Die EU ist eine verkorkste Konstruktion. Sichtbar daran, womit man sich in Brüssel hauptsächlich beschäftigt.
Mit Freihandel und mit der Subvention der Landwirtschaft zum Beispiel. Stellen Sie sich vor, Sie würden skizzieren wollen, wie ein Land oder eine Gemeinschaft von Ländern organisiert sein soll, was die Ziele sein sollen, was wichtig ist und was unwichtig ist. Sie würden vermutlich auf anderes verfallen als auf die Prioritäten jener, die in Brüssel entscheiden und dort arbeiten. Albrecht Müller.
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Möglicherweise würden Sie angesichts der Kolonnen von LKWs auf unseren Autobahnen die Frage stellen, ob eine Gesellschaft gut daran tut, den Transport von Gütern noch weiter zu forcieren. Sie würden dann logischerweise auf die Idee kommen, dass eine stärkere Regionalisierung der Produktion durchaus sinnvoll sein könnte. Und dann würden Sie entdecken, dass die Freihandelsabkommen eine ganz andere Zielvorstellung zur Grundlage haben. Da wird unterstellt, es sei im Sinne unseres Wohls, wenn wir den Welthandel noch weiter ausdehnen und es würde sich lohnen, dafür zum Beispiel auch die Souveränität unserer Staaten über Gerichtsentscheidungen zu durchlöchern.
Es fällt auf, dass bei all den vielen Debatten über CETA und TTIP die Frage über den Sinn und Zweck dieser Freihandelsabkommen selten gestellt wird, eigentlich nie. Letzthin habe ich einen Beitrag in der „Zeit“ gelesen. Da wurde das Thema nur auf einer abgehobenen Ebene diskutiert, die eine Frage nach dem Warum schon gar nicht mehr vorsieht. Die Journalistinnen und Journalisten sind schon so auf diese Ebene abgehoben, dass sie die Frage nach dem Sinn nicht mehr stellen.
Dass dies so ist, hat viel damit zu tun, dass wir mit der Europäischen Union und ihrer Gestaltung das Drängen auf Handel und Freihandel institutionalisiert haben. Es gibt eine Handelskommissarin. Gibt es eine Kommissarin oder einen Kommissar für Verkehrsvermeidung? Oder für den Kampf gegen Steueroasen und für Steuergerechtigkeit? Oder für Mitbestimmung der abhängig Arbeitenden in den Betrieben? Für ein ausgedehntes Betriebsverfassungsrecht und eine bessere Vermögensverteilung?
Diese Zielvorstellungen von einer besseren Gesellschaft sind nicht institutionalisiert. Umwelt, Soziales, Nachhaltigkeit, die Rechte der Arbeitnehmer sind eher klein geschrieben.
Aber die Subvention der Landwirtschaft ist institutionalisiert und – weil die Großbetriebe die Lobby besser organisieren können – kann man auch von einer Institutionalisierung der Subvention für die Großbetriebe sprechen. Sie wird mit reichlich Geld betrieben. Eine Fehlkonstruktion!
Wichtige Zielvorstellungen, die man von der Gestaltung einer menschlichen Gesellschaft haben könnte, kommen in Brüssel nicht oder nur nebenbei vor. Das liegt an der Konstruktion. Es liegt dann auch noch an der Ideologie, die die Europäische Union und maßgeblich den Lissabon Prozess geprägt hat und die viele der in Brüssel entscheidenden Personen prägt. Das ist bekannt. Darauf, dass auch schon die Konstruktion selbst eine Rolle spielt, wollte ich mit diesem Denkanstoß aufmerksam machen.
Es gibt noch eine Fehlkonstruktion in Brüssel, der wir es zu verdanken haben, dass über die zuvor skizzierten Schlagseiten öffentlich nicht viel debattiert wird: die Korrespondenten der Medien in Brüssel, jedenfalls die deutschen, sind eng mit Brüssel verbunden. Gibt es kritische Berichterstattung und Kommentierung aus Brüssel? Man hat den Eindruck, die dortigen Kolleginnen und Kollegen seien alle embedded, auf Deutsch: eingebunden. Solidarität mit Europa ist ja gut. Aber darum geht es nicht. Es ist die Solidarität mit den Brüsseler Institutionen, die stört.
Nachtrag: Hier noch ein Link zu der Liste der Kommissare der Europäischen Union.