„Der Griff nach dem Geld“
„Interessant ist, dass die obersten zehn Prozent der Einkommensbezieher laut Finanzministerium bereits über 50 Prozent der gesamten Steuerlast tragen“, mit dieser gängigen Behauptung polemisiert Jochen Loreck in der Mitteldeutschen Zeitung gegen Steinbrücks Andeutung, eine Steuererhöhung für Besserverdienende in Erwägung zu ziehen, um Einnahmeverluste durch die ab 2010 vorgesehene steuerliche Absetzbarkeit der Krankenkassenbeiträge auszugleichen.
Karl Mai setzt sich einmal mehr mit dieser statistischen Desinformation auseinander.
Im Kommentar wird suggeriert, dass „die obersten zehn Prozent der Einkommensbezieher laut Finanzministerium bereits über 50 Prozent der gesamten Steuerlast tragen“, ohne zu zeigen, um welche Steuerarten es sich hierbei handelt. Dabei wird ausgeblendet, dass z. B. die Umsatz- und Verbrauchssteuern sowie die Kapitalsteuern in diese „Steuerlast“ für die „obersten zehn Prozent der Einkommensbezieher“ nicht einbezogen sind. Von der gesamten Steuerlast 2007 entfiel auf die Einkommensteuern nur 31,7 %, und zwar 26,7 % oder 131,7 Mrd. Euro auf die Lohnsteuer und 5 % oder 25,0 Mrd. Euro auf die „Veranlagte Einkommensteuer“.
So wird mit Statistik politische Desinformation betrieben! Immerhin entfielen 68,3 % aller Steuereinnahmen 2007 auf die Umsatzsteuer, auf Verbrauchssteuern (Energie-, Tabaksteuer) und auf die gewerblichen Steuerarten einschließlich Kapital- und Zinssteuern.
Speziell für die Einkommensteuer zeigt die letzte nach den Einkommensgruppen differenzierte Veröffentlichung der Bundesstatistik für das Jahr 2001, dass die Einkommensbezieher ab 100.000 Euro im Jahr, die zusammen 3 % aller Steuerzahler umfassen, nur 34,6 % aller Einkommenssteuern tragen. Die Einkommensbezieher ab 500.000 Euro im Jahr, die zusammen 0,1 % aller Steuerzahler umfassen, tragen sogar nur 11,2 % aller Einkommenssteuern. (Statistisches Bundesamt, Lohn- und Einkommensteuerstatistik 2001, Wirtschaft und Statistik, 7/2005, S. 675)
Wie erklärt sich der Widerspruch zur oben zitierten Aussage des Finanzministeriums, in der von den „obersten zehn Prozent der Einkommensbezieher“ die Rede ist? Ganz einfach dadurch, dass in der zitierten Aussage des BMFi nicht enthalten ist, ab welcher konkreten Einkommensgruppe die Aussage gelten soll. Die „obersten zehn Prozent der Einkommensbezieher“ beginnen faktisch in der oberen Hälfte der Gruppe „von über 50.000 bis 100.000 Euro“, d.h. schätzungsweise ab 75.000 Euro aufwärts.
Das bedeutet aber, dass es in der Gruppe ab 75.000 Euro Einkommen aufwärts jene ca. 10 % aller Steuerzahler gibt, die dann ca. die Hälfte der Einkommensteuern wirklich zahlen. Die andere Hälfte der Einkommenssteuern tragen dann die 90 % Einkommensbezieher bis zu 75.000 Euro Jahreseinkommen. Sie tragen natürlich auch den Löwenanteil an den Umsatz- und Verbrauchssteuern.
Der „Griff nach dem Geld“, den der Finanzminister jetzt angesagt hat, würde also jene Gruppe treffen, die über 75.000 Euro Jahreseinkommen bezieht, und hierbei insbesondere die Gruppe ab 100.000 Euro Jahreseinkommen. Es sind dies auch die Gruppen mit der höchsten Sparquote am laufenden Jahreseinkommen.
Bemerkenswert ist, dass es sogar Einkommensbezieher ab 75.000 Euro Jahreseinkommen gibt, die keinerlei Einkommenssteuern entrichteten: im Jahre 2001 waren dies 10.622 Personen in der Bundesrepublik nach steueramtlichen Angaben. Dies erhellt, warum immer noch die Summe der „Veranlagten Einkommensteuer“ im Jahre 2007 nur 25,0 Mrd. Euro ereichte – was die „oberste Gruppe der Einkommensbezieher“ einschließlich der Superreichen, die vorzugsweise diese Steuerart speist, sicherlich nicht beklagt.