Professor (Un-)Sinn: Manager als die neuen Juden – wenn Ideologie blind macht
“Auch in der Weltwirtschaftskrise von 1929 wollte niemand an einen anonymen Systemfehler glauben. Damals hat es in Deutschland die Juden getroffen, heute sind es die Manager.”
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Hans-Werner Sinn zitierend am 26. Oktober 2008.
Anmerkungen von Roberto De Lapuente
Zum Gesagten sei angemerkt: Freilich zieht man nun einen ganzen Berufsstand in den Dreck, macht ihn für Auswüchse verantwortlich, an denen eben dieser Berufsstand mitgewirkt hat. Man darf sich aber nicht davon blenden lassen, dass auch Unternehmer und über allem die Politik ihren großen Teil dazu beitrugen – soweit könnte man Sinn noch folgen. Aber ihm geht es ja gerade nicht darum, die Bankergilde ihrer Alleinverantwortung zu entheben, um gleichzeitig auch andere Schuldige heranzuziehen – für ihn ist ein Abstraktum schuld und die Manager sind die bemitleidenswerten Opfer. Und um ihrem derzeitigem Status auch gerecht zu werden, kann man diese nurmehr mit den verfolgten und ermordeten Juden des Dritten Reiches gleichsetzen – nur dieser geschichtliche Vergleich macht laut Sinn das “Leid” der heutigen Banker fassbar.
Als seinerzeit aus verschiedenen Richtungen die Anklage laut wurde, dass das Hartz-Konzept aus den Arbeitslosen Verfolgte und offensichtlich Missliebige mache, dass man damit die betroffenen Menschen in eine Position hineindränge, die man durchaus mit der Position der Juden aus antisemitischeren Tagen dieses Landes gleichsetzen könne, da erhoben die inoffiziellen Institutionen der politischen Korrektheit sofort ihre mächtige Stimme. So etwas dürfe man nicht verkünden, so ein Vergleich sei unhaltbar, beleidigend, würde die eigene, aktuelle Position der Arbeitslosen in dieser Gesellschaft nur grob verfälschen, würde sie zu Opfern machen, die sie offensichtlich, in einer kultivierten Zeit wie der unseren, nicht sind – gar nicht sein können, denn wir leben ja in einem Sozialstaat! Darüber hinaus rieche dies nach Volksverhetzung! Da liefen alle Berufsbetroffenen der verschiedenen Parteien auf und meinten, dass es eine krasse Form der Geschichtsklitterung sei, verfolgte Juden mit verfolgungsbetreuten Erwerbslosen in einen Topf zu werfen. Und wir erinnern uns: Selbst eine Bezeichnung wie “Montagsdemonstrationen”, die von Gegnern des Hartz-Konzeptes nach ostdeutschen Beispiel so benannt wurden, sollten laut Aussage besonders korrekter Politiker, diesen Namen aus Respekt vor der “friedlichen Revolution” nicht mehr tragen dürfen.
Sind beide Vergleiche haltbar? Dies scheint schwer zu beantworten, denn Geschichte wiederholt sich nicht – und wenn es doch danach aussieht, dann wiederholt sie sich als Farce, sagt man, sagte Marx (in “Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte”). Aber man darf Geschichte heranziehen, darf in ihr Ähnlichkeiten mit der Gegenwart suchen und finden, sich an ihr bereichern oder an ihr – allzu oft leider – verzweifeln. Jedenfalls ist der Vergleich mit den Erwerbslosen eher zutreffend, als jener Sinn’sche Vergleich, der die Manager zu verfolgten Opfern macht. Bei den Erwerbslosen handelt es sich um eine beinahe rechtlose Bevölkerungsgruppe, die öffentlich diffamiert und verächtlich gemacht wird, während die Bankerschaft noch nicht einmal mit ihrem Privatvermögen für ihre Gier herangezogen wird, stattdessen ein Milliardenpaket gewährt bekommt, dieses fast ohne staatliche Auflagen. Die Banker fielen nun vom hohen Ross – nicht mal das ist gewiss -, während die Erwerbslosen schon vorher im Dreck lagen. So besehen ist das mediale Verbalflatulieren des Sinn eine unerträgliche Verdummung und Zurechtstutzung, eine Form des Mundtotmachens derer, die die Ackermänner kritisieren, ja sogar bestraft sehen wollen.
Man darf gespannt sein, wann die Saubermänner und -frauen, die Verfechter politischer Korrektheit auflaufen, um die Ausführungen Sinns als Frechheit und Beleidigung an den Opfern des Holocausts zu entlarven. Ob sie aber überhaupt auflaufen werden?
Geschrieben von Roberto J. De Lapuente: ad sinistram – ein oppositioneller Blog
Siehe auch die Originalquelle des Sinn-Zitats: Tagesspiegel