Korrektur zu „An den Hochschulen bleibt die „Elite“ unter sich“
In meinem Beitrag vom 15.08.08 ist mir ein Irrtum unterlaufen. Ich habe aus dem „9. Studierendensurvey“ zitiert und nicht aus dem neuen, gerade veröffentlichten „10. Studierendensurvey“ [PDF – 1.5 MB]. Das bedaure ich sehr.
Ich muss meine Kritik jedoch nur insoweit korrigieren, dass in der Presseerklärung, die das BMBF anlässlich der aktuellen Veröffentlichung herausgegeben hat, darauf hingewiesen wird, dass sich die “Schere” der sozialen Herkunft beim Hochschulzugang vergrößert hat. Allerdings sieht Ministerin Schavan die Schuld für die „akademische Selbstreproduktion“ ausschließlich bei den Schulen. Die Tatsache, dass auch die Übergangsquoten von Abiturienten an die Hochschulen von der sozialen Herkunft bestimmt werden, wird von der Bundesbildungsministerin nach wie vor ignoriert. Wolfgang Lieb
In der Sache habe ich allerdings meine kritischen Anmerkungen zum 9. Studierendensurvey nicht zu korrigieren. Im Gegenteil, die Dominanz des akademischen Milieus an den Hochschulen hat nach den Ergebnissen des 10. Studierendensurveys von 2004 auf 2007 sogar noch zugenommen:
Dass wir in Deutschland das sozial selektivste Schulsystem haben, ist hinlänglich bekannt, das ändert jedoch nichts daran, dass die soziale Herkunft darüber hinaus auch beim Übergang von der Schule in die Hochschule einen großen Einfluss hat:
Von 100 Kindern aus der „hohen“ sozialen Herkunftsgruppe erreichen 85 einen Schulabschluss mit der Berechtigung zum Studieren, und davon gehen danach 81 zur Hochschule.
Von 100 Kindern aus der „niedrigen“ sozialen Herkunftsgruppe schaffen 36 einen solchen Abschluss und von diesen 36 überwinden nur noch 11 die Schwelle zur Hochschule.
Indem Annette Schavan ausschließlich die Schule zum „Sündenbock“ für die fehlende Chancengerechtigkeit macht, verweigert sie jede Diskussion über die Verbesserung der Ausbildungsförderung, über die zusätzliche Barriere, die mit den Studiengebühren für den Hochschulzugang von sozial Schwächeren aufgebaut wurde oder über einen Ausbau des Stipendienwesens.
Dabei ist die Finanzierung eines Studiums ist nach wie vor für viele Studierende ein erhebliches Problem, fast die Hälfte der Studierenden (47%) sieht sich gezwungen, neben dem Studium einer Erwerbstätigkeit nachzugehen.
Die Zahl der BaFöG-geförderten Schüler und Studenten ist sogar gesunken, seit 2002 wurden weder Fördersumme noch Elternfreibeträge oder Einkommensgrenzen angepasst. Die mühselig erreichte Erhöhung der Fördersumme ab dem kommenden Wintersemester gleicht kaum den Preisanstieg aus.
Die Bachelor-Studiengänge haben seit 2004 noch mehr an Unterstützung verloren
Zum Sommersemester 2008 sind von den rund 11.000 Studienangeboten an den Universitäten 2.649 und an den Fachhochschulen 1.836 als Bachelor-Studiengänge angelegt.
Nach wie vor seien die Kenntnisse über die neue Studienstruktur mit Bachelor und Master oft unzureichend. Die meisten Studierenden, vor allem an den Universitäten, seien von den Vorteilen der neuen Studiengänge nicht überzeigt. Der Bachelor habe zwischen 2001 und 2007 sogar an Unterstützung verloren.
Bedenken gegen den „Bologna-Prozess“ richteten sich nicht gegen dessen Ziele, sondern gegen strukturelle und organisatorische Vorgaben.
Allenfalls das Kredit-Punkte-System gilt jeweils für 54% als wichtig; einen Bachelor-Abschluss nach sechs Semestern befürworten an der Fachhochschule aber nur 41% und an der Universität sogar nur 36%. Masterstudiengänge halten 58% an der Fachhochschule und 45% an der Universität für wichtig. (Die größere Zustimmung bei den Fachhochschulen erklärt sich aus der Hoffnung, dass dort mit dem Master erstmals ein höherer Abschluss ermöglicht wird.)
Bedenklich erscheine, dass selbst in der Gruppe der gut informierten Studierenden die Vorbehalte gegen den Bachelor seit 2001 stark zugenommen haben: positive Erwartungen würden seltener geteilt und negative Erwartungen häufiger bestätigt.
Viel häufiger werde auch die zu geringe individuelle Studiengestaltung bemängelt (Zunahme von 35% auf 49%); viel seltener werde als zutreffend angesehen, dass der Bachelor auf dem Arbeitsmarkt gute Chancen eröffne (Rückgang von 38% auf 20%).
Die hohe und steigende Quote von Distanz und Abwertung des Bachelor-Abschlusses bei den gut informierten Studierenden spreche dafür, dass deren Urteile nunmehr begründeter erscheinen und überzeugter vertreten würden. Insofern sei zu erwarten, dass Spaltungen und Streit um den Bachelor zunehmen – und nicht durch einen besseren Informationsstand reduziert oder besänftigt würden.
Insgesamt sei in den nächsten Jahren nicht mit einer größeren Bereitschaft der Studierenden zum Bachelor-Studium zu rechnen, auch wenn sich das Angebot an den Hochschulen mehr etabliert. Denn die Teilnahmebereitschaft bleibe begrenzt, sei sogar leicht rückläufig.
An den Fachhochschulen würden 2007 noch 57% (2004 waren es 64%) der Studierenden unter Umständen ein Bachelor-Studium von sich aus beginnen wollen, an den Universitäten wären es 48% (2004 noch 53%). Sicher in diesem Vorhaben seien sich 34% der Studierenden an den Fachhochschulen und 25% an den Universitäten.
Am meisten sind wohl die Versprechungen einer größeren Internationalisierung des Studiums durch den Bologna-Prozess enttäuscht worden. Die auf stärkere Internationalisierung des Studiums in Europa ausgerichteten Ziele der Hochschulentwicklung, kurz als Bologna-Prozess betitelt, werden zwar von zwei Dritteln oder mehr der Studierenden als wichtig eingeschätzt,
aber insgesamt berichten an den Universitäten nur 9%, an den Fachhochschulen 7% von einer Studienphase im Ausland. In den ersten sechs Semestern (also der Regelstudienzeit für einen Bachelor) waren kaum Studierende zum Studieren im Ausland: an den Universitäten nur 3%, an den Fachhochschulen immerhin 5%.
Bachelor-Studierende haben sogar seltener ein Auslandsstudium vor als Diplom-Studierende.
Die Schlagzeile des BMBF zum „10. Studierendensurvey“ „Studierende erstmals zufrieden mit Qualität des Studiums“ müsste also um den Zusatz ergänzt werden, die Akzeptanz der mit den Studienreformen eingeführten Bachelor-Studiengänge nimmt ab. Fast die Hälfte der Studierenden (47%) befürchtet einen Hochschulabschluss zweiter Klasse.
Siehe dazu auch eine Zusammenfassung in der FR.