Zivilgesellschaft, Mitte, … – Worte ohne klaren Sinn aber aufgeladen mit geballter Wertung
Zivilgesellschaft, das ist ein Begriff, der sich in unser Denken wahrlich geölt einschleicht. Da schwingen Menschenrechte mit, etwas Antimilitärisches, unterschwellig auch Antistaatliches. Wenn die Tagesschau meldet, Frau Merkel habe sich mit Vertretern der türkischen Zivilgesellschaft getroffen (Ausschnitt siehe unten), dann nicken wir beifällig. Und wir überlegen nicht weiter: Wer gehört eigentlich dazu? Woher nehmen die Vertreter dieser sonderbaren Einrichtung „Zivilgesellschaft“ ihre Legitimation? Albrecht Müller.
Wenn wir dann genauer hinhören oder lesen, dann erfahren wir, dass „die Teilnahme von Oppositionspolitikern oder von prominenten Erdogan-Kritikern … nicht vorgesehen“ war. Die Auswahl ist sozusagen beliebig. Aber das macht nichts. Es klingt jedenfalls gut. Es klingt besonders gut, wenn die Zusammenarbeit mit dem Gegenüber der „Zivilgesellschaft“, mit dem Staat, im konkreten Fall mit dem türkischen Präsidenten Erdogan in Verruf geraten ist. Mit dieser Zusammenarbeit kann man unbesorgt weitermachen, wenn man sich mit Vertretern der Zivilgesellschaft trifft oder getroffen hat.
Damit keine Missverständnisse aufkommen: Wenn sich die Bundeskanzlerin mit Vertretern der verfolgten Journalisten oder mit Vertretern der verfolgten Kurden oder mit wem auch immer aus der Türkei in der Türkei trifft, dann ist dagegen nichts einzuwenden. Hier jedoch, beim Gebrauch des Wortes Zivilgesellschaft, ist wie in anderen Fällen auch interessant, dass ein neuer den Vorgang überhöhender Begriff eingeführt wird. Und dass dieser Begriff dann zum Instrument wesentlich emotional geprägter Meinungsmache genutzt werden kann.
Der Begriff Zivilgesellschaft spielt offenbar im Konzept des Regimechange eine große Rolle
Der Begriff war im Vorfeld des Putsches in Kiew im Spiel. Der Maidan war Produkt und Ausdruck der Zivilgesellschaft. Wahrscheinlich spielt der Begriff auch in Brasilien eine Rolle, beim Versuch, die gewählte Präsidentin abzulösen. Er spielt vermutlich eine geplante und zentrale Rolle bei den vielen Versuchen, vergleichsweise linke Regierungen unter Druck zu setzen und loszuwerden. Auch im Falle Russlands dürfte er zu gegebener Zeit eine Rolle spielen.
Auch der Begriff Mitte ist eher eine Hülse, die man emotional aufladen kann, als ein rational verwendbarer Begriff
Der Begriff wird gerade wieder modisch überstrapaziert. Der baden-württembergische Ministerpräsident und Grünen-Politiker Kretschmann meinte gegenüber der „Welt am Sonntag“ vom 22. Mai, die Grünen verstünden sich zwar mehrheitlich als Partei der linken Mitte. Aber er sei jemand, der sie „ganz in die Mitte ziehen will“. – Hier dient die Sprache als Signal für ein Gefühl und nicht zur Definition programmatischer Inhalte. Kretschmann ist nicht der erste, der damit spielt. Der Begriff Mitte spielte in der innerparteilichen Auseinandersetzung wie auch in Wahlauseinandersetzungen schon immer eine große Rolle. Willy Brandt sprach im Oktober 1972 und dann in der Regierungserklärung vom Januar 1973 von der „neuen Mitte“.
Das war auch nur ein Signal. Die Debatte um die Mitte war nie eine rationale Debatte. Immer ein Versuch, Emotionen und Gefühle zu transportieren.
Der Begriff ist sachlich deshalb schwer in Analysen und Strategien einsetzbar, weil die Frage, ob jemand zur Mitte gehört, sehr davon abhängt, an welchem Thema, an welchem Inhalt, an welchem programmatischen Punkt man das gerade festmachen will. Gerhard Schröder war mit der Entscheidung, Deutschland am Irak Krieg jedenfalls nicht direkt zu beteiligen, eher progressiv einzuordnen; ein Jahr später, 2003, setzte er die Agenda 2010 durch, wahrlich kein Akt der Orientierung an der politischen Mitte. Helmut Schmidt hat in Sachen Abtreibung/Paragraf 218 nicht zur Rechten in der SPD gehört, beim Umgang mit Staat und Militär eher schon. Und bei Angela Merkel sind wir gleich ganz desorientiert. Ihre offenen Arme für Flüchtlinge signalisieren eine eher linke Orientierung, ihr Deal mit Erdogan zum gleichen Thema das Gegenteil. Ist das Mitte?
Dieser Beitrag dient nur einer kleinen Absicht: Seien Sie skeptisch, wenn Sie Begriffe wie Zivilgesellschaft oder Mitte hören. Wer diese Begriffe gebraucht. will nicht aufklären, sondern vernebeln. Für den Begriff Populismus gilt das übrigens auch.
Auszug aus einer Meldung der Tagesschau: