Krieg gegen Lehrer
In Mexiko werden die friedlichen Proteste von Lehrern und Aktivisten mit brutalem Staatsterror beantwortet. Währenddessen trifft sich der Präsident des Landes mit seinen US-amerikanischen und kanadischen Amtskollegen und bespricht die Ausweitung seiner neoliberalen Politik. Von den Medien werden die kriegsähnlichen Zustände kaum beachtet. Bereits seit einigen Wochen findet in Mexiko im Schatten der Weltöffentlichkeit ein Lehrerprotest statt, dessen Niederschlagung ihresgleichen sucht. Im Grunde genommen begann alles in Nochixtlán, einer kleinen Stadt im südlichen Bundesstaat Oaxaca, die hauptsächlich von indigenen Bürgern bewohnt wird. Dort riefen örtliche Grundschullehrer einen Streik aus, mit dem sie unter anderem gegen die neoliberalen Bildungsreformen der mexikanischen Regierung protestieren wollten. Von Emran Feroz.
Ein weiterer Grund für die Aktion war die Verhaftung von zwei führenden Personen der Lehrergewerkschaft CNTE, die aus rein politischen Gründen stattfand. Der friedliche Protest der Lehrer begann mit einer Blockade einer Autobahn, die durch die Stadt führt. Im Laufe der Zeit gewann die Demonstration zahlreiche Unterstützer, etwa Eltern, indigene Aktivisten sowie soziale Einrichtungen. Gegenwärtig spricht man von Dutzenden von Blockaden. Die Verbindung zu der wirtschaftlich wichtigen Region Isthmus von Tehuantepec ist mittlerweile vollständig blockiert. Allerdings artete der Protest seitens der Demonstranten zu keinem Zeitpunkt gewalttätig aus.
Ganz anders verhält es sich seitens der Sicherheitskräfte: Die Regierung von Präsident Enrique Peña Nieto hatte keinerlei Interesse an einem Dialog mit den protestierenden Lehrern. Stattdessen wurde ihr Anliegen mit vollster Gewalt beantwortet. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind Tausende von Polizisten in Oaxaca im Einsatz. Da der Landweg aufgrund der Proteste gesperrt war, zog die Bundespolizei es vor, ihre Einheiten einzufliegen. Das Chaos, das im Laufe des Einsatzes kriegsähnliche Szenarien hervorrief, war demnach vorprogrammiert.
Im Laufe ihres Einsatzes griff die Polizei nicht nur massiv auf Tränengas, Gummigeschosse sowie scharfe Munition zurück. Auch Helikopter und Drohnen sind weiterhin im Einsatz. Der Eingriff der Polizei wird de facto vom Militär unterstützt. Auch zivile Milizen, die Berichten zufolge der Regierungspartei PRI nahestehen, wurden aktiv und machten vor den friedlichen Demonstranten nicht halt. Mittlerweile spricht man von mindestens zwölf Toten, darunter auch ein Journalist. Dutzende Demonstranten wurden schwer verletzt, verschleppt und festgenommen.
Niedergeschlagen wurde der Protest bis jetzt jedoch keineswegs. Stattdessen gewann er aufgrund der Repressalien zahlreiche weitere Unterstützer. In Mexiko-Stadt fanden bereits weitere Großdemonstrationen statt, an denen zehntausende Lehrer und Aktivisten aus Solidarität teilnahmen. Selbige Szenarien sind mittlerweile in mindestens fünfzehn Bundesstaaten zu beobachten. Auch mehrere bekannte Schauspieler sowie andere Kulturschaffende des Landes haben sich zu Wort gemeldet und eine Beendigung des Massakers gefordert.
Reaktion auf neoliberale Reformen
Der Frust der Lehrer sowie der Ursprung ihres Protestes liegt auf der Hand. Die Bildungsreform der Regierung von Präsident Peña zielt vor allem auf eine Privatisierung des Bildungssektors ab. Der Anstoß der umstrittenen Reformen begann bereits im Jahr 2013 und führte zu der Massenentlassung zahlreicher Lehrer. Auch in diesen Tagen betont die Lehrergewerkschaft CNTE immer wieder, dass die Eliten des Landes aus Bildung ein Geschäft machen möchten.
Bereits in den ersten Tagen von Peñas Amtseinführung wurde dessen neoliberaler Weg deutlich. Privatisierungen wurden nicht nur im Bildungssektor angekündigt, sondern auch im Bereich des Gesundheitswesens, des Energie- und Telekommunikationssektors sowie in agrar- und finanzpolitischen Belangen. Es sollte in diesem Kontext nicht verwunderlich sein, dass Peñas Regierung vor allem im Interesse der USA, Kanadas sowie führender neoliberaler Finanzinstitutionen wie der Weltbank handelt.
Aus diesem Grund wird der Protest der streikenden Lehrer seitens der mexikanischen Regierung und ihrer Unterstützer extrem einseitig dargestellt. In den letzten Tagen und Wochen konstruierte man immer wieder das Bild von radikalen Lehrern, die sich gegen die staatliche Ordnung stellen sowie friedensschaffenden Sicherheitskräften, die lediglich ihrer Arbeit nachgehen. Letztere gehen tatsächlich nur ihrer Arbeit nach, die man mittlerweile mit reinem Staatsterror vergleichen kann. Ein Staatsterror, dessen militärische Gewalt ohne die Unterstützung der USA nicht möglich wäre. Das jährliche Budget des mexikanischen Militärs beziffert mittlerweile über elf Milliarden Dollar im Jahr. Zahlreiche militärische Geräte stammen aus US-amerikanischer Produktion, während mexikanische Soldaten aktiv von den Vereinigten Staaten, hauptsächlich unter dem Vorwand des Anti-Drogen-Krieges, ausgebildet werden.
Indigener Widerstand
Hervorzuheben ist die Tatsache, dass vor allem jene Regionen von den Repressalien und der neoliberalen Ausbeutungspolitik betroffen sind, die hauptsächlich von indigenen Völkern bewohnt werden. Dies betrifft nicht nur Oaxaca, sondern etwa auch Chiapas, Guerrero und Tabasco, die allesamt im ärmlichen Süden des Landes liegen. Auch in Mexiko wird die Ausweitung der sozialen Schere am Nord-Süd-Gefälle deutlich.
Im Zuge der Industrialisierung des Landes litten die indigenen Völker Mexikos am meisten. Immer wieder wurden sie enteignet, vertrieben, unterdrückt und ermordet. Ungleichheit und Rassismus sind bis heute präsent. Selbiges gilt allerdings auch für den politischen Widerstand innerhalb der indigenen Gemeinschaft. Die Lehrer in Oaxaca und anderswo machen etwa deutlich, dass die geplanten Reformen lediglich eine Fortführung der langjährigen Unterdrückung darstellen. Im Grunde genommen ist es das neu verpackte Erbe der rassistischen Ungleichheit im Land.
Niederschmetterndes Desinteresse
In den westlichen Medien findet die gegenwärtige Situation in Mexiko kaum Beachtung. Dies ist allerdings nichts Neues. Allein aufgrund des dort vorherrschenden Drogen-Krieges, bei dem Washington seit Jahrzehnten federführend ist, hat das Land jährlich Zehntausende von Toten zu beklagen. Seit 2006 wurden über 185.000 Menschen getötet.
Das brutale Vorgehen gegen friedliche Lehrer scheint für viele westliche Akteure deshalb umso weniger erwähnenswert zu sein. Allem Anschein nach scheint man sich ein Beispiel am mexikanischen Präsidenten zu nehmen. Es ist nämlich davon auszugehen, dass dieser sein brutales Vorgehen beim gegenwärtig stattfindenden Nordamerika-Gipfel kaum zur Ansprache bringen wird. Selbiges gilt allerdings auch für seine beiden charismatischen Amtskollegen, Barack Obama und Justin Trudeau. Der Widerstand der Menschen in Mexiko richtet sich letztendlich nämlich auch gegen sie.