Großzügige Koalition – Anmerkungen zur Erbschaftsteuerreform
Silvester dürften in den feinsten Kreisen unserer Gesellschaft die Champagnerkorken noch lauter als sonst knallen, weil die Große Koalition sich nach jahrelangem Tauziehen auf eine Erbschaftsteuerreform geeinigt hat, die besonders Wohlhabende, Reiche und Superreiche begünstigt. Überschattet wurden die ohnehin schwierigen Verhandlungen zwischen den Regierungsparteien zum Schluss von der bayerischen Landtagswahl. Im Wahlkampf wurde es für die CSU zu einer Prestigefrage, Villenbesitzersgattinnen am Starnberger See und Kinder von Konzernherren von der Erbschaftsteuer zu befreien. Nach der Wahl Horst Seehofers zum CSU-Vorsitzenden und zum bayerischen Ministerpräsidenten vollzogen die Unionsparteien den Schulterschluss und setzten die Sozialdemokraten noch mehr unter Druck, dem Drang nach bürgerlicher Besitzstandswahrung nachzugeben. Fürchtend, die Erbschaftsteuer könnte ganz entfallen, wenn bis zum 1. Januar 2009 keine Neuregelung erfolgt, knickte die SPD schließlich ein, und die CSU konnte einen wichtigen Erfolg für sich verbuchen. Von Christoph Butterwegge
Gleichzeitig blieb die soziale Gerechtigkeit auf der Strecke. Kindern von Familienunternehmern soll die betriebliche Erbschaftsteuer vollständig erlassen werden, sofern sie die Firma zehn Jahre, und zu 85 Prozent, wenn sie das Unternehmen sieben Jahre lang lang fortführen und die Lohnsumme insgesamt mindestens zehn bzw. 6,5 Mal so hoch ist wie im letzten Tätigkeitsjahr des Erblassers. Beschworen wird die Gefahr, dass der Sohn eines Handwerksmeisters den vom Vater geerbten Betrieb aufgrund finanzieller Überforderung schließen und seine Mitarbeiter entlassen muss. Dies dürfte jedoch in Wahrheit kaum vorgekommen sein, weil schon lange ein Freibetrag in Höhe von 225.000 Euro existiert, ein zusätzlicher Bewertungsabschlag von 35 Prozent des Betriebsvermögens die Steuerschuld ohnehin reduziert hat und das Finanzamt diese bisher zehn Jahre lang stunden konnte, um Härten im Einzelfall abzufedern. Ehepartner/innen, die eine selbstgenutzte Luxusimmobilie erben und sie zehn weitere Jahre bewohnen, bleiben künftig von der Erbschaftsteuer verschont, und auch Kinder müssen diese nur dann entrichten, wenn die Wohnfläche 200 qm überschreitet.
War die schwarz-rote Koalition schon mit ihrem fast über Nacht geschnürten Paket zur Rettung maroder Banken gegenüber Eignern, Brokern und Börsianern ausgesprochen großzügig, so ergießt sich künftig ausgerechnet über den reichsten Familien unseres Landes ein weiterer Geldsegen. Dagegen erhalten die Armen kein so nobles Weihnachtsgeschenk: Als die Koalition kürzlich beschloss, das Kindergeld für das erste und zweite Kind um 10 Euro und ab dem dritten Kind um 16 Euro pro Monat zu erhöhen, einigte man sich darauf, für Kinder von Hartz-IV-Bezieher(inne)n, die nicht in den Genuss des höheren Kindergeldes kommen, weil es voll auf die staatliche Sozialleistung angerechnet wird, ein „Schulbedarfspaket“ in Höhe von 100 Euro pro Schuljahr zu schnüren. Es wird allerdings nur bis zur 10. Klasse gewährt, damit keine Missverständnisse darüber aufkommen, wer Abitur machen soll und wer nicht (…)
Während die Große Koalition deutschen Unternehmerdynastien wie Burda und Oetker Steuergeschenke in Milliardenhöhe macht, bittet sie Geringverdiener/innen samt ihrem Nachwuchs seit dem 1. Januar 2007 stärker als vorher zur Kasse: Die Anhebung der Mehrwert- und Versicherungssteuer von 16 auf 19 Prozent trifft tagtäglich besonders jene Familien hart, die praktisch ihr gesamtes Einkommen in den Konsum stecken (müssen). Angesichts der durch die Erbschaftsteuerreform wachsenden Glaubwürdigkeits- und Gerechtigkeitslücke fragt man sich, wie CDU, CSU und SPD die Legitimität des politischen System einer sozialen Marktwirtschaft bewahren wollen. Diese Parteien beschädigen nicht nur sich selbst, sondern auch die parlamentarische Demokratie und die politische Kultur unseres Landes, was einen Nährboden für die Agitation und Propaganda von Rechtsextremisten bzw. -populisten schafft, wenn sich die globale Finanz- zu einer Weltwirtschaftskrise ausweitet und Arbeitslosigkeit sowie Armut möglicherweise drastisch zunehmen. Es ist Zeit für eine grundlegende Kurskorrektur der Regierungspolitik, die jede Sensibilität für soziale Unausgewogenheit verloren hat!
Prof. Dr. Christoph Butterwegge lehrt Politikwissenschaft an der Universität zu Köln. Seine letzten Buchveröffentlichungen: „Kritik des Neoliberalismus“; „Neoliberalismus. Analysen und Alternativen“; „Kinderarmut in Ost- und Westdeutschland“; „Rechtspopulismus, Arbeitswelt und Armut“ (alle im Jahr 2008 erschienen)