Nachtrag zum Beitrag über den Schiedsspruch gegen Clement
Wolfgang Liebs Einschätzung teile ich im wesentlichen – bis auf zwei Elemente. Man muss ja nicht immer einer Meinung sein: Erstens kann ich nicht sehen, wieso dieser Rauswurf „verheerend“ sein soll für die SPD, verheerender als Clements weiteres Verbleiben in der SPD ist er jedenfalls nicht. Zweitens halte ich die Qualifizierung des Urteils der Schiedskommission als Urteil von „unpolitischen Parteijuristen“ für nicht angebracht und für falsch. Albrecht Müller.
Zum ersten: Von „verheerend“ kann man nur dann sprechen, wenn die Alternative weniger verheerend wäre. Die Alternative wäre: man lässt Clement als Parteimitglied weiterhin Stimmung gegen seine Partei machen, man lässt ihn weiter gegen jede kleine Korrektur der Reformpolitik polemisieren, er ist weiter ein Repräsentant unsozialdemokratischer Inhalte wie Leiharbeit, Niedriglohnsektor, gegen Mindestlohn – das ist von Wolfgang Lieb ausführlich beschrieben. Diese Entwicklung wäre noch verheerender.
Wenn er nicht ausgeschlossen wird, dann kann er diese Agitation als Mitglied dieser Partei machen. Das will er, denn dann nur ist er ein glaubwürdiger Zeuge der neoliberalen Bewegung und der Union. Es sei daran erinnert, dass sowohl Clement als auch Oswald Metzger zum Beispiel für die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft und andere Kampforganisationen der neoliberalen Bewegung nur solange interessant waren und sind, als Clement der SPD und Oswald Metzger den Grünen angehörten. Es ist richtig, dass ein Großteil der Medien und auch ein gewisser Teil der SPD den Rauswurf für ein lautes Gezeter nutzen. Aber auch einen Clement mit Parteibuch hätten sie permanent benutzt, auch zur Stärkung ihrer Position in der SPD.
Die SPD hatte einen ähnlichen Fall im Sommer 1972 auszuhalten. Damals stänkerte der Superminister Professor Karl Schiller mitten im Wahlkampf gegen seine Partei und verlangte Korrekturen der Politik Willy Brandts und der SPD in der Wirtschafts- und Finanzpolitik – Korrekturen ganz im Sinne der damaligen CDU/CSU. Es gab starke Kräfte in der SPD, die forderten, ihm entgegenzukommen. Andernfalls könnten die Wahlen nie und nimmer gewonnen werden. Willy Brandt, der Schiller gegenüber bis dahin stets konziliant war, verweigerte weitere Konzessionen. Das kam angesichts des öffentlich aufgebauten Konflikts einem Rauswurf gleich. Schiller verließ Anfang Juli 1972 die SPD, machte in Anzeigen zusammen mit Ludwig Erhard ab sofort Werbung gegen seine gerade verlassene Partei. Das Ergebnis trotz Trennung von Schiller: 45,8%. Mit Schiller hätte die SPD keinen so klaren Wahlkampf zum Beispiel gegen das große Geld machen können, wie dies 1972 geschah. Siehe dazu: „Willy wählen ’72“
Übrigens: Anders als Wolfgang Clement hatte Karl Schiller als Wirtschaftsminister sehr viel für das Land und auch für seine Partei geleistet. Es war so betrachtet mit ihm viel riskanter, ihn loszuwerden.
Zum zweiten: Sowohl die Urteilsbegründung als auch öffentliche Äußerungen der Antragsteller in Bochumer Ortsverein zeugen nicht davon, dass hier „unpolitische Parteijuristen“ am Werke waren. Ich verweise beispielhaft auf ein Gespräch mit Klaus Amoneit, stellvertretender Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Bochum-Hamme, im Stern. Siehe Hinweis Nummer 2 von heute. Auch wenn dieses Urteil juristisch begründet und in gewisser Weise zwangsläufig war, muss es ja nicht gleichzeitig unpolitisch sein. Es ist sehr politisch. Schon allein die Tatsache, dass jetzt die gesamte Riege von Müntefering über Gabriel bis zu Steinmeier, Eichel und Kahrs Unverständnis äußern, könnte zumindest eine Debatte darüber entfachen, dass sich eine bestimmte Richtung in der SPD offenbar alles leisten kann, ohne mit Sanktionen rechnen zu müssen. Wolfgang Lieb hat recht mit seiner
Analyse Die geballte Macht der orwellschen Gedankenpolizei wird mit martialischer Brutalität über alle Kritiker an Clements politischem Handeln und dessen ständigen Profilierungsversuchen gegen seine eigene Partei herfallen.
Dass jetzt wieder einmal sichtbar wird, wie weitgehend gleichgerichtete Medien wir haben, die unfähig sind zu einer kritischen und selbstkritischen Betrachtung, ist nicht von vornherein negativ zu betrachten. Was soll schlimm daran sein, dass hier herausragend und brutal sichtbar wird, was ohnehin bereits Realität ist. Dass die „Gedankenpolizei“ auch ohne den Anlass eines Parteiausschlusses arbeitet, können wir doch permanent beobachten, zum Beispiel bei der Agitation gegen den Versuch Andrea Ypsilantis, nach der Hessen-Wahl eine linke Koalition zu schmieden.