INSM-Manipulation: Höhere Preise durch Mindestlohn? Nein danke!
“Mindestlohn macht Friseur und Urlaub teurer.” Das berichtet die BILD-Zeitung unter Berufung auf eine Studie der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM). Nach Einschätzung von Experten würde ein gesetzlicher Mindestlohn von 7,50 Euro pro Stunde Waren und Dienstleistungen bis zu 40 Prozent verteuern. Das würden die Deutschen nicht hinnehmen, obwohl sie grundsätzlich mehrheitlich für eine staatlich festgelegte Lohnuntergrenze sind. So das Ergebnis einer Befragung des ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung und TNS emnid für die INSM (Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft).“
Ein typisches Beispiel dafür, dass es der Propaganda-Organisation INSM nur um die Verbreitung von Arbeitgeberinteressen in Sachen Mindestlohn geht, dabei scheut sie vor Täuschung und Irreführung nicht zurück. Das ach so „wissenschaftliche“ Ifo-Institut von Professor Sinn und das Meinungs-„Forschungs“- Institut TNS emnid leisten Beihilfe zu dieser Manipulation. Wolfgang Lieb
Die Täuschung fängt schon mit der Behauptung an Waren und Dienstleistungen würden sich bei einem Mindestlohn um bis zu 40 Prozent verteuern. Es mag sein, dass sich die Kosten für einen Friseurbesuch im ländlichen Osten, wo für Friseurinnen nur ein Stundenlohn von 3 Euro bezahlt wird, bei einen Mindestlohn von 7.50 Euro bei allen (!) Friseuren deutlich verteuern würden. Aber bei einem allgemeinen Mindestlohn, hätten die Arbeitnehmer auch mehr Geld in der Tasche, mit dem sie einen Friseurbesuch auch bezahlen könnten.
Im Text der INSM heißt es aber nicht, dass sich einzelne Waren und Dienstleistungen um bis zu 40 Prozent verteuern würden, sondern der unbestimmte Artikel wurde vermutlich ganz bewusst unterschlagen, um beim Leser den Eindruck zu erwecken alle oder zumindest eine große Zahl von Waren und Dienstleistungen würden sich verteuern.
Wäre es tatsächlich so, dass sich sehr viele Waren und Dienstleistungen bei einem Mindestlohn von 7.50 Euro um 40 Prozent verteuern würden, so müsste man ja daraus den Rückschluss ziehen, dass bei der Produktion einer großen Zahl von Waren und bei sehr vielen Dienstleistungen Löhne weit unterhalb dieses Mindestlohns bezahlt würden. Das wäre natürlich auch nicht im Sinne der Propagandisten der INSM.
Schaut man sich den Fragebogen der TNS emnid-Umfrage [PDF – 36 KB] an, so entdeckt man schon in der Einleitung, dass der Fragebogentext nicht der Zuspitzung der INSM entspricht. Dort heißt es:
Das ifo Institut hat errechnet, um wie viel sich die Verkaufspreise erhöhen könnten, würde die Produktion bzw. Dienstleistung in Deutschland unter Einhaltung eines Mindestlohns von 7,50 Euro die Stunde erfolgen. Zu einem erheblichen Teil werden heute Elektrogeräte aus Kostengründen im Ausland gefertigt. Würde man die Geräte vollständig in Deutschland herstellen unter Einhaltung eines Mindestlohns von 7,50 Euro die Stunde, würden sich im Falle von Waschmaschinen und Staubsaugern die Verkaufspreise um ca. 25% und bei Fernsehgeräten um ca. 15% erhöhen.
Lassen wir einmal beiseite, wie das Ifo-Institut, das unter der Leitung des berüchtigten Vorkämpfers für Niedrigstlöhne zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, Professor (Un-)Sinn steht, die Preissteigerungen errechnet hat.
Dazu nur zwei Einwürfe:
- Sind etwa Waschmaschinen oder Staubsauger aus Frankreich oder England (wenn sie denn dort hergestellt würden), wo es höhere Mindestlöhne als 7.50 Euro gibt um 25 bzw. 15 % teurer?
- Die Hersteller von Elektrogeräten unterliegen in aller Regel den Tarifverträgen der Elektroindustrie. Die dort zwischen den Tarifparteien ausgehandelten und allgemeinverbindlich erklärten Löhne dürften vielleicht nicht sehr hoch liegen, aber jedenfalls schon heute über dem Mindestlohn von 7.50 Euro.
Die in der Einleitung zum Fragebogen gemachte Annahme „würde man die Geräte vollständig in Deutschland herstellen“ ist hypothetisch und völlig realitätsfremd, denn jedenfalls die billigen Waschmaschinen und Staubsauger (von Siemens, AEG oder Elektrolux) werden schon längst nicht mehr komplett in Deutschland hergestellt. Man müsste also Löhne wie in Asien oder in Osteuropa haben, damit sich die entsprechenden Zulieferer von Komponenten wieder in Deutschland ansiedelten.
Die Manipulation setzt sich in den Einzelfragen fort. Z.B.:
Wären Sie bereit, für Kosmetikartikel aus deutscher Produktion einen ca. 25% höheren Preis zu zahlen, als es derzeit der Fall ist, wo einzelne Arbeitsschritte in lohnkostengünstigeren Ländern erfolgen?
Die erste, methodische Fragwürdigkeit besteht darin, dass in dieser Frage gar nicht mehr auf den Mindestlohn abgehoben wird, sondern auf die Lohnkosten anderer (Billiglohn-) Länder.
Es ist eine reine Behauptung, dass die Kosmetikartikel aus deutscher Produktion 25 % teuerer wären.
Gesetzt den Fall, dass es allein die Lohnkosten wären, die den Artikel teurer machten und angenommen die Produzenten würden tatsächlich in Deutschland produzieren, dann wären die Kosmetikhersteller keine Unternehmer, wenn sie nicht durch technische Innovationen den Lohnkostenanteil an ihrem Produkt zu senken versuchten. Die in der Frage unterstellte Aussage lässt also die Lohnkosten als „Peitsche“ des technischen Fortschritts völlig außen vor.
Warum sollten die Konsumenten, nur weil es sich um eine deutsche Produktion handelt, ein Viertel mehr bezahlen?
Die Antworten einer Mehrheit der Befragten beweisen eigentlich nur, dass diese Marktwirtschaft und internationale Arbeitsteilung besser begriffen haben, als die ach so freihandelsorientierte INSM. Es ist doch für die heutigen Konsumenten im Regelfall völlig egal, wo die Produkte hergestellt werden, sie verhalten sich „ökonomisch rational“ und kaufen das preisgünstigste Produkt mit dem höchsten Nutzen. Das Schlagwort „Kauft deutsche Produkte“ – das haben die Konsumenten gelernt – ist für die meisten keinen höheren Preis wert.
Die Leute entscheiden sich für einen Toyota oder Hyundai, weil er ihrer Ansicht nach billiger und besser ist als etwa ein VW oder ein Ford.
Überraschend ist viel eher die Aussage, dass immerhin 38 Prozent der Befragten bereit wären für einen Kosmetikartikel aus rein deutscher Produktion ein Viertel mehr zu bezahlen.
Die Irreführung geht in der Überschrift zur zweiten Frage weiter:
69% der Deutschen sind nicht bereit, die mindestlohnbedingten 40% höheren Kosten eines Friseurbesuchs, zu zahlen. Sie würden seltener zum Friseur gehen oder Schwarzarbeit akzeptieren.
Lassen wir einmal die falsche und übertreibende Zahl außer acht, dass es nach der Grafik nicht 69 % sind, die seltener zum Friseur gehen oder Schwarzarbeit akzeptieren wollten, sondern nur noch 40% bzw. 22 %, also zusammen 62 %.
Wir wollen auch nicht darüber reden, ob bei dieser Frage nur die Damen ausgewertet wurden und damit das Umfrage-Sample fragwürdig würde. Sollten aber alle Befragten ausgewertet worden sein, so redete zumindest die Hälfte (nämlich die Männer) über einen Sachverhalt, zu dem sie keinen persönlichen Bezug haben, weil sie eben nicht die Preise für einen Damenfriseur bezahlen müssen.
Auch die in der Umfrage angebotenen Antwortalternativen sind unlauter. So stimmen 22% der Aussage zu:
Ich würde dann zu einem Billigfriseur gehen, auch wenn es sich dabei um Schwarzarbeit handeln sollte.
Billigfriseur mit Mindestlohn? Oder: Wo gibt es den „Friseur“ der offen schwarzarbeiten könnte?
Es wird eben nur die typische Propagandamasche der INSM abgefragt, wonach Mindestlöhne eben zu mehr Schwarzarbeit führten.
Dass die Befragten antworten, sie würden seltener zum Friseur gehen, wenn es teurer würde, entspricht sowohl der ökonomischen Konsumfunktion als auch einer spontanen Reaktion der Konsumenten. Was sagt das aber gegen den Mindestlohn. Sicher beim Friseur besteht möglicherweise eine hohe Nachfrageelastizität, höher als vielleicht beim Benzin oder beim Heizöl. Aber gab es etwa beim gewiss elastischen Zigarettenkonsum für den in den letzten Jahren mindestens so hohe Preissprünge zu verzeichnen waren, einen der Preiserhöhung entsprechenden Rückgang der Nachfrage nach Zigaretten?
Dass 40 % der Befragten antworten, sie würden seltener zum Friseur gehen, ist eine triviale Antwort, die nichts über das tatsächliche Konsumverhalten aussagt.
Wie viele Leute würden aber mit einem Mindestlohn es sich erst wieder erlauben können, überhaupt zum Friseur zu gehen? Danach wurde natürlich nicht gefragt.
Völlig unsinnig ist die dritte Frage:
Im Falle eines Mindestlohns von 7,50 Euro pro Stunde würde sich im Hotel- und Gaststättengewerbe in Deutschland eine Preissteigerung um bis zu 15% ergeben. Eine Urlaubs-Wochenpauschale würde dann z.B. 575 Euro kosten statt bisher 500 Euro. Wie würden Sie sich bei Ihrer Urlaubsplanung verhalten?
… so lautet die Vorgabe.
32% der Befragten würden dann „eben nicht in Deutschland z.B. an der Ostsee, sondern auf Mallorca Urlaub machen“.
Wie viele der Befragten fahren aber, ob mit oder ohne Mindestlohn nicht ohnehin nach Mallorca oder ins Ausland in Urlaub? Müsste diese Vorfrage nicht in die Umfrage eingehen?
Jeder Blick ins Internet zeigt, dass es heute schon Billigstangebote auf Mallorca ab 200 Euro gibt. Man fragt sich also, warum die Leute nicht schon jetzt lieber auf die Insel, statt an die Ostsee fahren.
In der Überschrift heißt es:
66% (würden) ihren Urlaub in Deutschland einschränken oder gleich ins Ausland fahren.
Im Antwortangebot heißt es dagegen: „Ich würde mich wohl etwas einschränken und in Deutschland Urlaub machen“. Die Antwort lautet also, die Befragten würden nicht „ihren Urlaub in Deutschland“ einschränken, sondern sie würden sich „wohl etwas einschränken“.
Selbst redend ist es ein Unterschied, ob man 75 Euro aus seinem begrenzten Budget mehr ausgeben müsste. Wobei sich die Leute dann allerdings einschränken würden, ob beim Trinken, bei Unternehmungen oder bei sonstigen Urlaubsaktivitäten, bleibt völlig dahin gestellt.
Tatsache wäre nach dem Umfrageergebnis aber immer noch, dass jedenfalls fast doppelt so viele, wie diejenigen Befragten, die über ein Ausweichen ins Ausland nachdenken, dennoch in Deutschland urlauben würden.
Die Überschrift verfälscht also das Ergebnis komplett.
Jeder der diese Umfrage auch nur ein wenig genauer ansieht, kann erkennen, dass sie tendenziös, unseriös und methodisch fragwürdig ist.
Dass sich das Ifo-Institut und das Meinungsforschungsinstitut TNS emnid für solche Propagandaaktivitäten missbrauche lassen und sich nicht dagegen wehren, beweist nur dass sie sich für solche Werbezwecke hergeben.
Die offenkundige Manipulation hindert BILD und andere Medien nicht die Propaganda der INSM kritiklos als Meldung aufzugreifen.