Privatisierung der Autobahnen – ein schwerer Fall von Untreue im Kielwasser der Fußball-EM?
Wenn die deutsche Fußballnationalmannschaft am Donnerstag auf die Polen trifft, wird die Bundesregierung einige Stunden zuvor ein wichtiges Treffen mit den Ministerpräsidenten der Länder absolviert haben. Dabei wird es unter anderem um die Zukunft der deutschen Fernstraßen gehen. Ginge es nach Verkehrsminister Dobrindt und Wirtschaftsminister Gabriel könnten Planung, Bau und Betrieb der Autobahnen schon bald in eine private Gesellschaft ausgegliedert werden. Dabei würde ein solches Unterfangen den Steuerzahler Unsummen kosten … Unsummen, die im Falle einer Privatisierung direkt in die Taschen der Banken und Versicherungskonzerne fließen würden. Doch dafür müsste das Grundgesetz geändert werden und das geht nur mit einer qualifizierten Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat, die ohne aktive Zustimmung der grün mitregierten Länder nicht zu erlangen ist. Der Ball liegt nun also bei den Grünen. Von Jens Berger
Welchen Grund kann es dafür geben, die Autobahnen zu privatisieren? Finanziell wäre dies für den Staat und den Bürger zumindest ein Desaster. Grundsätzlich gibt es bei der Finanzierung staatlicher Bauvorhaben zwei Varianten. Bei Variante (a) kann der Staat sich das nötige Geld selbst leihen und die Kosten über Steuern oder Abgaben langfristig refinanzieren. Bei Variante (b) beauftragt der Staat einen privaten Konzern mit der Finanzierung und garantiert ihm dafür festgelegte Einnahmen, die meist direkt über Abgaben, oft aber auch indirekt über die öffentlichen Haushalte fließen. Rechnen wir die beiden Varianten doch einmal für ein typisches Autobahnszenario durch:
Variante (a): Der Staat leiht sich die nötigen 1.000 Mio. Euro für ein Bauprojekt über normale Staatsanleihen auf den Märkten. Der Zinssatz für eine zehnjährige Anleihe beträft momentan -0,003% – sie haben richtig gelesen, der Staat kann sich zur Zeit nicht nur zinsfrei Geld an den Märkten leihen, er bekommt sogar eine (wenn auch sehr kleine) Prämie dafür. Da Autobahnen jedoch eine Investition mit sehr langer Refinanzierung sind und der Zinssatz sich mittel- bis langfristig ändern kann, ist es natürlich sinnvoller den Zinssatz für sehr langfristige Anleihen als Kalkulationsgrundlage zu nehmen. Für eine 30jährige Anleihe zahlt der Bund zur Zeit immerhin 0,57% Zinsen. Auf die 30 Jahre gerechnet würde die Gesamtverzinsung des Bauprojekts demnach 185 Mio. Euro kosten. Dies ist ein echter Spottpreis, der weit unter der zu erwartenden Inflation für diesen langen Zeitraum liegt.
Variante (b): Der Staat beauftragt eine private Gesellschaft mit dem Bauprojekt. Diese Gesellschaft sammelt das nötige Geld über eine Unternehmensanleihe ein. Bei 30jähriger Laufzeit und fest kalkulierbaren und sicheren Refinanzierungseinnahmen liegt der Zins für eine solche Anleihe zur Zeit bei rund 2,25%. Aufgezinst auf die volle Laufzeit betragen die Zinsen für diese Finanzierungsvariante immerhin 950 Mio. Euro, sind damit also fast so hoch wie die eigentlichen Projektkosten. Und hier geht es erst einmal nur um die reinen Refinanzierungskosten. Die Rendite für den Betreiber kommt natürlich noch on top. Womit wir bei Variante (c) wären.
Variante (c): Große Versicherungsgesellschaften wie die Allianz, für die das PPP-Modell der Bundesregierung maßgeschneidert ist, kalkulieren intern bei Autobahn-Privatisierungen mit einer Rendite von sieben Prozent! Wenn wir diesen Satz auf unser Bauprojekt anwenden, stehen nach 30 Jahren Gesamtkosten in Höhe von schwindelerregenden 7.612 Mio. Euro an. Für Versicherungskonzerne und Fondsgesellschaften ist dies eine wahre Goldgrube. Wo sonst kann man im momentanen Umfeld schon eine derartige Rendite erzielen – und dies abgesichert durch den Staat!
Es ist kaum verwunderlich, dass derartige Gedankenspiele hierzulande lieber hinter verschlossenen Türen angestellt werden. Kein Politiker könnte diese horrenden Differenzen bei der Finanzierung seinen Wählern erklären. Denn eins sollte klar sein: Die Renditen der Versicherungskonzerne müssen auf der anderen Seite über Steuern und Abgaben wieder reingeholt werden. Hier stehen natürlich die LKW- und die PKW-Maut ganz oben auf der Liste. Und wenn die Kosten erst einmal im Raum stehen, wird selbst die CSU nichts mehr von ihrer „Ausländermaut“ wissen wollen, die die deutschen Autofahrer angeblich nichts kosten wird.
Wir werden zahlen … so oder so. Die Frage, die sich hier stellt, ist jedoch, was wir für unser Geld bekommen. In Deutschland sind 45 Millionen PKW zugelassen. Setzt man für jeden PKW eine Jahresmaut von 80 Euro an, kommt man auf 3.600 Mio. Euro Jahreseinnahmen. Weitere rund 4.000 Mio. Euro werden über die LKW-Maut eingenommen. Für insgesamt 7.600 Mio. Euro könnte man nach Variante (a) immerhin 7,6 Bauprojekte aus unserem Beispiel finanzieren. Bei Variante (c) wäre das gesamte Budget bereits für ein einziges Bauprojekt aufgebraucht. Für Instandhaltungsmaßnahmen und Reparaturen auf anderen Strecken würde das Geld fehlen. Eine Privatisierung der Autobahnen würde also schlussendlich dazu führen, dass unsere Straßen langfristig nicht besser, sondern schlechter werden!
Würde nicht ein Politiker, sondern der Vorstand einer Kapitalgesellschaft eine derartige Entscheidung treffen, würde er sich der Untreue schuldig machen. In der Großen Koalition im Bund scheinen die Politiker damit jedoch kein Problem zu haben. CDU, CSU und SPD sind im Bund ganz klar auf Privatisierungslinie. Zum Glück ist für eine Privatisierung jedoch eine Änderung des Grundgesetzes nötig und dafür benötigt man nicht nur im Bundestag, sondern auch im Bundesrat eine qualifizierte 2/3-Mehrheit – Enthaltungen zählen hier also nicht mit. Bei der momentanen Kräfteverteilung im Bundesrat ist eine Änderung des Grundgesetztes jedoch nur mit Zustimmung der Bundesländer zu erreichen, in denen die Grünen mit in der Regierung sind.
Für alle Wähler der Grünen – die ja, so will es das Klischee, sich nicht von König Fußball den Kopf verdrehen lassen – ist Donnerstag also der Tag der Wahrheit. Bislang konnte der Bund die Länder nicht überzeugen, ihre Zustimmung zur Privatisierung der Autobahnen zu geben. Dieses „Nein“ ist jedoch nicht in Stein gemeißelt und schon gar keine prinzipielle Ablehnung eines Privatisierungsmodells. Es geht vielmehr um Geld und Mitbestimmung; zwei Faktoren, die dehnbar sind. Welchen Judaslohn die Versicherungs- und Finanzwirtschaft an die Politiker bezahlt, die einem derart desaströsen Modell zustimmen, ist nicht bekannt. Man sollte sich jedoch auch nicht wundern, wenn die Herren Dobrindt und Gabriel so wie ihre Kollegen in den Ländern nach dem Ende ihrer Laufbahn sehr gut dotierte Vortrags- oder Beraterhonorare von der Finanzwirtschaft bekommen … Peer Steinbrück und Walter Riester lassen grüßen.