Reaktionen auf München … alles verbieten, nur den Krieg nicht!
Eine Welle von Amok und Terror verunsichert Deutschland. Dies ist natürlich eine Steilvorlage für Politiker, die sich gerne als „Beschützer“ des Volkes inszenieren. Kaum kamen erste Meldungen über die Ermittlungen im Umfeld des Münchner Amoklaufs über die Ticker, kläfften auch schon die Pawlowschen Hunde: Verschärfung des Waffenrechts, Verbot von Killerspielen, neue und härtere Gesetze! Dummerweise halten sich Terroristen in der Regel ja gerade eben nicht an Gesetze und auch potentielle Amokläufer lassen sich durch derlei Symbolpolitik kaum beeindrucken. Und wenn gar nichts mehr hilft, fordert man halt den Klassiker: Bundeswehreinsätze im Inland! Geradeso als könnten Soldaten mit Panzern und Kampfjets verhindern, dass ein geisteskranker junger Mann in einem McDonalds um sich schießt. Auf die naheliegenden Antworten kommt seltsamerweise jedoch keiner dieser Politiker. Warum eigentlich? Von Jens Berger.
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Überwachung des Internet!
Sigmar Gabriel wusste die Gunst der Stunde zu nutzen. Kaum war bekannt, dass der Täter von München eine reaktivierte Theaterwaffe benutzt hatte, fragte sich der SPD-Vorsitzende, wie denn ein labiler 18-Jähriger um Gottes Willen an eine Schusswaffe gelangen kann! Ganz einfach, Herr Gabriel: Er hat sie gekauft; illegal, im sogenannten „Darknet“. Das „Darknet“ ist – ohne sich jetzt in technischem Kleinklein zu verlieren – das düstere Bahnhofsviertel des Internets. Abseits von Google, WWW und Co. kann dort konspirativ und nahezu unkontrollierbar so ziemlich alles gehandelt werden, was der Mensch legal nicht handeln darf – von Drogen über Kinderpornos bis hin zu Waffen. Dies ist nicht neu und im Zuge des Betrugsskandals rund um die Darknet-Handelsplattform Silk Road hatten sich sogar die selbsternannten Qualitätsmedien schon einmal mit dem Phänomen beschäftigt.
Kann man das Darknet verbieten? Nein, denn derlei Verbote sind auf nationaler Ebene unsinnig und bringen gar nichts. Sollte man beispielsweise deutsche Provider verpflichten, ihren Kunden „das Darknet zu verbieten“, dann gehen die halt mit technischen Hilfsmitteln über ein anderes Netzwerk ins Darknet. Wer heute das Darknet benutzt, ist ein Freak, der sicher mehr IT-Wissen hat als der ganze Bundestag zusammen, und derartige „Sperren“ im Nullkommanix umgehen kann. Für sehr wenig Geld kann man beispielsweise über sogenannte VPN-Tunnel dem Netz weißmachen, dass man nicht in Deutschland, sondern in Island, der Schweiz, den USA oder jedem anderen Land sitzt. Kontrollierbar ist dies – zumindest mit einem halbwegs vertretbaren technischen Aufwand – nicht. Wo ein Wille ist, ist immer auch ein Weg! Und wer über das Darknet illegale Handelsaktivitäten vornehmen will, dem ist es auch vollkommen egal, ob er das Darknet nun legal oder illegal betritt. Wahrscheinlich verschleiern ohnehin heute schon fast alle Nutzer des Darknets ihre Herkunft. Und seit mit „Bitcoins“ eine fast komplett anonymisierte Transaktionswährung vorhanden ist, scheidet auch der Ansatz, derartige Handelsaktivitäten über die Bezahlsysteme zu unterbinden, aus.
Möglich wäre – zumindest in der Theorie – lediglich eine bessere Überwachung des physischen Teils der Handelsaktivität, also des Postversands. David S. hat sich seine Glock über eine manipulierte Karte für eine Packstation der Post zuschicken lassen. Er hat also die Gesetze nicht beachtet, die nun verschärft werden sollen. Die Debatte um Verschärfungen ist also ziemlich sinnlos.
Verschärfung der Waffengesetze!
Auch die Debatte um eine Verschärfung der Waffengesetze ist hier kaum zielführend. Es ist ja richtig, dass man unter Umständen den konkreten Verkauf an David S. durch eine Harmonisierung der europäischen Gesetze zu „Theaterwaffen“ hätte verhindern können. Aber wo ein Wille ist, ist immer auch ein Weg. Medienberichten zufolge war David S. bereit, bis zu 2.600 Euro für die von ihm gewünschte Glock 17 samt 250 Schuss Munition auszugeben. Auf einschlägigen legalen amerikanischen Waffenbörsen kostet diese Kombination rund 350 Dollar. Nun können Sie sicher ahnen, wie groß die Gewinnspanne ist. Auch der hoch profitable Handel mit Heroin ist bei hohen Gefängnisstrafen verboten und dennoch kann jedermann offen und ohne große Probleme in jeder größeren deutschen Stadt Heroin kaufen. Solange die Gewinnspannen dies hergeben, wird man den illegalen Handel mit illegalen Waffen daher auch nicht unterbinden können. Wer nun über die Forderung einer Verschärfung der Waffengesetze suggeriert, man hätte „München verhindern können“, der ist ein Blender. So einfach ist es leider nicht.
Verbietet die Killerspiele!
Innenminister de Maizière greift derweil die uralte „Killerspiel-Debatte“ wieder auf. Damit scheint man ja seine Zustimmungswerte verbessern zu können – zumindest bei Menschen, die noch nie im Leben einen Ego-Shooter gespielt haben und auch ansonsten eher rudimentäre Kenntnis von Computerspielen und zeitgenössischer Alltagskultur haben … also bei CDU-Wählern. Eigentlich sollte diese unsinnige Forderung, die bei jedem Amoklauf gebetsmühlenartig von konservativen Politikern rauf- und runtergebetet wird, ja nur noch zum Fremdschämen einladen.
Es mag ja sein, dass Ego-Shooter bei Amokläufern eine negative Wirkung haben. Millionen junger (und teils auch älterer) Erwachsener spielen jedoch ebenfalls Ego-Shooter und sind weit davon entfernt, Amok zu laufen. Noch nicht einmal Hardcore-Computerspiele-Gegner behaupten, dass Ego-Shooter monokausal zur Radikalisierung führen. Im Falle des Münchner Amokschützen David S. war es – zumindest nach jetziger Nachrichtenlage – wohl vor allem das jahrelange Mobbing in der Schule, das ihn radikalisiert hat. Warum sollte man also Millionen Menschen ihr Hobby wegnehmen? Warum kommt niemand auf die Idee, endlich einmal ernsthaft über das Problem des Mobbing zu debattieren?
Ein weiteres Killerargument gegen den Verbot von Killerspielen ist jedoch, dass selbst ein unsinniges Verbot schlussendlich nur die „Falschen“ treffen würde. Wer technisch auch nur halbwegs fit ist – und dies ist ja bei Computerspielefreunden eher die Regel als die Ausnahme – kann sich natürlich ohne Probleme auch verbotene Spiele aus dem Netz laden und spielen. Wo ein Wille ist, ist immer auch ein Weg. So ist beispielsweise das in Deutschland beliebteste Fußballmanager-Spiel ein Programm, das aus lizenzrechtlichen Gründen in Deutschland überhaupt nicht angeboten und vertrieben werden darf. Wer nun Counter-Strike und Co. verbieten will, trifft streng genommen nur den Einzelhandel, da interessierte Gamer sich die Spiele dann halt „illegal“ aus dem Netz herunterladen … und dass man das nicht effektiv unterbinden kann, davon können Publisher, Rechteinhaber, Verlage, Softwarefirmen und Musiklabels ein Lied singen. Warum also Millionen vollkommen unschuldiger Menschen kriminalisieren, wenn man ohnehin nicht das erreicht, was man beabsichtigt?
Was hierzulande als „Killerspiel“ bezeichnet wird, sind grundsätzlich Programme, die eine Alterseinstufung „ab 18“ haben, also gar nicht legal von Jugendlichen erworben werden können. Wenn nun Eltern Angst haben, dass die Kiddies durch „Killerspiele“ zu Amokläufern werden, brauchen sie kein Verkaufsverbot fordern, da es so was für die Kiddies ja längst gibt. Solange die Kinder unter 18 sind und Counter-Strike und Co. spielen, heißt dies automatisch, dass sie illegal in Besitz dieser Spiele gekommen sind. Dagegen kann ein Verbot auch nichts ausrichten. Man kann nicht verbieten, verbotene Dinge zu tun. Wesentlich sinnvoller ist es da, wenn man als Elternteil aber auch als Opa oder Oma, als Bruder oder Schwester einmal mit den jugendlichen Gamern spricht. Unaufgeregt und sachlich – denn wenn bei den Kindern ansonsten alles im grünen Bereich ist, werden sie auch nicht durch Ego-Shooter zu Amokläufern. Und wenn nicht alles im grünen Bereich ist, dann ist ein Verbot der Computerspiele auch nur eine begleitende Maßnahme, die alleine sicher nicht ausreichen wird. Aber es ist nun einmal einfacher, Computerspiele verbieten zu wollen, als komplexe Probleme anzugehen.
Her mit der Bundeswehr!
Hätten Kampfjets den Amoklauf von München verhindern können? Natürlich nicht, entschuldigen Sie bitte die polemische Frage. Aber wenn die reflexartigen Rufe nach einem Einsatz der Bundeswehr im Inneren kommen – und die kommen wie vorprogrammiert nach jedem Amoklauf und vor allem nach jedem Terroranschlag – muss man halt zunächst fragen, was die Bundeswehr denn konkret „im Inneren“ machen soll? Kampfjets und Panzer werden ja wohl sicher keine ernsthafte Option sein. Mit Sturmgewehren bewaffnete Infanteristen wohl eher auch nicht – Soldaten wurden nun einmal für ganz andere Sachen ausgebildet. Anders sieht es freilich mit der Polizei der Bundeswehr, den Feldjägern, aus.
Ein Einsatz der Feldjäger als eine Art „Notpolizei“ sprengt nun nicht wirklich den Vorstellungshorizont. Aber auch die Feldjäger wurden nicht dafür ausgebildet, bei Amokläufen oder Terroranschlägen im Inneren tätig zu werden. Wenn der Staat dafür sorgt, dass die normale Polizei nicht personell ausblutet, dann ist es überhaupt nicht nötig, sich darüber Gedanken zu machen, ob man Personallücken über den Umweg Bundeswehr schließen kann. Die Trennung zwischen Polizei und Bundeswehr wird ja nicht ohne Hintergedanken vorgenommen. Wer den Einsatz der Bundeswehr im Inneren fordert, dem geht es sicher nicht um die Sicherheit der eigenen Bürger, sondern wohl eher um die Sicherheit vor den eigenen Bürgern. Und dies ist kein Grund für steigende, sondern ein Grund für fallende Beliebtheitswerte. Würde der Wähler derartige Unverschämtheiten auch an der Wahlurne abstrafen, wäre sicher schnell Ruhe im Karton.
Wer die falschen Fragen stellt, findet auch zu den falschen Antworten
Ist es denn wirklich so schwer, sich vorzustellen, woher Amok und Terror kommen? Ist es so überraschend, dass in einer immer unpersönlicher und härter werdenden neoliberalen Leistungsgesellschaft einige derer, die durch das Erfolgsraster fallen und sich selbst als ausgegrenzt sehen, durchdrehen und Amok laufen? Über diese Fragen hat sich Götz Eisenberg erst gestern auf den NachDenkSeiten Gedanken gemacht. Sollten Sie den Artikel nicht kennen; nehmen Sie sich bitte die Zeit.
Und wie sieht es bei Terroranschlägen aus? Ist es so überraschend, dass die Opfer „unseres“ asymmetrischen Kriegs in Nahost und Nordafrika sich nicht nur mit der Opferrolle begnügen, sondern den Krieg auch asymmetrisch ins Feindesland tragen? Darüber hat sich gestern Albrecht Müller Gedanken gemacht. Auch sein Artikel ist eine Leseempfehlung.
Wer eine Krankheit bekämpfen will, muss deren Ursache und nicht die Symptome bekämpfen. Bei den Amokläufen sind das Waffenrecht und Computerspiele bestenfalls Symptome und ein Einsatz der Bundeswehr im Inneren ist noch nicht einmal dies. Mobbing und Leistungsdruck können Ursachen sein. Nicht anders sieht es bei den Terroranschlägen aus. Nur, dass hier die Kriege, die „wir“ in aller Welt führen, als Ursachen gelten müssen. Warum diskutieren wir nicht endlich mal über die Ursachen.