Ein Land, das es nicht mehr gibt
In ihrem neuen Buch „Syrien zwischen Licht und Schatten“ zeichnet die Nahostjournalistin Karin Leukefeld jenes Bild vom Bürgerkriegsland, das den meisten Menschen im Westen weithin unbekannt ist. Dies hat vor allem mit der Tatsache zu tun, dass die Autorin äußerst interessante und sehr verschiedene Personen, die die Umbrüche im Land seit jeher miterlebt haben, zu Wort kommen lässt. Von Emran Feroz.
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Der Krieg in Syrien scheint kein Ende zu nehmen. Nach den Hunderttausenden von Toten, den unzähligen Verletzten und Geflüchteten hat man jenes Syrien, welches es vor all der Zerstörung gab, schon längst vergessen. Dabei ist es nicht nur aus politischen und historischen Gründen wichtig, genau dieses Syrien zu kennen, sondern auch aus menschlichen. Als langjährige Nahostjournalistin ist Karin Leukefeld mit den zahlreichen Facetten Syriens vertraut. In ihrem neuesten Buch werden diese Facetten hauptsächlich von vielen verschiedenen Syrern verkörpert.
Viele dieser Menschen – teils wandelnde Geschichtsbücher, die sowohl den Osmanen als auch den Briten und Franzosen ausgeliefert waren – vermissen vor allem jenes Syrien, das es nicht mehr gibt. Ein Land, in dem Christen, Muslime und andere Konfessionen friedfertig miteinander lebten und trotz eines repressiven Machtapparats gewisse Freiheiten genießen konnten.
Leukefeld behandelt in diesem Kontext nicht nur die gegenwärtige Situation, sondern auch historische Ereignisse aus dem 20. Jahrhundert. Ohne diese Fakten lässt sich Gegenwärtiges nämlich kaum verstehen. Die politische Situation in Syrien lässt sich nicht erklären, ohne die desaströse Rolle der Briten und der Franzosen – Stichwort: Sykes-Picot-Abkommen – in Betracht zu ziehen. Selbiges gilt auch für die einstige Herrschaft des Osmanischen Reiches in der Region. Die Skepsis, die viele Syrer heute der Türkei gegenüber aufbringen, hat hiermit nämlich einen direkten Zusammenhang.
Eine weiterer Akteur, der oftmals in der Hintergrund gerät, ist Israel. Umso weniger verwunderlich ist es, dass die weiterhin bestehende Besatzung der syrischen Golanhöhen seitens der israelischen Armee totalem Desinteresse ausgesetzt ist. Leukefeld widmet sich der Thematik ausführlich, indem sie klar und faktenreich deutlich macht, was für ein Unrecht damals geschehen ist und was für eine Narbe es im Bewusstsein vieler Syrer darstellt.
Im Laufe der Lektüre gewinnt man stellenweise jedoch auch den Eindruck, dass die Autorin dem arabischen Nationalismus ein Stück zu sehr huldigt. Dabei war jener Panarabismus, der unter Gamal Abdel Nasser seinen Höhepunkt erlebte, ein Teil des Problems. Durch die autoritäre Politik der arabischen Führer, die keine Kritik um sich dulden konnten, wurde großteils erst jener unheilbringende, religiöse Extremismus gesät.
Denn obwohl dieser Extremismus weiterhin wütet, muss auch Folgendes klargestellt werden: Weder der sogenannte „Islamische Staat“ (IS) noch irgendeine andere extremistische Gruppierung hat mittlerweile mehr Syrer getötet als der Machtapparat Bashar al Assads. Es ist richtig, dass Assad anfangs nur ein repräsentativer Teil jenes Systems gewesen ist, was sein Vater, Hafiz al Assad, jahrzehntelang aufgebaut hat. Mittlerweile ist dies allerdings nicht mehr der Fall. Syriens Präsident ist kein Zuschauer, sondern ein Täter.
Selbiges ist auch auf internationaler Ebene der Fall. Es wäre töricht, die Rolle der USA, der Türkei sowie der Golfstaaten in Syrien nicht zu hinterfragen. Dies ist allerdings auch im Falle Russlands und des Irans der Fall. Souverän ist die syrische Regierung schon lange nicht mehr. Ob sie es denn je war, ist eine Frage.
Als Korrespondentin für die „Junge Welt“ oder für das „Neue Deutschland“ hatte Karin Leukefeld teils den Ruf, zu freundlich und unkritisch mit Assad und seiner Regierung umzugehen. Diese Annahme trifft in weiten Teilen ihres neuen Buches allerdings nicht zu. Leukefeld zeichnet ein weitgehend differenziertes Bild von Syrien, was in diesen Tagen besonders erfrischend ist – und leider weiterhin zu selten Aufmerksamkeit genießt.