Der Fluch des Reichtums
In mancher Hinsicht ist Afrika der wohl reichste Kontinent der Welt: Ein Drittel der weltweiten Rohstoffvorkommen liegt hier unter der Erdoberfläche. Für die Mehrheit der Bevölkerung bedeutet dieser Reichtum allerdings weit mehr Fluch als Segen. Denn ein kriminelles Netzwerk aus zwielichtigen Händlern, internationalen Großkonzernen und kapitalistischen Freibeutern hat sich den Zugang zu den Ressourcen gesichert und greift die Gewinne systematisch ab. Eine Art Neokolonialismus hat sich entwickelt, der dafür sorgt, dass sich vor Ort kaum etwas zum Besseren entwickeln kann, dass die Eliten korrupt sind und bleiben und die allgemeine Bevölkerung wie seit Jahrhunderten bereits konsequent unterdrückt und in Elend gehalten wird. Zur Situation vor Ort sprach Jens Wernicke mit Auslandsreporter Tom Burgis, dessen aktuelles Buch das Zusammenspiel von Warlords, Konzernen, Schmugglern und der Plünderung Afrikas thematisiert.
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Herr Burgis, gerade erschien Ihr neues Buch „Der Fluch des Reichtums“. Was dürfen wir uns unter diesem „Fluch“ vorstellen? Werben Sie um Empathie mit den elendigen Reichen, die ja oft an Liebeskummer, Depressionen und anderem laborieren?
Ich stelle zwar nicht in Frage, dass Depressionen und andere Beschwerden zwischen Arm und Reich nicht unterscheiden, will mit meinem Buch jedoch nicht für Mitleid mit den Reichen werben.
Tatsächlich ist der Fluch etwas, was Nationen widerfährt. Nehmen Sie zum Beispiel das Öl. Jedes Land in Afrika mit einer nennenswerten Erdölproduktion – ebenso wie weltweit fast alle Länder – ist beherrscht von Gewalt, wird schlecht regiert und ist, ausgenommen von einer winzigen, ultrareichen Führungselite, bitterarm. Das ist kein Zufall. Ein Übermaß an Öl oder anderen wertvollen Mineralien, wie etwa Gold oder Diamanten, ist die Grundzutat für Korruption und Kleptokratie. Es bewirkt, dass das nationale Einkommen in einen einzigen Topf fließt, der von einer kleinen Gruppe kontrolliert wird.
Diese kleine Gruppe verteilt das Einkommen – bekannt als Ressourcenrente, da es im Wesentlichen nicht erwirtschaftet wurde – um sich einzuschmeicheln und um sicherzustellen, dass sie an der Macht bleibt. In Ressourcenstaaten brauchen die Herrschenden nicht die Steuern der Bürger, um den Staatsapparat zu finanzieren, und sie sind daher auch nicht auf ihre Zustimmung angewiesen.
Im Kontrast dazu stehen Gesellschaften mit einem großen produzierenden Gewerbe oder einer industrialisierten Landwirtschaft: eine große Anzahl von Menschen bezahlt Steuern, alle mit Ansprüchen gegenüber denjenigen, die in ihrem Namen regieren.
In einem ressourcenreichen Staat verzerrt der ständige Zufluss ausländischer Dollars den Kurs der Landeswährung und macht Importwaren billiger, wodurch die heimische Produktion und die Landwirtschaft untergraben werden. Wenn man in Nigeria, im Kongo oder im Sudan geboren wird, hat man die Wahl: entweder man lehnt das herrschende System der Machtvergabe durch Patronage ab und verhungert oder man unterstützt es, um den Lebensunterhalt der eigenen Familie zu sichern – im Wissen darum, dass man damit ein System am Leben erhält, das den eigenen Kindern nur Elend bringen wird. Das ist der Fluch.
Im Vorwort zu Ihrem Buch heißt es: „Ich begann den roten Faden zu sehen, der ein Massaker in einem angelegenen afrikanischen Dorf mit den Freuden und Bequemlichkeiten verbindet, die wir in den reichen Teilen der Welt genießen. Er zieht sich durch die globalisierte Wirtschaft, von Kriegsgebieten bis zu den Gipfeln von Macht und Reichtum in New York, Hongkong und London.“ Um was für einen „roten Faden“ geht es hier?
Es ist derselbe Faden, der einst afrikanische Dörfer, deren junge Männer entführt und in die Sklaverei verkauft wurden, mit den Tabakbaronen Amerikas und den Rauchern in London verband. Die materiellen Vorzüge unseres westlichen Lebenswandels – Mobiltelefone, Autos, Laptops und so weiter – werden mit Rohstoffen geschaffen. Große Mengen dieser Materialien lagern unter afrikanischem Boden. Diese Vorräte werden oft von multinationalen Konzernen auf dem Weltmarkt vertrieben, die mit unrechtmäßigen Regimen in Afrika zusammenarbeiten, etwa in Äquatorialguinea, im Kongo oder in Kamerun.
Allerdings gibt es auch – zumindest müssen wir das hoffen – einen Faden der Empathie. Die Globalisierung hat uns wirtschaftlich mit den Minenarbeitern im Ostkongo und den Milizen im Nigerdelta verbunden. Sind wir aber bereit, diese Logik konsequent zu verfolgen und uns individuell und als Gesellschaft der Verantwortung zu stellen; sind wir bereit, anzuerkennen, dass unser Handeln zu dem Unheil beiträgt, das die Rohstoffindustrie ihrem Leben zufügt?
Sie argumentieren also nicht, „die Reichen“ oder rohstoffreiche Länder wären per se verflucht. Ihr Argument ist, dass die Weltwirtschaft dafür sorgt, dass die internationale Ausbeutung armer Länder dafür sorgt, dass Armut und Elend dort unüberwindbar scheinen? Wodurch genau geschieht das denn?
Ich bin der Ansicht, dass der Ressourcenfluch nur extrem schwer zu bewältigen ist. Man kann sagen, dass dies bis heute eigentlich nur Norwegen gelungen ist – wobei es entscheidend war, dass das Land bereits ein relativ hohes Wohlstandsniveau und starke politische Institutionen hatte, bevor es auf Öl stieß. Die afrikanischen Länder allerdings entdeckten das Öl – oder Diamanten oder Kupfer oder Stahl – bevor sie starke Institutionen ausbilden konnten. Deswegen hat die Ressourcenrente ihre politischen Systeme auch so stark korrumpiert.
Not gibt es tatsächlich überall, in reichen wie in armen Ländern. Ich befürchte auch, dass die Armut im gegenwärtigen System des Rohstoffabbaus durch globale Märkte unüberwindbar ist. Denn: Wie konnten die wohlhabenden Nationen der Welt einst die Armut überwinden? Indem sie sich industrialisierten! Volkswirtschaften, die hauptsächlich von Rohstoffexporten abhängen, werden jedoch an der Industrialisierung gehindert: Durch die Verzerrungen im Wechselkurses verbilligen sich die Importe und die lokale Industrie wird untergraben. Die Regierungen geben lieber Geld fürs Militär als für das Gesundheits- oder Bildungssystem aus.
Damit setzt sich der Ressourcenfluch fort. Nur aufgrund der Industrialisierung konnte sich in Europa, Nordamerika und zuletzt in Teilen Asiens eine Mittelschicht etablieren. Die Mittelschicht verlangte politische Mitspracherechte, und moderne, liberale Demokratien konnten sich entwickeln. Ich sage nicht, dass dies der einzige Weg zu einem repräsentativen Herrschaftssystem ist, aber er ist bei weitem der sicherste. Ressourcenverfluchte Nationen haben diese Entwicklungsmöglichkeit nicht.
Können Sie diese Mechanismen bitte anhand eines konkreten Beispiels illustrieren?
Beispiele gibt es im Buch etliche: Guinea, Niger, Nigeria, Äquatorialguinea, Kongo, Angola, Simbabwe, Südsudan – sogar Südafrika zur Zeit der Apartheid. Sehen Sie sich Kapitel drei an, Brutstätten der Armut. Die Geschichte von Mangal, dem Meisterschmuggler, zeigt, was passiert, wenn der Ressourcenfluch eine Volkswirtschaft ausgehöhlt hat. Es entsteht ein Vakuum, in dem sich mafiöse Strukturen etablieren können.
Mangal ist ein aus ärmlichen Verhältnissen im Grenzgebiet von Niger und Nigeria stammender Geschäftsmann, der sich mit dem Schmuggel von chinesischen Textilien nach Nigeria ein regelrechtes Handelsimperium aufgebaut hat. Sein Aufstieg begann in den neunziger Jahren, als chinesische Fabriken mit dem Kopieren westafrikanischer Stoffmuster begannen, um sie auf dem afrikanischen Markt zu verkaufen.
Der Handel mit der kopierten Ware ist in Nigeria streng verboten, also konnten die Stoffe nur auf illegalen Wegen ins Land gelangen. Das gelang schließlich mit der Hilfe von Mittelsmännern wie Mangal, der zwischen Herstellern und Vertriebspartnern agierte und eine Schattenwirtschaft verwaltete, die die Grenzbehörden ebenso wie politische Verbündete einschließt.
So gewannen die Chinesen in Zusammenarbeit mit nigerianischen Verkäufern allmählich die Kontrolle über den Markt und Mangal verdiente ein milliardenschweres Vermögen. Heute reicht sein Netzwerk aus Vorratslagern und Händlern über Dubai, wo ein Großteil der geheimen Afrikageschäfte abgewickelt wird, bis nach Indien und China.
Der Aufstieg Mangals steht in enger Verbindung mit dem Niedergang der Textilindustrie in Nigeria: Mitte der achtziger Jahre hatte Nigeria 175 Textilfabriken. Seitdem mussten bis auf etwa 25 alle schließen. Und viele von denen, die bis heute überlebt haben, arbeiten jetzt mit stark verringerter Kapazität. Von den 350.000 Arbeitern, die die Industrie zu ihrer besten Zeit beschäftigte, was sie zum mit Abstand wichtigsten verarbeitenden Sektor der Wirtschaft Nigerias machte, mussten inzwischen bis auf 25.000 alle gehen. Der Markt besteht heute zu 85 Prozent aus Importen, obwohl der Import von Textilien eigentlich illegal ist.
Wie konnte das passieren? Durch das starke Übergewicht der Rohstoffindustrie in Nigeria werden Wirtschaftszweige, die nicht mit der Förderung von Öl oder Erdgas in Verbindung stehen, systematisch vernachlässigt. Und obwohl Minen und Ölfelder gewaltige Summen von Kapital verschlingen, schaffen sie verglichen mit der Landwirtschaft oder anderen Wirtschaftszweigen nur eine verschwindend geringe Zahl von Arbeitsplätzen – von den ungleich höheren ökologischen Folgeschäden ganz zu schweigen.
Durch das Aussterben des produzierenden Gewerbes entsteht ein höherer Bedarf an Importwaren – ein Bedarf, der durch den Schmuggel gedeckt wird. Gleichzeitig verkümmern staatliche Institutionen, die sich eigentlich um das Allgemeinwohl sorgen sollten, denn Petro-Staaten sind in der Regel auf Patronage aufgebaut. Nur daher können Leute wie Mangal solchen Erfolg haben.
Gibt es konkrete Profiteure dieses Systems? Wessen Interessen organisieren sich hier und wie geschieht das genau?
Mit diesem Buch wollte ich zeigen, dass der Ressourcenfluch nicht nur eine Macke unseres Wirtschaftssystems ist, sondern ein ausgeklügeltes System der Plünderung, dessen Profiteure benannt werden können. Daher der Titel des Buches „Looting Machine“, zu Deutsch: Plünderungsmaschinerie. Ich habe einige der Unternehmen und Individuen benannt, die vom dreckigen Geschäft mit Afrikas Ressourcen profitieren, darunter sind etwa Royal Dutch Shell oder Tycoons wie der israelische Milliardär Dan Gertler.
Die Ausbeutung Afrikas hat eine lange Geschichte, die sich bis in die Gegenwart fortsetzt: Viele der multinationalen Konzerne, die heute das Geschäft mit Afrikas Öl kontrollieren, haben sich schon während der Kolonialzeit im großen Stil bereichert. Oft waren sie lediglich der privatwirtschaftliche Arm der Kolonialmächte bzw. der Großmächte während des Kalten Krieges. Manchmal werden sie erwischt – Shell etwa verstieß gegen die Antikorruptionsgesetze der USA – aber alles in allem ist uns der Nachschub an Rohstoffen wohl zu wichtig, um diese Unternehmen ernsthaft in Schwierigkeiten zu bringen.
Komplizen dieser Entwicklungen sind wir aber letztlich alle – jeder, der ein Mobiltelefon benutzt, ein Auto fährt oder seiner Angebeteten einen Antrag mit einem Diamantenring macht. Denn die gesamte Weltwirtschaft ist auf der ständigen Verfügbarkeit von Rohstoffen aufgebaut – aus Afrika und aus anderen Regionen. Prinzipien, die wir sonst anwenden – das Eigentumsrecht zum Beispiel oder grundsätzliche ethische Handelsstandards – werden über Bord geworfen, wenn es ums Öl, den Bergbau oder anderes geht.
Nun würden die meisten Volkswirte, die ich kenne, argumentieren: Nein, wenn „wir“ „da“ Arbeit schaffen, steigt der Wohlstand vor Ort. In dieser Lesart ist es sogar „großzügig“, westliche Firmen im globalen Süden Hungerlöhne bezahlen zu lassen – denn, so die Behauptung, das ist immer noch mehr, als vor Ort ohne westliches Zutun zustande käme. Was halten Sie von diesem Argument – bezüglich der Ausbeutung von Rohstoffen, aber auch allgemein, also bezüglich der Ausbeutung etwa von Arbeitskraft?
Dieses Argument ist in mancher Hinsicht tatsächlich valid. Wenn westliche Elektronikproduzenten damit aufhörten, Metalle aus dem Ostkongo zu kaufen, um neuen Bestimmungen der USA gegen konfliktträchtige Rohstoffe nachzukommen, würden viele Minenarbeiter vor Ort auf der Stelle ihren Lebensunterhalt verlieren. Das ist ein Teil der Falle. Die Ressourcenindustrie ist die Hauptursache der schlimmsten Probleme vieler afrikanischer Staaten und gleichzeitig ihre wichtigste, manchmal sogar einzige Einkommensquelle.
Und meinen Sie, ich als Einzelner könnte hiergegen nun etwas tun? Meinen Sie, mittels „individueller Kaufentscheidungen“, die uns viele grüne Ideologen gern glauben machen wollen, können wir der Weltwirtschaft Gerechtigkeit abringen – oder was wäre Ihr Vorschlag? Was tun?
Ich denke, dass wir zunächst vor der eigenen Tür kehren sollten. Westliche Führer belehren die Afrikaner permanent, wenn es um Korruption geht. Es ist natürlich richtig, dass viele afrikanische Herrschaftseliten abgrundtief korrupt sind. Allerdings ist die Korruption farbenblind und transnational. Und ein großer Anteil des Bestechungssystems, das ich im Buch beschreibe, wäre nicht denkbar ohne eine Industrie zur Vertuschung globaler Finanzströme, deren Hauptakteure in London, der Schweiz und in zunehmendem Maß auch in den USA sitzen.
Es ist die Bereitwilligkeit westlicher Staaten, den Fluss von Geldern in dunklen Kanälen zu erleichtern und die Geldwäsche durch Immobiliengeschäfte, auf dem Kunstmarkt und in anderen Bereichen zu akzeptieren, die es afrikanischen Kleptokraten erst ermöglicht, Ihre Macht zu behaupten.
Noch ein letztes Wort?
Abschließend will ich betonen, dass ich im Verlauf der Jahre, während derer ich an diesem Buch gearbeitet habe, viele unglaublich mutige Menschen getroffen habe – zumeist Afrikaner, manchmal auch Außenseiter – die sich gegen diese systematische Plünderung zur Wehr setzen.
Sie dürfen hier nicht namentlich genannt werden, weil das ihr Leben in Gefahr bringen würde. Ich hoffe allerdings, dass ihr Mut uns dazu bringt, mehr auf die Warenströme zu achten, die unsere materiellen Vorzüge in der ersten Welt ermöglichen.
Wie Burroughs einmal sagte: Was wir benötigen, ist „ein eingefrorener Moment, in dem jeder sieht, was sich am Ende jeder Gabel befindet.“
Ich bedanke mich für das Gespräch.
Tom Burgis ist als Auslandsreporter für die Financial Times tätig, zuletzt in Johannesburg und Lagos. Aktuell lebt er in London, wo er ein Team für investigativen Journalismus leitet. Unter anderem Preisträger des renommierten Jerwood Awards im Januar 2013, ist er heute ein gefragter Kommentator bei der BBC, CNBC und weiteren internationalen Fernseh- und Radiosendern. Unerschrocken, eloquent und mutig, liefert Tom Burgis hier sein Erstlingswerk und stellt sich an die Spitze einer neuen Generation junger investigativer Journalisten.