Von der Freiheit der Wissenschaft zur „unternehmerischen Hochschule“

Ein Artikel von:

Ein Referat von Wolfgang Lieb an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms Universität Bonn

  1. Ich möchte das Thema meines Vortrags unter zwei Aspekten behandeln, einerseits möchte ich Ihnen meine kritische Sicht auf die „unternehmerische Hochschule“ darstellen. In einem zweiten Teil möchte ich versuchen in der gebotenen Knappheit die Hintergründe für den Paradigmenwechsel der Hochschulreformen der letzten Jahre aufzeigen.

    Zunächst also zur „unternehmerischen Hochschule“:

    Kein anderes Land mache „Freiheit mit dieser Konsequenz zur Grundlage seiner Hochschulpolitik“, so rühmt Innovationsminister Pinkwart in einer vom Ministerium herausgegebenen Broschüre unter dem Titel „Hochschule auf neuen Wegen“ das nordrhein-westfälische Hochschul-„Freiheits“-Gesetz.

    Nun ist es leider so, dass kaum ein anderer Begriff in der Menschheitsgeschichte so unterschiedlich gebraucht und auch so missbraucht wurde, wie der Freiheitsbegriff.

    Man tut also gut daran, wenn von „Freiheit“ die Rede ist, immer auch nach der von Immanuel Kant herausgearbeiteten Unterscheidung zwischen „positiver“ und „negativer“ Freiheit zu fragen. Einfacher ausgedrückt: Man sollte immer auch danach fragen: „Freiheit zu was“ und „Freiheit von was oder Freiheit von wem“.

    Stellt man die Kantsche Frage, für zu was und von wem die „neue“ Freiheit dienlich ist, so wird man feststellen – so meine These – , dass die weit überwiegende Mehrheit der Lehrenden und der Studierenden in der „unternehmerischen Hochschule“ – gemessen an ihren früheren Lehr-, Forschungs- und Lernfreiheiten – wesentlich „unfreier“ sein werden, als vor der letzten Reform des nordrhein-westfälischen Hochschulgesetzes im Jahre 2000 – noch unter meiner Amtszeit als Staatssekretär.

    Die grundgesetzlich garantierte institutionelle Freiheit von Forschung und Lehre gegenüber dem Staat und die in Angelegenheiten der Wissenschaft vom Gesetzgeber zu sichernde Autonomie werden in der „unternehmerischen Hochschule“ künftig vom Staat weitgehend befreit und dafür der Freiheit des Wettbewerbs ausgesetzt. Der Konkurrenz um die Einwerbung von Studiengebühren und von sog. Drittmitteln, also den anonymen Zwängen der Konkurrenz auf dem Wissenschafts- und Ausbildungsmarkt.

    Es ist das Bild einer Hochschule, die wie ein Unternehmen ihre „Produkte“ – also ihre Forschungsleistungen sowie ihre Aus- und Weiterbildungsangebote – auf dem Markt an kaufkräftige Nachfrager abzusetzen hat: nämlich an zahlungskräftige Forschungsauftraggeber und Investoren, an Stifter und Sponsoren – und an Studierende, die fürs Studieren zur Kasse gebeten werden.

    In der selbstverwalteten Gruppenuniversität entschieden (vor allem) die Gemeinschaft der Lehrenden und (in Studienangelegenheiten mit einer Drittelparität) auch die Studierenden – jedenfalls der Satzung und dem Anspruch nach – nach forschungs- und lehrrelevanten Maximen und Interessen über Forschung und Lehre und – mit zunehmend flexibilisierten Haushalten – auch über die Verteilung der Ressourcen innerhalb der Hochschule.

    Der Staat legte den Finanzrahmen fest und führte im Wesentlichen nur eine Rechts- und Finanzaufsicht – und keineswegs eine Fachaufsicht, wie das vielfach behauptet wird.

    In der „unternehmerischen“ Hochschule soll nicht mehr aufgrund von „Entscheidungen in den Gremien“ (in denen nach Pinkwarts Vorurteil nur blockiert wurde und „demotivierende Bedingungen“ herrschten), sondern es soll von einem „modernen Mangagment“ – so Pinkwart – nach den Gesetzen des „Wettbewerbs“ und der „Konkurrenz“ auf dem Wissenschafts- und Ausbildungsmarkt entschieden werden.

    Nicht nur die Universität selbst soll „unternehmerisch“ agieren, sondern auch die Lehrenden und Forschenden sollen zu „Unternehmern innerhalb der unternehmerischen Hochschule“ (Pinkwart) werden. Bei Entscheidungen unter Konkurrenz- und Wettbewerbsdruck sind ausgiebige und oft langwierige Diskussionen in Selbstverwaltungsgremien nur, wie Pinkwart sagt, „bürokratische Hürden“ und „Hemmnisse“ die es „aus dem Weg zu räumen“ gilt.

    (Anmerkung: Wenn ich keine spezielle Quelle benenne, beziehe ich mich auf den Aufsatz in der genannten Broschüre „Hochschule auf neuen Wegen“ 1/2007 als PDF-Download)

    Die Hochschule im Wettbewerb bedarf deshalb, so Pinkwart, „klare, handlungsfähige und starke Leitungsstrukturen“, oder wie der Minister weiter meint „ein modernes Management“, das rasch Entscheidungen treffen und umsetzen kann. Horizontale, „bottom-up“-Strukturen demokratischer oder kooperativer Interessenvertretung müssen in diesem neuen Leitbild der Hochschulen konsequenterweise von vertikalen, „top-down“-Entscheidungsbefugnissen abgelöst werden.

    Während der Rektor einer Hochschule früher der „primus inter pares“ war, braucht die „unternehmerische“ Hochschule – laut Pinkwart – wie ein auf „den Zukunftsmärkten“ agierendes Unternehmen ein „professionelles Management“ mit effizienten Entscheidungsbefugnissen und rascher Entscheidungskraft. Eine Hochschulleitung nämlich, die von der Spitze aus in alle Bereiche des Unternehmens – als „Arbeitgeber und Dienstherr“ des „Personals“ (ehemals Hochschullehrer genannt) und bis hinein in die „Ausbildungsverhältnisse“ (ehemals Studium genannt) durchentscheiden kann.

    Man braucht dazu einen Präsidenten oder – wie es im baden-württembergischen Hochschulgesetz konsequenterweise heißt – einen „Vorstandsvorsitzenden“, gegen dessen Stimme keine Entscheidung an der Hochschule getroffen werden kann. (So sieht das auch § 15 Abs. 2 Ziff. 3 HFG vor)

    Die „Qualität“ einer Hochschule bestimmt sich nicht mehr aus ihrer wissenschaftlichen Anerkennung innerhalb der Scientific Community. Ein wissenschaftliches Studium bestimmt sich nicht mehr vor allem – wie das der Wissenschaftsrat in seinen jüngsten Empfehlungen definiert hat – nach den „Prinzipien der Wissenschaftlichkeit (also einer fragenden, kritischen Haltung, einem Problem- und Methodenbewusstsein, der Strukturierungsfähigkeit, der Selbständigkeit) und des forschungsorientierten Lernens ,
    sondern in der „unternehmerischen“ Hochschule erweist sich deren Qualität in der (Zitat) „Konkurrenz mit ihresgleichen“.

    Dabei soll die einzelne Hochschule „das Ziel Qualität auf unterschiedlichen Wegen zu verfolgen. Die eine Hochschule wird sich auf ihre Rolle als Ausbilder und F&E-Partner in ihrer Region konzentrieren. Eine andere Hochschule wird sich an starken europäischen Mitbewerbern um technologische Leitprojekte orientieren und mit dem Anspruch antreten, in der internationalen Liga der Spitzenforschung mitzuspielen“. (Pinkwart)

    Die Zielvorstellung von Innovationsminister Pinkwart entspricht also in etwa dem amerikanischen Hochschulsystem mit einer hierarchisch tief gestaffelten Hochschullandschaft mit einigen wenigen Spitzenuniversitäten mit Ausbildungsangeboten für den Nachwuchs der gesellschaftlichen „Elite“ und der großen Masse von Hochschulen ganz unterschiedlicher Qualität für die große Masse der Studierenden.

    Diese Trennung von „Spreu“ und „Weizen“ wird übrigens noch dadurch verschärft, dass die Masse der Studierenden in verschulte Bachelor-Studiengänge gedrängt werden soll und nur noch eine quotenmäßig festgelegte, kleine Gruppe zu einem Masterstudium mit wissenschaftlichem Anspruch zugelassen wird.

    Damit die Gesetze des Wettbewerbs auch wirken können, müssen – dem Glaubensbekenntnis des Markt- und Wettbewerbsliberalismus entsprechend – der Staat, die Politik oder nicht marktgängige gesellschaftliche Anforderungen aus dem Marktgeschehen möglichst weitgehend herausgehalten werden.
    So soll denn auch das Parlament künftig allenfalls noch der Zahlmeister für die Grundfinanzierung der Hochschulen sein, der „Zuschüsse“(!) gewährt.

    An Stelle des Ministeriums oder des Parlaments als rahmensteuernde Aufsichtsorgane wird der „unternehmerischen“ Hochschule, wie bei einem in Form einer Aktiengesellschaft konstituierten Wirtschaftsunternehmen, künftig eine Art Aufsichtsrat dem Management der Hochschule als „Fachaufsicht“ gegenübergestellt.

    Dieser sog. Hochschulrat, so regelt es das HFG, „besteht mindestens zur Hälfte aus Mitgliedern, die von außen kommen; der Vorsitzende kommt in jedem Fall von außen.“

    Vorschläge zur Besetzung des Hochschulrates macht ein Auswahlgremium aus zwei (!) Vertretern/innen des Senates, zwei Vertretern/innen des bisherigen Hochschulrates und einem/er Vertreter/in des Landes mit zwei Stimmen. Es entwickelt einen Listenvorschlag, der vom Senat bestätigt werden muss und der letztinstanzlichen Zustimmung durch das Ministerium bedarf, das den Rat für eine Amtszeit von 5 Jahren ernennt.

    Pinkwart meint mit diesem Auswahlverfahren – bei dem die Vertreter der Hochschule allerdings in der Minderheit sind – sei „die demokratische Legitimation der Hochschulratsmitglieder gesichert“.

    Was Pinkwart allerdings verschweigt, ist, dass der Hochschulrat in seinen Handlungen und Entscheidungen über die fünfjährige Amtszeit keiner irgendwie legitimierten Instanz und schon gar nicht einer demokratisch legitimierten Autorität rechenschaftspflichtig ist.

    Die Hochschulratsmitglieder entscheiden über das Geld der Steuerzahler und über dessen Verteilung an den Hochschulen nach ihren persönlichen oder ihren politischen oder ihren gesellschaftspolitischen Interessen und Grundhaltungen.

    Man stelle sich einmal umgekehrt den Aufstand der Wirtschaft vor, wenn per Gesetz entschieden würde, im Aufsichtsrat eines Unternehmens müsste eine Mehrheit von externen Wissenschaftlern oder beliebiger Repräsentanten der Gesellschaft das Sagen haben.

    Der Hochschulrat hat eine bisher bei körperschaftlich organisierten und selbstverwalteten Hochschulen nie gekannte weitgehende „Fachaufsicht“!

    Laut § 21 HFG konzentrieren sich die wichtigsten Machtkompetenzen einer Hochschule im Hochschulrat:

    • Er stimmt dem Hochschulentwicklungsplan zu.
    • Er stimmt dem Wirtschaftsplan und dem Plan zur unternehmerischen Hochschulbetätigung zu.
    • Er nimmt zum Rechenschaftsbericht des Präsidiums Stellung.
    • Er nimmt Stellung zu Angelegenheiten der Forschung, Kunst, Lehre und des Studiums, die die gesamte Hochschule oder zentrale Einrichtungen betreffen oder von grundsätzlicher Bedeutung sind.

    Am Wichtigsten sind dabei die Wahl und die Entlastung der Hochschulleitung durch den Hochschulrat.

    Detlef Müller-Böling, der bisherige Chef des Bertelsmann Centrums für Hochschulentwicklung (CHE), hat die Bedeutung dieser Bestimmung in dankenswerter Offenheit begründet: Nur durch die Wahl des Präsidiums durch den Hochschulrat „erhält die Hochschulleitung gegenüber den hochschulinternen Gremien die Unabhängigkeit, die sie für ein effektives und effizientes Management benötigt.“

    Pinkwarts Vorstellung ist in etwa die: Der Hochschulrat „nimmt Impulse aus Wirtschaft und Gesellschaft auf und vermittelt in dieser Weise als „Transmissionsriemen“ das erforderliche Beratungswissen für die Entscheidungen der Hochschulleitungen“.

    Fragt man danach woher diese gesellschaftlichen „Impulse“ kommen, so zeigt die bisherige Erfahrung, dass fast überall, wo sich Hochschulräte konstituiert haben, solche „Impulse“ vor allem von Repräsentanten aus der Wirtschaft, meist der Groß- und Finanzwirtschaft, der IHKs oder bestenfalls noch örtlicher Unternehmer kommen .

    Die Zusammensetzung des im April dieses Jahres ernannten Hochschulrats Ihrer Universität ist Ihnen sicherlich bekannt:

    Vorsitzender ist

    • Dr. Jörg Haas, Vorstand des Finanzdienstleistungsunternehmens Haas & Wilbert Beteiligung AG – HWB AG.

    Als externe Mitglieder gehören dem Hochschulrat ferner an:

    • Lothar A. Harings, Vorstandsmitglied und Chief Human Resources Officer der T-Mobile International AG & Co. KG
    • Dr. Monika Wulf-Mathies, Leiterin des Zentralbereichs Politik und Umwelt, Deutsche Post World Net.

    Drei der sieben externen Mitglieder sind also Repräsentanten der Wirtschaft.

    In einer von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten und in Kooperation mit der Gemeinsamen Arbeitsstelle der Ruhruniversität Bochum und der IG Metall durchgeführte Studie [PDF – 484 KB] wird u.a. Fragen nach der Stellung, der Zusammensetzung, den Kompetenzen und den Arbeitsstrukturen der Hochschulräte in der reformierten Hochschullandschaft nachgegangen. Der Datensatz umfasst 161 Hochschulen.

    Danach werden die Mitglieder externer Hochschulräte mit jeweils einem runden Drittel aus der Wirtschaft und der Wissenschaft rekrutiert, wobei auf Seiten der Wirtschaft die Vertreter von Großunternehmen dominieren. Während an Universitäten die Großunternehmen eindeutig dominieren, werden insbesondere an Fachhochschulen, aber auch bei privaten und technischen Hochschulen die Vertreter kleiner und mittlerer Unternehmen mit regionalem Bezug wichtiger. Bei den Fachhochschulen, technischen Universitäten und privaten Hochschulen sind die Anteile der Wirtschaftsvertreter deutlich höher.

    Was aber noch signifikanter ist: Unter den Hochschulratsvorsitzenden liegt der Anteil der Wirtschaftsvertreter bei knapp der Hälfte, nämlich 47 Prozent, von diesen Vorsitzenden sind wiederum 80 Prozent Aufsichtsrats- oder Vorstandsmitglieder von Unternehmen.

    Kein Wunder, dass das Handelsblatt vom 12. Oktober 2007 ziemlich triumphierend titelte: „Manager erobern die Kontrolle an den Unis“. Ein weiteres rundes Fünftel der externen Hochschulratsmitglieder kommt aus Politik, Verwaltung oder von anderen Interessengruppen. Nur rund ein Zehntel kommt aus sonstigen Bereichen des öffentlichen Lebens.

    Vertreter aus Gewerkschaften sind im Vergleich zu jenen aus der Wirtschaft in den neu geschaffenen Steuerungsgremien der bundesdeutschen Hochschulen mit 3% nur marginal vertreten.

    In Berlin sind 5, Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz und Hessen jeweils 2, in Sachsen-Anhalt, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen jeweils 1 Gewerkschaftsvertreter in den Hochschulräten vertreten. In den übrigen Ländern – vor allem in Baden-Württemberg und Bayern, wo schon seit 1998 bzw. 2000 Hochschulräte eingeführt wurden – gar keiner.

    In Berlin erklärt sich die signifikant höhere Zahl dadurch, dass dort die Beteiligung von Gewerkschaftern als Sozialpartner im Hochschulgesetz festgeschrieben ist. Aber durch die in Berlin eingeführte „Erprobungsklausel“, ruhen derzeit die Kuratorien und einige der Gewerkschafter sind dort, statt im regulären nur noch im „Ruhenden Kuratorium“ vertreten. Die dort befragten gewerkschaftlichen Repräsentanten bemängeln geschlossen, „durch dieses Erprobungskonzept faktisch aus der aktiven Arbeit in den Hochschulräten ausgeschlossen zu sein, (das sei) ein Widerspruch zu der ursprünglichen Intention des Berliner Hochschulgesetzes, alle relevanten gesellschaftlichen Gruppen in den Hochschulräten zu repräsentieren.“

    Nach dem Rücklauf von 161 Hochschulen bleiben von den insgesamt 14 Gewerkschaftsvertretern in Hochschulräten – weil in Berlin deren Mandate ruhen – faktisch nur 9.

    Aber selbst diese Zahl beschönigt die Repräsentanz von Arbeitnehmervertretern in den obersten Leitungsgremien deutscher Hochschulen.

    Gewerkschafter sind dazu hin tendenziell eher im Hochschulrat von solchen Hochschulen vertreten, die über starke gesellschaftswissenschaftliche Fachbereiche verfügen – auf gut deutsch also etwa an Fachhochschulen für Sozialarbeit.

    An Universitäten und vor allem an Technischen Hochschulen muss man sie mit der Lupe suchen und an privaten Hochschulen sind überhaupt keine gewerkschaftlichen Vertreter zu finden.

    Das konzeptionelle Vorbild vieler Hochschulräte in der Bundesrepublik werde – so die Studie – anhand der Terminologie des Baden-Württembergischen Hochschulgesetzes (2002) besonders deutlich: Seit 2005 heißen die Hochschulräte dort „Aufsichtsräte“ – und der Hochschulpräsident bzw. der Rektor wird als „Vorstandsvorsitzender“ der Hochschule bezeichnet.

    Es zeige sich eine Erosion der klassischen Verbändebeteiligung. Vor allem Unternehmen oder auch Medienvertreter – so war der erste Vorsitzende des Hochschulrates der LMU München, der Großverleger Hubert Burda – würden in vielen Politikfeldern als neue strategische Ressourcen für gesellschaftliche Impulse betrachtet.

    Die Kompetenzen der Hochschulräte – so die Studie weiter – gingen zu Lasten der klassisch-parlamentarischen Repräsentation gesellschaftlicher Interessen durch die Landesparlamente und durch die Landesregierungen sowie (vor allem) zu Ungunsten der Selbstverwaltung der jeweiligen Hochschule.

    Studierende, akademischer Mittelbau und nichtwissenschaftliche Angestellte sind nur zu jeweils zwischen 9 und 14 % (als interne Mitglieder) in Hochschulräten vertreten. An der Bonner Uni sind diese Gruppen gar nicht vertreten.

    Dieser Trend wird in der Politikwissenschaft mit den Stichworten „Personalisierung“ und „Zerfaserung“ der Staatlichkeit diskutiert: „Man könnte auch von einer „Privatisierung“ der Organisationsverantwortung sprechen“, so fasst die Studie zusammen.

    Ich sehe in der Funktion der Hochschulräte eine funktionelle Privatisierung der öffentlichen und überwiegend staatlich finanzierten Hochschulen.

    In diesen Zusammenhang ist schließlich auch die Diskussion um die Änderung der Rechtsform der Hochschulen einzuordnen. Die Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt am Main ist z.B. zum 1. Januar 2008 in eine Stiftungsuniversität umgewandelt werden. Am Ende der laufenden Rechtsformdiskussion könnte die Privatisierung der staatlichen Hochschulen stehen – ein Schicksal, das etwa die hessischen Universitätsklinika bereits ereilt hat.

    Ich bin seit vier Jahren Mitglied in einem Hochschulrat und habe dabei eigene Erfahrungen sammeln können, die mir auch von Mitgliedern in anderen Hochschulräten bestätigt wurden:

    In der Regel ist es so, dass die Hochschulräte die ohnehin per Gesetz massiv gestärkte Durchgriffsgewalt der Hochschulleitungen noch verstärken. D.h. die Präsidenten oder Vorstandsvorsitzenden können mit ihrem Hochschulrat im Rücken jeden Widerstand der Hochschulmitglieder gegen ihre Top-down-Entscheidungen brechen.

    Von daher versteht sich auch die grundsätzlich positive Einstellung der Hochschulleitungen zu den Hochschulräten von selbst.

    Bei Hochschulräten, die – wie die schon zitierte Studie festgestellt hat und wie es auch meiner Erfahrung entspricht – in der großen Zahl der Hochschulen im besten Fall einmal vierteljährlich zusammentreten, um dann durchschnittlich allenfalls rund vier Stunden tagen, hat das hauptamtliche Präsidium einen nicht einholbaren Informationsvorsprung und kennt die möglichen Handlungsoptionen erheblich besser als jedenfalls die externen Mitglieder des Hochschulrates.

    Hinzu kommt: Laut der Studie der Uni Bochum bieten in 63% der Fälle ausschließlich die Rektorate die „Unterstützungsstrukturen“ für die Hochschulräte und nur ein Drittel verfügt über einen Apparat – der allerdings sehr klein sein dürfte. In meiner Hochschule haben wir noch nicht einmal einen Sachbearbeiter, der allerdings mit vielen anderen Aufgaben betraut ist.

    Die Rektorate hätten so die Studie weiter „de facto die Hoheit über die Tagesordnung“.

    Aus eigener Erfahrung und aus Gesprächen mit Hochschulratsmitgliedern einiger Hochschulen kann ich das nur bestätigen:

    Im wirklichen Leben sieht das nämlich so aus, dass vor entscheidenden Sitzungen der Präsident versucht, den Vorsitzenden des Hochschulrats in Vorgesprächen auf seine Seite zu ziehen und der Vorschlag des Präsidenten wird dann im Hochschulrat „durchgewinkt“. So kann der Präsident in aller Regel jeden Widerstand oder jeden seiner Position entgegenstehenden Beschluss der hochschulinternen Gremien aushebeln.

    Die Eingangsfrage, für wen und wozu das neue „Hochschulfreiheitsgesetz“ mehr Freiheit bringt, lässt sich – wenn man einmal die Freiheitsrhetorik hinterfragt – also ziemlich eindeutig beantworten:

    • Die Hochschulen werden statt den Gesetzen des demokratischen Gesetzgebers, den anonymen Gesetzen des Wettbewerbs unterstellt. Den angeblich objektiven Zwängen des Wettbewerbs kann und darf sich kein Mitglied der Hochschule, ob Forschender, Lehrender oder Studierender mehr entziehen.
    • Die verfassungsrechtlich garantierte Freiheit der Forschung und Lehre gegenüber dem Staat und die sich selbstverwaltenden Strukturen der in Angelegenheiten der Wissenschaft autonomen Hochschule werden durch die Entlassung der „unternehmerischen“ Hochschule in die Freiheit des Wettbewerbs im Sinne Schumpeters „schöpferisch zerstört“ und die Lehr- und Lernfreiheit wird als die Freiheit zur Durchsetzung auf dem Ausbildungs- und Wissensmarkt umdefiniert.
    • Die horizontalen Strukturen von Interessenvertretung und akademischer Selbstverwaltung und kooperative Hochschulleitungen werden durch eine neuartige zentralistische Aufsichtsrat-Managementstruktur ersetzt. Die Hochschulen gleichen sich so auch formal dem Leitbild gewerblicher Unternehmen an.
    • Die „unternehmerische“ Hochschule wird über den beaufsichtigenden externen Hochschulrat und vor allem durch dessen Zusammensetzung zur maßgeblich von Vertretern der Wirtschaft gesteuerten Hochschule mit dem Auftrag zur Kooperation und zur Zusammenführung von Wissenschaft und Wirtschaft.

    Und sollte sich eine Hochschule immer noch die Freiheit nehmen, sich den Zwängen des Hochschulfreiheitsgesetzes mit seiner wettbewerblichen Steuerung zu entziehen, hängt über ihr das Damoklesschwert der „Zielvereinbarung“.

    Das sind Vereinbarungen (mit einem früher unvorstellbaren Detaillierungsgrad) zwischen der Hochschulleitung und dem Ministerium (d.h. wiederum ohne parlamentarische Einflussmöglichkeit) „für mehrere Jahre über strategische Entwicklungsziele sowie konkrete Leistungsziele“. (So § 6 Abs. 2 HFG).

    Danach kann der Minister mit Geld als „goldenem Zügel“ die Hochschule „anreizen“ die gewünschten Ziele zu erreichen, d.h. (Zitat) „ein Teil des Landeszuschusses an die Hochschulen (kann) nach Maßgabe der Zielerreichung zur Verfügung gestellt werden“.

    Und wenn der Geldanreiz dann immer noch nicht zum gewünschten Verhalten der Hochschule führt, dann gilt sozusagen der alte Mafiabrauch, entweder wir einigen uns oder der Minister erzwingt das von ihm vorgegebenen Verhalten:

    In § 6 Abs. 3 HFG heißt es: „Wenn und soweit eine Ziel- und Leistungsvereinbarung nicht zustande kommt, kann das Ministerium nach Anhörung der Hochschule und im Benehmen mit dem Hochschulrat Zielvorgaben zu den von der Hochschule zu erbringenden Leistungen festlegen.“

    Das erinnert mich an den Ausspruch des legendären Mafia-Chefs Al Capone: „Mit einem freundlichen Wort und einer Pistole in der Hand erreicht man mehr als mit einem freundlichen Wort allein.“

    Fazit: Die nordrhein-westfälischen Hochschulen können ihre ihnen angeblich durch das „Hochschulfreiheitsgesetz“ zugestandene Freiheit

    • entweder durch den (freiwilligen) Verzicht auf Freiheit durch Unterwerfung unter die Wettbewerbszwänge wahrnehmen
    • oder sie werden vom Minister zum Verzicht auf Freiheit gezwungen.
  2. Wenn Sie mir erlauben möchte ich im zweiten Teil meines Referates noch skizzenhaft herauszuarbeiten versuchen, wie es zu diesem Paradigmenwechsel von der öffentlich verantworteten und verantwortlichen, jedoch selbstverwalteten Hochschule zur „unternehmerischen Hochschule gekommen ist:

    Unsere Hochschulen waren im ausgehenden zwanzigsten Jahrhundert wahrlich nicht im besten Zustand. Es gab erheblichen Reformbedarf.

    Gegen die Demokratisierungsversuche der 70er Jahre hatten sich die „ständischen“ Wurzeln der bürgerlichen Gelehrtenrepublik und der Ordinarienherrschaft mit ihren Pfründen und Privilegien wieder durchgesetzt, in manchen Fächern galt Weltferne geradezu als Markenzeichen und einzelne Hochschullehrer verwechselten die ihnen verfassungsrechtlich garantierte Freiheit in Forschung und Lehre als Freiheit von Forschung und Lehre. Oftmals herrschte in den Gremien organisierte Verantwortungslosigkeit. Politische Anstöße zur Verbesserung der Qualität der Lehre, zu effizienterem Wirtschaften, für eine Reform der Personalstruktur etwa durch die Einführung des Juniorprofessors oder neuer Qualifizierungswege für den wissenschaftlichen Nachwuchs wurden vielfach abgeblockt oder unterlaufen.

    Die Studierenden irrten häufig ohne Betreuung und Orientierung durch die Massenuni. Forschung galt vielen Hochschullehrern als Alibi für die Vernachlässigung der Lehre. Es gab also erheblichen Reformbedarf.

    Nach der Abschaffung der Diplom-Studiengänge und mit der Einführung von gestuften Bachelor- und Masterstudiengängen, finden wir vielfach Paukstudiengänge vor, in denen Wissen eingepaukt und in zahllosen Klausuren schlicht reproduziert wird. Kritiker sprechen böse vom „Bulimie-Studium“. Der Bachelor-Abschluss ist oft nicht mehr als ein zertifizierter Studienabbruch.

    An die Stelle einer Reflexion des Stoffes und der selbständigen systematischen Anwendung wissenschaftlicher Methoden auf neue Fragestellungen ist der „workload“ getreten, der Arbeitsaufwand für das Lernen gemessen in Zeiteinheiten zum Erwerb von „Kreditpunkten“. Die „hohen Schulen“ wurden zu Ausbildungs-Fabriken.

    Die Masse der Studierenden wird durch ein Kurzstudium geschleust, der Übergang zu einem „wissenschaftlichen“ Master-Abschluss steht nur noch einem kleinen Teil der Studierenden offen.

    Deutschlands Hochschulwesen hatte seine international anerkannte besondere Stärke in der Breite der wissenschaftlichen Ausbildung bei hoher und vergleichbarer Qualität der Hochschulen. Ein Diplom in Greifswald oder Siegen war grundsätzlich genauso viel wert, wie ein Abschluss in München oder Aachen. Inzwischen wird auch durch die sog. Exzellenzinitiative eine systematische Hierarchisierung der Hochschullandschaft mit unterschiedlicher Qualität der Hochschulen vorangetrieben. Viele der kleineren Hochschulen, werden schon in wenigen Jahren zu mittelmäßigen Colleges oder Schools abgewirtschaftet sein.

    Das Bürgerrecht auf Bildung wurde in sechs Ländern (ohne Hessen) durch ein „Bezahlstudium“ abgelöst. Eine wissenschaftliche Ausbildung möglichst Vieler gilt heute nicht mehr als Fundament für die technologische Innovation und Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft und als Element der demokratischen Teilhabe und der kulturellen Entwicklung der Gesellschaft, sondern als eine private Investition in das persönliche „Humankapital“.

    An die Stelle einer der Gesellschaft und der Allgemeinheit verpflichteten demokratisch verantworteten Forschung und Lehre ist die „unternehmerische“ Hochschule getreten, die durch die Gesetze des Wettbewerbs auf dem Wissenschafts- und Ausbildungsmarkt gesteuert werden soll.

    Staatliche Rechtsaufsicht und parlamentarische Finanzaufsicht für die Hochschulen sind durch eine undurchschaubare Überwachungsmaschinerie ersetzt worden. Nämlich durch Akkreditisierungsagenturen die „Auflagen“ vorgeben, die mit unsinnnigsten Dokumentationspflichten verbunden sind. Die neuen Kontrollmechanismen, die mit der Einführung der Bologna-Studiengänge einhergehen, erfordern einen enormen Ressourcenaufwand. Zehntausende von Professoren- und Mitarbeiterstunden mussten in die Erstellung von Studienordnungen, Modulhandbüchern, Akkreditierungs- und Reakkreditierungsanträgen, Stellungnahmen zu Evaluierungen oder zur Ausarbeitung von Zielvereinbarungen investiert werden. Wir erleben eine Aufblähung der Hochschulbürokratie unbekannten Ausmaßes. Prüfungsleistungen und Prüfungsaufwand haben sich vervielfacht. Es gibt unzählige Berichtspflichten. An vielen Hochschulen herrscht (so die SZ) „Chaos auf dem Campus“.

    Der Leistungswettbewerb der einzelnen Wissenschaftler um wissenschaftliche Reputation innerhalb der Scientific Community wird mehr und mehr vom Hochschul-Marketing überlagert.

    Nach einem langen und intensiven Diskurs wurde in meiner Amtszeit im Frühjahr 2000 ein Hochschulgesetz verabschiedet, das die Autonomie und Selbstverwaltung stärken und der Kritik an den Steuerungsdefiziten in den Hochschulen abhelfen sollte.

    Es war meine feste Überzeugung, dass bei aller berechtigten Kritik die überwiegende Zahl der Hochschulen und die meisten Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer im Kern gute Arbeit leisteten:

    Die Qualität des Studiums und der internationale Ruf unserer Hochschulen konnte so schlecht nicht sein, wenn bei den Spitzenuniversitäten in den Vereinigten Staaten, wo man sich ja schon seit langer Zeit der besten Köpfe aus der ganzen Welt bediente, damals jeder dritte ausländische Postdoc und jeder fünfte Professor in den Naturwissenschaften aus Deutschland kam.

    So schlecht konnten die staatlichen Hochschulen nicht sein, wenn die „als Stachel im Fleisch“ gegründeten privaten Hochschulen in Deutschland, jedenfalls in der Breite nie zu einer echten Konkurrenz aufsteigen konnten. Da gab es offenbar keine „Marktlücke“, dazu war das Studienangebot der Universitäten und Fachhochschulen einfach zu gut.

    Trotz der Überfüllung der Hochschulen führte ein Studienabschluss jedenfalls in aller Regel zur Befähigung zur selbständigen Bearbeitung von neuen Problemen mit wissenschaftlichen Methoden.

    Wenigstens dem Anspruch nach galt das alte Prinzip „Bildung durch Wissenschaft“.

    Wie konnte es geschehen, dass der aufklärerische Kern des universitären Anspruchs durch ökonomische Wahrheits- oder Geltungsansprüche ersetzt werden konnte?

    Wie kam es zum Paradigmenwechsel weg vom humboldtschen Bildungsideal hin zum hayekschen Glauben an die Überlegenheit der Marktsteuerung?

    Wie kam es also zum „größten Umbruch“ seit den preußischen Hochschulreformen.

    Dieser Paradigmenwechsel kam nicht über Nacht, sondern ihm ging ein Wandel des gesellschaftspolitischen Leitbildes über mehr als ein viertel Jahrhundert voraus.

    Ausgehend von den USA, stark beeinflusst von der sog. Chicagoer Schule um Milton Friedman, ging der Ruf nach der „Befreiung“ der Märkte rund um den Globus. Vom Washingtoner Konsens, über die Welthandelsorganisation IWF, der Weltbank setzte sich in Abgrenzung zum Rooseveltschen New Deal mit seinen massiven staatlichen Interventionen und in Abgrenzung zum seit der Weltwirtschaftskrise vorherrschenden Keynesianismus, der dem Staat eine aktive Rolle im wirtschaftspolitischen Geschen zuschrieb ein neues liberales Denken durch, dass mit dem Begriffstriumvirat von Privatisierung, Deregulierung/Freihandel und drastischen Einschränkungen bei den Staatsausgaben zusammengefasst werden kann.

    In der praktischen Politik standen dafür die Begriffe Reaganomics bzw. in England der sog. Thatcherismus. In Deutschland könnte man die Wende mit dem Scheidebrief an die sozial-liberale Koalition, dem sog. Lambsdorff-Papier im Jahre 1982 festmachen.

    Der Kampfparole der Reagonomics „starve the beast“ folgend kam es auch in Deutschland schon nach dem Ende der sozial-liberalen Regierungszeit zu einer gezielten Verarmung des Staates. Der damit notwendig einhergehenden Verschlechterung der öffentlichen Leistungen auf vielen gesellschaftlichen Feldern folgten Kampagnen der Miesmache des staatlichen Angebots verbunden mit dem Versprechen der Markt der Wettbewerb könnten alles besser.

    So wurde etwa auch auf dem Feld der Hochschulpolitik die Phase des Hochschulausbaus durch die Sparpolitik der Länder schon Ende der siebziger Jahr gestoppt. Bund und Länder fassten damals den sog. „Öffnungsbeschluss“ und verlangten von den Hochschulen, dass der „Berg“ der geburtenstarken Jahrgänge „untertunnelt“ werden solle. Die Hochschulen sollten etwa ein Jahrzehnt lang eine „Überlast“ an Studierenden bei gleich bleibendem Budget und stagnierenden Zahlen des Lehrpersonals akzeptieren.

    Diese sog. Untertunnelungsstrategie gehörte zu den größten Lebenslügen in der Hochschulpolitik der Nachkriegszeit.

    Sie können die Fakten in den jüngsten Empfehlungen des Wissenschaftsrats zur Qualitätsverbesserung von Lehre und Studium [PDF – 396 KB]
    oder auch im Bildungsbericht 2008 von KMK und BMBF nachlesen:

    Die Zahl der Studierenden wuchs von nur 658.204 im WS 1972/73 und 866.976 im WS 1976/77 auf bereits 1.428.713 im WS 1988/89 bis auf schließlich 1.953.504 im WS 2005/06. Die Zahl der hauptberuflichen Professoren stieg in diesem Zeitraum dagegen von 20.773 (1972) bzw. 25.536 (1976) über 30.156 (1988) auf schließlich 37.364 (2005). Über die ganze Spanne von 1972 bis 2005 betrachtet (Basisjahr 1972) ist die Studierendenzahl also um fast das 3-fache, die Professorenzahl dagegen nur um das 1,8-fache angestiegen.

    Die Zahl der Professuren ist verglichen mit 1997 zwar an den Fachhochschulen um etwa 1.300 gestiegen, während die Universitäten 1.160 Professuren weniger aufwiesen.

    Die Betreuungsrelationen haben sich dementsprechend an beiden Hochschultypen über die Zeit hinweg merklich verschlechtert:

    Kamen 1972/73 40 Studierende an den Universitäten und weit unter 20 Studierende an den FHS auf einen hauptberuflichen Professor, so waren es 2005/2006 über 60 an den Unis und knapp 40 an den FHS. In den Wirtschaftswissenschaften sind es derzeit 93 Studierende, in den Sozialwissenschaften gar 104 Studierenden pro hauptberuflichem Professor.

    Die Betreuungsrelationen lagen jedenfalls weit unter dem internationalen Standard.

    Die Länder haben angesichts einer oftmals schwierigen Haushaltslage zu verschiedenen Zeitpunkten mit einer Erhöhung des regelmäßigen Lehrdeputats der Professoren reagiert. Lag dieses im Jahr 1970 an den Universitäten noch bei 6 SWS, liegt es heute bei 8, in Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Nordrhein-Westfalen und Thüringen
    bei 9 SWS.

    Diese Sparpolitik dauert bis heute an:

    Laut dem Bildungsbericht 2008 vom Mai dieses Jahres ging der Anteil der Bildungsausgaben am BIP ging von 6,9% im Jahr 1995 auf 6,3% im Jahr 2005 und auf 6,2% im Jahr 2006 zurück. Wären auch im Jahr 2005 wie 1995 6,9% des BIP für Bildung aufgewendet worden, hätten dem Bildungsbereich zufolge rund 13 Milliarden Euro mehr zur Verfügung gestanden.

    Auf ein Mehrfaches dieses Betrages hat man zwischenzeitlich durch die Senkungen von Unternehmenssteuern verzichtet – allein in diesem Jahr auf 5 Milliarden.

    Auch ein weiterer Zahlenvergleich belegt, wie abwegig bei uns die Diskussion über die Bildungsfinanzierung verlaufen ist. Laut Bildungsbericht wurden nach der Einführung von Studiengebühren in 7 Ländern im Jahre 2007 ca. 700 Millionen vereinnahmt. Dies entsprach rund 4 % der Ausgaben der staatlichen Hochschulen (ohne Hochschulkliniken).

    Man verzichtet also im gleichen Jahr auf 5 Milliarden bei den Unternehmen, um mit einem riesigen politischen Aufwand bei Studierenden, die kein eigenes Geld zur Verfügung haben, ein Siebtel dieses Betrages wieder hereinzuholen. Und das obwohl inzwischen kaum mehr bestreitbar ist, dass Humanressourcen in hoch entwickelten Volkswirtschaften für die Wirtschaftsdynamik wichtiger sind als das Sachkapital.

    Die Hochschulbauten verrotteten und der Wissenschaftsrat konstatierte eine Jahr für Jahr größer werdenden Investitionslücke bei der Hochschulsanierung in zweistelliger Milliardenhöhe.

    An diesen real existierenden Problemen setzten die Reformer an, sie knüpften mit ihrer Miesmache an den vorhandenen Mängeln an und verkauften ihre Reformangebote als alternativlose Wege aus der Misere.

    „Mit dem Latein am Ende“ betitelte der Spiegel eine ganze Serie von Artikeln. Jürgen Mittelstraß erklärte die deutschen Universitäten für „reformunfähig“, Peter Glotz veröffentlichte 1996 seine Streitschrift unter dem Titel „Im Kern verrottet“. Die deutschen Hochschulen seien nur noch „Mittelmaß“ oder schlicht „krank“ (DIE ZEIT 4.Mai 2006) so lautete der Tenor der öffentlichen Meinungsmache. Mit einem wahren Trommelfeuer der Kritik wurden unsere Hochschulen sturmreif geschossen. Zermürbt von der Überlast, von systematischer Unterfinanzierung und einer allgemeinen Professorenschelte hatten die Hochschulen der feindlichen Übernahme durch die „Reformer“ nichts mehr entgegen zu setzen.

    Nicht mehr aus den Hochschulen heraus oder wenigstens mit den Hochschulen zusammen wurden die Reformvorstellungen entwickelt, sie wurden von außen an sie herangetragen.

    „Unser Bildungssystem braucht mehr Wettbewerb und Effizienz, mehr Eigenständigkeit und Selbstverantwortung, mehr Transparenz und eine bessere Vergleichbarkeit der Bildungsinstitutionen“ forderte Bundespräsident Herzog in seiner Bildungsrede 1997.

    Schaut man diese Rede genauer an, so wird man feststellen, dass der oberste Repräsentant unseres Staates im Wesentlichen nur das nachredete, was der unter seiner Schirmherrschaft stehende „Initiativkreis Bildung“ der Bertelsmann Stiftung an Ideen entwickelt hatte. Roman Herzog war sozusagen der ranghöchste Türöffner für die Reformvorstellungen von Bertelsmann.

    Hochschulpolitik ist der „Schlüssel zur Gesellschaftsreform“, das erkannte der Bertelsmann-Patriarch Reinhard Mohn schon Ende der 70er Jahre. Die 1977 gegründete Bertelsmann Stiftung sollte deshalb vor allem auch helfen, die „verkrusteten Strukturen“ auch an den Hochschulen aufzubrechen.

    Die Mission der Stiftung gründet auf der Bertelsmannschen „Überzeugung, dass Wettbewerb“ und „die Prinzipien unternehmerischen Handelns zum Aufbau einer zukunftsfähigen Gesellschaft“ die wichtigsten Merkmale sind. Und immer ging es bei Bertelsmann auch um ein Zurückdrängen des Staates, eine Verringerung der Staatsquote und um die Senkung der Steuerlast.

    „Es ist ein Segen, dass uns das Geld ausgeht. Anders kriegen wir das notwendige Umdenken nicht in Gang“, meinte Mohn 1996 in einem Stern-Interview.

    Mohn vertritt eine Art deutschen Sonderweg in die wirtschaftsliberal globalisierte Welt, die auf eine korporatistische Unternehmenskultur setzt, den Sozialstaat als überdehnt oder gar als überholt betrachtet und eine über Wettbewerb hergestellte Effizienz als Steuerungsinstrument an die Stelle von Mitbestimmung und demokratischer Gestaltung setzen möchte.

    Entsprechend seiner Überzeugung „privat ist besser als staatlich“, betrieb Mohn die Gründung der ersten deutschen privaten Universität Witten-Herdecke und war jahrelang ihr Hauptsponsor. Die private Hochschule sollte eine „Stachel im Fleisch“ der staatlichen Hochschulen sein. An ihrem Wesen sollten die staatlichen Hochschulen genesen.

    Reinhard Mohn hat jedoch offenbar im Laufe der Zeit erkannt, dass der Weg zur „Reform“ des Hochschulsystems über die Gründung privater Hochschulen nicht sehr erfolgversprechend ist. Wie nahezu alle privaten „Elite“-Hochschulen, etwa die “International University Bremen” (IUB), die International University in Germany (Bruchsal), die European School of Management and Technology (Berlin), das Stuttgart Institute of Management and Technology (SIMT) litt auch Mohns PIW in Witten-Herdecke an chronischem Geld- und vor allem auch an Qualitätsmängeln. Trotz großer Namen aus der Wirtschaft litt die Privatuni permanent unter Geldnot, so dass sie 1993 pleite gegangen wäre, hätte ihr nicht das Land Nordrhein-Westfalen unter die Arme gegriffen.

    Mohn gab sein Engagement bei der Privaten Universität Witten-Herdecke schließlich ganz auf. Der Strategiewechsel folgte wohl der Einsicht, dass es viel effizienter ist, die weitgehend staatlich finanzierten Hochschulen wie private Unternehmen zu organisieren und in den Wettbewerb zu schicken und über die Konkurrenz um ergänzende Drittmittel für die Forschung und über die Einwerbung von Studiengebühren die Lehre steuern zu lassen.

    Die richtige Erkenntnis einerseits, dass Hochschulen ein Schlüssel zur Zukunft und die Aussichtlosigkeit andererseits, dass private Hochschulen angesichts der nach wie vor vorhandenen hohen Qualität der öffentlichen Hochschulen in Deutschland jemals zu einem Erfolgsmodell werden könnten, haben Reinhard Mohn und seine Bertelsmann Stiftung wohl auch veranlasst 1994 das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) zu gründen.

    Klugerweise nahm das CHE die damals ohne jeden Apparat und ohne großen institutionellen Einfluss auf die Hochschulpolitik agierende, aber um so standesbewusstere Hochschulrektorenkonferenz (HRK) mit ins Boot und so veröffentlichten das CHE und die HRK ihre hochschulrefomerischen Lösungskonzepte unter einem gemeinsamen Kopfbogen und so verschaffte sich Bertelsmann ein einigermaßen unverdächtiges Entree in die Hochschulen vor allem über die Hochschulleitungen.

    Das CHE firmiert als eine private und als gemeinnützig anerkannte GmbH. Der Jahresetat beläuft sich nach eigenen Angaben auf über 3 Millionen Euro der ganz überwiegend von der Bertelsmann Stiftung finanziert wird. Das „CHE“ versteht sich als eine unabhängige »Denkfabrik«.

    Sein bisheriger Leiter, Detlef Müller-Böling, hat sich inzwischen geradezu zum „informellen“ Bildungsminister der Republik aufgeschwungen.

    Müller-Böling ist Professor für Betriebswirtschaftslehre – nicht etwa für Erziehungswissenschaft oder wenigstens Bildungsökonomie –, und das ist charakteristisch für die Perspektive des CHE: Es geht weniger um Bildung als vielmehr um die Übertragung betriebswirtschaftlicher Strukturen und Steuerungsinstrumente auf die Hochschulen und um die Einführung einer (die staatlichen Zuschüsse) ergänzenden privaten Bildungsfinanzierung.

    Natürlich steht das CHE nicht allein. Wie der Privatisierungsreport 6 der GEW [PDF – 340 KB] darstellt, gehören dazu etwa auch er Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft e.V., der Aktionsrat Bildung der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e.V. (vbw), München, das Institut der deutschen Wirtschaft Köln e.V.(IW), Köln, die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft GmbH, Köln (INSM) oder die McKinsey & Company Inc., Düsseldorf und andere mehr.

    Das CHE war aber von Anfang an der „Sturmtrupp“ (so Thomas Barth) für das Bezahlstudium und es wurde zum wirkmächtigsten Motor für die Hochschulreformgesetze bundesweit.

    Das lässt sich gerade beim nordrhein-westfälischen „Hochschulfreiheitsgesetz“ besonders gut belegen:

    Ende 2005 veröffentlichte der Gütersloher Think-Tank – so wörtlich – „Zehn CHE-Anforderungen an ein Hochschulfreiheitsgesetz für Nordrhein-Westfalen“ [PDF – 96 KB].

    In diesem Anforderungen finden sich teilweise sogar bis in den Wortlaut hinein die Formulierungen wieder, die der nordrhein-westfälische Innovationsminister Pinkwart, ohne jede politische Debatte in seiner Partei, im Landtag oder mit den Hochschulen kurze Zeit später auf einer Pressekonferenz am 25. Januar 2006 als seine eigenen „Eckpunkte des geplanten Hochschulfreiheitsgesetzes“ [PDF – 112 KB] vorstellte.
    Die Identität beider Papiere ließe sich an vielen Stellen belegen. Sie können das alles selbst im Internet nachlesen und deshalb kann ich mir den Vergleich durch Zitate ersparen.

    Deshalb nur zwei Beispiele:

    In den CHE-Anforderungen heißt es: “Es geht dabei insbesondere um die Möglichkeit einer Stärkung der körperschaftlichen Seite der Hochschulen bei gleichzeitiger Minderung ihrer Eigenschaft als staatlicher Einrichtung.”
    Bei Pinkwart heißt es: “Die Hochschulen werden als Körperschaften des öffentlichen Rechts verselbständigt und sind künftig keine staatlichen Einrichtungen mehr.”

    Oder zum Hochschulrat:

    Wortlaut CHE: “In verschiedenen Bundesländern ist bereits ein Modell eingeführt worden, in dem die Kompetenzen vom Staat auf einen Hochschulrat übertragen worden sind, wobei die Wahl des Rektorats und die Verabschiedung der Grundordnung unabdingbar dazu gehören. Der Hochschulrat muss hierdurch zu einem insbesondere in strategischen Fragen wichtigen Entscheidungsorgan werden. Die Mitglieder sollten extern bestellt werden.” Wortlaut Pinkwart: “Der Hochschulrat tritt als neues Organ an die Stelle des Kuratoriums und besteht mindestens zur Hälfte aus Mitgliedern von außerhalb der Hochschule…Der Hochschulrat entscheidet über die strategische Ausrichtung der Hochschule und nimmt die Fachaufsicht war.”

    Damit aber noch nicht genug:

    Zwei Tage nach Pinkwarts Pressekonferenz meldet sich der bisherige Leiter des CHE, Detlef Müller-Böling zu Wort und erteilt dem Minister Zensuren: Das CHE begrüßt natürlich die Eckpunkte für ein NRW-„Hochschulfreiheitsgesetz“, sieht aber noch „Entwicklungspotentiale“, heißt es in den CHE-News vom 27. Januar [PDF – 144 KB] .

    Das CHE bewerte Pinkwarts Eckpunkte „überwiegend positiv“. „In einigen Punkten erscheinen Modifikationen sinnvoll und der eine oder andere Punkt, der sich in den Eckpunkten bislang nicht findet, kann in dem Gesetz ja durchaus noch angesprochen werden.“
    In dieser Tonlage fährt das „Zeugnis“ des CHE, das sich gleichfalls jeder aus dem Internet holen kann, fort: Pinkwart „trägt Rechnung“, „richtig ist“, Pinkwart „sollte“ usw. usf.

    Mit Verlaub, hier drückt sich eine Anmaßung einer privaten Institution gegenüber dem Staat, der Regierung, dem Parlament aber auch den Hochschulen aus, die nach demokratischen Maßstäben eigentlich nicht mehr hinnehmbar sein sollte. Die Politik wird geradezu zum Befehlsempfänger von Bertelsmann degradiert.

    Damit aber immer noch nicht genug:

    Das nordrhein-westfälische „Hochschulfreiheitsgesetz“ wurde nicht nur am Schreibtisch des CHE entworfen, nach seiner Verabschiedung wird es nun auch noch bei seiner Umsetzung von den gleichen – wie es heißt – „unabhängigen Experten“ des CHE begleitet, um damit eine (Zitat des NRW-Wissenschaftsministeriums) “möglichst hohe Qualität bei der Umsetzung zu sichern“.

    Das hätte ich mir früher einmal als Staatssekretär erlauben sollen, nämlich die Hochschulen bei der Umsetzung eines Gesetzes zum „Erfolg“ zu führen. Der Untergang der Freiheit von Wissenschaft und Forschung und damit der Epoche der Aufklärung wäre von den Hochschulen beschworen worden.

    Aber wenn nun eine der mächtigsten und politisch einflussreichsten privaten Stiftungen den Hochschulen sagt, was sie zu tun haben, dann scheint das von den Hochschulen ganz selbstverständlich und ohne Murren hingenommen zu werden.

    Mir fällt dazu nur noch ein: Die nordrhein-westfälischen Hochschulen nehmen ihre ihnen angeblich durch das „Hochschulfreiheitsgesetz“ zugestandene Freiheit dadurch wahr, dass sie freiwillig auf diese Freiheit verzichten.

    Im Mittelalter beherrschten die Kirche und die Monarchen die Wissenschaft und die Universitäten, im 21. Jahrhundert soll es wohl Bertelsmann sein. Eine neue Epoche der Aufklärung und eine politische Freiheitsbewegung für die Unabhängigkeit und Freiheit er Wissenschaft sind leider nicht in Sicht und Humboldt ist tot.

    Es gibt zwar vereinzelten Widerstand, vor allem in der Protestbewegung der Studierenden gegen die Studiengebühren, es gibt die sog. Beilsteiner Erklärung von Hochschullehrerinnen und -lehrer aus Heilbronn, Mannheim, Wuppertal, Dortmund, aus der Schweiz, Ungarn
    und den USA, die sich gegen eine „kulturelle Verarmung“ und für eine freie Forschung und Lehre „zum Wohle der Allgemeinheit“ aussprechen. Doch eine öffentliche Diskussion gibt es nur am Rande, wenig wahrgenommen von Menschen außerhalb der Unis und FHs.

    Das CHE ist quasi in das Kompetenzvakuum eines fehlenden Bundeshochschulministeriums gestoßen und füllt die in unserer Verfassung nicht vorgesehene Rolle eines Bundeshochschulministeriums aus – ein informelles Ministerium, das allerdings nicht dem Parlament sondern nur der Bertelsmann Stiftung rechenschaftspflichtig ist. Der Autor des Buches „Hinter der Fassade des Medienimperiums“ Frank Böckelmann, nennt das „eine Privatisierung der Politik“.

    Es ist allerdings eine Privatisierung der Politik auf öffentliche Kosten, denn immerhin hat sich die Familie Mohn durch die Gründung der Stiftung, die ihr allerdings immer noch das Sagen über die Kapitalanteile am Konzern erhält, riesige Summen an einer möglicherweise anfallenden Erbschaft – oder Schenkungssteuern erspart und zweitens sind die Dividenden, die an die „gemeinnützige“ Stiftung abgeführt werden, steuerbegünstigt.

    Natürlich ist es nach wie vor richtig, dass Bertelsmann die Gesetze nicht selber verabschiedet, sondern dass diese meist von der Exekutive eingebracht und vom Parlament verabschiedet werden. Aber über die personellen Netzwerke und seine Medienmacht wird der Bertelsmannsche „Reformmotor“ zur eigenständigen politischen Antriebskraft, der auch außerhalb der Parlamente eine Art Eliten-Konsens schafft – und dabei nebenbei auch noch ein positives Image für den Bertelsmann-Konzern schafft.

    Unter dem Zwang der leeren öffentlichen Kassen und unter dem beschönigenden Etikett eines „zivilgesellschaftlichen Engagements“ greift der Staat die „gemeinnützigen“ Dienstleistungen privater Think-Tanks nur allzu gerne auf. Ja noch mehr, er zieht sich aus seiner Verantwortung immer mehr zurück und überlässt wichtige gesellschaftliche Bereiche wie etwa die Bildung oder die Hochschule gleich ganz den Selbsthilfekräften bürgerschaftlichen Engagements.

    Aus dieser Staats- und Gesellschaftsvorstellung speist sich die Idee von der „selbständigen Schule“ oder der „Entlassung“ der Hochschule aus der staatlichen Verantwortung, wie das etwa mit dem „Hochschulfreiheitsgesetz“ in Nordrhein-Westfalen geschehen ist.

    „Der anonyme Wohlfahrtsstaat hat ausgedient, an seine Stelle tritt der soziale Staat, der vom bürgerschaftlichen Engagement und vom solidarischen Verhalten aller lebt. Dass möglichst viele verantwortungsvoll ihr Können in den Dienst der Gemeinschaft stellen, das macht diesen Staat auf Dauer lebensfähig“, das schrieb Liz Mohn vor kurzem (5.12.06) in einem Gastkommentar zum „Tag des Ehrenamtes“ in der Financial Times Deutschland.

    Die Rollenverteilung der gesellschaftlichen Gruppen bei diesem zivilgesellschaftlichen Engagement ergibt sich dabei ziemlich naturwüchsig daraus, was eben jeder einzelne zu leisten vermag. Diejenigen, die nicht so viel Geld und Vermögen haben, machen Sozialarbeit, also etwa Altenpflege oder Übungsleiter im Sportverein, die Vermögenden vergeben Forschungsaufträge oder Stiftungslehrstühle oder sie stiften gleich ganze Denkfabriken und prägen damit den Gang der Wissenschaft oder den gesellschaftlichen Diskurs und bestimmen so die gesellschaftliche und die politische Weiterentwicklung.

    So hat sich inzwischen in unserem Lande eine private institutionelle Macht des Reichtums herausgebildet, die – wie bei Bertelsmann streng hierarchisch organisiert – ihren Einfluss über das gesamte politische System ausdehnt und die demokratisch legitimierte Machtverteilung zwischen Parteien, Parlamenten und Exekutive unterwandert und dazuhin gleichzeitig mit ihrer Medienmacht die öffentliche Meinung prägt.

    Diese „zivilgesellschaftliche“ Macht ist stützt sich ausschließlich auf Reichtum und Vermögen und die Mohns gehören nach der Forbes-Rangliste zu den 250 reichsten Leuten auf der Welt. Sie stützt sich darauf, dass eben zum Beispiel der Bertelsmann-Konzern und seine Stiftung mehr Geld hat als jede andere private und staatliche Institution, Expertisen und Gutachten erstellen zu lassen, Kongresse zu veranstalten, wissenschaftliche Studien zu erstellen, um die Mission ihres Stifters zu verbreiten.

    Demokratisch legitimierte Macht im Staate wird so mehr und mehr durch private Wirtschaftsmacht zurückgedrängt, ja sogar teilweise schon ersetzt.

    Dieser schleichende Systemwechsel vom demokratischen Wohlfahrtsstaat zu einer Art Timokratie, also der Herrschaft des Geldes, wird mit dem Pathos von „mehr Freiheit“ vorangetrieben.

    Damit schlage ich den Bogen zum Anfang meines Referates und verweise auf das Eingangszitat von Innovationsminister Pinkwart zurück: Kein anderes Land macht „Freiheit mit dieser Konsequenz zur Grundlage seiner Hochschulpolitik“.

    Wie Sie diese neue Freiheit erleben und wahrnehmen, darüber wäre ich sehr interessiert, mit Ihnen zu diskutieren.

    Quellen:

    „Hochschule auf neuen Wegen“ 1/2007 (als PDF-Download)

    Pressemitteilung vom 20.12.2005
    CHE formuliert Anforderungen an das „Hochschulfreiheitsgesetz“ in NRW

    Zehn CHE-Anforderungen an ein Hochschulfreiheitsgesetz für Nordrhein-Westfalen [PDF – 96 KB]

    Prof. Dr. Andreas Pinkwart
    (Innovationsminister und stellvertretender Ministerpräsident NRW)
    Sprechzettel zur Landespressekonferenz
    „Eckpunkte des geplanten Hochschulfreiheitsgesetzes“ [PDF – 112 KB]

    am Mittwoch, 25. Januar 2006

    CHE begrüßt Eckpunkte für NRW-„Hochschulfreiheitsgesetz“, sieht aber noch Entwicklungspotenziale [PDF – 144 KB]

    Hochschulfreiheitsgesetz (HFG) Vom 31. Oktober 2006 [PDF – 264 KB]

    Ministerium unterstützt Hochschulen auf Weg in die Eigenverantwortung – CHE mit Begleitung beauftragt

    Bildungsbericht 2008

    Empfehlungen des Wissenschaftsrats zur Qualitätsverbesserung von Lehre und Studium [PDF – 396 KB]

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