Die Glyphosat-Zulassung könnte zu einer Nagelprobe für die Europäische Union werden
Wenn sich Mitte nächster Woche der zuständige Fachausschuss der Europäischen Kommission trifft, um über die Wiederzulassung des Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat für weitere neun Jahre zu entscheiden, könnte dies ein politisches Erdbeben auslösen. Bereits jetzt kündigt sich – auch dank der SPD – an, dass es im zuständigen Fachausschuss der EU-Kommission keine qualifizierte Mehrheit für die Wiederzulassung geben wird. Die Kommission selbst ist jedoch nicht an das Votum des eigenen Fachausschusses gebunden. So droht aus dem Wiederzulassungsverfahren des laut WHO möglicherweise krebserregenden Glyphosats eine Posse deutscher Lobbyhörigkeit und ein Fanal antidemokratischer Prozesse auf EU-Ebene zu werden. Wenn Sie ein Zeichen setzen wollen, dann sollten Sie noch schnell die Petitionen von Campact und dem BUND mitzeichnen. Von Jens Berger
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zum Hintergrund empfehle ich Ihnen die sehr aufschlussreiche WDR-Dokumentation „Gift im Acker – Glyphosat, die unterschätzte Gefahr?“
Der in der Dokumentation gezeigte französische Wissenschaftler Gilles-Éric Séralini hat übrigens 2015 vom Verband Deutscher Wissenschaftler VDW und vom Juristenverband IALANA den Whistleblowerpreis bekommen. Hier finden Sie die Begründung in der Langversion.
Glyphosat ist die Hauptkomponente einer ganzen Reihe von Unkrautvernichtern. 1974 wurde die Chemikalie vom US-Konzern Monsanto als Breitbandherbizid patentiert. Doch dieses Patent ist längst abgelaufen, heute produzieren fast alle größeren Agrarchemie-Konzerne Unkrautvernichter auf Basis von Glyphosat – darunter auch die deutschen Multis Bayer und BASF. Fast 40% der deutschen Ackerfläche wird mit glyphosathaltigen Chemikalien besprüht und sogar im Baumarkt ist die Substanz für alle Hobbygärtner frei verfügbar. Das ist durchaus verständlich, da Glyphosat aus ökonomischer Sicht durchaus seine Vorteile hat: Wenn der Bauer seinen Acker mit Glyphosat besprüht, sterben alle oberirdischen Teile sämtlicher Pflanzen ab – nur spezielle genmanipulierte Nutzpflanzen überleben, deren Saat der Bauer natürlich auch von Monsanto und Co. bekommt. Gift und Nutzpflanze im Komplett-Sorglos-Paket – doch sorglos ist Glyphosat ganz sicher nicht.
Vor allem in den letzten Jahren schießen die negativen und besorgniserregenden Forschungsergebnisse zu Glyphosat und den daraus bestehenden Endprodukten wie Unkraut aus dem glyphosatfreien Boden. Es geht um die dauerhafte Schädigung des Bodens, um Hormonstörungen und Krebs bei den Endverbrauchern und einer ganzen Kette von potentiellen Risiken, die nach dem momentanen Stand der Forschung noch nicht einmal absehbar sind. Besonders erschreckend ist, dass die Chemikalie mittlerweile in fast allen Getreideprodukten, inklusive Brot und Bier, und zahlreichen anderen Agrarprodukten wie konventionell produziertem Wein in signifikanter Konzentration nachweisbar ist. Und selbst in unserem Urin ist Glyphosat nachweisbar. Ein in der letzten Woche durchgeführter Test bei 48 EU-Abgeordneten ergab, dass alle Urinproben Glyphosatkonzentrationen aufwiesen, die weit über dem maximal zulässigen Grenzwert lagen. Der Durchschnitt lag beim 17fachen des Maximums, bei den Spitzenreitern war es das 35fache. Dies ist bei einem Stoff, der von den Experten der WHO als „möglicherweise krebserregend“ eingestuft wird, schon mehr als bedenklich.
Dass Glyphosat überhaupt noch im Handel ist, ist dabei vor allem deutscher Politik, deutschen Behörden und deutschen Lobbyisten zu verdanken. Während nahezu alle unabhängigen Forschungsinstitute vor Glyphosat warnen, ist es ausgerechnet das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), eine Bundesbehörde, die nicht dem Umwelt- und Verbraucherschutzministerium, sondern dem industrienahen Ministerium für Landwirtschaft und Ernährung untersteht, das sich immer wieder als oberster Schutzherr des Glyphosats versteht. Sämtliche glyphosatkritischen Studien, die in Kreisen der Wissenschaft sehr wohl anerkannt sind, sind für das BfR „irrelevant“. Auftragsstudien der Chemieindustrie hält man beim BfR jedoch für relevant und sieht daher kaum überraschend auch keine Risiken. Dass die „Experten“ des BfR bei jeder sich bietenden Gelegenheit von „echten“ Experten – z.B. von der WHO – förmlich in der Luft zerrissen werden, stört zumindest die deutsche Politik nicht. Einen Antrag der Grünen im Bundestag, die Neuzulassung von Glyphosat erst einmal zu stoppen, um sich ein unabhängiges Bild über die Risiken zu machen, wurde mit überwältigender Mehrheit abgelehnt – nur ein SPD- und zwei CDU-Abgeordnete stimmten gegen die Regierungsmehrheit.
Ob Glyphosat in den EU-Staaten vertrieben werden darf, liegt jedoch vor allem in der Kompetenz der EU-Kommission. Auf europäischer Ebene ist es Brauch, dass ein EU-Staat für derlei Zulassungsfragen die Prüfung übernimmt und die Kommission dann auf Basis dieser Prüfung und der Einschätzung eines Fachausschusses die Entscheidung fällt. Bei der Neuzulassung von Glyphosat hat – o Wunder – Deutschland die Rolle des „Berichterstaats“ übernommen. Die fachliche Prüfung wurde also ausgerechnet vom BfR vorgenommen; dem Institut, das in diesem Punkt seit Jahren nur die Interessen der Chemiekonzerne vertritt. Wieder einmal wollte Deutschland einen Entschluss, der – formulieren wir es mal vorsichtig – beim Volk nicht so toll ankommt, auf EU-Ebene auslagern. Welcher Deutsche weiß schon, dass hinter dem Wunsch der EU-Kommission, Glyphosat trotz aller offenen Fragen für zunächst fünfzehn und jetzt immer noch für neun Jahre neu zuzulassen, allen voran die deutsche Regierung steht?
Doch mittlerweile ist sich auch die Große Koalition in diesem Punkt nicht mehr grün. Während das schwarze Landwirtschaftsministerium die Neuzulassung massiv befördert, steht das rote Umweltministerium eher auf der Seite der Gegner. Und diesmal scheint die SPD sogar ernst zu machen. Gestern kündigte Umweltministerin Barbara Hendricks an, dass die SPD-geführten Ministerien gegen eine Neuzulassung stimmen würden. In einem solchen Fall – CDU/CSU dafür, SPD dagegen – müsste sich Deutschland nächste Woche im Fachausschuss der Kommission der Stimme enthalten. Das ist freilich erfreulich, aber auch paradox und schizophren. Als Berichterstaat empfiehlt Deutschland auf Basis des CSU-Landwirtschaftsministeriums eine Wiederzulassung, enthält sich jedoch im Fachausschuss seiner Stimme.
Laut den EU-Verträgen gibt es Sperrminoritäten, die sich anhand der Bevölkerung der EU-Staaten orientieren. Frankreich, Schweden und Italien haben bereits angekündigt, im Ausschuss gegen eine Wiederzulassung zu stimmen und wenn sich Deutschland dem „Nein“ anschließt oder sich der Stimme enthält, wird es auch keine qualifizierte Mehrheit für die geplante Wiederzulassung geben. Doch das ist leider nur die halbe Wahrheit, da die EU-Kommission zwar angehalten ist, ihre Entscheidung auf Basis des Votums im Fachausschuss zu fällen; verpflichtend ist dies jedoch nicht. Die EU-Kommission könnte also auch gegen den Rat ihres eigenen Fachausschusses für eine Wieder- bzw. Neuzulassung von Glyphosat stimmen.
Dies wäre dann ein weiterer Sargnagel für Europa und die Europäische Union und sprichwörtlich leider auch ein Sargnagel für zahlreiche Europäer, die in einem solchen Falle den nackten Profitinteressen der Aktionäre der Chemiegiganten geopfert würden.
Verhindern können wir dies leider nicht. Wir können jedoch den Preis erhöhen und uns lautstark im Vorfeld zu Wort melden, so dass die EU-Kommission auf einen antidemokratischen Kotau vor der Industrie verzichtet. Dazu kann ich Ihnen nur empfehlen, sich den laufenden Petitionen von Campact und dem BUND anzuschließen. Das Thema ist viel zu wichtig, um es einer lobbyhörigen Politik zu überlassen.