Wider die Profitkriege des oberen einen Prozent!

Ein Artikel von Jens Wernicke
Reiner Braun

Von Friedensnobelpreisträgern erwartet man inzwischen nicht mehr viel. Man hat sich, wie etwa im Falle Barack Obamas, daran gewöhnt, dass sie fremde Länder überfallen und bombardieren oder, wie im Falle der Europäischen Union, autoritäre Regime unterstützen und selbst bei faschistischen Entwicklungen gern beide Augen zudrücken, wenn das den eigenen Interessen nur dient. Doch es gibt sie noch: Die Friedensbewegten, denen es ernst ist mit ihrem bedingungslosen Engagement gegen den Krieg – wie etwa die Vereinigung der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, die 1985 den Friedensnobelpreis erhielt, und die nun – gemeinsam mit anderen – zu einer Weltfriedenskonferenz nach Berlin mobilisiert, auf der man „die Welt des Krieges mit einer klaren Vision einer Welt des Friedens und der Kooperation“ zu konfrontieren gedenkt und klare Signale gen grundlegender gesellschaftlicher Transformation setzen will. Jens Wernicke sprach mit Reiner Braun, einem der Organisatoren der Konferenz.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Herr Braun, organisiert vom International Peace Bureau, dessen Vorsitzender Sie sind, findet vom 30. September bis 2. Oktober dieses Jahres in Berlin eine große internationale „Weltfriedenskonferenz“ statt, auf der sich die Friedensbewegung weltweit auf eine neue Strategie zur Abrüstung sowie gesellschaftlichen Transformation verständigen will. Warum diese Themen? Und warum ausgerechnet jetzt?

Es ist schon gegen den Zeitgeist weltweiter Aufrüstung, Modernisierung von Waffen, Krieg und Konfrontation, ausgerechnet weltweite Abrüstung und Umverteilung dieser Ressourcen zugunsten der globalen Herausforderungen als zentralen Punkt eines internationalen Kongresses anzusetzen.

Gleichwohl ist es absolut notwendig. Denn ohne einen Ausstieg aus der globalen Eskalationsspirale wird es nicht nur immer mehr Krieg und Zerstörung weltweit geben, sondern sind, das verschweigen unsere Leitmedien gern, auch die zentralen Fragen unserer Zeit nicht zu beantworten.

Angesichts der 1.700 Milliarden Dollar Rüstungsausgaben auf der einen und fast einer Milliarde hungernder Menschen, weltweiter Armut, dramatischen Klimaveränderungen und fehlenden Zugängen zu Wasser und sanitären Einrichtungen weltweit, gar nicht zu sprechen von fehlenden Mitteln für Gesundheitswesen und Bildung auf der anderen Seite, ist den meisten Menschen allerdings umgehend klar, dass die immensen Aufwendungen, die bisher in die Militarisierung fließen, im sozioökologischen Bereich dringend benötigt und deutlich sinnvoller einzusetzen sind.

Wir verhandeln auf unserem Kongress daher nicht mehr und nicht weniger als Strategien einer globalen Transformation jenseits immer weiterer Militarisierung und Krieg. Und dazu haben wir und Wissenschaftler und Querdenker, Friedensforscher und Aktivisten aus der ganzen Welt nach Berlin eingeladen.

Sie wollen auf dem Kongress also mal eben so die Antworten auf die wichtigsten Fragen der Zeit entwickeln, an denen die Politik seit Jahrzehnten verzweifelt und versagt? Rüstung weg, Sozialstaat rauf und Umwelt retten – ist das nicht ein wenig sehr … schlicht?

Ein Kongress kann immer nur Anstöße geben für etwas, was in der Luft liegt oder mithelfen, eine Idee materielle Gewalt werden zu lassen. Die Welt kann sich angesichts der sozialen und ökologischen Entwicklung den Militarismus einfach nicht mehr leisten.

Dabei meine ich vor allem die Milliarden an arbeitenden, arbeitslosen und prekär lebenden Menschen, die eben die 99 Prozent der Weltbevölkerung ausmachen, und denen Aufrüstung und Militarisierung ausschließlich schaden, während sie dem oberen einem Prozent nutzt und dazu dient, Profite und Vorherrschaft abzusichern.

Anstoß soll dieser Kongress geben hin zu einer weltweiten Bewegung für Abrüstung. Und Anstöße soll er geben in der Beantwortung der Frage, wie denn die große Transformation weg von Krieg und Gewalt hin zu einem gerechten Frieden aussehen kann.

Natürlich wird die Welt dabei nach den drei Kongress-Tagen keine andere sein, anders kann aber die Motivation und die Stimmung der Teilnehmerinnen, die Ausweitung der Ideen des Friedens und der Abrüstung sein. Es bringt doch nichts, immer nur einzeln und in jedem Land für sich zu streiten. Wir brauchen daher Vernetzung, Kooperation, gemeinsame Ziele und Aktionen. Wir müssen es schaffen, mehr und mehr Sand im Getriebe der Mächtigen zu sein, unsere Ziele mit klaren Optionen weltweit zu kommunizieren und den genannten 99 Prozent deutlich zu machen, dass es anders sehr wohl geht, auch Krieg und Militarisierung eben nicht, wie man das gern glauben machen mag, „alternativlos“ sind; ganz im Gegenteil.

Neue internationale Netzwerke, gemeinsame Aktionen und eine größere Motivation können unsere Ideen dabei befördern, Isolierungen überwinden und auch Frustration abbauen. Und auch eine argumentative Stärkung ist etwas, das der Sache nur dienlich sein kann.

Welche Themen genau werden Sie denn angehen und Lösungen für welche Probleme diskutieren Teilnehmer aus welchen Ländern der Welt? Und gibt es Referenten, die man unbedingt gesehen und mit denen man diskutiert haben muss?

Frieden in der gesamten Komplexität ist die Thematik des Kongresses, bei einer immer wiederkehrenden Zuspitzung auf die Fragen der Abrüstung. Dabei geht es uns auch immer um Alternativen zu Krieg und Militarismus.

Es geht einerseits um antimilitaristische und, um ein oft falsch verstandenes Wort zu benutzen, antiimperialistische Kritik, aber auch um ein Friedensprogramm als politisches Reformkonzept der Pazifizierung der internationalen Politik. Schon meine Kurzfassung zeigt, dass es da viel und auch kontrovers zu diskutieren gibt. Foren und Arbeitsgruppen bieten dazu viel Gelegenheit.

Interessante Referierende gibt es sicher genug. Prominente aus der ganzen Welt haben zugesagt mitzudiskutieren: so unter anderem die jemenitische Friedensnobelpreisträgerin Tawakkol Karman, der Außenminister von Kasachstan, die alternative Nobelpreisträgerin Vandana Shiva, Alyn Ware, der ehemalige UNESCO-Generalsekretär Frederico de Mayor, die Ökonomen Samir Amin und James Galbraith und aus Deutschland unter anderem Ernst Ulrich von Weizäcker, Co-Präsident des Club of Rome, der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann und der ver.di-Chef Frank Bsirske.

Aber ist, wie man es unseren Kreisen ja so gern vorwirft, „das alles“, eine Welt voller Frieden und ohne Krieg, nicht vor allem eines, nämlich schönes Wunschdenken? Ich meine: Die Eliten verdienen doch ein Schweinegeld mit jedem Krieg. Wieso sollten sie auf ihre Profite verzichten und soziale oder andere Krisen angehen – die ihrer Einschätzung nach doch alles andere als die eigenen sind, ganz im Gegenteil? Und wie sollen Alternativen zum „Krieg gegen den Terror“ und wie die Gehirnwäschefloskeln der letzten Jahre allesamt lauten, überhaupt denkbar sein, wo so viele Menschen doch meinen, „für die Sicherheit“ täte all das Not, unsere Freiheit würde eben auch „am Hindukusch verteidigt“ und die knapp zwei Milliarden Muslime weltweit seien eben eine Gefahr „für uns“?

Nun, eine Idee wird zur materiellen Gewalt, wenn sie die Massen ergreift, wie einer der Klügsten der linken Bewegungen es einmal formuliert hat.

Die Idee der Abrüstung ist dabei natürlich uralt und sie hat auch bereits viele Erfolge errungen, gleichwohl aber zu viele Niederlagen erlitten. Zurzeit ist sie angesichts der Konfrontationspolitik der Eliten und der NATO als ihrem Angriffspakt wieder vollständig in der Defensive, was eben auch und vor allem an der Propaganda liegt, die uns alle täglich erreicht und uns als Bürgern den Geist vernebeln und hiernach unsere Zustimmung zu Kriegen erheischen soll.

Da aber rauszukommen, das ist kein Wunschdenken, sondern längst bereits politische Notwendigkeit. Ich spitze vielleicht ein wenig zu, wenn ich die These wage: Wenn die Menschheit so weitermacht, und inzwischen drohen große Staaten ja bereits und ganz ohne Spaß mit dem nuklearen Erstschlag etwa gegen Russland, dann wird von der Menschheit in einigen Jahrzehnten oder Jahrhunderten vielleicht kaum mehr etwas übrig sein.

Aber natürlich haben Sie auch recht: Verzichten werden die 1 Prozent freiwillig sicher nie auf ihre Profite und Herrschaftssicherung. Was sie aber können oder nicht, das hängt entscheidend auch von der Entwicklung von Gegenkräften und -strategien, vom Widerstand gegen ihre Politik und politischem Bewusstsein für die politischen Interessen sowie zivilem Ungehorsam und Widerstand ab.

Ein gutes Beispiel dafür, wie man als Friedensbewegter „Sand im Getriebe“ der Mächtigen zu sein vermag, sind etwa die Proteste von Schülern gegen die immer weitergehende Indoktrinierung durch Militärs im deutschen Bildungssystem. Und sei es auch nur, dass hier einige Wenige die richtigen Fragen stellen und sich nicht einfach und wie selbstverständlich zum Objekt von Propaganda machen lassen – das klingt vielleicht wenig und ist aber dennoch schon sehr viel wert. Auch das Alltagshandeln, auch der zivile, alltägliche Widerstand; denn er zeigt Anderen, dass es Kritik an den gewollten Entwicklungen gibt und dass diese klug und überzeugend auftritt.

Und wenn wir das jetzt einmal weiterspinnen, diese Idee davon, die Idee des Friedens wieder „die Massen ergreifen“ zu lassen – was wären denn konkrete politische Ziele, an wen adressieren Sie ihren Kongress und die dort entwickelten Strategien? Kurzum: Wie wird es, wenn es nach Ihnen geht, in Folge des Kongresses dann weitergehen?

Nun, die aktuelle Situation, international wie national, schreit ja geradezu nach Veränderungen, wenn wir uns nicht einfach resigniert in das Frustrationsstübchen zurückziehen wollen.

Rückzug war bisher aber höchstens einmal eine kluge taktische Entscheidung der Friedensbewegung. Sie war und ist immer da – einmal kleiner und einmal mächtiger, mit langem Atem und einem geradezu notwendigen Optimismus. Dass sie nun wieder intensiver und gemeinsamer in die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen eingreift, dazu soll dieser Weltkongress beitragen.

Und wer nun die Akteure dieser grundlegenden Veränderungen sind und wie man sie erreicht, das wird sicher eine der zentralen Fragen des Kongresses sein. Grund zur Hoffnung gibt es aber allemal. Denn schauen Sie sich nationale wie internationale repräsentative Umfragen an: Das Friedensbewusstsein der allermeisten Menschen ist tief verankert und nach wie vor intakt; die Politik setzt sich – und aller Propaganda zum Trotz „muss“ sie dies offenbar nach wie vor – nur beständig über die Mehrheitsmeinungen der Menschen hinweg. Würden diese direkt gefragt, wäre die Lage eine grundlegend andere, davon bin ich überzeugt.

Und gibt es etwas, womit wir als Einzelne, die sehr wohl Frieden wünschen, jedoch nicht wissen, wie ein Engagement für diesen aussehen kann, ihren Kongress und ihr Anliegen irgendwie unterstützen können? Welche Wünsche nach Unterstützung gibt es hier?

Für alle, die nicht kommen können oder wollen: Über jede auch noch so kleine Spende freuen wir uns. Der Kongress genießt die Unterstützung von politischen Stiftungen, aber wir bemühen uns intensiv um weitere finanzielle Unterstützung. Schon jetzt jedem Spender oder jeder Spenderin herzlichen Dank.

Wenn ich noch auf eines verweise darf, der Kongress findet ja vielfältige nationale und internationale Unterstützung aus ganz unterschiedlichen religiösen Bereichen, von Frauen-, Umwelt-, und Entwicklungsorganisationen. Aber ohne zu übertreiben, einmalig ist die internationale Gewerkschaftsunterstützung, unter anderem durch den Weltgewerkschaftsbund. Vielleicht kommen wir ja einer Annäherung der vielbeschworenen Arbeiter- und Friedensbewegung doch näher. Das wäre zu wünschen und dem Frieden täte es sicher gut.


Reiner Braun, geboren 1952 in Braunschweig, studierte Germanistik und Geschichte sowie Journalistik. Er ist seit 1981 in der Friedensbewegung aktiv, war ab 1982 Büroleiter und später auch Initiator der „Krefelder Initiative gegen den Atomtod“. Ab 1982 war er aktiv bei den „Naturwissenschaftlern für den Frieden“, von 1987 bis 2001 ihr Geschäftsführer. Aktuell ist er Geschäftsführer der deutschen und internationalen IALANA (International Lawyer against Nuclear Arms) und zudem Autor und Herausgeber verschiedener Bücher zu Frieden und Nachhaltigkeit, darunter unter anderem „Einstein und Frieden“, „Joseph Rotblat – one life for peace“ und „Future of Food“.


Weitere Veröffentlichungen von Jens Wernicke finden Sie auf seiner Homepage jenswernicke.de. Dort können Sie auch eine automatische E-Mail-Benachrichtigung über neue Texte bestellen.

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