Peter Grohmann, Initiator und Kopf der „Anstifter“, hielt am 1. Mai eine lustig-nachdenkliche Rede zum Geburtstag von Kontext im Stuttgarter Theaterhaus
Wir geben den Vortrag von Peter Grohmann hier wieder, weil er politisch, interessant und voller Widerhaken ist, und weil wir, wie schon einmal, auf die Arbeit der „Anstifter“ in Stuttgart aufmerksam machen wollen. Was diese Gruppe für das kulturelle Leben und auch für das kritische Nachdenken in Stuttgart und drum herum leistet, ist vorbildlich und nachahmenswert. Es folgt der Vortrag von Peter Grohmann und dann angehängt noch eine Information zur Verleihung des Friedenspreises der Anstifter. Albrecht Müller.
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5 Jahre Kontext
Hochverehrte Damen und Herren, liebe Zuhörerinnen zu Hause an Radio und Fernsehen, ein herzliches Grüß Gott auch an die inzwischen wieder angeschlossenen Länder Österreich, ein Salü in die deutsche Schweiz, Togo, Deutsch-Südwestafrika, Elsass, Lothringen, ja: Sachsen!
Wir melden uns heute direkt und live aus dem Theaterhaus, der Kaderschmiede der revolutionären Kultur, in dem der alte Kontext sein 5jähriges Jubiläum feiert. Gestern im Morgengrauen wurden 400 von Euch, die sich jetzt hier in hoch subventionierten Sesseln räkeln, vom blauen Mob der Noske-Polizei auf der Messe eingekesselt, mit Kabelbinder gefesselt, brutal festgesetzt und über den Boden des deutschen Grundgesetzes gezogen.
Stunden später nur, gestern Nachmittag, zogen rund 5000 Chaoten grölend und pöbelnd durch unsere schöne Innenstadt, manche wohl erst 6 bis 8 Jahre alt. Sie fügten dem Einzelhandel in kurzer Zeit unglaublich hohe Verluste zu, sie hinderten tausende Autofahrer, den Nachmittag gemeinsam mit ihren Familien zu Hause zu verbringen, und nie seit Beginn der Messungen war der Feinstaubausstoß in Stuttgart höher als am 30.4.20116 – Feinstaub, durch den jedes Jahr tausende Menschen an Krebs erkranken und hunderte und hunderte daran elend sterben. Ein Infarkt gewissermaßen zu Gunsten von Porsche, Daimler und VW. So gesehen waren die Proteste gegen den Stuttgarter AFD – Parteitag, die zu Stau und Stillstand der Demokratie führten, Mord.
Nichts als Widerspruch, aber der Hauptwiderspruch ist der zwischen Lohnarbeit und Kapital:
“Das zentrale, widersprüchliche Klassenverhältnis der bürgerlichen Gesellschaftsformationen ergibt sich unmittelbar aus dem Produktionsprozess des Kapitals selbst. Der Kapitalismus hat als Voraussetzung die Ausdehnung der Warenmärkte als zentrales, immer größere Gebiete umfassendes Vermittlungsorgan ökonomischer Prozesse sowie die Entwicklung eines Marktes freier Lohnarbeit – also die Entwicklung der Arbeitskraft zur Ware. ”
Wie gut, dass Sie es wenigstens wissen.
Klar – fast jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Von dieser grundgesetzlich garantierten Möglichkeit der Verbreitung war aber an diesem Wochenende meilenweit nix zu sehen, vom freien Wort nix zu hören:
In den Seitentälern der Innenstadt eine bedrohlich hoch gerüstete Polizei, die jedem Polizeistaat Ehre gemacht hätte. Die Kundgebungsplätze umzingelt von tausend Polizisten, ausgerüstet mit Teleskopschlagstöcken, Reizgas und guter Laune.
Auch rechts und links der Demorouten Begleitschutz für Artikel 5 GG, tausend weitere Einsatzkräfte im Hintergrund, teilweise beritten, über der Stadt seit Stunden Hubschrauber: Zur Ehre der Demokratie, aber auch der Kollegen in Peking und Istanbul, Kairo, Alma Mater und Alabama.
Der alte Kontext, meine Damen und Herren, würde sich genauso wie der alte Marx in seinem Grabe herumdrehen, hätten sie sich nicht rechtzeitig verbrennen lassen, wenn die beiden nur einen einzigen Blick in diesen schönen Saal, die linke Herzkammer der baden-württembergischen Republik, werfen könnten.
Wohl denen, die live dabei sind!
Trotz des eisigen Ostwinds haben sich um uns herum hunderte, ach, was sag ich, Tausende, nein Zehntausende jubelnder Kontext-Leserinnen eingefunden, sind an diesem denkwürdigen 1. Mai herangeströmt, um teilzuhaben an den Feierlichkeiten.
Vor uns aufgebaut die Ehrentribüne der zeitkritischen Themen – vom Kampf für den Frieden bis zum Kampf um die richtige Linie, ein aufgeweckter, scharf riechender Journalismus, eine Art Kernfusion kritischer Intelligenz nach Dr. Mabuse. Sorry, natürlich Marcuse.
Hier an dieser Ehrentribüne zeitkritischer Themen werden jetzt die Tapfersten aus der Geschichte vorbeimarschieren, Menschen, die wie wir wissen, was es mit den christlichen Werten auf sich hat, wie tief der Humanismus, die Menschlichkeit, das Modell vom besseren Leben von den Kreuzzügen her bis heute tief, ganz tief in unserem Inneren verankert ist.
Meine Damen und Herren, wir sind die Besseren! Nennen Sie mir einen einzigen Dichter aus Thailand oder Japan, einen einzigen Film aus China, auch nur einen Schauspieler aus Togo. Aber alle dort kennen Schiller, Goethe und Angela Merkel!
Keiner hier, meine Damen und Herren, würde freiwillig mit den Schnacklern aus Afrika tauschen, aber kein Schwarzer auch könnte je unsere hervorragenden 16.Platz in der Rangliste der Pressefreiheit erreichen! Platz 16, meine Damen und Herren, und wir mitten drin! Ein Platz besser als 17 – das muss uns erst mal jemand nachmachen.
Beim Thema abendländische Werte, Wertgefühl, Wertschätzung, Wertstoffhof, Wertgegenstände müssen wir eben nicht wie andere Kulturen bei Auschwitz anfangen, wir können auch bei den Nama und Herero beginnen, denen wir Bismarck und Schiller, Goethe und die Eugenik geschenkt haben, Eisenketten, Handschellen und Fallbeile und Jesus Christus am Kreuz.
Aufhängen, aufräumen, niederknallen.
Ein altes deutsche Motto.
Sie fragen mit deutschem Recht: Was hat das alles mit uns zu tun? Kommt der Arsch jetzt auch noch mit dem Boxeraufstand?
Vielleicht mit den Hexenverbrennungen, Berufsverboten, ohne die Kretschmann nicht das wäre, was er ist? Kommt der jetzt vielleicht auch noch mit seiner Omi Glimbzsch aus Zittau? Sie ist es doch, die gern die türkischen Landesverfassung zitiert – halt, ich sehe eben, es ist die baden-württembergische:
Dort heißt es in Artikel 1:
“Der Mensch ist berufen, in der ihn umgebenden Gemeinschaft seine Gaben in Freiheit und in der Erfüllung des christlichen Sittengesetzes zu seinem und der anderen Wohl zu entfalten.”
Na, denn man tau!
Oder der Artikel 12 (1): Die Jugend ist in Ehrfurcht vor Gott, im Geiste der christlichen Nächstenliebe, zur Brüderlichkeit aller Menschen und zur Friedensliebe, in der Liebe zu Volk und Heimat, zu sittlicher und politischer Verantwortlichkeit, zu beruflicher und sozialer Bewährung und zu freiheitlicher demokratischer Gesinnung zu erziehen.
Das mit der Jugend ist ein Sonderfall. Deutschland musste ja von Rechts wegen, wenn Sie wissen, was ich meine, auch zwischen 400 und 600 Kinder und jugendliche Flüchtlinge an seinen Grenzen abweisen – es waren Minderjährige! Die kamen teilweise ohne Gepäck, auch ohne Pass, ohne Begleitung von Erziehungsberechtigten, ohne Eltern. Alle tot. Ja, liebe Leute, die sind gar nicht berechtigt, einen Asylantrag zu stellen – es fehlen ja nicht nur die Eltern, sondern vor allem deren Unterschrift!
Schauen Sie: Das ist der Kontext heute.
Christliche Nächstenliebe und christliche Sittengesetze – da kann der Erdohan oder Erdomän und seine türkische Mischpoke aber eine Scheibe abschneiden! Christliche Nächstenliebe – ich darf mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident, Wikipedia zitieren, wo es heisst – ich zitiere:
“Du sollst nicht töten”
ist der Wortlaut eines der 10 Gebote
Nanu, sag ich da!
Aber wie man’s macht, isses falsch: Du sollst nicht töten. OK, OK, In Ordnung. Aber wen nicht? frag’ ich Sie.
Töten ist übrigens schwieriger, als man denkt. Heute muss man es erfreulicherweise nicht mehr selbst machen. Erstens haben wir die Bundeswehr mit ihren überseeischen Besitztümern, dann unsere Alliierten mit Folterkammern, Drohnen sowie Eucom und Africom.
Ach komm, die alten Hüte! Heute noch verdienen die Frauen weniger als die Deutschen! Keine Kinderarbeit, aber Kindsmissbrauch und Misshandlung, und ein Million Unterschriften gegen Glyphosat. Keine Zwangsheiraten, aber Zwangsarbeit für Hartz-IV.Empfänger,
Wir sind die Guten. Wir setzen weltweit die zivilisatorischen Standards. Wir singen jetzt, anlässlich des 1. Mai und zu Ehren der Arbeiterklasse und der Arbeitsministerin Deutschland, Deutschland, über Nahles, über Nahles in der der Welt.
Setzen.
Ich danke Ihnen
P.S.
Der Stuttgarter Friedenspreis ist eines von vielen Projekten der Anstifter
Bei der Stiftung Stuttgarter Friedenspreis stehen nach dem 1. Wahlgang für die Preisverleihung im Herbst 2016 die Nachdenkseiten auf dem 8. Platz.
“Die Vorschläge, die auf einem der ersten zehn Plätzen landeten, stehen nun beim zweiten Wahlgang wieder zur Abstimmung. Diesmal entscheidet nicht die absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen, diesmal ist die relative Mehrheit. Bis zum 13. Mai 2016 sind nun die AnStifterinnen und AnStifter aufgerufen, erneut ihr Votum abzugeben”
Die Macher der Nachdenkseiten würden sich sehr freuen, wenn der derzeit Erstplatzierte Jürgen Grässlin seinen Rang halten könnte. Über ein “Hochrutschen” der Nachdenkseiten auf einen Rang unter den ersten fünf wären sie ebenfalls erfreut.