Best of Brexit-Blödsinn – wie das britische Referendum der schreibenden Zunft den Verstand klaut
Offenbar wurden auch die Medien vom Brexit-Votum der Briten überrascht. Anders ist es eigentlich kaum zu erklären, dass in den Tagen nach dem Referendum ausschließlich qualitativ minderwertige Artikel zum Thema publiziert wurden, die dafür jedoch emotional hoch aufgeladen waren. Gerade so, als hätten die Briten nicht für einen EU-Austritt gestimmt, sondern seien stattdessen mit den Ehepartnern unserer lieben Qualitätsjournalisten durchgebrannt. Und wo die Emotionen schäumen, schleichen sich schon mal Fehler ein. Das ist natürlich eine Untertreibung. Die Zahl der groben Fehler bei der Brexit-Berichterstattung ist endlos lang und es ist unmöglich, sie hier lückenlos aufzuzählen. Dafür haben wir aber für Sie ein kleines Best-of-Brexit-Blödsinn zusammengestellt. Von Jens Berger.
Das Abendland geht unter! Selbst die „Unis fürchten schwere Folgen des Brexit“ weiß der Tagesspiegel zu berichten und zahlreiche andere Zeitungen teilen die Sorge, dass auf die Studenten nun schwere Zeiten zukommen. Die Begründung ist erstaunlich: Es geht um das Erasmus-Programm der EU. Die Logik: Wenn Großbritannien die EU verlässt, können Erasmus-Studenten nicht mehr nach Großbritannien und britische Studenten nicht mehr auf den Kontinent. Das ist jedoch nicht zu befürchten, nehmen doch auch Nicht-EU-Länder wie Norwegen, Island oder auch die Türkei am Erasmus-Programm teil. Es gibt absolut keinen Grund anzunehmen, warum Großbritannien in der Post-EU-Ära aus dem Programm aussteigen sollte.
Es ist ja löblich, dass unsere Qualitätsjournalisten sich überhaupt um die Jugend Sorgen machen. Verdrängt wurden die Studenten auf den Titelseiten zunächst von anderen jungen Leistungsträgern – den millionenschweren Fußballprofis.
In den englischen Fußballligen gibt es qua EU-Recht keine Arbeitsbeschränkungen für EU-Ausländer – sehr wohl gibt es jedoch Beschränkungen für Spieler aus Nicht-EU-Ländern. Klick, Klack – wenn Großbritannien nun die EU verlässt, können ja auch die alten Regeln nicht mehr gelten und Stars wie „unser Schweini“ müssen dann – so die größte Sorge von SPIEGEL Online und Co. – England verlassen. Das wäre ja auch eine echte Katstrophe! Doch zumindest Bastian Schweinsteiger kann entspannt durchatmen: Selbst wenn die britische Politik es mit dem Brexit ernst meint und aufs Tempo drückt, wird Großbritannien frühestens im Herbst 2018 die EU verlassen. Und dann ist Schweinsteiger stolze 34 Jahre alt und sicher nicht mehr in der engeren Auswahl für ein englisches Top-Team. Und auch seine Kollegen werden sich keine Sorgen machen müssen, liegt es doch einzig und allein in der Entscheidungsgewalt des englischen Fußballverbandes FA ob und welche Einschränkungen er erlässt. Damit wäre die wichtigste Sache der Welt eigentlich auch brexit-technisch abgehakt. Kommen wir zur zweitwichtigsten Sache der Welt – dem lieben Geld.
Brexit vernichtet fünf Billionen Dollar!
Fünf Billionen Dollar! Das Doppelte der gesamten Wirtschaftsleistung Großbritanniens! So viel Geld soll der arme Brite mit seinem Votum pro Brexit so mir nichts dir nichts vernichtet haben. Das meint zumindest der SPIEGEL und zahlreiche andere Medien schlossen sich diesem Nonsens an.
Was ist so Dramatisches geschehen? Die Börsen sind eingebrochen, so liest man. Ein „Schwarzer Freitag“, so weiß es auch der Herr Kaiser von SPIEGEL Online. Schwarzer Freitag? Nun ja. Der EURO STOXX 50, der die größten börsennotierten Unternehmen der Eurozone abbildet, hat im Vergleich zur letzten Woche 5,7% nachgegeben. So was passiert an den Börsen mehrfach pro Jahr. Kein Grund zur Panik. An ebenso vielen Tagen geht es auch wieder aufwärts mit den Kursen. Vor dem Referendum lag der Kurs des Index übrigens rund 20% unter dem diesjährigen Höchstwert. Da kann man sehen, welche „Werte“ jeden Tag an den Börsen „vernichtet“ werden. Der britische Aktienindex FTSE 100 ist übrigens im Vergleich zu letzter Woche um lediglich 1,1% gefallen und liegt aktuell einen halben Prozentpunkt über dem 3-Monats-Durchschnitt. Getreu der SPIEGEL-Logik haben die „Brexiteers“ also in Großbritannien Milliarden-Werte geschaffen.
Auch das ist natürlich Unfug. An den Börsen werden weder Werte geschaffen, noch Werte vernichtet. Es werden lediglich Preise festgelegt; Preise, die nicht immer plausibel sind. „Vernichtet“ wurde am letzten Freitag daher auch kein einziger Cent.
Jeder von uns könnte bald um 12.884 Euro ärmer sein!
Das behauptet zumindest wortwörtlich der alarmistisch durchgeknallte WELT-Finanzredakteur Holger Zschäpitz im gleichnamigen Artikel. 12.884 suggeriert natürlich Exaktheit – wahrscheinlich kennt Zschäpitz die genaue Summe sogar bis auf die vierte Stelle hinter dem Komma. Und wie kommt er a) darauf, dass „jeder von uns“ bald ärmer sein könnte und b) auf die grotesk hohe Zahl?
„Eigene Berechnungen“, so nennt man es als Finanzjournalist, wenn man Zahlen promoten will, die derart absurd sind, dass noch nicht einmal Hans-Werner Sinn oder Thorsten Polleit ihren Namen dafür hergeben. Zschäpitz und Kollegen haben halt nach eigener Auskunft so einiges „heruntergebrochen“ und sind dann auf diese Zahl gekommen. Das ist vor allem deshalb drollig, da mehr als die Hälfe aller deutschen Haushalte ein Nettogeldvermögen hat, das kleiner als 13.000 Euro ist. Nachdem Sie also schon durch „die Griechen“, „den Draghi“ und hunderte Male durch „die Inflation“ enteignet wurden, ist nun „der Brexit“ als großer Enteigner dran. Nun ja. Aber trösten Sie sich: „Die ersten Milliarden sind bereits verloren“, so die Autoren. Wenn auf Ihrem Konto also heute noch genau so viele Milliarden sind wie am Donnerstag, sind Sie noch einmal mit einem blauen Auge davon gekommen.
Plötzlich ist die EU nur die Hälfte wert!
Auch Zschäpitz´ Kollege Sascha Lehnartz hat sich nicht lumpen lassen und halbiert den Wert der EU mal flugs mit einem Federstrich. Auf eine Begründung, wie er auf diese Zahl kommt, lässt Lehnartz den Leser wohlweislich warten. Stattdessen poltert der Springer-Akademie-Absolvent lieber gegen Gott und Welt … nur nicht gegen „uns“ und die Briten, die alles richtig gemacht haben. Nun sei Deutschland gefangen in einer Gemeinschaft mit „Südländern“, deren Stärken nur in den Bereichen „kreative Buchführung und Transferempfang“ liegen, einem „reformunfähigen Frankreich“ und einigen wenigen „haushalts-vernunftbegabten Nordeuropäern“, die laut Lehnartz jedoch selbst austreten wollen.
Diplomatie war halt schon immer die Stärke der Springer-Schreiberlinge. Mit dem volkswirtschaftlichen Hintergrundwissen hapert es jedoch. Als Absolvent des Studienfaches „Vergleichende Literaturwissenschaften“ kann Lehnartz hier jedoch auch nur wiedergeben, was seine Kollegen ihm vorgekaut haben. Ok; warum dürfen Ökonomen in der WELT dann aber keine Romane rezensieren?
Nun wird´s für uns billiger!
Wenigstens die FAZ kann dem Brexit etwas abgewinnen. Dort hat das Finanzressort nämlich genau nachgerechnet und festgestellt, dass „Verbraucher“ (also wir alle) nun „billig in England bestellen“ können. Das „schwache“ Pfund macht´s möglich! Nun ja, das Pfund ist im Vergleich zum Euro seit Mitte letzter Woche um sagenhafte 5,2% gesunken. Dafür kostet es jedoch auch mindestens £19.10, ein Paket versichert nach Deutschland zu schicken. Die bestellte Ware sollte also schon mindestens £367 kosten, um die Portokosten durch den Währungsverlust wieder zu kompensieren. Doch dummerweise sind normale Pakete nur bis £250 versichert. Was laut FAZ ein Schnäppchen ist, könnte also im Nachhinein recht teuer werden.
Um die Leser eines Besseren zu belehren, fährt die FAZ jedoch einige konkrete Beispiele von Waren auf … die jedoch auch vor dem Brexit-Votum inkl. Porto viel günstiger als in Deutschland waren.
Das Pfund, eine machtlose Währung!
Das britische Pfund muss auch in der Berichterstattung der Süddeutschen Zeitung für allerlei Redakteursphantasien herhalten. Das Pfund sei „abgestürzt wie noch nie“, so die Süddeutsche. So, so. Dann schauen Sie sich doch mal bitte den 5-Jahres-Chart zum Tauschverhältnis des britischen Pfunds und des Euros an.
Ist es wirklich erstaunlich, dass diese Grafik den Schlagzeilen der Medien dann doch eklatant widerspricht? Wer das Pfund schlechtreden will, der vergleicht es natürlich auch nicht mit dem Euro, sondern mit dem Dollar. Hier liegt das Pfund in der Tat auf einem – wenn auch sehr leicht – historischen Tiefkurs. Das war jedoch – mit Ausnahme zweier unbedeutender Ausreißer – auch schon vor dem Referendum der Fall! Und die Aussage, dass der leichte Preisverfall des Pfunds gegenüber dem Dollar der („wie noch nie“) größte Verlust der Geschichte war, ist natürlich ebenfalls grober Unfug. Als der Spekulant George Soros das Pfund 1992 attackierte und aus der Währungsschlange des EWS drängte, verlor die britische Währung binnen weniger Tage 25% gegenüber dem Dollar. Mehr als 30% betrugen die Verluste im September 2008 während der letzten Finanzkrise. Dagegen sind die 7,2%, die das Pfund nach dem Referendum gegenüber dem Dollar verloren hat, wahrlich Peanuts.