Clement: Ein Mann sieht rot
Es ist so gekommen, wie es zu erwarten war: Parteichef Kurt Beck, SPD-Vize Frank-Walter Steinmeier und Finanzminister Peer Steinbrück stellen sich hinter Clement, nachdem dies schon der Fraktionsversitzende Struck, die Seeheimer und der gesamte rechte Flügel der SPD getan haben. Clement schafft es, die SPD vor sich her zu treiben, und fast alle Medien machen bei dieser Treibjagd munter mit. Wolfgang Lieb
Bemerkenswert ist dabei: Nicht ein einziger, der Clement zur Seite springt, hat auch nur ein Wort über die inhaltlichen Positionen, die der beiseitegeschobene ehemalige Superminister vertritt, verloren. Keiner hat „zurückgefeuert“, wie Clement das im Interview der Tagesthemen gegen Personen getan hätte und tut, die eine andere Meinung als er vertreten. Die Parteiführung weicht der politischen Auseinandersetzung mit ihm aus, obwohl doch – selbst wenn man für einen weiteren Verbleib Clements in der SPD eintritt – gerade jetzt eine Chance dazu bestünde.
Kurt Beck hätte diese Chance zu einer Machtprobe ergreifen können, um sich selbst und die von ihm geführte Partei publikumswirksam von den zahllosen Provokationen Clements abzugrenzen. Er hätte dessen politische Attacken gegen seinen Kurs und gegen die Mehrheitsentscheidungen der Partei parieren und zurückschlagen und damit für Klarheit seines Kurses sorgen können. Aber was macht der Parteivorsitzende? Er rät zur Besonnenheit und schwadroniert, “dass in einer Gesamtbetrachtung sowohl persönliches Verhalten als auch die politische Lebensleistung in die Beurteilung einbezogen werden” müssten.
Beck kann offenbar nicht mehr anders als abzuwiegeln, denn würde er gegen Clement Position beziehen, dann würden ihm – so, wie sie sich geäußert haben – mit ziemlicher Sicherheit seine beiden Stellvertreter Steinbrück und Steinmeier in den Rücken fallen. Damit lässt Beck zu, dass in der öffentlichen Wahrnehmung die Positionen, die Clement nicht nur zur Energiepolitik, sondern etwa zuletzt auch zur Nominierung von Gesine Schwan als Kandidatin für die Wahl zur Bundespräsidentin, zur Verlängerung des Arbeitslosengeldes für Ältere oder zu vielen anderen Fragen gegen die Mehrheitsmeinung in der SPD vertritt, für mit der Linie der Parteiführung vereinbar angesehen werden können.
Damit lenkt er Wasser auf die Mühlen derjenigen, die von einem Linksrutsch der SPD schwadronieren und die ihr politisches Süppchen mit Zitaten von Clement anheizen können, wie etwa seiner Äußerung im Tagesthemen-Interview, wonach die SPD im „Prozess einer Ideologisierung ist, die zurückführt hinter das Godesberger Programm“.
Allein an dieser Äußerung mag man erkennen, in welchen abstrusen Gedankengespinsten sich Clement verheddert hat.
Auch in der „Welt“ hat Clement Kanonenfutter für seine konservativen Claqueure geliefert: „Im Moment hat der Flügel die Mehrheit, der zur Ideologisierung neigt, sowohl in der Energiepolitik wie in der Sozialpolitik. Wirtschaftspolitisch ist der Kurs der SPD fast verschüttet…Der Versuch, die Agenda 2010 zurückzudrehen, ist grundfalsch…Es ist eindeutig, dass es hier um eine Rolle rückwärts in der Wirtschafts-, der Sozial und der Arbeitsmarktpolitik geht.“.
Die Generalsekretäre von CDU, CSU und FDP bekommen ihre Propagandaformeln frei Haus geliefert.
Wer solche Äußerungen – man müsste eigentlich von Wahnvorstellungen sprechen – ohne energischen Widerspruch hinnimmt, gibt Clement die Chance, wie ein Polit-Django die gesamte SPD vor sich her zu treiben. In dieser größenwahnsinnigen Fantasie – als Retter der Menschheit gegen alle, die ihm nicht folgen – darf sich Clement sogar noch bestätigt fühlen, denn der gesamte Medien-Mainstream hat sich seiner Treibjagd begeistert angeschlossen.
Ich habe nicht alle der gut 2000 Beiträge, die „Google News“ derzeit anbietet, durchsehen können und wollen, aber nach ziemlich intensiver Suche habe ich bisher noch keinen einzigen Artikel gefunden, der die SPD nicht attackierte, der nicht für Clement Partei ergriffe. Ich habe nicht eine Stimme gefunden, die sich wenigstens in Anklängen in der Sache kritisch mit Clements Verhalten und seinen Attacken auf sozialdemokratische Positionen auseinandersetzte.
Die Berichterstattung um die (vorläufige) Entscheidung eines „unabhängigen“ (!) Parteischiedsgerichtes, Clement aus der SPD auszuschließen, ist ein beängstigendes Lehrstück dafür, wie der allergrößte Teil der Medien die Rolle eines kritischen und hinterfragenden Begleiters politischer Vorgänge freiwillig aufgegeben hat und wie nahe wir einer orwellschen Gleichschaltung von Sprache und Denken gekommen sind. Wohlgemerkt: George Orwells Parabel in seinem Buch „1984“ sollte eine Metapher für einen totalitären Staat sein. Was wir derzeit publizistisch erleben, ist eine „schöne neue Medienwelt“, die sich offenbar schon freiwillig an Orwells imaginäre totalitäre Herrschaftsform angepasst hat.
Ein Musterbeispiel unter vielen für den Verlust der Unabhängigkeit journalistischer Berichterstatter liefert etwa der Kölner Stadt-Anzeiger. Man muss wissen, dass im Aufsichtsrat des diese Zeitung herausgebenden Verlags des Herrn Neven DuMont Wolfgang Clement sitzt. Nicht nur dass dieses Blatt seit der Entscheidung der Schiedskommission jeden Tag mit Clement auf Seite 1 aufmacht, man hat auch keine Scheu, dem Vorstandsmitglied des Verlages eine ganzseitige Interviewplattform zu geben. Was aber das journalistische Trauerspiel noch komplettiert ist, dass sich der (vor seinem Vorstand rechenschaftspflichtige) Chefredakteur dieser Zeitung auch noch in einem Leitkommentar unter dem Titel „Die Ypsilanti-SPD verstößt Clement“ als Clements Sprachrohr hergibt. Mehr Preisgabe von journalistischer Unabhängigkeit und Professionalität geht kaum noch.
Damit kein Missverständnis aufkommen kann: Clement kann sagen und denken was er will. Darum geht es gar nicht. Was man aber von einer politischen Parteiführung erwarten kann, das ist zumindest, dass sie sich nicht bedingungslos hinter ihn stellt, ohne wenigstens eine politische Auseinandersetzung mit dessen Vorstellungen zu suchen. Wer Clement ohne Distanzierung gegen dessen politische Äußerungen verteidigt, schafft den Anschein und setzt sich dem Verdacht aus, dass er insgeheim mit solchen Positionen liebäugelt – zumindest aber hinterlässt er in der Öffentlichkeit den Eindruck, als wolle oder könne er diesen Positionen sachlich nichts entgegensetzen. Damit trägt er dazu bei, das Bild der SPD in der Öffentlichkeit noch diffuser und desaströser erscheinen zu lassen, als es ohnehin schon ist.
Clement wirft sich jetzt in die Pose des Marquis Posa und fordert für sich Gedankenfreiheit: „Ich hätte nie für möglich gehalten, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung in der Partei Willy Brandts so gering geschätzt wird.“
Diese Pose ist besonders absurd bei einem Politiker, der über Jahre hinweg dafür berüchtigt ist, dass er keine andere Meinung gelten ließ als seine eigene – und wenn er auch seine Meinung beliebig wechselte (man betrachte dazu nur einmal sein Auftreten in „Streit im Turm“). Das Reklamieren von Meinungsfreiheit aus dem Munde dieses SPD-Politikers und früheren Funktionsträgers seiner Partei, der in seinen Ämtern unbeanstandet keine Gelegenheit ausgelassen hat, sich von seiner Partei abzusetzen, um sich damit persönlich zu profilieren und um den Beifall der konservativen Medien einzuheimsen, ist geradezu zynisch (siehe dazu nochmals: „Clement hat schon immer gegen die SPD gearbeitet, es hat nur keiner wahrhaben wollen“).
Clement hat seine Partei während seiner gesamten Karriere in Staatsämtern als lästiges Übel angesehen und behandelt, er hat sich nie die geringste Mühe gegeben, gegenüber den SPD-Mitgliedern für seine Meinungen zu werben, er hat die SPD vor allem über sein völlig unkalkulierbares Handeln in Regierungsämtern und über seine notorische Medienpräsenz gezwungen, ihm zu folgen oder zumindest zähneknirschend Solidarität zu üben.
Clement hat sich eine permanente mediale Präsenz und öffentliche Aufmerksamkeit gesichert, indem er ständig Attacken ritt, die erkennbar gegen die Meinungsbildung innerhalb der SPD gerichtet waren. Er hat auf die banale mediale Gesetzmäßigkeit gesetzt, dass wenn Hunderte von der CDU oder FDP die SPD kritisieren, das keine Nachricht wert ist, dass aber Kritik an der eigenen Partei Schlagzeilen für ihn bringt.
Unter dem Schutzschild der Meinungsfreiheit hat Clement jahrelang die Rolle eines Kronzeugen für die konservativen Ideologen gegen die Sozialdemokratie gespielt. Dazu ein treffendes Zitat aus der Entscheidung der NRW-Landesschiedskommission: “Auf den Einwand, als Kronzeuge benutzt zu werden: das sei ihm völlig egal; es gebe aus seiner Sicht keinen besseren und wichtigeren Zeitpunkt, als sich vor Wahlen zu äußern.“
Dass die Berufung auf das „Recht auf freie Meinungsäußerung“ gegenüber der Entscheidung des NRW-Schiedsgerichts nur ein raffiniertes Ablenkungsmanöver darstellt, ergibt sich schon daraus, dass Clement in seinem „Hausblatt“, dem Kölner Stadt-Anzeiger, unverhohlen einräumt: „Das Urteil kenne ich nicht, nur die Nachricht.“
Es ging in dem Schiedsverfahren keineswegs darum, Clements Meinungsfreiheit zu beschneiden; ausdrücklich heißt es in der Begründung: „… vor diesem Hintergrund könnte es die Partei hinnehmen, dass er nach seinem Ausscheiden aus der aktiven Politik auf verschiedenen Politikfeldern von der Parteilinie abweichende Positionen auch hartnäckig vertritt. Nicht hinnehmen kann die Partei aber die hier zu beurteilende gezielte Schädigung und den schweren Verstoß gegen die für die Mitglieder als zentraler Wert geltende innerparteiliche Solidarität.”
Und als Verstoß gegen diese Solidarität hat das Schiedsgericht ausschließlich angesehen, „dass sich der Antragsgegner (Clement) – über zulässige solidarische Kritik hinaus – von öffentlichen parteischädigenden Angriffen auf die Wählbarkeit der Partei und ihrer Kandidaten nicht abhalten lässt, wenn er es aus für sich selbst definierten Gründen für angebracht hält.”
Die SPD hat Clements solitäre Alleingänge seit Jahren hingenommen – dazu kann ich auf die sporadische Aufzählung in meinem schon genannten Beitrag „Clement hat schon immer gegen die SPD gearbeitet“ hinweisen – und hätte er sich tatsächlich nur mit der Energiepolitik im Wahlprogramm der hessischen SPD auseinandergesetzt, dann wäre es vermutlich nie zu diesem Ausschlussverfahren gekommen. Worauf die Schiedskommission ausschließlich abstellte, das war etwa die Äußerung von Clement in einem Interview mit Frank Plasberg in der Sendung „hart aber fair“ mitten im hessischen Wahlkampf gegen die dortige Spitzenkandidatin der SPD Andrea Ypsilanti: „Zu deutsch gesagt, ich würde sie nicht wählen.“ Plasberg nannte dies zu Recht einen „Dolchstoß“. Die SPD hat das Ziel, stärkste Partei in Hessen zu werden, gerade um 3.511 Stimmen verfehlt. Dass Clements Kampagne gegen Ypsilanti dazu beigetragen hat, Roland Koch im Amt des Ministerpräsidenten zu halten, würde er wohl selbst kaum bestreiten, denn er bekämpft ja die hessische Spitzenkandidatin nicht ohne politische Absicht.
Clement führt jetzt die Medien an der Nase herum, indem er so tut, als sei es ihm allein um die Sachfrage Energiepolitik gegangen. Man mag das SPD-Wahlprogramm „Für ein atomfreies Hessen“ [PDF – 3.1 MB] für unrealistisch halten, und man mag die zeitlichen Zielvorgaben für eine alternative Energieversorgung für unerreichbar halten (das tue ich im übrigen auch), aber das war nicht der Kern clementscher Kritik – und das verschweigt er geflissentlich -, nein, Clement vertritt voll und ganz die Linie der Energiemonopole, die auf Atomenergie und Kohlekraftwerke setzen.
Man greift zu kurz, wenn man Clement bei seinen energiepolitischen Einlassungen wegen seines Aufsichtsratsmandats bei „RWE Power“ nur als Lobbyist abtut. Es ist umgekehrt, Clement war schon immer ein Kämpfer für die Kohleverstromung und für die Interessen des Oligopolisten RWE, und daher war es nur konsequent, dass er nach seinem Abgang als Minister in den Aufsichtsrat der RWE-Tochter auch mit Zustimmung der Arbeitnehmervertreter gewählt wurde. Dass die Arbeitnehmervertreter bei RWE die Interessen der Kumpel vertreten, versteht sich aus deren Sorge um ihre Arbeitsplätze.
Wenn Clement als Aufsichtsrat für die RWE-Stromtochter oder für den Dienstleistungskonzern Dussmann (der besonders viele Niedriglöhner beschäftigt) fungiert, oder wenn er den „Chairman“ für den weltgrößten Leiharbeitskonzern Adecco abgibt, dann ist Clement – ganz einfach gesagt – ein Fundamentalist einer rückwärtsgewandten Energiepolitik, die auf Atom und Kohle setzt, und er ist ein vor die Tür gesetzter, blindwütig um sich beißender Verteidiger der von ihm exekutierten Arbeitsmarktpolitik. Diese Hartz-Politik setzte nämlich vor allem auf die fixe Idee, dass wenn nur genügend Druck auf die Arbeitnehmer ausgeübt wird, die Löhne tief genug gedrückt werden und die Arbeitsverhältnisse flexibel genug sind, die Arbeitslosigkeit gesenkt werden kann.
Diejenigen Unternehmen, die Clement nach seinem Ausscheiden für sich einsetzen, wissen sehr genau, dass sie in ihm einen im Wortsinne „skrupellosen Beißer“ für ihre Interessen einspannen. Insofern ist Clement nicht käuflich, er war schon immer zu haben.
Clement hat völlig Recht, wenn er jetzt in der Diskussion um seinen Ausschluss aus der Partei sagt: „Es geht in Wahrheit um den Kurs der SPD“ und wenn er hinzufügt: „Hier muss Klarheit herein.“
So wie die SPD-Führung auf Clement reagiert und wie sich die gesamte Partei von jemand in Schach halten lässt, dessen Verhalten man nur noch mit einem politischen Amokläufer in eigener Sache vergleichen kann, schafft er es auch, die SPD auf seinen Kurs zu zwingen. Darüber müsste sich jeder in der SPD im Klaren sein.
Wenn sich niemand in der SPD mehr findet, der Clements epigonale Rolle aus dem Film „Ein Mann sieht rot“ abbricht, dann sollte für jeden „Klarheit“ geschaffen sein: Dann sollte man Clement am besten gleich zum Parteivorsitzenden und zum Kanzlerkandidaten machen.
Dann hätten wenigstens die Wählerinnen und Wähler in einem Jahr Klarheit und könnten auch für die SPD „Klarheit herein“ bringen.