.
Sie kann sich rechtlich angesichts der zwischenzeitlich gut dokumentierten Vorgänge nicht auf Unkenntnis berufen. Sie verlässt sich auf allgemeine Zusicherungen der US-Regierungen, alles verlaufe dort völkerrechtsmäßig. Angesichts der zahlreichen Völkerrechtsverletzungen, die US-Regierungen in den letzten Jahren und Jahrzehnten offen oder verdeckt verübt haben, ist diese gespielte Blauäugigkeit schlechterdings unakzeptabel. Niemand kann bestreiten: Es gab in den letzten Jahrzehnten nur sehr wenige US-Präsidenten, die in ihrer Amtszeit keine schweren Völkerrechtsbrüche begangen haben – innerhalb wie außerhalb von NATO-Mitgliedsstaaten. Man denke nur an den von Präsident Obama zwischenzeitlich auch eingeräumten gewaltsamen Sturz des iranischen Ministerpräsidenten Mossadegh im Jahre 1953, an die vom Internationalen Gerichtshof verurteilte US-Militärintervention in Nicaragua und an ähnliche völkerrechtswidrige US-Militärschläge in Mittel- und Südamerika, an die US-Verwicklung in den Militärputsch unter General Pinochet 1973 in Chile, an die US-Verstrickungen in die illegalen Gewaltaktionen der geheimen GLADIO-Verbände in Italien und anderen NATO-Staaten, an den bereits erwähnten Aggressionskrieg gegen Irak im Jahre 2003, an die von der Bush-Regierung initiierten Folterungen nach 9/11 und die kriminellen Folterpraktiken an Häftlingen durch US-Soldaten in Abu-Ghuraib und in Guantanamo sowie an die weltweiten NSA-Spähattacken, die in den letzten Jahren durch die Enthüllungen Edward Snowdens bekannt geworden sind.
Überspitzt formuliert: Wer einem Kriminellen und notorischen Rechtsbrecher, der vielfacher schwerer Delikte überführt und angesichts fehlender glaubwürdig gezeigter Reue verdächtig ist, auch künftig weitere Rechtsbrüche zu begehen, deutsches Staatsgebiet unkontrolliert zur Nutzung überlässt und dem Verdächtigen damit jedenfalls objektiv weite Freiräume zur Begehung krimineller oder jedenfalls völkerrechtswidriger Handlungen eröffnet oder belässt, kann nicht die eigenen Hände in Unschuld waschen.
Paul Schreyer: Welche rechtlichen Schlussfolgerungen ziehen Sie daraus?
Dieter Deiseroth: Ein solches Verhalten verstößt gegen das Grundgesetz, auf das alle Mitglieder der Bundesregierung ihren Amtseid geleistet haben. Die deutsche Verfassung verbietet, dass deutsche Hoheitsträger völkerrechtswidrige Handlungen oder Zustände auf oder über deutschem Hoheitsgebiet widerspruchslos dulden oder gar unterstützen. Die Haltung der Bundesregierung setzt sich zudem selbst in Widerspruch zum Koalitionsvertrag der jetzigen Regierungsparteien der Großen Koalition von CDU/CSU und SPD von Ende 2013. Darin heißt es: „Extralegale, völkerrechtswidrige Tötungen mit bewaffneten Drohnen lehnen wir kategorisch ab. Aus diesem verbal uneingeschränkten „kategorischen Imperativ“ müssen jedenfalls im Hinblick auf die US-Airbase Ramstein endlich Konsequenzen gezogen werden. Das erfordert zunächst einmal effektive tatsächliche Kontrollen der dortigen Vorgänge und ihrer Verstrickung in die weltweiten Drohnen- und anderen Militäreinsätze, verlässliche Überprüfung ihrer Vereinbarkeit mit deutschem und internationalem Recht, Sichtung und Prüfung der Überlassungsvereinbarungen für die den US-Streitkräften dort zur Verfügung gestellten Liegenschaften, Neuverhandlung und Änderung der mit den USA abgeschlossenen völkerrechtlichen Stationierungsverträge und Abkommen. Sollten die USA dazu nicht bereit sein, stellt sich die Frage einer Kündigung.