Rezension von Paul Schreyers „Wer regiert das Geld? – Banken, Demokratie und Täuschung“
Spätestens der Ausbruch der Finanzkrise vor acht Jahren hat gezeigt, dass mit der heutigen Geldordnung etwas nicht stimmt. Erstens produziert sie Kreditblasen, die früher oder später zu platzen drohen, und zweitens verleiht sie den privaten Banken enorme politische und ökonomische Macht, die in hohem Maße auf dem Geldschöpfungsprivileg fußt. Nicht zuletzt aus diesen Gründen beschäftigen sich immer mehr Autoren aus dem progressiven Lager mit dem Thema Geld. Viele fordern eine Vollgeldreform oder warnen wie zuletzt „Handelsblatt“-Redakteur Norbert Häring vor der Abschaffung des Bargelds. Von Thomas Trares[*].
Eine gute Ergänzung zu den bisherigen Veröffentlichungen bietet das Buch „Wer regiert das Geld? – Banken, Demokratie und Täuschung“ von Paul Schreyer. Der Journalist stellt nämlich ganz fundamental die Frage, wieso die Banken überhaupt so mächtig werden konnten, und wer ihnen diese Macht verliehen hat. Schreyers These lautet, dass es heute in Berlin, Brüssel, Washington oder anderswo de facto zwei Regierungen gibt; eine demokratisch gewählte und eine Schattenregierung der internationalen Finanzelite. „Wir leben heute offenbar in einem doppelten System aus gewählter und informeller Regierung. In den letzten hundert Jahren haben sich internationale Finanzstrukturen gebildet, die eng mit den gewählten Regierungen verzahnt sind. Nationale Parlamente oder auch das EU-Parlament haben weiterhin nur wenig Macht“, konstatiert Schreyer.
Eng verbunden mit der Macht der Banken ist das Geldschöpfungsprivileg. Die meisten Bürger glauben, dass die Zentralbank oder die Regierung das Geld in Umlauf bringen. Dies ist aber nicht so. Das Geldschöpfungsmonopol haben die Zentralbanken nur beim Bargeld. Das weitaus stärker verbreitete Giralgeld schöpfen indes die privaten Banken, indem sie Kredite vergeben. Der darauf anfallende Geldschöpfungsgewinn ist beträchtlich. Im Euroraum geht es hier pro Jahr um Beträge im dreistelligen Milliardenbereich. All dies ist den meisten Bürgern nicht bekannt. Viele glauben, dass die Banken nur das Geld weitergeben, das sie von ihren Kunden einsammeln. Und diese Unwissenheit ist durchaus so gewollt, meint Schreyer. „Die Geldschöpfung der Banken ist real, wird aber geschickt verschleiert“, schreibt er.
Abgesichert wird die Macht der Banken von supranationalen Organisationen wie dem Internationalen Währungsfonds, den großen Zentralbanken, internationalen Denkfabriken und Lobbyorganisationen sowie von regelmäßigen Diskussionsgruppen wie dem Weltwirtschaftsforum in Davos oder den Bilderberg-Konferenzen. Im Gegensatz zu vielen anderen Publikationen zum Thema Geld beleuchtet Schreyer auch die Rolle der vier großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften KPMG, PriceWaterhouseCoopers, Deloitte und Ernst & Young, die ebenfalls Teil des globalen Finanzinteressengeflechts sind und in der Finanzkrise den Banken halfen, ihre Kursverluste schönzurechnen. Darüber hinaus gibt es je ein Kapitel zur Staatsfinanzierung, zum Gold und zu Verschwörungstheorien, letzterem fehlt allerdings der direkte Bezug zum Thema.
In der zweiten Hälfte des Buches steigt Schreyer dann tief hinab in die Geschichte des Geldes, hinab bis zu den Münzen Mesopotamiens, zu der Finanzreform von Numa Pompilius, dem zweiten König von Rom, und zu Kublai Khan, der bereits im China des 13. Jahrhunderts erfolgreich ein System staatlicher Geldschöpfung installierte. Wichtig für das heutige Finanzsystem war indes die Gründung der Bank of England im Jahr 1694, die man auch als den Prototyp der großen Zentralbanken der Welt bezeichnen kann. „Neu an dieser Konstruktion war, dass nicht mehr nur ein König, Kaiser oder anderer Gewaltherrscher von reichen Kaufleuten finanziert wurde, sondern dass nun eine private Bank als Jahrhunderte überdauernde Instanz eine Regierung mitlenkte, die im Zuge der Entwicklung der Demokratie doch eigentlich nur von einem Parlament kontrolliert werden sollte“, schreibt Schreyer. Dass die Macht der Banken kein modernes Phänomen ist, sondern von Anfang an ein Widerstreit und eine Vermischung zwischen privater und öffentlicher Macht war, wird aber besonders an der Finanzgeschichte der USA deutlich, die Schreyer in zwei Kapiteln ausführlich beschreibt.
Interessant sind auch die Ausführungen zur deutschen Bankengeschichte. In vielen Büchern fängt diese erst mit der Gründung der Bundesrepublik, der Einführung der D-Mark oder der Etablierung von Frankfurt am Main als dem deutschen Bankenzentrum an. So gerät gern aus dem Blick, dass bis zum Zweiten Weltkrieg nicht Frankfurt, sondern Berlin der Finanzplatz in Deutschland war. Alle wichtigen Institutionen wurden dort gegründet: Die Deutsche Bank 1870, die erste deutsche Zentralbank 1876, die damals „Reichsbank“ hieß, wie auch die Deutsche Börse, die längs der Spree in einem Neorenaissance-Gebäude mit Blick auf den Berliner Dom residierte und viele Jahre Treffpunkt der deutschen Hochfinanz war. Mit der Zerstörung Berlins im Zweiten Weltkrieg und der Abwanderung der Industrie in den Westen war jedoch auch der Finanzplatz Berlin Geschichte.
Gleichwohl bildeten sich in jener Berliner Zeit die Strukturen heraus, die heute noch den Finanzsektor prägen. An die Stelle familiengeführter Privatbanken wie Rothschild, Bleichröder oder Hansemann traten nach und nach die großen Aktiengesellschaften, die bis heute den Markt beherrschen. „Ein System von weitgehend anonym funktionierenden Aktienbanken, die gemeinsam eine vom Staat garantierte Zentralbank betreiben, ist die bis heute wohl höchstentwickelte Form des Kapitalismus. Diese Struktur bleibt allen Einwirkungen gegenüber äußerst stabil und ermöglicht eine dauerhafte Herrschaft, unabhängig von einzelnen Personen oder Krisen“, schreibt Schreyer.
Dass der Autor selbst kein Ökonom ist, sich aber dennoch an ein derart komplexes ökonomisches Thema wie die Geldschöpfung heranwagt, mag ein Risiko sein, im vorliegenden Fall ist es aber möglicherweise gar von Vorteil. Denn Schreyer schreibt wie jemand, der sich selbst erstmals für das Thema interessiert und seine neu gewonnenen Erkenntnisse nun anderen mitteilen möchte. Das Buch ist also verständlich geschrieben, der Prozess der Geldschöpfung ausführlich und gut erklärt. Zudem gewährt es einen tiefen Blick in die Geschichte des Geldes, den man sich auch manchem Ökonomie-Lehrbuch wünschen möchte.
Bisweilen versteigt sich Schreyer allerdings auch zu steilen Thesen, die nicht unbedingt jeder nachvollziehen muss: So behauptet er etwa, dass der Kapitalismus nicht von einer Planwirtschaft zu unterscheiden sei, oder dass die Autonomie der Notenbanken einzig auf dem Dogma fuße, dass Politiker nicht mit Geld umgehen könnten, oder aber dass derzeit keine Postdemokratie im Sinne des britischen Politologen Colin Crouch existiere, sondern allenfalls eine Art „Vordemokratie“. Diesen Ansichten muss man freilich nicht folgen, um das Buch dennoch mit Gewinn lesen zu können.
[«*] Thomas Trares ist Diplom-Volkswirt. Studiert hat er an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Danach war er Redakteur bei der Nachrichtenagentur vwd. Seit über zehn Jahren arbeitet er als freier Wirtschaftsjournalist in Berlin.