„Terror“ – wie die ARD ihre Zuschauer für dumm verkauft und „nebenbei“ auch noch die Kärrnerarbeit für die Feinde des Rechtsstaats erledigt
„Grandiose Quoten“ hat er eingefahren – der Themenabend „Terror“, den die ARD mit großem Tamtam am Montag zelebrierte. Zum Höhepunkt dieses „Populisten-Pornos“ (Zitat Heribert Prantl) durfte das „Volksgericht“ in Person der Zuschauer dann nach einem absurden und höchst manipulativen Schema abstimmen, ob „das Grundgesetz in globalisierten Zeiten nicht mehr genüge“ (Zitat Thomas Wassmann in der hartaberfair-Sendung zum Themenabend). Im Ergebnis stimmten fast alle Zuschauer im Sinne der Feinde des Rechtsstaats. Experiment geglückt? Offenbar schon; zumindest dann, wenn das Experiment darin bestand, wie einfach das Volk manipuliert werden kann. Von Jens Berger.
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Mit „Terror“ hatte das auf ein gleichnamiges Theaterstück des Krimiautoren Ferdinand von Schirach basierende Fernsehspiel nur am Rande zu tun. Im Hintergrundplot entführten Terroristen einen nach München fliegenden Linienjet, den ein Bundeswehrpilot dann entgegen der Befehlslage abschoss, bevor er in ein vollbesetztes Fußballstadion gesteuert werden konnte. Im eigentlichen Fernsehfilm inszenierten die Macher das Gerichtsverfahren zu diesem Hintergrund. Fiktion trifft Realität. Zu keinem Zeitpunkt wurde der Zuschauer in die juristischen Hintergründe des Falls eingeweiht. Der fiktionale Plot diente natürlich nur dazu, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz vom Februar 2006 zu thematisieren. Damals hatten die Karlsruher Richter ein Gesetz der Bundesregierung wieder einkassiert, das es der Bundesregierung erlaubt, im Falle einer Flugzeugentführung einen Notstand zu erklären, um das entführte Flugzeug von der Luftwaffe abschießen zu lassen. Der klare Tenor der Richter war, dass es keinen Notstand geben kann, bei dem die Menschenwürde der Passagiere im Rahmen einer Abwägung zwischen potentiellen Opferzahlen in Frage gestellt werden kann. Dieses Urteil war eines der wichtigsten Urteile des Bundesverfassungsgerichts, stellt es doch unmissverständlich dar, dass die Würde des Menschen auch im Kampf gegen den Terrorismus ein nicht zu verhandelndes Gut darstellt.
Fakten vs. Fiktion
Rechtstheoretische Debatten sind – vor allem, wenn sie dazu noch philosophischer Natur sind – natürlich kein Stoff für die Prime Time. Also nahm sich die ARD ein Theaterstück von Ferdinand von Schirach und inszenierte es „prime-time-gerecht“ mit einem attraktiven tragischen Helden in der Rolle des Bundeswehrpiloten. Fortan ging es nicht mehr um verfassungsrechtliche Grundsätze, sondern um ein Urteil, dass der Zuschauer in Funktion eines Schöffen über den Piloten zu fällen hatte. Den Ausgang können Sie sich sicher auch vorstellen, wenn Sie den Themenabend nicht gesehen haben: natürlich erklärten 87% der Zuschauer den jungen Mann, der frappierend nahe am Widerstandskämpfer von Stauffenberg inszeniert wurde, für unschuldig. Schließlich rettete er mit seinem Abschuss ja den 70.000 Menschen im Stadion das Leben – was sind dagegen schon die 164 Passagiere im abgeschossenen Flugzeug?
So viel Fiktion wäre durchaus hollywoodtauglich und es wäre noch nicht einmal ernsthaft kritikwürdig, wenn sich ein Studio im Rahmen eines Filmdramas dieses Plots annehmen würde. Man stelle sich nur einen Tom Cruise in der Rolle des heroischen Piloten vor, der gegen den Befehl von oben ein ganzes Stadion voller unschuldiger Menschen rettet. Das Problem mit dem ARD-Themenabend war jedoch, dass man es nicht bei der Fiktion beließ, sondern gnadenlos Fakt und Fiktion vermengte und durcheinanderbrachte.
So inszenierte man den Plot beispielsweise dramatisierend als Schwarz-Weiß-Entscheidung. Im Prozess ging es nur noch um Alles oder Nichts – um lebenslange Haftstrafe wegen 164fachen Mordes oder um Freispruch. Dass alleine schon der Anklagepunkt Mord kompletter Unsinn ist, dürfte dabei schon den wenigsten Zuschauern bewusst gewesen sein. Der Abschuss im Plot erfüllt ja noch nicht einmal die Anforderungen an eine Mord-Anklage und würde abseits der Fiktion in einem echten Gericht natürlich als Totschlag verhandelt. Im konkreten Fall wäre aufgrund des nachvollziehbaren Konflikts des Täters wohl gar eine Anklage nach §213 StGB wegen eines minderschweren Falles des Totschlags realistisch, wie Thomas Fischer in der ZEIT anmerkt – und Fischer muss es wissen, ist er doch Autor des Standardwerks zu dieser Thematik.
Wie wäre das Ergebnis also ausgegangen, wenn der Zuschauer zwischen einem „schuldig“ und damit einer geringen Bewährungsstrafe und einem „unschuldig“ hätte entscheiden müssen? Natürlich ist diese Entscheidung nicht so dramatisch und „sexy“ und damit dramaturgisch wohl nicht geeignet – aber sie hätte dann mehr mit den Fakten und weniger mit Fiktion zu tun. Doch darauf hatten es die Verantwortlichen bei der ARD offenbar gar nicht abgesehen. So wirkt die gesamte Gerichtsverhandlung eher wie Hollywood meets Bocklemünd und nicht wie der Versuch, ein deutsches Gerichtsverfahren möglichst seriös darzustellen. Besonders bemerkenswert in diesem Kontext ist, dass die Drehbuchautoren den Richter und die Staatsanwältin sowie den Verteidiger von einem „übergesetzlichen Notstand“ fabulieren lassen. Und hier wird es dann grob manipulativ, da das deutsche Recht in diesem Kontext überhaupt keinen „übergesetzlichen Notstand“ kennt.
Übergesetzlicher Notstand?
Was kann man sich eigentlich unter einem „übergesetzlichen Notstand“ vorstellen? Artikel 48 der Neufassung der Weimarer Reichsverfassung definiert, wie solcher Notstand zu sehen ist:
(2) Der Reichspräsident kann, wenn im Deutschen Reich die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich gestört oder gefährdet wird, die zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nötigen Maßnahmen treffen, erforderlichenfalls mit Hilfe der bewaffneten Macht einschreiten. Zu diesem Zwecke darf er vorübergehend die (…) Grundrechte ganz oder zum Teil außer Kraft setzen.
(4) Bei Gefahr im Verzuge kann die Landesregierung für ihr Gebiet einstweilige Maßnahmen der in Abs. 2 bezeichneten Art treffen.
Die Väter und Mütter des Grundgesetzes haben diesen Artikel der Weimarer Reichsverfassung aus sehr guten Gründen jedoch nicht in das Grundgesetz übernommen. Dies ist eine der Säulen unseres Rechtsstaats. Auch wenn die öffentliche Sicherheit tatsächlich oder auch nur vermeintlich gefährdet ist, darf der Staat die Grundrechte in Deutschland nicht(!) außer Kraft setzen. Hätte das Grundgesetz einen derartigen Passus, wäre in der Tat der Abschuss eines vollbesetzten Passagierjets, der auf ein Fußballstadion zufliegt, möglich. Dann wäre aber auch Folter möglich – wenn sie denn der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dienen würde, was zumindest bei der Argumentation der Folterknechte ja stets der Fall ist. Mit anderen Worten: Hätten wir diesen „übergesetzlichen Notstand“, dann hätten wir auch einen Blankoscheck für Guantanamo auf deutschem Boden und die faktische Abschaffung des Rechtsstaats.
Auf den Spuren von Carl Schmitt
Dabei gibt es sogar bekannte Vordenker der Rechtsauffassung, die die ARD zwischen den Zeilen dem betrogenen Zuschauer auftischt. Der Nazi-Staatsrechtler Carl Schmitt lehnte beispielsweise die universelle Gültigkeit von rechtsstaatlichen Gesetzen ab – vor allem dann, wenn sie im Ausnahmefall die Regierungsbefugnisse einschränkt. Schmitt sah in der Regierung den uneingeschränkten Souverän, dem es im Krisenfall obliegt, zu entscheiden, was „richtig“ und was „falsch“ ist. „Es gibt keine Norm, die auf ein Chaos anwendbar wäre“, so Schmitt. Im Fernsehfilm „Terror“ sagt der Verteidiger an wichtiger Stelle, es sei ‘unerträglich, um eines Prinzips willen” (gemeint: Menschenwürde) das wahrhaft Ungerechte zu tun und gegen die Regel vom kleineren Übel zu verstoßen“. Willkommen in Schmitts „Chaos”, dessen Zähmung uns ja bekanntermaßen in ein noch viel größeres Chaos geführt hat.
Die hohe Kunst der Manipulation
Wie viele Deutsche hätten bei einer Umfrage, ob man die Menschenrechte zum Zwecke der Terrorismusbekämpfung außer Kraft setzen sollte, wohl diese Hardliner-Auffassung vertreten? Sicher nur sehr wenige. Im Umkehrschluss stimmt die übergroße Mehrheit der Bevölkerung der De-facto-Suspendierung zu, wenn man sie nur filmgerecht verpackt, anders formuliert und auf Personenebene emotionalisiert. Das könnte die eigentliche Lehre dieses „TV-Experiments“ sein. Ärgerlicherweise löste jedoch niemand das Experiment dementsprechend auf. Im Gegenteil.
Im Anschluss an den Film durfte ausgerechnet Krawall-Talker Frank Plasberg in seiner berühmt berüchtigten Show hartaberfair zusammen mit vier komplett überforderten Studiogästen die Auswertung vornehmen. Von Kritik war dabei wohlgemerkt überhaupt keine Spur. Ganz im Gegenteil tat Plasberg sein Bestes, um dem „Volksurteil“ ein öffentlich-rechtliches Prädikat zu verleihen. Zu keinem Zeitpunkt klärte er darüber auf, dass man Fakten und Fiktion zum Zwecke der dramatisierenden Zuspitzung ein wenig durcheinanderbrachte; zu keinem Zeitpunkt ging er kritisch auf die Hintergründe ein. Dies war dem sichtlich echauffierten Politveteranen Gerhart Baum vorbehalten, der jedoch gegen die Übermacht an manipulativer Dummheit keine Chance hatte.
So bleibt der Fernsehabend in besonders schlechter Erinnerung: und zwar als Fallbeispiel, wie ein öffentlich-rechtlicher Sender die totale Manipulation des Zuschauers inszenieren kann. Es war nicht das erste Fallbeispiel und wird auch nicht das letzte bleiben.