Mit dem Versammlungsgesetz trägt die CSU ein elementares Bürgerrecht zu Grabe
Die CSU hat am 16. Juli über das umstrittene Versammlungsgesetz abgestimmt. Das Gesetz wurde mit 100 zu 45 Stimmen beschlossen. Die 15 Abgeordneten der GRÜNEN im Bayerischen Landtag trugen als Zeichen ihres Protests während der Plenardebatte weiße T-Shirts mit dem aufgedruckten Artikel 113 der Bayerischen Verfassung “Alle Bewohner Bayerns haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder besondere Erlaubnis friedlich und unbewaffnet zu versammeln.” Auf der Vorderseite der Shirts prangte der Schriftzug “Wir sind so frei”. Die CSU kommentierte diese Uniformierung, die unter anderem als Provokation gegen die im Versammlungsgesetz verbotene Uniformierung gedacht war, mit der Forderung „Ausziehen“.Von Christine Wicht
Die Grüne Landtagsfraktion hat ihre massive Kritik am umstrittenen Gesetzentwurf der Staatsregierung für das neue Versammlungsgesetz am Rednerpult unterstrichen. Die Fraktionsvorsitzende Margarethe Bause sagte: “Das geplante CSU-Gesetz ist ein Angriff auf einen Grundpfeiler unserer Demokratie. Friedliche Demonstrationen, Gewerkschaftsaktivitäten und das Engagement von Bürgerinitiativen würden durch die Gesetzesverschärfungen massiv behindert und erschwert.” Unter dem Vorwand, das Treiben von Neonazis unterbinden zu wollen, beschneide die Staatsregierung mutwillig die Freiheitsrechte aller, die sich für eine lebendige Demokratie einsetzen. Das zeige, dass für die CSU mündige und kritische Bürgerinnen und Bürger nicht mehr als ein Störfaktor seien.
Die SPD-Landtagsfraktion begründet ihre Ablehnung des CSU-Gesetzentwurfs mit dem Schutz der Bürgerrechte: Das Versammlungsrecht sei ein von der Verfassung in besonderer Weise geschütztes Grundrecht. Der CSU-Entwurf schränke das Versammlungsrecht in Bayern in unzumutbarer und unzulässiger Weise ein. Das Verbot einer Versammlung werde erheblich erleichtert: So soll es möglich sein, eine Versammlung zu verbieten, wenn Rechte Dritter beeinträchtigt werden. Damit würde eine „Gummiklausel” eingeführt, die es ermögliche, individuelle Rechte Dritter, zum Beispiel des Straßenverkehrs oder von Grundstückseigentümern oder Unternehmern, gegen das Recht auf Versammlung auszuspielen.
Der Gesetzentwurf der Staatsregierung sei obrigkeitsstaatlich und verletze die Grundrechte. Die vielen neuen Einschränkungen führen zu einer weiteren Bürokratisierung. Außerdem würden die Straf- und Ordnungswidrigkeitstatbestände ernorm vermehrt. Es bleibe kaum etwas von der Feststellung des Bundesverfassungsgerichts übrig, wonach die Versammlungsfreiheit, ein Stück ursprünglicher ungebändigter unmittelbarer Demokratie’ gewährleiste.
Die Erklärung des SPD-Fraktionschefs Franz Maget im Plenum des bayerischen Landtages in Auszügen:
“Erstens. Ich unterstelle der Staatsregierung die Absicht, etwas zu finden, was es Rechtsextremisten schwerer macht, mit ihren Aufzügen, mit ihren gespenstischen Formationen das Versammlungs-recht, das wir haben, zu missbrauchen. Wenn es sich aber um ein Vorhaben handelt, das sich gegen den Rechtsextremismus richten soll, dann muss ein solches Vorhaben und ein solches neues Gesetz im Konsens der demokratischen Parteien und in Übereinstimmung verabschiedet werden. Sonst ist das ein falsches Signal in dieser Angelegenheit. Zweitens. Es darf dabei nicht die Einschränkung und Behinderung der Versammlungsfreiheit für alle in diesem Land, auch für Demokratinnen und Demokraten, herauskommen.
Wenn das das Ergebnis ihrer Bemühungen wäre, dann ist ein solches Gesetz nicht sinnvoll, nicht mehrheitsfähig und darf nicht verabschiedet werden.
Drittens. Es gibt eine ganze Reihe sehr kompetenter, sehr überlegenswerter Einwendungen, die in über 200 Petitionen in den Landtag eingereicht worden sind. (…)Es sind Petitionen, Eingaben und Anmerkungen zum Beispiel von Gewerkschaften, zum Beispiel des Bayerischen Journalistenverbandes, zum Beispiel der Naturschutzorganisationen, zum Beispiel der Anwaltskammern. Abschätzig zu sagen: Das sind lediglich Massenpetitionen, die keinen Wert haben, zeugt für mich von einer undemokratischen Gesinnung, Herr Kollege. Weil es aber ernst zu nehmende Petitionen mit sehr fundierten Einwendungen sind, gehören solchen Eingaben ernst genommen und ernsthaft im Parlament und in den Ausschüssen beraten und diskutiert.
Auch das ist nicht geschehen. Mit Ihrer Mehrheit haben Sie im Rechts- und Verfassungsausschuss die Petitionen zunächst zurückgestellt, dann den Gesetzentwurf beraten und beschlossen und danach feststellen lassen, dass sich damit die Petitionen erübrigt haben. Das ist ein Verfahren, bei dem sich die Petenten – ich sage es sehr vorsichtig – komisch vorkommen müssen. Wenn man in einer Frage, die Bürgerrechte elementar tangiert, auf diese Weise Petitionen behandelt, dann ist dies nicht sachgerecht, nicht demokratisch und zeugt von der Arroganz der Macht. Das wollen wir in diesem Hause abstellen.
Viertens. Es gibt inhaltliche Gründe, auf die man hier natürlich eingehen müsste und eingehen würde, wenn es jetzt zu einer Beratung und Behandlung käme. Diese Gründe führen dazu, dass hier ein massiver Eingriff in ein demokratisch geschütztes und garantiertes Grundrecht geschehen soll. Auch das spricht dafür, diesen Eingriff jetzt nicht zu behandeln, nicht zu beraten und schon gleich gar nicht zu beschließen.
Letzter Punkt: Was passiert, wenn die Mehrheit des Hauses jetzt unserem Geschäftsordnungsantrag auf Nichtbehandlung zustimmen würde? Nichts würde sich verschlechtern. Alle anderen Bundesländer kommen ohne ein eigenes Länderversammlungsrecht jederzeit aus oder lassen sich Zeit, es ausführlich zu beraten und etwas Vernünftiges zu machen. Diese Zeit können wir uns auch in der nächsten Legislaturperiode geben. Bis dahin gilt Bundesrecht weiter so wie in anderen Ländern der Bundesrepublik Deutschland auch.”
Die Grünen hatten ihren Sitzungssaal zum Versammlungslokal umfunktioniert, um zahlreichen Bürgerinnen, Bürgern und Verbänden, die sich mit Petitionen gegen die Gesetzesverschärfungen gewandt hatten, Gelegenheit zu geben, bei einem so genannten „public viewing“ die Debatte auf einer Großleinwand zu verfolgen. Zu den zahlreichen Kritikern des Gesetzes zählen unter anderem die Anwaltskammern, der Bayerische Journalistenverband, der Bayerische Jugendring, die Gewerkschaft ver.di, die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft und der Bund Naturschutz. Für die Verbände verfolgten Richard Mergner vom Bund Naturschutz, Wolfgang Seemann vom Bayerischen Journalistenverband, Fritz Schösser für den DGB und Stephan Kopp von der Rechtsanwaltskammer München auf der Besuchertribüne die Landtagsdebatte.
Der Begriff „public viewing“ ist in diesem Zusammenhang, wahrscheinlich ungewollt, sehr treffend gewählt. Da der Begriff „public viewing“ im Englischen ursprünglich “Leichenschau” oder “öffentliche Aufbahrung” bedeutet, könnte die Versammlung der Petenten passend auch so verstanden werden, dass bei diesem “public viewing” der “Leichnam Versammlungsfreiheit” noch ein letztes Mal besichtigt werden konnte, bevor er von der Bayerischen Staatsregierung zu Grabe getragen wurde.
Artikel auf den Nachdenkseiten zum Versammlungsgesetz: Neues Versammlungsgesetz der Bayerischen Staatsregierung – Abbau der Versammlungsfreiheit und Ausdruck obrigkeitsstaatlichen Denkens