Demokratur

Ein Artikel von Jens Wernicke
Marcus Klöckner - Wie Eliten Macht organisieren: Bilderberg & Co.: Lobbying, Think Tanks und Mediennetzwerke

Die Eliten im Lande diskutieren bereits seit Jahren über Sinn und Unsinn, die Vor- und Nachteile der Demokratie. Die Fesseln der Demokratie werden ihnen zunehmend lästig. Wer aber sind diese „Eliten“? Wie organisieren und exekutieren sie ihre Macht? Und wie erreichen sie es, dass es so wenig Gegenwehr gegen immer weiteren Sozialabbau, Entsolidarisierung und Entdemokratisierung gibt? Zu diesen Fragen sprach Jens Wernicke mit dem Autor und Journalisten Marcus Klöckner, dessen Buch „Wie Eliten Macht organisieren: Bilderberg & Co.: Lobbying, Think Tanks und Mediennetzwerke“ soeben erschien.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Herr Klöckner, wir verdanken Ihnen nicht nur wunderbare Telepolis-Artikel zum Vertrauensverlust in die Medien und den Gründen hierfür; gerade erschien auch noch das Buch „Wie Eliten Macht organisieren: Bilderberg & Co.: Lobbying, Think Tanks und Mediennetzwerke“, dessen Mitherausgeber Sie sind. Warum dieses Buch? Was treibt Sie an?

Da gibt es mehrere Gründe. Der Aufhänger für das Buch ist, dass es in diesem Jahr genau 60 Jahre her ist, seitdem die Soziologie mit der Theorie der Machtelite bereichert wurde. Es war nämlich im Jahr 1956, als der Soziologe Charles Wright Mills ein Buch mit dem bezeichnenden Titel „The Power Elite“, das in Deutschland zu Beginn der 60er Jahre unter dem Titel „Die amerikanische Machtelite“ veröffentlicht wurde, herausbrachte.

In dem Buch hat Mills etwas getan, was ein guter Soziologe geradezu tun muss und was leider ziemlich selten geworden ist: Er hat ganz grundlegende „Wahrheiten“ kritisch hinterfragt und ist nicht davor zurückgeschreckt, Antworten zu geben, die feste an dem politischen Wirklichkeitsverständnis von so manchem Zeitgenossen gerüttelt haben.

Sein besonderes Interesse galt dabei der Frage, ob die demokratischen Strukturen in den USA auch tatsächlich in der Praxis, also faktisch funktionieren, oder ob es nicht vielmehr so ist, dass es zwar eine demokratische Oberfläche gibt, sich hinter dieser aber längst Netzwerke gebildet haben, denen es gelingt, den demokratischen Gedanken immer weiter zu unterlaufen.

Das Ergebnis von Mills’ Forschung war die bereits erwähnte Machtelitentheorie. Demnach geht Mills davon aus, dass es Akteure gibt, die unterschiedlichen politischen, wirtschaftlichen und militärischen Gruppen angehören und zusammen ein komplexes Gebilde formen.

Mills erkannte: Diese Akteure, die aufgrund ihres Status und ihrer Vernetzung eine Machtelite bilden, sind in der Lage, Entscheidungen zu treffen, die sich mindestens auf nationaler Ebene bewegen. Anders gesagt: Der Soziologe hat herausgearbeitet, dass es in der amerikanischen Gesellschaft Akteure gibt, die sich quasi von den „normalen“ Reichen und Mächtigen noch weiter abgesetzt haben und über eine enorme Struktursetzungsmacht verfügen.

Da die Machtstrukturforschung insbesondere innerhalb der Soziologie in Deutschland eher am Rande vegetiert, haben wir uns entschlossen, dieses Buch herauszugeben: Eine kritische Machtstrukturforschung ist für eine Demokratie sehr wichtig, da sie in der Lage ist, Bruchstellen im demokratischen Gefüge aufzuzeigen und die Ursachen für diese zu benennen. Wenn Sie so wollen, ist der Antrieb für das Buch also ein sehr demokratischer.

Was verstehen Sie denn unter „Eliten“ und warum ist ein Blick auf diese und ihre Macht wichtig in einer parlamentarischen Demokratie?

In der Elitenforschung gibt es eine ganze Reihe von Ansätzen, mit denen sich das Phänomen von Eliten erfassen lässt. Ohne darauf jetzt näher einzugehen: Das Elitesein dreht sich vor allem um die Pole Einfluss und Position. Wer in den zentralen gesellschaftlichen Teilbereichen wie zum Beispiel Politik, Wirtschaft, Militär usw. eine besonders hervorgehobene Position hat, also „weit oben“ steht, gehört in gewisser Weise zur Elite oder, wenn Sie so wollen, zur „Spitze“ eines Landes. Und, je nach Positionierung, damit geht auch die Möglichkeit einher, Einfluss auszuüben – und zwar Einfluss, der größer und weitreichender ist, als es denjenigen Menschen möglich ist, die weiter unten stehen.

Um auf den Punkt zu kommen: Wenn jemand Einfluss ausübt, ist es wichtig, genau hinzuschauen und zu fragen: Welchen Einfluss übt er oder sie aus? Wie sieht dieser aus? Was sind seine oder ihre Motivationslagen? Warum lässt diese Person ihren Einfluss in die eine, aber nicht in die andere Richtung wirken, um es einfach auszudrücken? Und mit diesen Gedanken kommen wir dann auch zu der Frage, warum eine demokratische Gesellschaft den analytischen Blick auf ihre Eliten nicht scheuen sollte. Wer nämlich verstehen will, warum Politik so ausfällt, wie sie dies tut, muss sich auch mit denen auseinandersetzen, die direkt oder indirekt im Land die Weichen stellen, die mächtiger als andere sind.

Stellen Sie sich nur einmal vor, was wäre, wenn plötzlich über Nacht in den Parlamenten und an den anderen Schaltstellen der Macht nur die Armen und Ärmsten sitzen würden. Hätten wir dann nicht schlagartig eine andere – ich will erstmal gar nicht sagen: eine „bessere“, aber eben doch eine andere – Politik? Von daher: Wer oben steht, wer in der Lage ist, weitreichende Entscheidungen zu treffen, die die Bürger betreffen, das ist von zentraler Bedeutung für ein Land und seine Gesellschaft.

Wie kommt es denn, dass die in den Parlamenten sitzenden Politiker kaum je die Interesse der Armen vertreten, obwohl es sich um einen bedeutenden Bevölkerungsanteil handelt?

Dafür gibt es viele Ursachen. Grundlegend scheint mir: Der Umgang mit den Armen in unserem Land ist oftmals gekennzeichnet von offener oder heimlicher Verachtung und Ausgrenzung; und das zieht sich von da eben auch bis in die Parlamente. Ich möchte gar nicht wissen, wie weit die klassistischen Ressentiments gegenüber den Prekären in unserer Gesellschaft bei so manchem Abgeordneten gehen.

Der im Parlament vorhandene Blick auf die Armen und das Phänomen der Armut lässt es insofern erst gar nicht zu, dass politische Mehrheiten entstehen, die tatsächlich zu Entscheidungen führen, die den unteren Schichten, den Schwachen, den Armen, zugutekommen: Grundlegende Strukturveränderungen, die auch einmal den Armen richtig in die Karten spielen würden, lassen sich mit einem Parlament, dessen Mitglieder in ihren Entscheidungen oft genug ein Verhalten erkennen lassen, das von alles anderem als Sympathie für die Armen geprägt ist, einfach nicht durchsetzen.

Eine Politik, die den Armen in unserem Land richtig hilft, ist einfach „nicht sexy“. Mit solch einer Politik würden viele Parlamentarier auf Ablehnung bei genau den Schichten und Klassen in der Gesellschaft stoßen, die ihnen ihre Stimme geben und von denen natürlich auch die größten Spenden und maßgeblichste politische Unterstützung zu erwarten sind. Das ist bitter, aber so ist es. Der Kreis zwischen Teilen der Bevölkerung, die den Armen am liebsten noch weniger zukommen lassen möchte, und einer Politik, die Veränderungen herbeiführen könnte, es aber nicht will, schließt sich.

Ist das womöglich einer der Gründe für die vielzitierte „Politikverdrossenheit“: dass die „normalen Menschen“ längst bemerkt haben, dass es „denen da oben“ ohnehin nicht um sie geht? Will sagen: dass es im neoliberalen Parteienkarussell fast schon egal ist, wen man wählt; die große Politik unterstützt ja doch stets die Reichen und Mächtigen auf Kosten der anderen 99 Prozent?

Über die sogenannte Politikverdrossenheit wurde ja schon viel diskutiert. Wir erwähnen den Begriff in unserem Buch auch, aber ich muss sagen, dass ich ihn nicht sonderlich mag, weil er ein gesellschaftliches Phänomen zwar erkennt, es aber falsch benennt.

Wenn wir von einer „Verdrossenheit“ reden, dann heißt das, dass Menschen, Bürger und letztlich Wähler einen Mangel an Interesse an der Politik haben. Aber das sehe ich nicht so. Zu beobachten ist vielmehr, dass es sehr wohl ein Interesse an der Politik gibt, aber viele Menschen erkennen, dass zentrale politische Entscheidungen über ihre Köpfe hinweg getroffen werden und Politik nicht für, sondern gegen sie gemacht wird.

Mein Eindruck: Ein nicht geringer Teil der Bürger beobachtet die Politik sehr genau, diskutiert über sie, macht sich auch seine Gedanken. Aber gleichzeitig weigern diese Menschen sich, sich in den vorgegebenen politischen Strukturen einzubringen, weil sie realistisch abschätzen können: Ihre Stimme ist dort im Hinblick auf ihre politischen Interessen, ihre Wünsche und Hoffnungen nahezu bedeutungslos.

Reden Sie nur einmal in Ruhe mit den Armen und Ärmsten in unserem Land. Man läge sehr falsch, wenn man diesen Menschen zuschreiben würde, dass sie sich nicht für Politik interessieren. Sie wissen nur genau: Wen auch immer sie wählen, auf absehbare Zeit wird es nicht zu einer Politik kommen, die sich ihrer annimmt.

Wodurch ist die Macht der Eliten über uns alle und über die gesellschaftlich vorherrschende Ideologie denn so immens groß?

Eine einfache Antwort lautet: Die Strukturen in unserer Gesellschaft sind von vorneherein so ausgelegt, dass sie diejenigen, die „oben“ stehen, begünstigen und diejenigen, die unten stehen, benachteiligen. Das zeigt sich im Kleinen wie im Großen, allerorts.
Der Handlungsradius einer alleinerziehenden Mutter, die von Sozialhilfe lebt, ist beispielsweise um ein Vielfaches geringer, als jener einer Familie aus der Oberschicht. Die einen verfügen über reichlich ökonomisches, kulturelles, soziales und symbolisches Kapital, wie der französische Soziologe Bourdieu das einmal gut analysiert und aufgeschlüsselt hat, die anderen leben von der Hand in den Mund und verfügen weder über Geld noch über die Möglichkeiten und Fähigkeiten, öffentliche Diskurse zu steuern.

Man muss sich einfach einmal vorstellen, wie umfangreich die verschiedenen Kapitalarten bei den Eliten und Machteliten sind. Dann wird einem schlagartig klar, über welchen Handlungsradius der Präsident der Vereinigten Staaten, der Direktor der NSA, der Chef von Google sowie die Multimillionäre und Multimilliardäre mit ihren großen Konzernen verfügen. Und nun stelle man sich vor, was passiert, wenn auch nur einige von ihnen ihre Kräfte bündeln und ein Projekt, von dem sie überzeugt sind, gemeinsam anstoßen.

Hinter solch einem „Anstoß“ steht eine geballte Wucht – an wie gesagt: Kontakten, Geld, Einfluss, der Fähigkeit, das öffentliche Bewusstsein zu beeinflussen und Diskurse zu steuern, Themen zu setzen etc. -, dass er unglaublich viel in Bewegung zu setzen und verändern vermag. Und, ja: Auch viel mehr Wucht als es der Fall wäre, wenn selbst eine große Anzahl von Armen und denen, die für diese ihre Stimmen erheben, etwas in Bewegung setzen wollten.

Alles in allem ist die Macht der Eliten, die sich in unserer Gesellschaft, in unserem System immer wieder bemerkbar macht, so allumfassend, dass sich den Strukturen und den Ideologien, die sie hervorbringt, nichts wirklich entziehen kann. Stellen Sie sich einfach ein Fußballspiel vor zwischen den Spielern eines Spitzenfußballclubs und elf durchschnittlichen Menschen, also Männer, Frauen, Kinder, die allesamt vielleicht bestenfalls einmal an einen Ball getreten haben. Wer wird dieses Spiel dominieren? Wer wird die entscheidenden Akzente setzen? Wer wird als Gewinner vom Platz gehen? Wobei das noch ein sehr freundliches Bild ist…

Da haben Sie recht. Mir käme im Sinne Warren Buffets, der von einem „Krieg“ der Reichen gegen die Armen spricht, auch eher eine bellizistische Metapher in den Sinn. Etwa ein Kampf um sehr wohl auch Leben oder Tod, in dem die einen über Massenvernichtungswaffen, Panzer und Drohnen verfügen und die anderen über Stöcke und Steine… Aber gut; das ist sicher schon sehr schwarzmalerisch. – Können Sie denn sagen, wie es diese „Eliten“, diese Wenigen immer wieder schaffen, ihre Partikular- und Profitinteressen als „Gemeinwohl“ auszugeben, unabhängig davon, wie viele Menschen hierdurch Schaden erleiden? Vielleicht haben Sie ja ein oder zwei konkrete Beispiele für derlei „Machtdurchsetzungen“ parat…

Nehmen wir doch einfach die sozialpolitischen „Veränderungen“, welche die SPD und die Grünen unter der Führung von Gerhard Schröder durchgezogen haben. Das, was da vonseiten der Eliten als „Reformen“ bezeichnet wurde, diese brutalen Einschnitte in den Sozialstaat und den Arbeitsmarkt, zeitigt seine verheerenden Wirkungen ja bis heute; sie haben das gesellschaftliche Gefüge nachhaltig und schwer in Mitleidenschaft gezogen.

Etwas, worauf Albrecht Müller in „Die Reformlüge“ ja bereits frühzeitig hingewiesen hat…

So ist es. An der Art und Weise, wie der Begriff „Reformen“ in den vergangenen Jahren in der Politik verwendet wurde, ist deutlich zu erkennen, dass die Macht der Elite bis tief in die Sprache hinein vordringen kann.

Wer von den „normalen“ Bürgern verfügt über die Möglichkeit, einen so gewichtigen und positiv besetzten Begriff wie den der Reformen aufzugreifen und darunter eine Politik zu verkaufen, die das genaue Gegenteil von dem ist, was der Begriff eigentlich inhaltlich transportiert? Herrschaft bedient sich der Sprache. Das war schon immer so.

In George Orwells „1984“ wird deutlich, dass Herrschaft so weit in die Sprache eindringen kann, dass sie, sozusagen, aus Krieg Frieden werden lässt. Das ist ein extremes Beispiel, aber außerhalb der Orwellschen Dystopie bestimmen die Mächtigen durch Sprache, durch die Kraft der Benennung, über die sie aufgrund ihrer Position und ihres Einflusses verfügen, wie „die Dinge“ zu sehen sind.

Es gab eine Zeit, da bedeutete „Reformen“ Demokratisierung, Versuche, die Lebensbedingungen der Menschen im Land zu verbessern, aus etwas, das alt und schlecht war, etwas Neues, tatsächlich für viele Menschen Besseres zu machen.

Und das ist auch das, was die Menschen normalerweise unter Reformen verstehen. Auf diese positiven Erwartungen, die in den Köpfen und Herzen der Bürger waren, haben die Eliten gesetzt. Die neoliberalen Strategen wussten, wie wichtig der Reformbegriff war, um eine Politik mit weitreichenden negativen Folgen durchziehen zu können, die sich bis in die Fundamente unseres Staates fressen würde.

Wenn man die politische Situation heute im Land sieht, wenn man sieht, wie die große Volkspartei SPD in Umfragen Mühe hat, die 20 Prozent zu halten, wenn man sieht, wie sich plötzlich „Außenseiterparteien“ formieren und es quasi aus dem Stand in die Parlamente schaffen, dann hat das auch sehr viel mit einer völlig fehlgeleiteten Politik der Eliten zu tun, die seit vielen Jahren ihre Wirkung entfaltet.

In der Psychologie gibt diesbezüglich ja beispielsweise das Konzept der sogenannten „Täter-Opfer-Umkehr“, das heißt, die Opfer werden zu Tätern und die Täter zu Opfern erklärt, es wird mit Schuldgefühlen hantiert, und Tatsachen in ihr Gegenteil verkehrt…

Das erleben wir doch auf der gesellschaftspolitischen Ebene genauso. Die, die erkennen, was die verfehlte Sozial- und Arbeitsmarktpolitik anrichtet und nicht mit in den Chor der “Reformer” einstimmen, werden als „Reformverweigerer“ oder als “Blockierer” bezeichnet. Der herrschende Diskurs versucht so, die kritischen Stimmen auszuschließen und ins Abseits zu stellen

Aber geschieht nicht Ähnliches auch durch die Hartz IV-Ideologie und viele weitere Mythen, Legenden und Verdrehungen im öffentlichen Diskurs? Nimmt man nicht beispielsweise diejenigen, die nicht mehr gebraucht werden, nicht mehr verwertbar, weil etwa krank oder anderes sind, und verunglimpft sie als „Sozialschmarotzer“, „faul“, „Simulanten“, „Leistungsverweigerer“ und vieles mehr, um sie hierdurch als amoralische Täter an der Gesellschaft abstempeln zu können, was schließlich Sanktionen gegen sie legitimiert? Hier erfolgt doch auch jene „Benennung“, die sie erwähnt haben, oder?

Ja natürlich. Die, die nichts haben, die arm sind, die unten stehen, die nicht so funktionieren können, wie so manches „neoliberale Subjekt“, das oben steht, es erwartet, werden auch durch Sprache abgewertet und stigmatisiert.

Den meisten der politischen Gestalter fehlt doch völlig der Blick von unten. Sie haben keine Ahnung von den Kämpfen, die die Armen Tag für Tag bestreiten müssen. Sie begreifen nicht und wollen auch nicht begreifen, dass das als „unmöglich“ klassifizierte Verhalten von so manchem Armen oft auf Lebensschicksale und Lebenssituationen zurückzuführen ist, die niemand derjenigen, die sich den Armen gegenüber als Richter aufspielen, selbst je erleben wöllte.

Die neoliberale Politik jedenfalls, die ihre Entscheidungen nicht am Wohl der Menschen, sondern am Wohl des Kapitals ausrichtet, konnte überhaupt nur deshalb so erfolgreich sein, weil es tonangebenden Eliten aus unterschiedlichen Bereichen gelang, weite Teile der Gesellschaft mittels solcher „Denkgifte“, die uns unsere Mitbürger zu Feinden erklären, von ihrer Notwendigkeit zu überzeugen.

Und diese Überzeugungsarbeit war deshalb möglich, weil diese Eliten auf eine ausgefeilte Infrastruktur zurückgreifen konnten: Think Tanks, Lobbyorganisationen, Stiftungen, private Medien, Netzwerke etc. pp., durch die die Elite öffentlichkeitswirksam ihre Vorstellungen und Vorhaben kommunizieren konnte.

Der Soziologe und Mitherausgeber Ihres Buches, Michael Walter, hat dazu ja eine geistreiche Analyse verfasst.

Ja, er hat sich intensiv damit auseinandergesetzt, wie die neoliberalen Ideen unter Schröder in der deutschen Öffentlichkeit etabliert wurde. Über beispielsweise den Think Tank Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, den Bürgerkonvent und den „Partner für Innovation“ liefen dabei massive „publizistische Interventionen“.

Walter stellt fest, dass die Eliten sehr geschickt ihre eigenen, ideologisch geprägten Vorstellungen universalisiert und versucht haben, diese der Bevölkerung quasi überzustülpen.

Über eine Mischung aus Politmarketing, Werbung, PR, wissenschaftlichen Analysen und Publikationen in den Medien, wurde vordergründig versucht, ein „positives Klima“ in der Bevölkerung zu schaffen, in dem man sich scheinbar unverfänglichen, aber in Wirklichkeit politisch hochgradig aufgeladenen Begriffen wie etwa dem der Eigenverantwortung bediente, um der Bevölkerung hinterrücks den neoliberalen Kraftschlag schmackhaft zu machen. So wurde ein Bild in die Köpfe der Menschen gepflanzt, wonach jeder seines eigenen Glückes Schmied sei und alles schaffen könne – so er sich nur wirklich aufopferungsvoll bemüht.

Die Botschaft ist doch aber im Prinzip nicht falsch.

Nein, natürlich nicht. Das ist, im Prinzip, eine positive Botschaft. Und sie ist tatsächlich nicht per se falsch, nein. Sie ist aber auch nicht richtig. Man könnte daher sagen: Wir haben es mit einer klug verkauften Halbwahrheit zu tun. Und Halbwahrheiten sind bekanntlich gefährlich.

Nichts spricht dagegen, den Menschen positive Botschaften zu übersenden, um ihnen dabei zu helfen, die ein oder andere Limitierung, die im eigenen Denken verwurzelt sein mag, selbst aufzuheben. Aber wenn man den Menschen zugleich verschweigt, dass viele der Begrenzungen, die sie in ihrem Leben erfahren, eben mit genau jener Politik zu tun haben, die ihnen mit lauwarmen Worten versucht, weiß zu machen, ihr Scheitern und ihre Misserfolge gingen alleine auf ihr eigenes Konto zurück, dann haben wir es mit einem bösartigen politischen Doppelspiel zu tun.

Dem Bürger sagt man: Es ist Dein Leben, mach etwas daraus! Gleichzeitig verändert man aber die Rahmenbedingungen, innerhalb derer er etwas machen kann, soweit, dass dies seine eh bereits sehr begrenzten Möglichkeiten noch weiter beschränkt.

Und Teile unserer kulturellen Elite – also Schauspieler, Sportler und andere Berühmtheiten – sind dann dieser Politik auch noch zur Seite gesprungen und haben als sogenannte Testimonials in entsprechenden neoliberalen Werbespots fungiert – wobei ich mich frage, ob diese Prominenten überhaupt verstanden haben, welcher Politik sie da Vorschub leisten.

Man muss sich nur nochmal den „Wohlfühlspot“ der Du-bist-Deutschland-Kampagne ansehen: Oliver Pocher steht da hinter einem Haus auf dem Grundstück, vor ihm steht ein etwas beleibter Mann und neben den beiden ein Grill. Pocher sagt dann zu dem Mann, der offensichtlich das männliche Familienoberhaupt darstellt:

„Unrealistisch, sagst Du? Und warum feuerst Du dann deine Mannschaft im Stadion an, wenn Deine Stimme so unwichtig ist?“

Walter hat analysiert und herausgearbeitet, dass Pocher hier zu einem „zu aktivierenden Subjekt“ spricht, „dessen pessimistische Grundhaltung (durch den „Aktivator“ Pocher) zu ‚reformieren‘“ sei. Pocher, so interpretiert Walter weiter, übernimmt dabei die Figur des Lehrers, der „durch Blick und Gestik einen belehrenden, fordernden“ Part einnimmt und durch die Grillzange, die er in der Hand hält, auch noch „latent aggressiv“ auftritt. Walter kommt zu dem Schluss, dass die Szene dazu dient, den Rezipienten, also „uns“, regelrecht zu erziehen, zu manipulieren also. Hinter all dem verbirgt sich die neoliberale Botschaft: „Der Sozialstaat wird sich zurückziehen. Bürger, schaut, wo ihr bleibt!“ Und das wird auch noch als “zum Wohl des Landes“ inszeniert.


TV-Spot: „Du bist Deutschland!“

extra 3-Gegendarstellung: „Du bist Deutschland!“


Und wer sind diese Leute, diese Eliten, die derlei „Gehirnwäsche“ verbreiten, denn nun genau?

Wenn Sie Namen von Personen möchten, die man zu den Machteliten zählen darf, dann schauen Sie sich einfach einmal die Teilnehmerliste der Bilderberg-Gruppe an. Da kommen einige Angehörige der Machtelite zusammen.

Und was genau geschieht auf so einer „Bilderberg-Konferenz“?

Die Bilderberg-Konferenzen, aber auch andere, ähnliche gelagerte Elite-Treffen und Veranstaltungen, verweisen auf einen vorgelagerten politischen Formationsprozess der Mächtigen.

Das heißt konkret?

Ich will es mal so formulieren: Einflussreiche Personen bewegen sich in Strukturen, die neben den klassischen, bekannten und für jedermann einsehbaren demokratischen Strukturen bestehen. Diese Strukturen sind politische Strukturen. Sie existieren, um direkt oder indirekt Einfluss auf die Politik zu nehmen. Das große Problem ist: Sie sind völlig intransparent, sie funktionieren wie eine geschlossene Gesellschaft.

Um es zuzuspitzen: Der politisch klug denkende Mechaniker von der kleinen Werkstatt an der Ecke, der vielleicht auch ein paar Gedanken im Hinblick auf die Gestaltung der Welt an jenen Orten vorzubringen hätte, wo Konsense geschmiedet und Weichen gestellt werden, bleibt der Zugang verwehrt. Die Elite bzw. die Machtelite möchte eben unter sich bleiben. Warum das so ist, kann man sich denken: Meinungen, Ansichten und Interessen, die zu weit weg von denen der Weltenlenker sind, würden wie ein Bremsklotz bei der machtelitären Konsensfindung wirken.

Aber noch etwas Anderes sollte erwähnt werden: Wenn hier davon die Rede ist, dass es „Konsensschmieden der Mächtigen“ gibt, soll das nicht heißen, dass die existierenden demokratischen Strukturen keinerlei Bedeutung mehr hätten oder dass quasi eine Art Geheime Weltregierung die Geschicke der Welt aus dem Verborgenen lenkt. Diesen Eindruck könnte man bei einer oberflächlichen Betrachtung der Verhältnisse vielleicht erhalten, tatsächlich ist alles aber viel komplexer.

Auch dürfen wir uns, wenn wir von „der“ Machtelite reden, nicht der Vorstellung hingeben, dass auf der Welt eine homogene Machtelite existiere, deren Mitglieder alle genau gleich denken und alle genau die gleichen Ziele verfolgen würden: Auch wenn diejenigen, die beispielsweise bei einer Bilderberg-Konferenz zusammenkommen, sich sicherlich im Hinblick auf ihre Sozialisation, auf ihre Kapitalstruktur, auf ihre Stellung in der Gesellschaft bzw. ihre Klassenzugehörigkeit und natürlich ihre Akkumulations- respektive Profitinteressen sehr ähnlich sind, so gibt es dennoch durchaus auch Meinungsunterschiede unter ihnen, die sich allerdings in einem sehr viel engeren Korridor als das Meinungsbild in der Gesamtbevölkerung bewegen.

Kein Wunder auch, denken „normale Menschen“ ja nicht in den Sach- und Strukturzwängen von Kapitalverwertung und -akkumulation, wollen nicht „noch reicher“ werden, diesen und jenen Multi im nächsten Jahr übernehmen oder anderes, sondern wollen einfach ein vernünftiges und auskömmliches Leben haben, über die Runden kommen, so gut es eben geht.

Werden solche undemokratischen „Klüngelrunden“ von Medien und Öffentlichkeit denn beobachtet und kritisiert? Ich meine: Das täte offensichtlich ja dringend not…

Die Medien haben meines Erachtens diesbezüglich eine ganz schlechte Arbeit geleistet: Ein Journalismus, der Mediennutzer über die mehr oder weniger verborgenen Pfade der Mächtigen informiert, ein Journalismus, der in diese Gruppen und Organisationen reinleuchtet, sie beleuchtet, ihre Arbeit, ihr Wirken, ihren Handlungsradius und ihren Einfluss kritisch hinterfragt, existiert in der Breite der Berichterstattung nicht.

Gerade auch im Hinblick auf den demokratischen Prozess ist es ein großes Problem, dass die Presse den politischen Formierungsprozess der Machtelite geradezu ausblendet. Damit versagt sie darin, aufzuzeigen, wie Weltsichten, die vorherrschen oder eben dabei sind, sich zu etablieren, zustande kommen.

Die Berichterstattung erweckt stattdessen immer wieder den Eindruck, dass die jeweils gerade alles umgreifende Ideologie quasi gottgegeben und vom Himmel gefallen sei. Der französische Soziologe Pierre Bourdieu, der sich etwa intensiv mit dem Neoliberalismus und der Globalisierung auseinandergesetzt hat, sagte einmal:

„Der Thatcherismus stammt nicht etwa von Frau Thatcher, er war seit langer Zeit von Intellektuellengruppen vorbereitet worden, denen die großen Zeitungen oft eine breite Öffentlichkeit verschafft haben.“

Bourdieu betonte auch, wie wichtig es ist, aufzuzeigen, wie „Weltsichten erzeugt, verbreitet und eingetrichtert werden.“ Und er betonte, wie wichtig es ist, auf die „Einflüsterungen“, die aus den Think Tanks und „ihrer, von den Mächtigen handverlesenen Experten“ kommen, zu achten.

Doch genau das haben Medien nicht gemacht und unterlassen es nach wie vor. Im Gegenteil: Nicht nur, dass sie diesen machtelitären Part unserer politischen Wirklichkeit den Lesern und Zuschauern nicht vor Augen führen, einige sind sogar selbst Teil des machtelitären Umfelds und werden zum handelnden Akteur darin.

Wenn Journalisten, um nur mal ein Beispiel zu nennen, etwa über lange Zeit im Lenkungsausschuss der Bilderberg-Gruppe gesessen haben und selbst deutsche Politiker in den exklusiven Zirkel eingeladen haben, zugleich aber nicht über diese Zusammenkunft berichten, dann ist das aus journalistischer Sicht untragbar.

Immerhin scheinen die Medien mittlerweile aber erkannt zu haben, dass die Bilderberg-Konferenzen ein Thema sind, das sie auf ihrem Radar haben sollten. Über die diesjährige Bilderberg-Konferenz, die in Dresden stattfinden wird, berichten die daher schon jetzt, also frühzeitig. 60 Jahre hat es gedauert, aber immerhin. Besser spät als nie. Aber ob auch die großen Nachrichtenformate bei ARD und ZDF über die Konferenz berichten werden? Ich zweifle daran.


Rainer Mausfeld: Der Neoliberalismus ist das geplante finale Ende der Demokratie


Warum? Was sollte sie daran hindern?

Ich gehe davon aus, dass die Einstellung der Redaktionsverantwortlichen zu dem Thema bisher dazu geführt hat, nicht über die Konferenzen zu berichten. Wahrscheinlich wird die Bilderberg-Konferenz einfach als etwas ohne Berichterstattungswert betrachtet. Schließlich wird in Dresden ja auch nur die Weltelite zusammenkommen, um für drei Tage hinter verschlossenen Türen über zentrale Themen zu sprechen, die uns alle angehen. Aufgabe der verantwortlichen Redakteure ist es eben, Ereignisse und Informationen zu gewichten und dann zu entscheiden, ob eine nachrichtliche Relevanz gegeben ist.

Wenn ich, allgemein gesprochen, an die ein oder andere Berichterstattung im Zusammenhang mit Unglücksfällen, Katastrophen oder zu Themen, die im Bereich des Boulevards liegen, denke, da war keine Anstrengung zu absurd, um einen Mangel an Informationen irgendwie auszufüllen. Beim Germanwings-Absturz lässt man Teenager vor der Kamera erzählen, wie sie sich so fühlen, als sie erfahren haben, dass Mitschüler gerade mit dem Flugzeug an einer Felswand zerschellt sind, beim Kachelmann-Prozess hat ein dpa-Journalist sogar versucht, Richter abzuhören.

So ist das eben oft: Dort, wo es um Emotionen, um Klatsch und Tratsch geht, wird jeder Stein dreimal umgedreht, um ja nicht ein Zipfelchen an Informationen zu übersehen; wenn aber 140 Gestalter der Welt sich unter Ausschluss der Öffentlichkeit treffen, dann respektieren Qualitätsmedien eben den „privaten Charakter“ der Veranstaltung.

Es gibt ja Journalisten, die sich mit derlei Elitenetzwerken gerne gut stellen wollen und wo das möglich ist, schließlich sogar assoziieren. Der Medienkritiker Uwe Krüger spricht diesbezüglich von Alpha-Journalisten bzw. Alpha-Journalismus und sieht hierin eine große Gefahr… Der Korridor der veröffentlichten Meinung werde auch wegen diesen aktuell immer geringer und sei zurzeit bereits so eng wie selten zuvor, sagte er etwa im Interview mit mir.

Bourdieu hat einmal gesagt, dass es in der Politik um die Durchsetzung von Wahrnehmungskategorien geht. Und wie werden solche für die Politik wichtige Wahrnehmungskategorien in unsere Gesellschaft getragen? Natürlich auch durch die Medien.

Wenn Machteliten also der Ansicht sind, dass „wir“ weniger Sozialstaat brauchen, dass Liberalisierung, Privatisierung und Deregulierung die Zauberworte sind, die „die Gesellschaft“ voranbringen, dann müssen diese Vorstellungen und Konzepte auch nach außen transportiert werden, sie müssen irgendwie bei der Bevölkerung und bei anderen systemrelevanten Eliten ankommen.

Hierbei kommt dann die Berichterstattung ins Spiel. Von daher: Es hat schon seinen Grund, dass nicht nur Journalisten die Nähe zu den Mächtigen, sondern auch die Mächtigen eine gewisse Nähe zu Journalisten suchen. Die Folgen hiervon hat unter anderem Uwe Krüger sehr pointiert analysiert.


Die Anstalt: Das Netzwerk der korrupten deutschen Journalisten nach Uwe Krüger


Was können wir tun gegen manipulierte Journalisten und Elitenmacht?

Ich würde nicht sagen, dass wir es mit „manipulierten Journalisten“ zu tun haben. Oder anders gesagt: Gewiss mag es, wie eben in allen menschlichen Beziehungen, so sein, dass sich auch einmal Journalisten bei ihren Beziehungen zu hochrangigen Personen manipulieren oder instrumentalisieren lassen.

Aber allgemein gesprochen gehe ich nicht davon aus, dass Journalisten, die sich in diesen Kreisen bewegen, „manipuliert“ sind.

Sondern? Was sind sie denn dann?

Uwe Krüger hat in seiner Studie angesprochen, dass bestimmte Journalisten wahrscheinlich eben deshalb in diesen Netzwerken der Mächtigen sind, weil sie den dort vorherrschenden Sichtweisen im Wesentlichen sowieso zustimmen. Da gilt also eher ein „Gleich und gleich gesellt sich gern“. Und als Soziologe würde ich die darüberhinausgehenden Prozesse eher als „Anpassung“ denn als „Manipulation“ beschreiben. Die Leute werden ja nicht belogen und betrogen, sondern umworben, umgarnt, belohnt oder -straft.

Aber nicht, dass Sie mich jetzt falsch verstehen: Dass Spitzenjournalisten in diesen Netzwerken unterwegs sind und auch selbst eine politische Meinung haben, die jener der Eliten ähnelt, ist nicht unbedingt das große Problem.

Nicht? Was ist denn dann des sprichwörtlichen Pudels Kern?

Problematisch wird meines Erachtens die Nähe zur Elite für den Journalismus und die Gesellschaft dann, wenn sich das Meinungsspektrum in den großen, tonangebenden Medien bei bestimmten gewichtigen Themen so stark verengt, dass, um es zuzuspitzen, nur noch die Sicht der Mächtigen überhaupt Eingang in die Berichterstattung findet.

Was ja bezüglich Russland zurzeit oder auch der vermeintlichen Eigenverantwortung der Armen für ihr Elend bereits seit einigen Jahren deutlich der Fall zu sein scheint…

Genau. Die großen Medien bilden zu den zentralen gesellschaftlichen und politischen Themen unserer Zeit längst das Meinungsgewicht nicht mehr so ab, wie dieses in der Bevölkerung vorhanden ist. Stattdessen ist ein Journalismus zu beobachten, der immer wieder die Sichtweisen der Herrschenden, der Mächtigen transportiert und dadurch die Realität verzerrt und, wenn Sie so wollen, ebenso „erzieherisch“ fungiert, wie dies der „Du bist Deutschland!“-Spot, den ich bereits erwähnt habe, tat.

Der Knackpunkt ist: Journalisten, die in Elitezirkel eingebunden sind, sind nicht irgendwelche Medienschaffenden aus der vierten oder fünften Reihe. Es sind in der Regel eben die Alphajournalisten, also jene, die die großen Leitartikel schreiben. Sie haben eine herausragende Stellung innerhalb des journalistischen Feldes. Das, was sie sagen, schreiben, kommentieren, wie sie sich entscheiden, was sie tun oder lassen, hat eine ganz andere Wirkung als das, was ein Journalist schreibt, der für ein Nischenmedium tätig ist.

Wenn nun eine Vielzahl derjenigen, die die Alphajournalisten umgeben bzw. direkt hinter ihnen stehen, im Wesentlichen ebenfalls die Sichtweise der Tonangebenden teilt, dann verengt sich die Perspektive. Impulse, um es bildlich zu formulieren, von vorne, von hinten, von unten, von der Seite gibt es keine mehr, weil sich keiner mehr umdreht, nach unten, nach hinten etc. schaut, da alle davon ausgehen, ohnehin bereits die richtige Perspektive eingenommen zu haben. So entsteht ein elitärer Einheitsjournalismus, der für viele Mediennutzer nicht mehr hinnehmbar ist.

Und was wäre hiergegen zu tun? Was raten Sie?

Wichtig ist, die Problematik zu erkennen und transparent zu machen. Das, was wir derzeit sehen, nämlich die Formierung vieler alternativer Formate im Internet, also ein Journalismus, der außerhalb der großen Medien heranwächst, ist dabei von zentraler Bedeutung, um Schieflagen in der Berichterstattung entgegenzutreten. Die Meinungsgegengewichte sind dann eben nicht in den sogenannten Leitmedien zu finden, sondern bei dem kleinen Internetmagazin, der alternativen Nachrichtenseite, auf diesem und jenen Blog usw. Oder eben – auch – auf den NachDenkSeiten, ja.

Allerdings: Optimal ist auch das nicht. Die großen Medien sind aufgrund ihrer Ressourcen und ihrer Reichweite kaum zu ersetzen; der Widerspruch der Alternativen ist daher stets in Gefahr, ohnmächtig zu verhallen. Zu einer wirklichen Veränderung wird es daher nur kommen, wenn die Zusammensetzung des journalistischen Feldes als solchem wieder heterogener wird.

Anders gesagt: Die großen Medien würden den Mediennutzern und so eben auch sich selbst einen großen Gefallen tun, wenn sie dafür sorgten, dass sich das journalistische Feld in seiner Zusammensetzung öffnet. Alle Klassen und Schichten müssen vertreten sein, in der Redaktionskonferenz sollten neben dem Hochschulabsolventen, der mehrere Semester im Ausland verbracht und aus dem hochkulturellen Milieu stammt, genauso der talentierte Blogger sitzen können, der vielleicht einen ganz anderen Lebensweg aufweist, aber auch das Zeug zum Journalisten hat und nochmal einen ganz eigenen Blick auf die Verhältnisse wirft.

Doch genau danach sieht die Entwicklung gerade nicht aus. In den großen Häusern wird vielmehr aktuell genau jener Nachwuchs rekrutiert, von dem erwartet wird, dass er in etwa so auf die Welt schaut, wie es diejenigen tun, die ohnehin bereits in den Redaktionen sitzen.

Ich erinnere an der Stelle an ein Interview, das der Leiter des außenpolitischen Ressorts der Süddeutschen Zeitung, Stefan Kornelius, im Jahr 2014 dem Medienmagazin ZAPP gegeben hat. Darin sagt er in Sachen journalistischem Nachwuchs sehr bemerkenswerte Sätze, die es verdienen, hervorgehoben zu werden:

„Aber im Gegenteil, es ist ja sogar großartig: Wir haben es mit einer Generation zu tun, die jetzt in den Journalismus kommt, die so international ist wie keine zuvor. Jeder Volontär bei uns hat zwei, drei Jahre Auslandserfahrung in den noch so exotischsten Ländern hinter sich, spricht Sprachen, das ist wirklich toll und bemerkenswert. Es gibt die komplette Erasmus-Generation, die rumläuft, die ist offen und versteht, wie die Welt tickt. Also eigentlich müsste es ein leichtes Spiel sein, aber das darf man sich nicht durch die Verrückten verderben lassen.“

Hier ist nicht der Platz, um die soziologisch-medienwissenschaftliche Dimension dieser Äußerungen in ihrer Gesamtheit zu erfassen, aber auch ohne viel zu analysieren, ist zu erkennen, dass der verengte Blick, der den großen Medien immer wieder von Mediennutzern vorgeworfen wird, bereits in der DNA eben jener Medien angelegt ist. Wie sollen die großen Medien die Vielfalt der Betrachtungsweisen, wie sie in der Gesellschaft vorhanden sind, erfassen und in ihrer Berichterstattung widerspiegeln, wenn die personelle Zusammensetzung dieser Medien das genaue Gegenteil von gesellschaftlicher Vielfalt ist?

Eine letzte Frage noch… Diese „Macht der Wenigen über die Vielen“ ist ja so ziemlich genau das Gegenteil dessen, was man gemeinhin unter Demokratie versteht. Würden Sie denn so weit gehen, Rainer Mausfeld zuzustimmen, der argumentiert, der Neoliberalismus sei die Ideologie der Eliten zur finalen Überwindung der Demokratie? Oder vielleicht David Harvey, dessen wunderbare „Kleine Geschichte des Neoliberalismus“ folgender Klappentext ziert: „Längst kritisieren auch bekannte Wirtschaftswissenschaftler wie Joseph Stiglitz, ehemaliger Chefökonom der Weltbank, die ‚Auswüchse‘ des Neoliberalismus und beklagen die wachsende soziale Ungleichheit als dessen unerwünschtes Nebenprodukt. Falsch, sagt David Harvey: Weshalb kommt diesen Leuten denn ‚nie der Gedanke, dass die soziale Ungleichheit womöglich von Anfang an der Zweck der ganzen Übung war‘? Die neoliberale Wende, so Harvey, wurde in den 70er-Jahren zu dem alleinigen Zweck eingeleitet, die Klassenmacht einer gesellschaftlichen Elite wiederherzustellen, die befürchtete, dass ihre Privilegien nachhaltig beschnitten werden könnten“…

Lassen Sie es mich einmal so sagen: Wenn man sich die politische Entwicklung der letzten Jahrzehnte anschaut, wenn man sieht, welche Entscheidungen wie getroffen werden, dann muss man schon mit Blindheit geschlagen sein, um hier nicht eine Systematik zu erkennen.

Wir erleben eine Politik der Eliten, eine Schwächung der Demokratie und eine Schere zwischen Arm und Reich, die viel zu weit auseinandergegangen ist. Die Ursachen für diese Entwicklung sind sicherlich vielfältig. Aber dass die Mächtigen mitunter so ihre Probleme mit der Demokratie haben und ein sehr vitales Interesse daran besteht, ihre eigene Macht auszubauen, ist doch offensichtlich.

Ich bedanke mich für das Gespräch.


Marcus Klöckner studierte Soziologie, Medienwissenschaften und Amerikanistik. Er wirft als Journalist und Autor in seiner Arbeit einen kritischen Blick auf Medien und Herrschaftsstrukturen. Bisher erschienen von ihm unter anderem „Machteliten und Elitenzirkel – Eine soziologische Auseinandersetzung“, „9/11 – Der Kampf um die Wahrheit“, „Staatsversagen auf höchster Ebene – Was sich nach dem Fall Mollath ändern muss“, „Medienkritik – Zu den Verwerfungen im journalistischen Feld“ und “Wie Eliten Macht organisieren“.


Weiterschauen:

Rainer Mausfeld: Warum schweigen die Lämmer? Techniken des Meinungs- und Empörungsmanagements

Rainer Mausfeld: Der Neoliberalismus ist das geplante endgültige Ende der Demokratie

NDR: Stefan Kornelius über Verbindungen, Einfluss und Macht der Journalisten


Weiterlesen:


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