Maßgebliche Kräfte heizen den Konflikt an – Zu einem „Positionspapier Russland“ der CDU/CSU-Fraktion, zu Cyberangriffen, zu Medien und Aleppo usw.
Nachträgliche Ergänzung 12:20: Der folgende Text ist auch eine vorläufige Antwort auf die beschönigende Rede von Bundespräsident Gauck beim Deutschen Presserat. – Heute versetze ich mich in die Lage des russischen Botschafters in Berlin bzw. jenes Diplomaten, der aus Berlin nach Moskau berichtet. Das ist eine reizvolle Perspektive für den Blick auf Deutschland. Gegenstand des Berichtes sind ein gerade erschienenes Papier der CDU/CSU-Fraktion und die wiederkehrenden Angriffe in deutschen Medien wegen angeblicher Cyberangriffe Russlands und der Kriege im Nahen Osten. Der Bericht würde ungefähr so aussehen. Albrecht Müller.
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Die Feindseligkeiten gegenüber Russland nehmen bei maßgeblichen politischen Kräften und bei wichtigen Medien zu.
Der Wochenbericht der russischen Botschaft in Berlin an das Außenministerium in Moskau
Die Atmosphäre in Deutschland gegenüber Russland ist vergleichbar jener des Kalten Kriegs in den Fünfziger und Anfang der Sechzigerjahre des letzten Jahrhunderts. In den politischen Parteien ist der Wille zur Verständigung, wie wir das von früheren Zeiten kannten und schätzten, einer seltsamen Feindseligkeit gewichen. Diese kritische Veränderung muss man vor dem Hintergrund des Abstands zu 1945 und dem Zweiten Weltkrieg sehen. Anders als im Kalten Krieg der Fünfzigerjahre wissen die Deutschen von heute mehrheitlich nicht mehr, was Krieg bedeutet.
Am 29. November 2016 ist uns ein „Positionspapier Russland“ der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag bekannt geworden. Siehe hier.
Die CDU/CSU-Fraktion ist die größte Fraktion und zugleich die Fraktion der Kanzlerin. Was dort geschrieben steht und der Geist, der dahintersteht, ist von großer Bedeutung für die weiter zu erwartende Politik. Zusammenfassend kann man sagen: Wenn das die Mehrheit der CDU/CSU-Fraktion kennzeichnet, dann muss man davon ausgehen, dass diese maßgeblich bestimmende Kraft für die deutsche Politik den Konflikt mit Russland nicht dämpfen, sondern anheizen will, Vertrauen nicht wieder aufbauen, sondern weiter beschädigen will. Diese erkennbare Linie wird allerdings an mehreren Stellen durch Angebote und freundliche Worte begleitet. Aber diese sind eher Zierrat als der Kern des Positionspapiers.
Zur Einordnung und Würdigung dieses Papiers ein paar kurze Anmerkungen:
- Die Autoren sind erstaunlich geschichtsvergessen. Die Leidensgeschichte der beiden Völker, des deutschen und des russischen, die vielen Millionen Opfer sind nicht einmal als Hintergrund des Textes erkennbar.
- Jüngere wichtige Vorgänge wie der Ukraine Konflikt und der Krieg in Syrien werden, wie das in Deutschland und im Westen insgesamt üblich geworden ist, verkürzt erzählt. Der Ukraine Konflikt wird an der sogenannten Annexion der Krim durch Russland festgemacht. Was es davor gab – die Milliarden Ausgaben des Westens zur Destabilisierung der Ukraine und der Putsch auf dem Maidan – wird nicht berichtet und auch nicht in die Urteilsfindung einbezogen.
- Das gilt auch für das geduldige Bemühen der politischen Führung Russlands um Gespräche und Verständigung – siehe die Rede des russischen Präsidenten im Deutschen Bundestag aus dem Jahre 2002 und diverse andere Angebote zur Kooperation. Trotz Ausdehnung der NATO bis an die russische Grenze.
- Es ist erstaunlich, wie die CDU/CSU-Fraktion ihren früheren Bundeskanzler und Vorsitzenden Helmut Kohl desavouiert. Die Gespräche und Vereinbarungen im Umfeld der deutschen Vereinigung, das großzügige Entgegenkommen der sowjetischen Führung wie auch die Verständigung auf die Nichtausdehnung der NATO spielen keine Rolle in der Meinungsfindung der heute führenden Christdemokraten.
- Die Integration der Ukraine in die verschiedenen Strukturen des Westens soll nach der Meinung der Christdemokraten unbeeindruckt von den Bedenken der russischen Seite fortgesetzt werden.
- Eine von den USA und der NATO unabhängige deutsche politische Linie ist in dem „Positionspapier Russland“ nicht zu erkennen.
- Es gibt in der deutschen Sprache ein kurzes Sprichwort: „Haltet den Dieb“. Nach dieser Regel ist das Positionspapier geschrieben. Russland werden allerlei Dinge unterstellt, die man als maßgeblich für sich selbst erkennen müsste. So zum Beispiel die Beschädigung des gegenseitigen Vertrauens.
Ähnlich kritisch wie die Haltung und Entwicklung der größten Bundestagsfraktion, der CDU/CSU, sind andere Entwicklungen zu betrachten, vor allem bei den Medien:
Anders als im ersten kalten Krieg fehlt heute das kritische Bürgertum und die Arbeiterschaft, die in den sechziger Jahren wichtige Träger der Entspannungspolitik waren. Ein besonderes Zeichen für diese Entwicklung ist die Tatsache, dass selbst ein als liberal, aufgeschlossen und kritisch geltender Journalist wie Heribert Prantl, Mitglied der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung, die Warnung des BND-Präsidenten Bruno Kahl vor Cyberangriffen aus Russland quasi ungeprüft weitergibt. Hier heißt es:
„BND-Präsident warnt vor Cyberangriffen aus Russland
Hacker und Trolle haben die US-Wahl beeinflusst – die Spur führt nach Russland. Der neue BND-Präsident Bruno Kahl sieht solche Störkampagnen im Wahljahr 2017 auch auf Deutschland zukommen.“
Wenn solche Unwahrheiten und aus vielerlei Gründen obskuren Warnungen sogar von dem als linksliberal geltenden Prantl verbreitet werden, dann ist das ein Alarmzeichen: Am Aufbau des neuen Feindbildes Russland und speziell des russischen Präsidenten bauen auch Kräfte mit, von denen Kenner es nicht erwartet hätten und die noch im Zuge der Entspannungspolitik zwischen West und Ost wichtige Stützen dieser friedvollen Entwicklung gewesen sind.
Zum Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes und seinen Äußerungen noch eine Anmerkung: Bruno Kahl ist ein Ziehkind des heutigen Bundesfinanzministers Wolfgang Schäuble und vermutlich wie dieser auch ein eingefleischter Atlantiker. Bemerkenswert ist, dass der Präsident eines so wichtigen Geheimdienstes derart spekulative Äußerungen von sich gibt. Er erwartet Störkampagnen Russlands im Wahljahr 2017. Die deutschen Medien geben das wieder und fragen nicht, wie das praktisch geschehen könnte. Wie soll Russland Einfluss nehmen auf die Wahlentscheidung der Deutschen? Noch dazu über Cyberangriffe. – Es ist so dahingesagt und in diesem Bericht erwähnt, weil man künftig von diesem, erst vor kurzem ins Amt gekommenen Präsidenten des BND vermutlich laufend Zutaten zur innenpolitischen Debatte in Deutschland erwarten muss. Appetitliche und unappetitliche.
Auch die so genannten Öffentlich-rechtlichen Medien haben offensichtlich keine Hemmungen, eine feindselige Stimmung gegenüber Russland zu stimulieren.
So ist sowohl beim Ersten Deutschen Fernsehen (Tagesschau) als auch beim Zweiten Deutschen Fernsehen (heute und Heute journal) Russland für einen am 29.11.2016 stattgefundenen Cyberangriff auf die Deutsche Telekom verantwortlich gemacht worden. Hier ein Link auf die einschlägige Sendung der Tagesschau (ab Minute 2:30, auch die Kanzlerin); und hier ein Link auf die Sendung „heute“ des ZDF (ab Minute 0:50) und auf „Heute Journal“.
Dass dann Medien, von denen man ohnehin weiß, dass sie nicht freundlich mit Russland umgehen, ähnlich berichten, war zu erwarten. Hier ein Link auf einen Artikel der „Welt“, eines Blattes aus dem Springer-Verlag: „Warum die Spur der Hacker so oft nach Moskau führt“.
Inzwischen ist selbst von deutschen Medien – von einem Internetmedium; typisch -, gemeldet worden, dass die Nachrichten über die Verantwortung Russlands für den Cyber-Angriff auf die Deutsche Telekom voreilig waren. Die Fakten sind in diesem Fall mitttlerweile unzweifelhaft und unstrittig. Aber man muss davon ausgehen, dass die zuerst gestreuten Gerüchte sitzen und die Korrektur bei den Zuschauern nicht mehr ankommt.
Das wirklich Bedrohliche ist, dass die Verantwortlichen in den Medien keinerlei Hemmungen kennen, ungesicherte Verdächtigungen zu verbreiten.
Das täten sie nicht, wenn es noch den Geist der Verständigung gäbe, der das Verhältnis Deutschlands zu Russland in der Zeit der Bundeskanzler Willy Brandt, Helmut Schmidt und Helmut Kohl und des Außenministers Hans-Dietrich Genscher prägte. Mit dem Tod dieser Politiker bzw. dem Ausscheiden aus der politischen Verantwortung ist nicht nur eine Epoche in Deutschland, sondern auch eine Grundeinstellung verschwunden: der Wille zur Verständigung und das Bewusstsein, dass zu einer guten Nachbarschaft, wie sie der frühere Bundeskanzler Brandt 1969 verkündet und versprochen hatte, auch gehört, dass man Vertrauen beim Partner aufbauen will und dass man sich zum besseren Verständnis gelegentlich in die Lage des Partners versetzt. Die heute verantwortlichen Politiker und Medien in Deutschland zerstören Vertrauen. Das ist eine gefährliche Entwicklung, weil sie in Deutschland eine Eigendynamik erfassen kann, und auch deshalb, weil eine Reaktion im öffentlichen Bewusstsein der Menschen in Russland nicht ausgeschlossen werden kann.
Ein wiederkehrender Teil negativer Stimmungsmache sind die Berichte und Kommentare zu Aleppo
Es vergeht kaum eine Nachrichtensendung in der „Tagesschau“ oder in den „Tagesthemen“ des Ersten Programms oder in „heute“ und im „heute Journal“ des Zweiten Deutschen Fernsehen und im weitverbreiteten Hörfunk des Deutschlandfunks und des Deutschlandradio Kultur ohne eine Meldung oder einen Kommentar, der sich gegen Russland wendet.
Regelmäßig wird in diesen Tagen über den Krieg in Aleppo berichtet – und dann meist nach dem gleichen Schema; oft muss man den Eindruck gewinnen, dass einfach die Meldung vom Vortag wiederholt wird, wonach die Truppen des syrischen „Machthabers“ Assad und russische Kampfflugzeuge Aleppo bombardiert hätten; dabei seien viele Menschen zu Schaden gekommen, gerade auch „Frauen und Kinder“. Der Verweis auf „Frauen und Kinder“ fehlt fast nie und verfehlt natürlich nicht die damit beabsichtigte Stimmungsmache. Dann wird auch regelmäßig die so genannte Syrische Beobachtungsstelle in Großbritannien zitiert – von der man weiß, dass sie keine verlässliche, sondern eine parteiische Quelle ist. Das macht aber nichts, durch ständige Wiederholung wird die Glaubwürdigkeit auch solcher Institutionen erhöht und gefestigt.
Fazit: Die deutschen Medien leisten sich in ihrer Mehrheit eine bemerkenswert einseitige Berichterstattung und Kommentierung zulasten Russlands.
Die Einseitigkeit wird übrigens auch daran sichtbar, dass die Kämpfe und das Sterben in Mossul, also im Irak, für die deutschen Medien kein bedeutendes Thema mehr sind. Das gilt auch für andere Teile Syriens, nämlich immer da, wo die Verbündeten des Westens die Verursacher der Kriegsopfer sind. Davon wird meist gar nicht berichtet
Der Eifer der Suche nach Möglichkeiten der Schuldzuweisung an Russland geht soweit, dass Mossul jetzt sogar einfach nach Syrien verlegt wurde, um das Sterben und Morden im Irak der syrischen Regierung und Russland in die Schuhe schieben zu können. Das folgende Foto mit Bildunterschrift findet man am 29. November auf t-online-news der Deutschen Telekom AG auf der Basis von Agenturmeldungen von AFP und dpa. Für Luftangriffe auf Mossul wird in der Bildunterschrift Syrien und Russland verantwortlich gemacht:
Das ist zwar eine Nachricht über ein kleines Detail in deutschen Medien. Aber sie ist symptomatisch für den Ungeist, der inzwischen in Deutschland herrscht: Es wird fieberhaft danach gesucht, Russland und die russische Regierung zu diskreditieren. Das ist fast schon eine psychopathische Grundeinstellung; jedenfalls sollte man bedenken, dass man dagegen vermutlich mit rationalen Argumenten nicht mehr ankommt.