Rot-Grün im Bunker
Bundesregierung und Koalitionsspitze trafen sich in den vergangenen Tagen in Neu-Hardenberg zu einer Klausur. Dabei wurde deutlich, dass Bundesregierung und Koalition bei dem, was sie Reformen nennen, „durchzumarschieren“ gedenken: keine Revision vom Hartz IV, keine Entspannung des Verhältnisses zu den Gewerkschaften, keine Zugeständnisse an die ostdeutschen Länder, wenn die ostdeutschen Ministerpräsidenten sich heute Abend mit dem Bundeskanzler treffen. Dabei gäbe es gute Gründe, speziell diese Reform zu überdenken, und viel gute Gründe, mit den Gewerkschaften anders umzugehen. Anders als öffentlich der Eindruck entstanden ist, haben sie bisher viele Affronts von Seiten der rot-grünen Koalition weggesteckt. Vermutlich war das die falsche Strategie.
Einige Anmerkungen zu den einzelnen Punkten:
- Die Kritik an Hartz IV und die Bedenken wachsen inzwischen auch in Medien, die bisher den strammen und bedenkenlosen Reformkurs mitgefahren sind. Bestes Beispiel wiederum der „Spiegel“, der seinen einschlägigen Artikel mit „Aufbruch oder Absturz“ überschreibt und fragt: „Sinkt jetzt die Arbeitslosigkeit?“ Auf die Idee, diese offiziell gehegte Erwartung in Frage zu stellen, hätte man schon früher kommen können. Hartz IV verschlechtert die Lage der Arbeitslosen und setzt sie unter Druck, jedwede Arbeit anzunehmen. Wenn aber keine Arbeit da ist wie in Ostdeutschland, dann führt dies nur zu einer Verschlechterung der Einkommenslage dieser Menschen und Familien und dann auch jener Betriebe und Gewerbe, die auch von der Kaufkraft von Arbeitslosen abhängig sind. Weil dies vor allem in Ostdeutschland vermutlich nichts außer einer Erschwerung des Lebens der betroffenen Menschen bringt, drängen die ostdeutschen Ministerpräsidenten auf eine Revision. Bundeskanzler Schröder und Wirtschaftsminister Clement aber bleiben standhaft, wie es so schön heißt. „Schröder gegen Extrawurst Ost“, schreibt Spiegel Online. Einen solchen Begriff bedenkenlos zu nutzen, um ein Begehren zu beschreiben, dass eine sehr ernste Situation zu mildern versucht, das zeigt sehr viel vom zynischen Geist, der sich in diesen Redaktionsstuben breit gemacht hat.
- Was jetzt im Parlament verabschiedet worden ist und Anfang des Jahres 2005 in Kraft tritt, wird Arbeitsmarktreform genannt. Der Wirtschaftsminister hat damit sein Schicksal verbunden. Wenn diese Reform scheitert, dann betrachtet er sich als gescheitert. Die Dimension dieses Vorgangs begreift man, wenn man sich klar macht, was die Funktion eines Wirtschaftsministers in der jetzigen Situation wäre und welches minimale Teilchen des Arbeitsmarktes die verabschiedete Reform betrifft: Selbst bei einer Arbeitslosigkeit von zehn Prozent betrifft diese Reform nur ein Zehntel der Vorgänge auf dem Arbeitsmarkt. Die meisten Neueinstellungen finden ohnehin jenseits des Arbeitsamtes bzw. der Bundesagentur statt. Wenn ein Unternehmen neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter braucht, dann werden diese in der Regel ganz anders akquiriert als über das Arbeitsamt. Das ist keine Kritik an den Beschäftigten der Arbeitsämter. Es ist die Beschreibung der realen Lage.
Der Wirtschaftsminister hat eigentlich die Aufgabe, für Beschäftigung zu sorgen und nicht die Aufgabe, die Arbeitslosigkeit zu verwalten. Er verbindet sein Schicksal aber mit dieser Verwaltung der Arbeitslosigkeit. Besser hätte er sein Schicksal im April und Mai mit der Kurskorrektur der Wirtschafts- und Finanzpolitik verbunden. Das wäre um vieles wichtiger gewesen, als die „Forderungen“ an die Arbeitslosen hoch zu schrauben. Was die bessere“ Förderung“ anbetrifft, das lässt sich jetzt schon prognostizieren, ist er am Jahresbeginn ohnehin schon gescheitert, denn es wird keineswegs flächendeckend den Umbau der Agentur für Arbeit in Vermittlungsagenturen geben.
- Der Bundeskanzler und andere Politiker der Koalition haben sich – zum Teil auf massive Weise – mit den Gewerkschaften auseinander gesetzt. Der Bundeskanzler hat quasi zum Sturz des Verdi-Vorsitzenden Bsirske aufgerufen. Diese Aggression gegenüber den Gewerkschaften kann ich sachlich nicht verstehen. Die Gewerkschaften haben sich gegenüber der rot-grünen Bundesregierung lange vor der Verkündung der Agenda 2010 ausgesprochen freundlich verhalten. Sie haben im Wahlkampf 2002 geholfen; sie haben Affronts weggesteckt, die an das Mark der gewerkschaftlichen Arbeit gingen. Zwei Beispiele will ich nennen: Erstens, sowohl der Bundeskanzler als auch der Bundeswirtschaftsminister haben dem Sinne nach öffentlich erklärt, Arbeit sei in Deutschland zu teuer. – Das ist sachlich nicht richtig und außerdem eine direkte Intervention zu Gunsten der Arbeitgeberseite. Die Gewerkschaften haben diese unglaubliche Intervention zu ihren Lasten und zu Lasten der Arbeitnehmerschaft hingenommen. – Ähnliches gilt zweitens für das Engagement führender Sozialdemokraten und auch einiger Grünen in einer der führenden Kampforganisationen der Arbeitgeber und der neoliberalen Ideologen: in der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM). Wolfgang Clement hat seinen Namen für diese Organisation hergegeben, genauso wie Peter Glotz, Siegmar Mosdorf und Florian Gerster.
Die Gewerkschaften haben auch das hingenommen. Sie ernten aber keinen Dank für diese Freundlichkeit und Rücksichtnahme, im Gegenteil: führende Politiker der Koalition nutzen die aggressive Feindseligkeit gegenüber den Gewerkschaften, die sich im bürgerlichen Lager, bei Medien und sogar bei Intellektuellen breit macht. Der psychische Hintergrund ist im übrigen das alte Sündenbocksyndrom: Man sucht nach Schuldigen für die eigenen und die allgemeinen Schwierigkeiten unseres Volkes.