Einreiseverbote und schwarze Listen – nehmt der Ukraine den European Song Contest bitte weg
Der European Song Contest ESC, hierzulande besser als „Grand Prix“ bekannt, ist nach Eigencharakterisierung eine Veranstaltung, die der Toleranz und der Völkerverständigung in Europa dienen soll. Lieder, die eine Brücke sein sollen … leider passen Anspruch und Wirklichkeit jedoch nicht immer zusammen. In diesem Jahr soll der Vorjahressieger Ukraine den ESC austragen. Anstatt Brücken zu bauen, will die Ukraine jedoch Zäune errichten; Zäune, mit denen man russischen Musikern die Einreise verweigern will, die zum Thema Annexion der Krim eine andere Meinung vertreten als die Kiewer Regierung. Und dabei sollte der ESC doch „unpolitisch“ sein. Es ist an der Zeit, dass der für Deutschland federführende ESC-Sender NDR seinen Einfluss geltend macht, um die ukrainische Regierung ultimativ aufzufordern, den Geist des ESC nicht zu verhöhnen. Sollte die Ukraine dies nicht befolgen, wäre es wohl besser, ihr die Austragungsrechte für den ESC 2017 wieder wegzunehmen. Von Jens Berger.
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Machen wir doch mal ein Gedankenspiel: Was würden wohl deutsche Journalisten sagen, wenn die Türkei als Gastgeber des ESC deutsche Interpreten nicht einreisen lassen würde, weil die sich öffentlich nicht von der Armenien-Resolution des deutschen Bundestages distanziert haben? Ein Aufschrei wäre die sichere Folge. Kaum denkbar auch, dass der NDR, der als deutscher Sender in der für den ESC verantwortlichen Europäischen Rundfunkunion EBU vertreten ist, seine (Finanz)Macht nicht einsetzen würde, um die Türken umzustimmen. Sollte dies in unserem Gedankenspiel nicht funktionieren, würden NDR und ARD mit Sicherheit mit großem Tamtam aus der Übertragung des ESC aussteigen und hätten dabei die moralische Rückendeckung der vereinten Medienfront.
Dies ist freilich nur ein Gedankenspiel. Real passiert jedoch momentan ein sehr vergleichbares Szenario. Wie die NDR-ESC-Ikone Jan Feddersen vor wenigen Tagen auf seinem Blog bestätigte, gibt es seitens der ukrainischen Regierung eine offizielle „schwarze Liste“ gegen russische Künstler, die „[öffentlich] die Annexion der zur Ukraine gehörenden Halbinsel Krim durch Russland zustimmten oder gar sie bejubelten“. Der ukrainische Kulturminister Jewhen Nyschtschuk präzisierte, es gäbe „keine Kompromisse“, da es seiner Meinung nach eine „absichtsvolle Provokation“ sei, wenn Russland „solch einen Künstler aussucht“. Nyschtschuk hat mit schwarzen Listen durchaus Erfahrung. Eine seiner ersten Handlungen im Amt des Kulturministers war es, ein Gremium ins Leben zu rufen, um russische Film- und Fernsehproduktionen, die der ukrainischen Sichtweise zuwider verlaufen, auf schwarze Listen zu setzen und sie damit de facto zu verbieten. Noch weiter als Nyschtschuk geht der zu diesem Thema befragte Chefberater des ukrainischen Innenministeriums Anton Geraschenko. Ginge es nach ihm sollten ausschließlich „russische Künstler“ beim ESC starten dürfen, die „die Annexion der Krim als Verbrechen verstehen“.
Wenn die Ukraine mit derlei „gedankenpolizeilichen“ Einreisebedingungen durchkommt, wird Europa im Mai 2017 in Kiew eine perfekt durchorchestrierte PR-Show zu sehen bekommen, die mit dem Geist des ESC nur sehr wenig zu tun hat. Entgegen der offiziellen Regeln, die politische Stellungnahmen in den Liedbeiträgen des ESC untersagen, ließ die Ukraine im letzten Jahr die Sängerin „Jamala“ mit einem Lied über die Vertreibung der Krimtataren 1944 durch Stalin an den Start gehen, das vor allem aufgrund des politischen Votums der westeuropäischen Jurys sogar knapp den Sieg holte. Mit ihrem Siegersong wird Jamala den nächsten ESC eröffnen. Wenn sie nicht auf großer ESC-Bühne unterwegs ist, trällert Jamala ihr „1944“ übrigens mit Vorliebe auf ukrainischen Neonazi-Festivals wie dem „Banderstadt“ in Luzk, das dem Nazi-Kollaborateur und Kriegsverbrecher Stephan Bandera gewidmet ist.
Singende Nazi-Sympathisanten, Einreiseverbote und schwarze Listen für Künstler, die in politischen Fragen anderer Meinung sind als das Gastgeberland? Würde es sich bei den Opfern nicht um Russen und bei den Tätern nicht um „unsere Freunde“ aus der Ukraine handeln, wäre das Vorspiel zum nächsten ESC mit Sicherheit bereits ein Politikum und der ach so tolerante NDR würde sich bereits in aller Deutlichkeit von derlei Vorfällen distanzieren. Wenn man die ganzen schönen Geschichten mit den Liedern, die Brücken bauen sollen, jedoch mal für einen Moment ernst nimmt, muss der NDR jetzt handeln und der Ukraine ein klares Ultimatum präsentieren: Entweder Ihr nehmt den Geist und Charakter des ESC ernst und zieht Eure schwarzen Listen zurück oder wir werden unsere nicht eben geringe wirtschaftliche Macht dafür einsetzen, Euch den ESC wegzunehmen und in einem Land austragen zu lassen, das sich mit dem Geist des ESC in Theorie und Praxis einverstanden erklärt. Reykjavik soll im Mai ja auch ganz schön sein.