Wa(h)re Bildung – aktuelle Probleme der Hochschulentwicklung in Deutschland

Ein Artikel von:

Vortrag auf dem Kongress der Rosa-Luxemburg-Stiftung: „Die unternommene Hochschule: Studium, Lehre und Forschung als Ware“. Am 25. Oktober 2008
Universität Bonn von Wolfgang Lieb

Wa(h)re Bildung – aktuelle Probleme der Hochschulentwicklung in Deutschland

Ich möchte das Thema meines Vortrags unter drei Aspekten behandeln,

  • einerseits möchte ich Ihnen meine kritische Sicht auf die „unternehmerische Hochschule“ darstellen.
  • In einem zweiten Teil möchte ich versuchen in der gebotenen Knappheit die Hintergründe für den Paradigmenwechsel von der staatlich veranworteten, sich selbst verwaltenden Hochschule zur wettbewerbsgesteuerten „unternehmerischen“ Hochschule aufzuzeigen.
  • Drittens möchte ich Ihnen mit einigen aktuellen Hinweisen das jetzt schon erkennbare Scheitern der Wettbewerbsideologie bei einer zukunftsfähigen Entwicklung der Bildungs- und Hochschullandschaft belegen.

I.

Zunächst zur „unternehmerischen Hochschule“:

Kein anderes Land mache „Freiheit mit dieser Konsequenz zur Grundlage seiner Hochschulpolitik“, so rühmt Innovationsminister Pinkwart in einer von seinem Ministerium herausgegebenen Broschüre unter dem Titel „Hochschule auf neuen Wegen“ das nordrhein-westfälische Hochschul-„Freiheits“-Gesetz.

Nun ist es leider so, dass kaum ein anderer Begriff in der Menschheitsgeschichte so unterschiedlich gebraucht und auch so oft missbraucht wurde, wie der Freiheitsbegriff.

Man tut also gut daran, wenn von „Freiheit“ die Rede ist, immer auch nach der schon von Immanuel Kant herausgearbeiteten Unterscheidung zwischen „positiver“ und „negativer“ Freiheit zu fragen. Einfacher ausgedrückt: Man sollte immer auch fragen: „Freiheit zu was“ und „Freiheit von was oder Freiheit von wem“.

Stellt man die Kantsche Frage, gegenüber wem Freiheit gewonnen wurde, so wird man feststellen – so meine These – , dass die weit überwiegende Mehrheit der Lehrenden und Studierenden in der „unternehmerischen Hochschule“ – gemessen an ihren früheren Lehr-, Forschungs- und Lernfreiheiten – wesentlich „unfreier“ sein wird und schon ist, als zuvor.

Das Grundgesetz garantiert den Hochschulen als Körperschaften des öffentlichen Rechts eine institutionelle Freiheit in Forschung und Lehre gegenüber dem Staat und der Gesetzgeber hatte in Angelegenheit der Wissenschaft ihre Autonomie zu sichern. Der Staat hatte also eine Rechts- und Finanzaufsicht.

Die „unternehmerische Hochschule“ soll künftig vom Staat weitgehend befreit sein und dafür der „Freiheit des Wettbewerbs“ ausgesetzt werden. Nämlich der Freiheit des Wettbewerbs um die Einwerbung von Drittmitteln und von Studiengebühren. An Geld misst sich künftig also wissenschaftliche Qualität und gute Ausbildung. Man spricht deshalb an den Hochschulen inzwischen von „Cash Cows“ und „Poor Dogs“.

Damit kein Missverständnis aufkommt, ich rede nicht gegen einen Wettbewerb um die besten Forschungsleistungen. Einen solchen Wettbewerb unter Wissenschaftlern hat es immer gegeben. Wissenschaft ist genuin auf den Wettstreit um die richtige Antwort, pathetisch gesagt, auf den Wettstreit um Wahrheit angelegt.

Pinkwarts Bild vom Wettbewerb ist ein anderes: Es ist das Bild einer Hochschule, die wie ein Unternehmen ihre „Produkte“ und „Waren“ – also ihre Forschungsleistungen sowie ihre Aus- und Weiterbildungsangebote – auf dem Markt an kaufkräftige Nachfrager abzusetzen hat: nämlich an zahlungskräftige Forschungsauftraggeber und Investoren, an Stifter und Sponsoren – und an Studierende, die nunmehr „Kunden“ sein sollen und deshalb für die eingekaufte „Ware“ namens Studium zur Kasse gebeten werden.

In der „unternehmerischen“ Hochschule soll nicht mehr aufgrund von „Entscheidungen in den Gremien“ (in denen nach Pinkwarts Urteil nur blockiert wurde und „demotivierende Bedingungen“ herrschten), sondern es soll von einem „modernen Mangagment“ – so Pinkwart – nach den Gesetzen des „Wettbewerbs“ und der „Konkurrenz“ auf dem Wissenschafts- und Ausbildungsmarkt entschieden werden.

Aber nicht nur die Universität selbst soll „unternehmerisch“ agieren, sondern auch die Lehrenden und Forschenden sollen (Zitat Pinkwart) zu „Unternehmern innerhalb der unternehmerischen Hochschule“ werden.

Bei Entscheidungen unter Konkurrenz- und Wettbewerbsdruck sind ausgiebige und oft langwierige Diskussionen in Selbstverwaltungsgremien, wie Pinkwart sagt, nur „bürokratische Hürden“ und „Hemmnisse“ die es (Zitat) „aus dem Weg zu räumen“ gilt.

(Anmerkung: Wenn ich keine spezielle Quelle benenne, beziehe ich mich auf den Aufsatz in der genannten Broschüre „Hochschule auf neuen Wegen“. Er ist im Internet abrufbar. MIWFT 1/2007 [PDF – 1.5 MB])

Die Hochschule im Wettbewerb bedarf deshalb, so Pinkwart, „klare, handlungsfähige und starke Leitungsstrukturen“, oder wie der Minister weiter meint „ein modernes Management“, das rasch Entscheidungen treffen und umsetzen kann.

Horizontale, „bottom-up“-Strukturen demokratischer oder kooperativer Interessenvertretung müssen in diesem neuen Leitbild der Hochschulen konsequenterweise von vertikalen, „top-down“-Entscheidungsbefugnissen der Hochschulleitung abgelöst werden.

Während der Rektor einer Hochschule früher der „primus inter pares“ war, braucht die „unternehmerische“ Hochschule – laut Pinkwart – wie ein auf „den Zukunftsmärkten“ agierendes Unternehmen ein „professionelles Management“ mit effizienten Entscheidungsbefugnissen und rascher Entscheidungskraft.

Eine Hochschulleitung nämlich, die von der Spitze aus in alle Bereiche des Unternehmens – als (Zitat) „Arbeitgeber und Dienstherr“ des „Personals“ (ehemals Hochschullehrer genannt) und bis hinein in die (Zitat) „Ausbildungsverhältnisse“ (ehemals Studium genannt) durchentscheiden kann.

Man braucht dazu einen Präsidenten oder – wie es im baden-württembergischen Hochschulgesetz konsequenterweise heißt – einen „Vorstandsvorsitzenden“, gegen dessen Stimme keine Entscheidung an der Hochschule getroffen werden kann. (So sieht das § 15 Abs. 2 Ziff. 3 HFG auch vor)

Die „Qualität“ einer Hochschule bestimmt sich nicht mehr aus ihrer wissenschaftlichen Anerkennung innerhalb der Scientific Community. Ein wissenschaftliches Studium bestimmt sich nicht mehr vor allem – wie das der Wissenschaftsrat in seinen jüngsten Empfehlungen definiert hat – nach den „Prinzipien der Wissenschaftlichkeit (also einer fragenden, kritischen Haltung, einem Problem- und Methodenbewusstsein, der Strukturierungsfähigkeit, der Selbständigkeit) und des forschungsorientierten Lernens“ (Zitat Ende),
sondern in der „unternehmerischen“ Hochschule erweist sich deren Qualität in der (Zitat Pinkwart) „Konkurrenz mit ihresgleichen“.

Dabei sollen die einzelnen Hochschulen (Zitat Pinkwart) „das Ziel Qualität auf unterschiedlichen Wegen zu verfolgen. Die eine Hochschule wird sich auf ihre Rolle als Ausbilder und F&E-Partner in ihrer Region konzentrieren. Eine andere Hochschule wird sich an starken europäischen Mitbewerbern um technologische Leitprojekte orientieren und mit dem Anspruch antreten, in der internationalen Liga der Spitzenforschung mitzuspielen“. (Zitat Ende)

Die Zielvorstellung von Innovationsminister Pinkwart entspricht also in etwa dem amerikanischen Hochschulsystem mit einer hierarchisch tief gestaffelten Hochschullandschaft mit einigen wenigen Spitzenuniversitäten mit Ausbildungsangeboten für den Nachwuchs der gesellschaftlichen „Elite“ und der großen Masse von Hochschulen ganz unterschiedlicher Qualität für die große Masse der Studierenden.

Diese Trennung von „Spreu“ und „Weizen“ wird übrigens noch dadurch verschärft, dass die Masse der Studierenden in verschulte Bachelor-Studiengänge gedrängt wird und nur noch eine quotenmäßig festgelegte, kleine Gruppe zu einem Masterstudium mit wissenschaftlichem Anspruch zugelassen wird.

Damit die Gesetze des Wettbewerbs auch wirken können, müssen – dem Glaubensbekenntnis des Markt- und Wettbewerbsliberalismus entsprechend – der Staat, die Politik, die Selbstverwaltungsgremien oder sonstige nicht marktgängige gesellschaftliche Anforderungen aus dem Wettbewerbsgeschehen möglichst weitgehend herausgehalten werden.
So soll denn auch das Parlament künftig allenfalls noch der Zahlmeister für die Grundfinanzierung der Hochschulen sein, der (Zitat) „Zuschüsse“(!) gewährt.

An Stelle des demokratisch legitimierten Ministeriums oder des Parlaments als rahmensteuernde Aufsichtsorgane wird der „unternehmerischen“ Hochschule, wie bei einem in Form einer Aktiengesellschaft konstituierten Wirtschaftsunternehmen, künftig eine Art Aufsichtsrat dem Management der Hochschule als „Fachaufsicht“ an die Seite gestellt.

Dieser sog. Hochschulrat, so regelt es das HFG, „besteht mindestens zur Hälfte aus Mitgliedern, die von außen kommen; der Vorsitzende kommt in jedem Fall von außen.“

Vorschläge zur Besetzung des Hochschulrates macht ein Auswahlgremium aus zwei (!) Vertretern/innen des Senates, zwei Vertretern/innen des bisherigen Hochschulrates und einem/er Vertreter/in des Landes mit zwei Stimmen. Diese Findungskommission entwickelt einen Listenvorschlag, der vom Senat bestätigt werden muss und der letztinstanzlichen der Zustimmung durch das Ministerium bedarf, das dann den Rat für eine Amtszeit von 5 Jahren ernennt.

Pinkwart meint mit dem im Gesetz vorgesehenen Auswahlverfahren – bei dem die Vertreter der Hochschule allerdings in der Minderheit sind – sei (Zitat) „die demokratische Legitimation der Hochschulratsmitglieder gesichert“.

Was Pinkwart allerdings verschweigt, ist, dass der Hochschulrat in seinen Handlungen und Entscheidungen über die gesamte fünfjährige Amtszeit keiner irgendwie legitimierten Instanz rechenschaftspflichtig ist.

Die Hochschulratsmitglieder entscheiden über das Geld der Steuerzahler und über dessen Verteilung an den Hochschulen nach ihren persönlichen oder ihren gesellschaftspolitischen Interessen und Grundhaltungen.

Der Hochschulrat hat eine bisher bei körperschaftlich organisierten und selbstverwalteten Hochschulen nie gekannte weitgehende „Fachaufsicht“!

Laut § 21 HFG konzentrieren sich die wichtigsten Machtkompetenzen einer Hochschule im Hochschulrat:

  • Er stimmt u.a. dem Hochschulentwicklungsplan zu.
  • Er stimmt dem Wirtschaftsplan und dem Plan zur unternehmerischen Hochschulbetätigung zu.
  • Er nimmt zum Rechenschaftsbericht des Präsidiums Stellung.

Am Wichtigsten sind dabei die Wahl und die Entlastung der Hochschulleitung durch den Hochschulrat.

Detlef Müller-Böling, der bisherige Chef des Bertelsmann Centrums für Hochschulentwicklung (CHE), hat die Bedeutung dieser Bestimmung in dankenswerter Offenheit begründet:
Nur durch die Wahl des Präsidiums durch den Hochschulrat „erhält (Zitat) die Hochschulleitung gegenüber den hochschulinternen Gremien die Unabhängigkeit, die sie für ein effektives und effizientes Management benötigt.“

Pinkwarts Vorstellung ist: Der Hochschulrat „nimmt (Zitat) Impulse aus Wirtschaft und Gesellschaft auf und vermittelt in dieser Weise als „Transmissionsriemen“ das erforderliche Beratungswissen für die Entscheidungen der Hochschulleitungen“.(Zitat Ende)

Fragt man allerdings einmal danach, woher diese gesellschaftlichen „Impulse“ kommen, so zeigt die bisherige Praxis, dass fast überall, wo sich Hochschulräte konstituiert haben, solche „Impulse“ vor allem von Repräsentanten aus der Wirtschaft, meist der Groß- und Finanzwirtschaft kommen.
Nienhüser/Jakob von der Universität Essen kommen in einer neueren Studie (Hochschul Mamagement 3/2008 S. 67 ff.) zum Ergebnis: (Zitat) „Es sind besonders diejenigen Personen in Hochschulräten vertreten, die für die Hochschule wichtige Ressourcen kontrollieren bzw. denen man eine entsprechende Ressourcenkontrolle zuschreibt“ und denen „Managementerfahrung“ zuerkannt wird.

In einer Studie der Ruhruniversität Bochum [PDF – 484 KB] wird u.a. Fragen nach der Stellung, der Zusammensetzung, den Kompetenzen und den Arbeitsstrukturen der Hochschulräte in der reformierten Hochschullandschaft nachgegangen. Der Datensatz umfasst 161 Hochschulen.

Danach werden die Mitglieder externer Hochschulräte mit jeweils einem runden Drittel aus der Wirtschaft und der Wissenschaft rekrutiert, wobei auf Seiten der Wirtschaft die Vertreter von Großunternehmen dominieren.

Während an Universitäten die Großunternehmen eindeutig dominieren, werden insbesondere an Fachhochschulen, aber auch bei privaten und technischen Hochschulen die Vertreter kleiner und mittlerer Unternehmen mit regionalem Bezug wichtiger. Bei den Fachhochschulen, technischen Universitäten und privaten Hochschulen sind die Anteile der Wirtschaftsvertreter deutlich höher.

Was aber noch signifikanter ist: Unter den Hochschulratsvorsitzenden liegt der Anteil der Wirtschaftsvertreter bei knapp der Hälfte, nämlich 47 Prozent. So auch Niehüser/Jakob in der schon erwähnten Studie.

Kein Wunder, dass das Handelsblatt vom 12. Oktober 2007 titelte: „Manager erobern die Kontrolle an den Unis“.

Ein weiteres rundes Fünftel der externen Hochschulratsmitglieder kommt aus Politik, Verwaltung oder von anderen Interessengruppen. Nur rund ein Zehntel kommt aus sonstigen Bereichen des öffentlichen Lebens.

Vertreter aus Gewerkschaften sind im Vergleich zur Arbeitgeberseite in den neu geschaffenen Steuerungsgremien der bundesdeutschen Hochschulen mit 3% nur marginal vertreten.

Das konzeptionelle Vorbild vieler Hochschulräte in der Bundesrepublik werde – so die Studie – anhand der Terminologie des Baden-Württembergischen Hochschulgesetzes (2002) besonders deutlich: Seit 2005 heißen die Hochschulräte dort konseqenterweise „Aufsichtsräte“ – und der Hochschulpräsident bzw. der Rektor wird als „Vorstandsvorsitzender“ der Hochschule bezeichnet.

Es zeige sich – so die Studie – eine Erosion der klassischen Verbändebeteiligung. Vor allem Unternehmen oder auch Medienvertreter würden in vielen Politikfeldern als neue strategische Ressourcen für gesellschaftliche Impulse betrachtet.

Die Kompetenzen der Hochschulräte – so die Studie weiter – gingen zu Lasten der klassisch-parlamentarischen Repräsentation gesellschaftlicher Interessen durch die Landesparlamente und durch die Landesregierungen sowie (vor allem) zu Ungunsten der Selbstverwaltung der jeweiligen Hochschule.
Studierende, akademischer Mittelbau und nichtwissenschaftliche Angestellte sind nur zu jeweils zwischen 9 und 14 % (als interne Mitglieder) in Hochschulräten vertreten. An der hiesigen Uni z.B. sind diese Gruppen gar nicht vertreten.

Dieser Trend wird in der Politikwissenschaft mit den Stichworten „Personalisierung“ und „Zerfaserung“ der Staatlichkeit diskutiert: „Man könnte auch von einer „Privatisierung“ der Organisationsverantwortung sprechen“, fasst die Studie zusammen.

Ich sehe in der Funktion der Hochschulräte eine funktionelle Privatisierung der öffentlichen und überwiegend staatlich finanzierten Hochschulen.

Ich bin seit vier Jahren Mitglied in einem Hochschulrat und habe dabei eigene Erfahrungen sammeln können, die mir auch von Mitgliedern in anderen Hochschulräten bestätigt wurden:

In der Regel ist es so, dass die Hochschulräte die ohnehin per Gesetz massiv gestärkte Durchgriffsgewalt der Hochschulleitungen noch verstärken. D.h. die Präsidenten oder Vorstandsvorsitzenden können mit ihrem Hochschulrat im Rücken jeden Widerstand der Hochschulmitglieder gegen ihre Top-down-Entscheidungen brechen.

Von daher versteht sich auch die grundsätzlich positive Einstellung der Hochschulleitungen zu den Hochschulräten von selbst.

Bei Hochschulräten, die – wie die schon zitierte Studie festgestellt hat und wie es auch meiner Erfahrung entspricht – in der großen Zahl der Hochschulen im besten Fall einmal vierteljährlich zusammentreten, um dann durchschnittlich allenfalls rund vier Stunden tagen, hat das hauptamtliche Präsidium einen nicht einholbaren Informationsvorsprung und kennt die möglichen Handlungsoptionen erheblich besser als jedenfalls die externen Mitglieder des Hochschulrates.

Hinzu kommt: Laut der Studie der Uni Bochum bieten in 63% der Fälle ausschließlich die Rektorate die „Unterstützungsstrukturen“ für die Hochschulräte und nur ein Drittel verfügt über einen Apparat – der allerdings sehr klein sein dürfte. In meiner Hochschule haben wir noch nicht einmal einen Sachbearbeiter.

Im wirklichen Leben sieht das dann so aus, dass vor entscheidenden Sitzungen der Präsident versucht, den Vorsitzenden des Hochschulrats in Vorgesprächen auf seine Seite zu ziehen und der Vorschlag des Präsidenten wird anschließend im Hochschulrat „durchgewinkt“. So kann der Präsident in aller Regel jeden Widerstand der hochschulinternen Gremien aushebeln.

Die Eingangsfrage, für wen das „Hochschulfreiheitsgesetz“ mehr Freiheit bringt, lässt sich also ziemlich eindeutig beantworten:

  • Hochschulen werden statt den Gesetzen des demokratischen Gesetzgebers, den anonymen Gesetzen des Wettbewerbs unterstellt. Den angeblich objektiven Zwängen des Wettbewerbs kann und darf sich kein Mitglied der Hochschule, ob Forschender, Lehrender oder Studierender mehr entziehen.
  • Die Lehr- und Lernfreiheit wird als die Freiheit zur Durchsetzung auf dem Ausbildungs- und Wissensmarkt umdefiniert.
  • Die horizontalen Strukturen akademischer Selbstverwaltung und kooperative Hochschulleitungen werden durch eine neuartige vertikale Aufsichtsrat-Managementstruktur ersetzt. Die Hochschulen gleichen sich so auch formal dem Leitbild gewerblicher Unternehmen an.
  • Die „unternehmerische“ Hochschule wird über den beaufsichtigenden Hochschulrat, vor allem durch dessen Zusammensetzung zur maßgeblich von Vertretern der Wirtschaft gesteuerten Hochschule mit dem Auftrag zur Kooperation und zur Zusammenführung von Wissenschaft und Wirtschaft.

Fazit: Die nordrhein-westfälischen Hochschulen können ihre ihnen angeblich durch das „Hochschulfreiheitsgesetz“ zugestandene Freiheit nur durch den (freiwilligen) Verzicht auf Freiheit durch Unterwerfung unter äußere Wettbewerbszwänge wahrnehmen.


Und sollte sich eine Hochschule immer noch die Freiheit nehmen, sich den Zwängen des Hochschulfreiheitsgesetzes mit seiner wettbewerblichen Steuerung zu entziehen, hängt über ihr das Damoklesschwert der „Zielvereinbarung“.

Das sind Vereinbarungen (mit einem früher unvorstellbaren Detaillierungsgrad) zwischen der Hochschulleitung und dem Ministerium (d.h. wiederum ohne parlamentarische Einflussmöglichkeit) „für mehrere Jahre über strategische Entwicklungsziele sowie konkrete Leistungsziele“. (So § 6 Abs. 2 HFG).

Danach kann der Minister mit Geld als „goldenem Zügel“ die Hochschule „anreizen“ die gewünschten Ziele zu erreichen, d.h. (Zitat) „ein Teil des Landeszuschusses an die Hochschulen (kann) nach Maßgabe der Zielerreichung zur Verfügung gestellt werden“.

Und wenn der Geldanreiz dann immer noch nicht zum gewünschten Verhalten der Hochschule führt, dann gilt sozusagen der alte Mafiabrauch, entweder wir einigen uns oder der Minister erzwingt das von ihm vorgegebenen Verhalten:

In § 6 Abs. 3 HFG heißt es: „Wenn und soweit eine Ziel- und Leistungsvereinbarung nicht zustande kommt, kann das Ministerium nach Anhörung der Hochschule und im Benehmen mit dem Hochschulrat Zielvorgaben zu den von der Hochschule zu erbringenden Leistungen festlegen.“

Das erinnert mich an den Ausspruch des legendären Mafia-Chefs Al Capone: „Mit einem freundlichen Wort und einer Pistole in der Hand erreicht man mehr als mit einem freundlichen Wort allein.“

Fazit: Die nordrhein-westfälischen Hochschulen können ihre ihnen angeblich durch das „Hochschulfreiheitsgesetz“ zugestandene Freiheit

  • entweder durch den (freiwilligen) Verzicht auf Freiheit durch Unterwerfung unter die Wettbewerbszwänge wahrnehmen
  • oder sie werden vom Minister zum Verzicht auf Freiheit gezwungen.

II.

Im zweiten Teil meines Referates möchte ich skizzenhaft herauszuarbeiten versuchen, wie es zu diesem Paradigmenwechsel von der öffentlich verantworteten und der ganzen Gesellschaft verantwortlichen, in Fragen der Forschung und Lehre jedoch sich selbst verwaltenden Hochschule zur „unternehmerischen Hochschule gekommen ist:

Unsere Hochschulen waren im ausgehenden zwanzigsten Jahrhundert wahrlich nicht im besten Zustand. Es gab erheblichen Reformbedarf.
Dazu könnte ich Ihnen als damaliger Staatssekretär ein langes Klagelied vorsingen.

Ganz so schlecht konnten die staatlichen Hochschulen aber nicht sein, wenn die „als Stachel im Fleisch“ gegründeten privaten Hochschulen in Deutschland, jedenfalls in der Breite nie zu einer echten Konkurrenz aufsteigen konnten. Da gab es offenbar keine „Marktlücke“, dazu war das Studienangebot der Universitäten und Fachhochschulen einfach zu gut.

Trotz der Überfüllung der Hochschulen führte ein Studienabschluss jedenfalls in aller Regel zur Befähigung zur selbständigen Bearbeitung von neuen Problemen mit wissenschaftlichen Methoden.

Wenigstens dem Anspruch nach galt das alte Prinzip „Bildung durch Wissenschaft“.

Wie konnte es geschehen, dass der aufklärerische Kern des universitären Anspruchs durch ökonomische oder – wie ich noch zeigen werde – durch pseudoökonomische Wahrheits- oder Geltungsansprüche ersetzt werden konnte?
Wie kam es zum Paradigmenwechsel weg vom humboldtschen Bildungsideal hin zum hayekschen Glauben an die Überlegenheit der Markt- und Wettbewerbssteuerung?
Wie kam es also zum „größten Umbruch“ seit den preußischen Hochschulreformen?

Dieser Paradigmenwechsel kam nicht über Nacht, sondern ihm ging ein Wandel des gesellschaftspolitischen Leitbildes über mehr als ein viertel Jahrhundert voraus.

Ausgehend von den USA – stark beeinflusst von der sog. Chicagoer Schule um Milton Friedman – ging der Ruf nach der „Befreiung“ der Märkte rund um den Globus. Vom Washingtoner Konsens, über die Welthandelsorganisation IWF, der Weltbank setzte sich in Abgrenzung zum seit der Weltwirtschaftskrise vorherrschenden Keynesianismus, der dem Staat eine aktive Rolle im wirtschaftspolitischen Geschen zuschrieb,
ein neues liberales Denken durch, das mit Schlagworten Privatisierung, Deregulierung, Wettbewerb und drastischen Einschränkungen bei den Staatsausgaben und damit Zurückdrängung des Staates zusammengefasst werden kann.

In der praktischen Politik standen dafür die Begriffe Reaganomics bzw. in England der sog. Thatcherismus. In Deutschland könnte man die Wende mit dem Scheidebrief an die sozial-liberale Koalition, dem sog. Lambsdorff-Papier im Jahre 1982 festmachen.

Der Kampfparole der Reagonomics „starve the beast“ folgend kam es auch in Deutschland nach Kohls „geistig moralischer Wende“ zu einer gezielten Verarmung des Staates.

Der damit notwendig einhergehenden Verschlechterung der öffentlichen Leistungen auf vielen gesellschaftlichen Feldern folgten Kampagnen der Miesmache des staatlichen Angebots verbunden mit dem Versprechen der Markt und der Wettbewerb könnten alles besser als der Staat.

So wurde etwa auf dem Feld der Hochschulpolitik die Phase des Hochschulausbaus durch eine Sparpolitik gestoppt. Bund und Länder fassten damals den sog. „Öffnungsbeschluss“.
Die Hochschulen sollten etwa ein Jahrzehnt lang eine „Überlast“ an Studierenden bei etwa gleich bleibendem Budget und stagnierendem Lehrpersonal akzeptieren.

Diese sog. „Untertunnelungsstrategie“ gehörte zu den größten Lebenslügen in der Hochschulpolitik der Nachkriegszeit.

Sie können die Fakten in den jüngsten Empfehlungen des Wissenschaftsrats zur Qualitätsverbesserung von Lehre und Studium oder auch im Bildungsbericht 2008 von KMK und BMBF nachlesen:

Über die ganze Spanne von 1972 bis 2005 betrachtet (Basisjahr 1972) ist die Studierendenzahl um fast das 3-fache, die Professorenzahl dagegen nur um das 1,8-fache angestiegen.

Die Betreuungsrelationen haben sich dementsprechend an beiden Hochschultypen über die Zeit hinweg dramtisch verschlechtert:

Kamen 1972/73 40 Studierende an den Universitäten und weit unter 20 Studierende an den FHS auf einen hauptberuflichen Professor, so waren es 2005/2006 über 60 an den Unis und knapp 40 an den FHS. In den Wirtschaftswissenschaften sind es derzeit 93 Studierende, in den Sozialwissenschaften gar 104 Studierenden pro hauptberuflichem Professor.
Die Betreuungsrelationen lagen jedenfalls weit unter dem internationalen Standard.

Die Länder haben angesichts einer oftmals schwierigen Haushaltslage zu verschiedenen Zeitpunkten mit einer Erhöhung des regelmäßigen Lehrdeputats der Professoren reagiert. Lag dieses im Jahr 1970 an den Universitäten noch bei 6 SWS, liegt es heute bei 8, in Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Nordrhein-Westfalen und Thüringen bei 9 SWS.

Diese Sparpolitik dauert bis heute an:
Laut dem „Bildungsbericht 2008“ ging der Anteil der Bildungsausgaben am BIP ging von 6,9% im Jahr 1995 auf 6,3% im Jahr 2005 und auf 6,2% im Jahr 2006 zurück.

Insofern wäre es ein erfreuliches Signal, dass auf dem Bildungsgipfel in Dresden diese Woche eine Anhebung der Bildungsausgaben bis 2015 auf 10% des BIP zum Ziel erklärt wurde. Leider gab es keinerlei Beschlüsse wie viel der Bund, die Länder, die Kommunen und nicht zu vergessen wie viel die Wirtschaft beitragen sollen und wollen. Der Bund hat jedenfalls keinerlei konkrete Zusagen gemacht.

Die Phrase von der „Priorität für Bildung“ hören wir nun seit Jahren auf jeder Sonntagsrede, da das Gegenteil geschehen ist, fehlt allmählich der Glaube.

10% gegenüber dem Ist von 6,2% des BIP das wären zwischen 25 bis 50 Milliarden Euro mehr. Allerdings erst in 7 Jahren.
Das hört sich zwar gut an, ein Zahlenvergleich aus dem Bildungsbericht lässt aber ernüchtern:

Wären etwa im Jahr 2005 nur wie 1995 6,9% des BIP für Bildung aufgewendet worden, hätten dem Bildungsbereich zufolge rund 13 Milliarden Euro mehr zur Verfügung gestanden.

Auf ein Vielfaches dieses Betrages hat man zwischenzeitlich durch die Senkungen von Unternehmensteuern verzichtet – allein in diesem Jahr auf 5 Milliarden. Von der Kreditgarantie für Hypo Real Estate in Höhe von 26,5 Milliarden und von dem Rettungspakt zur Stabilisierung des Finanzsystems in Höhe von fast 500 Milliarden Euro wollen wir gar nicht erst reden.

Wenn man das Rettungspaket für die Banken mit den Ergebnissen des Bildungsgipfels vergleicht, ist man geneigt, den alten Slogan etwa so abzuwandeln: Bei den Banken sind sie fix, für die Bildung tun sie nix!

Der herrschenden angebotsorientierten ökonomischen Lehre entsprechend, wird vor allem die Investitionsseite gefördert, obwohl inzwischen kaum mehr bestreitbar ist, dass Humanressourcen in hoch entwickelten Volkswirtschaften für die Wirtschaftsdynamik wichtiger sind als das Sachkapital.

An den real existierenden, jedoch politisch herbeigeführten Problemen der Hochschulen setzten die Reformer an und verkauften ihre Reformangebote als alternativlose Wege aus der Misere.

Nicht mehr aus den Hochschulen heraus oder wenigstens mit den Hochschulen zusammen wurden die Reformvorstellungen entwickelt, sie wurden von außen an sie herangetragen.

Zermürbt von Überlast, systematischer Unterfinanzierung und einer allgemeinen Professorenschelte hatten die Hochschulen der feindlichen Übernahme durch die „Reformer“ nichts mehr entgegenzusetzen. Wie beim Abbau des Sozialstaats wird das bewusst und vorsätzlich zerstörte staatliche Hochschulsystem zum Sündenbock erklärt.

Der wirkungsmächtigste Motor für die Hochschulreformgesetze war die Bertelsmann Stiftung und das 1994 gegründete überwiegend von Bertelsmann finanzierte Centrum für Hochschulentwicklung (CHE).

Das lässt sich gerade beim nordrhein-westfälischen „Hochschulfreiheitsgesetz“ besonders gut belegen.
Dieses Gesetz wurde am Schreibtisch des CHE entworfen und bis zu seiner Umsetzung in die Hochschulen hinein begleitet. Sie können das selbst von den „Zehn CHE-Anforderungen an ein Hochschulfreiheitsgesetz für Nordrhein-Westfalen“ vom 15. Dezember 2005 über die „Eckpunkte des geplanten Hochschulfreiheitsgesetzes“ von Innovationsminister Pinkwart vom 25. Januar 2006, bis hin zur Beauftragung des CHE durch das Ministerium, die Hochschulen bei der Umsetzung des Gesetzes zu begleiten, durch die entsprechenden Dokumente im Internet selbst überprüfen. Ich habe das auf meiner Netzzeitung, den NachDenkSeiten.de mehrfach dargestellt.

Hochschulpolitik ist der „Schlüssel zur Gesellschaftsreform“, das erkannte der Bertelsmann-Patriarch Reinhard Mohn schon Ende der 70er Jahre. Die 1977 gegründete Bertelsmann Stiftung sollte deshalb vor allem auch helfen, die „verkrusteten Strukturen“ auch an den Hochschulen aufzubrechen.

Die Mission der Stiftung gründet auf der Bertelsmannschen „Überzeugung, (Zitat) dass Wettbewerb“ und „die Prinzipien unternehmerischen Handelns zum Aufbau einer zukunftsfähigen Gesellschaft“ die wichtigsten Merkmale sind. Und immer ging es bei Bertelsmann auch um ein Zurückdrängen des Staates, eine Verringerung der Staatsquote und um die Senkung der Steuerlast.

Mohn gab sein ursprüngliches Engagement, die Private Universität Witten-Herdecke als „Stachel ins Fleisch“ der staatlichen Hochschulen zu setzen, auf.

Der Strategiewechsel folgte wohl der Einsicht, dass es viel effizienter ist, die weitgehend staatlich finanzierten Hochschulen wie private Unternehmen zu organisieren und in den Wettbewerb zu schicken und über die Konkurrenz um ergänzende Drittmittel für die Forschung und über die Einwerbung von Studiengebühren die Lehre steuern zu lassen. 1994 gründete die Bertelsmann Stiftung das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE).

Klugerweise nahm das CHE die damals ohne jeden Apparat und ohne großen institutionellen Einfluss auf die Hochschulpolitik agierende, aber um so standesbewusstere Hochschulrektorenkonferenz (HRK) mit ins Boot und so veröffentlichten das CHE und die HRK ihre hochschulrefomerischen Lösungskonzepte unter einem gemeinsamen Kopfbogen und so verschaffte sich Bertelsmann ein einigermaßen unverdächtiges Entree in die Hochschulen vor allem über die Hochschulleitungen.

Natürlich steht das CHE nicht allein. Wie der Privatisierungsreport 6 der GEW darstellt, gehören dazu etwa auch er Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft e.V., der Aktionsrat Bildung der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e.V. (vbw), München, das Institut der deutschen Wirtschaft Köln e.V.(IW), Köln, die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft GmbH, Köln (INSM) oder die McKinsey & Company Inc., Düsseldorf und viele andere mehr.

Und natürlich ist es nach wie vor richtig, dass Bertelsmann die Gesetze nicht selber verabschiedet, sondern dass diese meist von der Exekutive eingebracht und vom Parlament verabschiedet werden. Aber über die personellen Netzwerke und seine Medienmacht wird der Bertelsmannsche „Reformmotor“ zur eigenständigen politischen Antriebskraft, der auch außerhalb der Parlamente eine Art Eliten-Konsens schafft – und dabei nebenbei auch noch ein positives Image für den Bertelsmann-Konzern schafft.

Unter dem Zwang der leeren öffentlichen Kassen und unter dem beschönigenden Etikett eines „zivilgesellschaftlichen Engagements“ greift der Staat die „gemeinnützigen“ Dienstleistungen privater Think-Tanks nur allzu gerne auf. Ja noch mehr, er zog sich aus seiner Verantwortung immer mehr zurück. und überlässt wichtige gesellschaftliche Bereiche wie etwa die Bildung oder die Hochschule gleich ganz den Selbsthilfekräften bürgerschaftlichen Engagements.

Aus dieser Staats- und Gesellschaftsvorstellung speist sich die Idee von der „selbständigen Schule“ oder der „Entlassung“ der Hochschule aus der staatlichen Verantwortung, wie das etwa mit dem „Hochschulfreiheitsgesetz“ in Nordrhein-Westfalen geschehen ist.

So hat sich inzwischen in unserem Lande eine private institutionelle Macht des Reichtums herausgebildet, die – wie bei Bertelsmann streng hierarchisch organisiert – ihren Einfluss über das gesamte politische System ausdehnt und die demokratisch legitimierte Machtverteilung zwischen Parteien, Parlamenten und Exekutive unterwandert und dazuhin gleichzeitig mit ihrer Medienmacht die öffentliche Meinung prägt.

Demokratisch legitimierte Verantwortung über wichtige gesellschaftliche Bereiche wird so mehr und mehr durch private Wirtschaftsmacht zurückgedrängt, ja sogar schon ersetzt.

Dieser schleichende Systemwechsel vom demokratischen Wohlfahrtsstaat zu einer Art Timokratie, also der Herrschaft des Geldes, wird mit dem Pathos von „mehr Freiheit“ vorangetrieben.

III.

Erlauben Sie mir zum Schluss einige Hinweise darauf, dass Markt und Wettbewerb als Steuerungsinstrumente keineswegs zu Effizienz und optimalen Ergebnissen führen müssen, zumal bei einem nicht unmittelbar marktgängigen „Produkt“ wie der Bildung und der Wissenschaft.

In der internationalen ökonomischen Theorie, war das nach dem Scheitern der Reagonomics schon längst ein Thema. Paul Krugman, einer der Kritiker des Fetischs der „invisible hand“, hat für seine Aufdeckung von Marktunvollkommenheiten jüngst noch den Nobelpreis erhalten.

In Deutschland wurden die Verheißung über die Weisheit der Märkte und die Überflüssigkeit des Staates zur absolut herrschenden Lehre und zum politischen Leitbild, das sämtliche Reformen der letzten Jahre prägte: Immer lautete die Botschaft Wettbewerb, Deregulierung, Privatisierung, Beschneidung der Arbeitnehmerrechte, der Mitbestimmung und der Selbstverwaltungsrechte und weniger Staat.

Der Wettbewerb wurde zur Lebensform, schrieb Susanne Gaschke vor wenigen Tagen in der ZEIT:
„Effizienz. Rendite. Ökonomisierung aller Lebensbereiche. Wer anders dachte, geriet schnell in die Defensive.“

Die Finanzmarktkrise sollte allen die Augen geöffnet haben, dass Wettbewerb und freier Markt keineswegs Garanten für Effizienz und optimale Ergebnisse sind, sondern dass Deregulierung und Entstaatlichung auch geradewegs in die Katastrophe führen können.

Professor Albrecht hat einige der Konsequenzen für die Freiheit der Wissenschaft unter den Bedingungen des Markt-Wettbewerbs aus der Sicht des Wissenschaftlers dargestellt.

Ich möchte solche Konsequenzen der Kürze halber nur an zwei Beispielen auf der politischen Eben skizzieren.

1. Vor drei Tagen fand der sog. Bildungsgipfel statt. Neben dem wichtigen Thema einer erhöhten „gemeinsamen Bildungsfinanzierung“ standen „gemeinsame Leitlinien“ von Bund und Ländern im Bereich der Bildung an erster Stelle der Agenda. Also etwa die Forderung nach nationalen Bildungsstandards, nach vergleichbaren Zugangsregeln zu den Hochschulen, nach einem bundesweiten Stipendiensystem, nach der Fortentwicklung des nationalen Hochschulpakts.
Kurz: Es hat sich offenbar ein dringender Bedarf nach Gemeinsamkeit und länderübergreifenden staatlichen Rahmensetzungen herausgestellt.

Sie erinnern sich sicherlich noch gut daran: Erst vor drei Jahren, Ende 2005, wurde die „Mutter aller Reformen“, die Föderalismusreform, verabschiedet. Ein wichtiger Bestandteil dieser Reform, war, dass die Rahmengesetzgebungs-Kompetenz des Bundes im Hochschulwesen noch weiter aufgeweicht und zugunsten der Länderzuständigkeit weitgehend abgeschafft wurde. Es war der Systemwechsel vom kooperativen Föderalismus zum Wettbewerbsföderalismus.

Als Begründung für die Vermehrung der Länderzuständigkeiten hört man landauf landab, dass die größere Autonomie mehr Deregulierung und mehr Wettbewerb zwischen den Ländern ermögliche und dass dies unser Land – endlich – voranbrächte.

Schon drei Jahre später muss man aber nun erkennen, dass der Wettbewerb zu Partikularismus, z.B. zu einem Verlust der Vergleichbarkeit der Abschlüsse, zu einem Chaos bei den Zugangsbedingungen führte und dass nationale Standards und Rahmensetzungen unumgänglich sind.

Übrigens: In dieses Vakuum fehlender nationalen Kompetenzen konnte das Centrum für Hochschulentwicklung hineinstoßen und sich quasi als informelles Bundesbildungsministerium etablieren.

2. Ein zweites Beispiel:

Sie erinnern sich sicherlich auch noch gut an die betriebswirtschaftliche Phraseologie zur Begründung für die Einführung von Studiengebühren. Sie lauteten etwa so:

  • Angesichts der überforderten öffentlichen Kassen bedürfe es eines höheren privaten Anteils an der Finanzierung des Studiums
  • Durch Studiengebühren entstehe ein „nachfrage- und preisorientierter Steuerungseffekt“ auf die Hochschulen. Der zahlende „Kunde“ Student werde durch seine pekuniäre Nachfragemacht „König“.
  • Studiengebühren schafften mehr Wettbewerb unter den Hochschulen um die Gebühreneinnahmen und verbesserten dadurch die Qualität des Studienangebots.
  • Die höhere Kostenbeteiligung der Studierenden führe zu „effizienterem Studierverhalten und damit zu kürzeren Studienzeiten“.

Alle diese Argumente entstammen nicht wissenschafts- oder bildungstheoretischen Überlegungen, sie sind dazu auch noch in ihrer vorgeschobenen ökonomischen Begründung falsch.
Was noch schlimmer ist, sie führen Hochschulen und Studierende in eine für die Gesellschaft und die Betroffenen schädliche Richtung.

  • Dass die öffentlichen Kassen so klamm wurden, vor allem auch dem „Steuersenkungswahn“ geschuldet sind, wurde (auch an den Hochschulen) geradezu einem Denkverbot unterlegt.
  • Dass es unter den Bedingungen eines knappen Angebots und eines Nachfrageüberhangs nach Studienplätzen (der sich im immer schärfer werdenden „numerus clausus“ ausdrückt) nach den ökonomischen Gesetzen erst einmal zu einem höheren Preis kommen würde und noch lange nicht zu einem Qualitätswettbewerb, lernt man als Betriebswirt schon im ersten Semester.
  • Studiengebühren verzerren eher den Wettbewerb zwischen den Hochschulen noch stärker zugunsten großer Hochschulen in Ballungsräumen und zugunsten von solchen Hochschulen, die auf Grund der Attraktivität der Hochschulstädte einen Standortvorteil haben. Wie sollten kleinere Hochschulen mit viel weniger Studierenden und damit erheblich geringeren Studiengebühreneinnahmen wie etwa Siegen oder Greifswald mit den großen Unis in Köln, Berlin oder München mithalten können.

Wie wenig die Anhänger eines „nachfrageorientierten Steuerungseffekts“ ihrer Glaubenslehre wirklich trauten, zeigt sich am deutlichsten darin, dass die allermeisten Studiengebührenbefürworter die Forderung nach einer Studiengebühr mit einem Auswahlrecht der Hochschule verknüpfen. Die Grundvoraussetzung einer Nachfragesteuerung, nämlich der freie Marktzugang des Kunden, wurde also gleich wieder außer Kraft gesetzt.
Nicht der „Nachfrager“ Student, sondern der „Anbieter“ Hochschule sucht sich seine ihm passenden Kunden aus.

Dass es sich um pseudoökonomische Begründungen handelte, beweist aber allein schon die Tatsache, dass die elementare Regel, wonach ein höherer Preis die Nachfrage senkt, ausgeklammert wurde.

Ein Ergebnis dieses Pseudoökonomismus haben wir auch gerade in dieser Woche auf den Tisch bekommen: Nach einer von Bundesbildungsministerium immer noch geheim gehaltenen Studie des Hochschulinformationssystems (HIS) haben im Abiturientenjahrgang 2006 rund 18.000 Studienberechtigte wegen der Gebühr kein Studium begonnen, das waren vor allem junge Frauen und Jugendliche aus den sog. bildungsfernen Schichten.

Selbst, wenn man – wie offenbar die Bundesbildungsministerin – dieser Studie keinen Glauben schenkt, so stellt sich die Frage:

Wie will man bis zu 40 % eines Altersjahrgangs in ein Studium locken, wenn man gleichzeitig zusätzliche Barrieren aufbaut? Wie kann man von mehr Chancengerechtigkeit oder von Sozialverträglichkeit fabulieren, wenn man nichts gegen den sozial, bildungs- und wirtschaftspolitisch unerträglichen“ Skandal unternimmt, dass fast 90 von Hundert Studierenden aus Elternhäusern mit mittlerem und höheren kommen?

Ich könnte Ihnen noch stundenlang an Beispielen belegen, dass Markt und Wettbewerb als Steuerungsinstrument für die Hochschulen, für die Lehre und die Forschung zu Fehlsteuerungen, wenn nicht gar ins Chaos führen. Leider habe ich das mir zugestandene Zeitbudget jetzt schon überschritten.

Ich komme zu meinem Fazit:

Bildung als „Ware“ führt nicht zu „wahrer Bildung“. Die Wettbewerbs- und Marktparadigmen zur Steuerung der Hochschule sind ein Irrweg.

Zum Glück wächst der Widerstand allmählich. So schrieb etwa selbst die FAZ am Mittwoch: „Wann endlich wird die Phrase von der „internationalen Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Hochschulsystems“, die stets herhalten muss, um sinnwidrige Belastungen eines durchaus funktionierenden Systems zu begründen, an dem gemessen, was das deutsche Hochschulsystem ja bereits ist: nämlich international wettbewerbsfähig.“

Mein Fazit:

Bildungspolitik tut Not.
Die Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden ist aufgefordert,
wieder eigenständig und orientiert an bildungs- und wissenschaftspolitischen Prinzipien nach alternativen Wegen für eine Re-Reform der Hochschulen zu suchen.

Es wäre gut, wenn dieser Kongress hierzu neue Anstöße geben könnte.

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