Kommentar zu einem Bild-Artikel von Scharping
„So ist meine SPD noch zu retten!“ Das ist der Titel eines Beitrags von Rudolf Scharping in der Bild-Zeitung. Immerhin schreibt er, dass die Agenda 2010 für viele Sozialdemokraten eine Zumutung war. Ansonsten enthält auch sein Beitrag kein Wort zu der entscheidenden Schwäche der heutigen SPD und darüber hinaus eine Reihe von Zumutungen. Auf diese wird hier eingegangen. Albrecht Müller.
Eine der wesentlichen Ursachen des Niedergangs der SPD ist die Tatsache, dass sich die SPD heute über weite Strecken fremdbestimmen lässt. Die gesamte Reformpolitik, die Zerstörung des Vertrauens in die gesetzliche Rente, die Zerstörung der Arbeitslosenversicherung als eines einigermaßen wirksamen Schutzes gegen die finanziellen Nöte als Folge von Arbeitslosigkeit, die forcierte Privatisierung, wie sie zum Schluss mit der Entscheidung für die Teilprivatisierung der Bahn sichtbar wurde, die politische Korruption, die bei allen diesen Zerstörungswerken sichtbar wird – all das kommt in Rudolf Scharpings Beitrag nicht vor. Dabei ist Scharping selbst bei einer der markantesten Fremdbestimmungen der Politik der SPD maßgeblich beteiligt gewesen: der militärischen Intervention außerhalb des Nato-Bereichs. Tausende von Sozialdemokraten haben die Partei verlassen, andere sind in die innere Emigration gegangen, als Scharping in täglichen Pressekonferenzen den Kosovo-Krieg begleitete und diesen übrigens auch zur Steigerung der eigenen Popularität bei allen Kriegsbegeisterten nutzte.
Nun zu einzelnen Zumutungen in dem Beitrag von Scharping für die Bild-Zeitung. Der Einfachheit halber schreibe ich meine Kommentare kursiv und versehen mit „AM“ hinter den Text von Scharping.
BILD: Der Streit in der SPD um Wolfgang Clement und Andrea Ypsilanti lässt die Partei in der Wählergunst immer weiter abrutschen (20 Prozent/Forsa)!
Für heute hat Clement in Bonn eine Pressekonferenz angekündigt. In BILD schreibt der ehemalige SPD-Vorsitzende Rudolf Scharping, was seine Partei jetzt tun muss:
Der drohende Parteiausschluss von Wolfgang Clement und die direkte Aufnahme von Gesprächen zwischen Hessens SPD-Chefin Andrea Ypsilanti mit der Linkspartei, beides kennzeichnet eine bedrohliche Situation für die SPD! AM: Nicht der Parteiausschluss, sondern Clements Verhalten vor und nach dem Ausschluss-Beschluss kennzeichnet eine bedrohliche Situation.
Wie immer in schwerer See braucht es deshalb klaren Kurs und klare Führung! Im Fall Wolfgang Clement hat sich der Parteivorstand in das Verfahren eingeschaltet und damit ein Zeichen gesetzt. AM: Aus dieser Intervention der Parteiführung in ein ordentliches innerparteiliches Verfahren werden weitere Probleme erwachsen, im Übrigen auch weiterer Frust unter jenen Mitgliedern, die das Verhalten von Clement für unerträglich halten. Dem müssen unbedingt weitere Signale folgen!
Die Menschen wollen eine handlungsfähige und zukunftsfähige Sozialdemokratie in Deutschland, nicht einen lockeren Club von Landesverbänden. AM: Hier versucht Scharping, das Problem auf ein Feld zu verschieben, das als Problem bisher überhaupt nicht erkennbar war. Die SPD leidet nicht unter der Autonomie der Landesverbände. Scharping bläst ein Nicht-Problem zu einem Problem auf.
Das heißt: Alleingänge von Landesverbänden in national entscheidenden Fragen kann die Parteiführung nicht dulden. AM: Wenn Scharping in der Ablösung Roland Kochs in Hessen eine „national entscheidende Frage“ sieht, dann kann man ihm zustimmen. Dann müsste er aber Andrea Ypsilanti unterstützen, statt ihr im konkreten Fall dieses Interviews in den Rücken zu fallen. Die SPD darf nicht verwechselbar werden! Sie muss ihren Führungsanspruch und ihre Fähigkeit als Volkspartei schützen und ausbauen. AM: Führungsanspruch wahrnehmen hieße im Falle Hessens, den Wählerwunsch auf einen Wechsel auch umzusetzen.
Sie darf nicht in wichtigen Zukunftsfragen – Friedenspolitik, weltweite Wettbewerbsfähigkeit, Energieversorgung, sozialer Frieden – gegensätzliche Konzepte vertreten. AM: das ist schön gesagt. Aber was heißt das konkret? Manchmal gibt es einen notwendigen Disput um verschiedene Lösungen. Konkreter Fall Friedenspolitik: der weitere und verstärkte Einsatz in Afghanistan ist doch nicht selbst verständlich.
Die SPD muss als eine Partei wahrgenommen werden, statt sich zu zerfleddern in gegensätzlichen Konzepten. Sie darf schon gar nicht einer Partei von Linkspopulisten hinterherrennen, die Wähler beschwindeln, anstatt die Wahrheit zu sagen. AM: Hier spricht Scharping nur die gängigen Vorurteile nach.Die Führung der SPD darf die Wunden nicht länger ignorieren, die der Partei durch die Agenda 2010 vor fünf Jahren zugefügt wurden.
Keine Frage: Die Agenda enthält wichtige Änderungen. AM: welche denn? Doch die Überrumpelung – um nicht zu sagen Vergewaltigung, mit der sie 2003 durch die Partei gepeitscht wurde, hat die SPD bis heute nicht aufgearbeitet. AM: Hier tut Scharping wie einige andere so, als wäre die Agenda 2010 nur schlecht verkauft worden.
Ich rate meiner Partei: Nicht wegducken, aber über die Agenda 2010 hinausdenken. Das bedeutet: Die positiven Effekte sozialdemokratischer Reformpolitik gemeinsam vertreten. Mehr als 1,5 Millionen neue Arbeitsplätze in den vergangenen zwei Jahren sind ein enormer Erfolg. AM: das ist eine der gängigen Lügen. Die neuen Arbeitsplätze sind zum großen Teil Minijobs und andere unsichere Arbeitsverhältnisse. Darauf soll die SPD jetzt auch noch stolz sein.
Darauf kann die SPD stolz sein, statt sich in immer neue Debatten um pure Verteilungspolitik zu verstricken. AM: auch hier die gängige Nachplapperei. Die Korrektur der Erhöhung des Renteneintrittsalters zum Beispiel wäre doch keine Verteilungspolitik. Auch die Einführung eines Mindestlohns wäre keine pure Verteilungspolitik. Eine andere Makropolitik mit dem Ziel, neuer Arbeitsplätze zu schaffen und die Rezession aufzufangen, ist das Gegenteil von purer Verteilungspolitik. Das Problem, was auch an Scharping sichtbar wird: die SPD hat nur noch Nachplapperer an der Spitze. Keine Personen jedenfalls, die fähig sind zu eigener konzeptioneller Arbeit. Zugleich braucht die SPD neue Konzepte, die über die Agenda hinausweisen. Statt sklavisch an Entscheidungen der Vergangenheit festzuhalten, empfiehlt sich neues Nachdenken. AM: in das immerhin ist eine erfreuliche Erkenntnis.
Rudolf Scharping (60) war von 1993–1995 SPD-Vorsitzender
Die Heraufsetzung des Rentenalters auf 67 Jahre war für viele eine Zumutung. Erfahrung und Wissen, Leistung und Verantwortung der Älteren werden immer wichtiger.
Statt einer starren Altersgrenze sollte die SPD plädieren für Leistungen der Rentenversicherung nach einer Mindestzahl von Beitragsjahren (40 + x).
Danach kann jeder frei entscheiden, ob er ganz oder teilweise weiterarbeiten, mit Beiträgen seine Rente verbessern oder den erworbenen Rentenanspruch einlösen will. Solche Freiheit steht einer modernen Gesellschaft gut.
WL: Das bedeutet nichts anderes als die Fortschreibung der derzeitigen Rentenpolitik garniert mit Freiheitsrhetorik und der üblichen Diskrepanz zwischen Freiheitspathos und den Bedingungen der Möglichkeit zur Wahrnehmung der Freiheit für den einzelnen. Der Vorschlag ändert nichts an den bisherigen Rentenabschlägen noch macht er die Rente armutsfest. Wer länger – also bis 67 – hat weniger Rentenabschläge hinzunehmen, als derjenige, der vorher ausscheidet. Worin soll der Unterschied zum derzeitigen Kurs des Rentenabbaus liegen?