Gesinnungsethik. Die Regierenden drücken sich um die Verantwortung für die Gewalt. Und Medien und sogar sogenannte linke Abgeordnete decken sie.
Max Webers Unterscheidung zwischen Gesinnungsethik und Verantwortungsethik (siehe hier und hier ) hilft beim Versuch, die Debatte um Merkels Flüchtlingspolitik und um die grassierende und schreckliche Gewalt besser zu verstehen. Die Bundeskanzlerin bekannte sich zum „wir schaffen das“ des letzten Jahres; Sahra Wagenknecht hatte genau das kritisiert; daraufhin war eine Heerschar von PolitikernInnen und Medienvertretern über sie hergefallen. (Die NachDenkSeiten haben davon berichtet.) Die Kritiker sind sich vermutlich einig in einer hoch angesiedelten Gesinnung; sie öffnen die Arme für die vielen gepeinigten Menschen. Aber sie fliehen aus der konkreten Verantwortung und Medien betätigen sich als Fluchthelfer. Das bleibt zu erläutern. Albrecht Müller.
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- Sie kümmern sich nicht um die Ursachen des Flüchtlingselends. Einige von ihnen – wie zum Beispiel die deutsche Bundesregierung – gehören zu den Verursachern.
- Sie verwenden viel zu wenige Gedanken und viel zu wenig praktische Energie darauf, mit den Folgen der Aufnahme so vieler Flüchtlinge menschlich, anständig und umfassend fertig zu werden.
Zu 1. Das Verschweigen der Ursachen dafür, dass so viele Menschen fliehen müssen und zu uns kommen
Es gibt eine Reihe von kritischen Beobachtern, die wie wir auf den NachDenkSeiten immer wieder darauf hinweisen, dass die Kriege des Westens, dass die Zerstörung des Irak und der Versuch des Regime Change in Syrien, und das Bombardement auf Libyen und die Intervention in Afghanistan und das Peinigen des palästinensischen Volkes wesentliche, ja die wesentlichen Ursachen dafür sind, dass Menschen keinen anderen Ausweg mehr sehen, als ihre Heimat zu verlassen. Diese Ursache liegt offen auf der Hand. Und ich hatte in einem kürzlichen Beitrag auch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass diese Kriege des Westens die Basis und die Ursache von Terror und Selbstmordanschlägen sind. Siehe hier: Ob die Deutschen mal begreifen, dass sie die Gewalttaten auch ihrer Bundeskanzlerin und den Kriegen ihrer Freunde in den USA etc. zu verdanken haben?
Aber das kümmert die große Herde jener PublizistInnen und PolitikerInnen, die die Gewaltakte und Morde von Nizza, Würzburg, Ansbach, München und in der Normandie beklagen und kommentieren, nicht.
Die Geschichte wird verkürzt erzählt.
Alles, was ursächlich war und mit unseren Taten zusammenhängt, wird einfach weggelassen. Typisch dafür war die Berichterstattung in meiner Regionalzeitung, Der Rheinpfalz, vom vergangenen Mittwoch. Da hieß es: „Nach den mutmaßlich islamistisch motivierten Anschlägen in Ansbach und bei Würzburg …“ und auf der gleichen Seite zum Priester-Mord in der Normandie hieß es: „zwei mutmaßliche Islamisten …“. Und zu den Anschlägen von München und Nizza war in den meisten Medien stereotyp die Rede davon, die Gewaltakte hätten einen islamistischen Hintergrund. Und einen terroristischen Hintergrund.
„Islamistisch“ und „terroristisch“ sind die Etiketten, mit denen die tieferen Ursachen, die Kriege in den Heimatregionen, verdeckt werden. Der Terror und der Krieg gegen den Terror sind auf eine abstrakte Ebene gehoben, allenfalls etwas konkreter dadurch, dass man den Terror mit Religion und religiösem Fanatismus verbinden kann.
Wenn Frau Merkel wirklich verantwortungsethisch handeln würde, dann würde sie, wie in dem oben zitierten Beitrag vom vergangenen Montag gefordert, die Beteiligung an den Kriegen beenden und unseren NATO Verbündeten, den USA, Frankreich, Großbritannien und den anderen militärgeilen Nationen ins Gewissen reden, die Partnerschaft aufkündigen usw.
Gerade heute gibt es die neue Meldung, hier aus dem Handelsblatt: „IRAK – Rotes Kreuz befürchtet Millionen neue Flüchtlinge“. Im Text ist dann vom Islamischen Staat die Rede, den die irakische Armee in Mossul bekämpfe. Die dahinterstehende Ursache, der Irakkrieg der USA und ihrer Alliierten von 2002 und von 1990 und die Zerstörung dieser für die Menschheitsgeschichte wichtigen Region, werden nicht benannt. Aber immerhin wird klar, dass bis zu 1 Million neuer Flüchtlinge etwas mit kriegerischen Auseinandersetzungen zu tun haben.
Zu 2. : Die Verantwortlichen und ihre Helfer verwenden viel zu wenige Gedanken und viel zu wenig praktische Energie darauf, mit den Folgen der Aufnahme so vieler Flüchtlinge menschlich und anständig fertig zu werden.
Frau Merkel hat die Arme ausgebreitet und wir haben alle jene Menschen gelobt, die die Willkommenskultur an den Bahnhöfen und sonstwo gepflegt haben. Das war sehr gut. Dagegen sage ich nichts und dagegen schreibe ich nicht an. Aber es ist absolut leichtfertig von Seiten der Politik, es dabei zu belassen. Denn das ist absolut gedankenlos, Gesinnungsethik!
Wer ein bisschen Verantwortung spürt und wahrnehmen will, der muss in Betracht ziehen, dass man z.B. 15-,16-, 18-jährige Jugendliche nicht aus ihren zumeist engen Familienverbänden herauslösen kann, ohne dass diese jungen Menschen in einer fremden Welt dem Verzweifeln nahekommen, der Einsamkeit, der Isolierung, der psychischen Erkrankung.
Es ist vor kurzem berichtet worden – ich zitiere aus einer Originalmeldung:
„Bislang mehr als 90 000 Flüchtlingsausweise ausgestellt
Nürnberg (dpa) – Mehr als 90 000 Asylbewerber haben inzwischen einen Flüchtlingsausweis bekommen. Deutschlandweit gibt es laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mehr als 1200 Stationen, an denen der Ankunftsnachweis, wie das Dokument im Behördendeutsch heißt, ausgestellt wird. Die Einführung war Ende Januar vom Bundesrat gebilligt und seit Mitte Februar umgesetzt worden. Das Papier sollte das Asylverfahren beschleunigen und Missbrauch durch Mehrfachregistrierungen verhindern.”
Um diese 90.000 Flüchtlinge und um viele mehr müssten wir uns intensiv kümmern, so intensiv, dass wir auch ihre Nöte, ihre seelische Qual, ihr Heimweh verstehen und, so gut es geht, heilen können. Mit Sprüchen wie „Wir schaffen das“ ist das nicht zu schaffen.
Es muss mehr geschehen, wenn wir schon die Arme aufmachen. Deshalb war die Kritik von Sahra Wagenknecht an Angela Merkel Flüchtlingspolitik berechtigt und hatte mit einer rechten Einstellung überhaupt nichts zu tun. Ich könnte es polemisch formulieren: die Gesinnungsethiker sind die eigentlichen Förderer von Pegida, AfD und den Rechtsradikalen – weil sie die Augen vor den Folgen ihres Tuns verschließen und deshalb auch zu wenig tun, um diese Folgen abzuwenden.
Für die „Fluchthelfer“ in der Linkspartei, die jetzt Unterschriften gegen die Mahnung ihrer Fraktionsvorsitzenden sammeln, kann ich nur noch Verachtung empfinden. Sie betreiben das Geschäft anderer.
Übrigens, noch eine Frage im Gesamtkontext:
Warum gibt es keine Gefangenen und nur Tote, wenn ein Gewaltakt passiert?
Wenn man diese Frage stellt, dann bekommt man in der Regel die Antwort, das sei nicht anders möglich. Etwas umsichtigere Beobachter meinen, die zuständigen Politiker und die ihnen folgenden Verantwortlichen bei der Polizei, wollten vermeiden, ein Potenzial für Erpressungen zu schaffen. Das kann ja sein. Es muss trotzdem die Frage erlaubt sein: Will man keine Zeugen dafür, dass solche Attentäter möglicherweise von ganz anderen Motiven als die bisher unterstellten getrieben sind?