„Blüm antwortet Riester“
Weil wir offen darüber schreiben, dass der ehemalige Arbeits- und Sozialminister Walter Riester die Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rente willentlich reduziert hat, dass er damit den privaten Rentenversicherern ein lukratives Geschäftsfeld eröffnet hat und selbst daran verdient, werde ich zum Beispiel von Spitzenkräften der baden-württembergischen SPD heftig kritisiert. Zu Unrecht, wie ich finde, denn ich habe nichts anderes geschrieben als die traurige Wahrheit.
Walter Riester selbst schlägt um sich und redet sich raus. Unter anderem mit einem Positionspapier, das er am 22.04.2008 auf seiner Webseite veröffentlicht hat: “Die Wirkungen der Rentenreform 2001 im Vergleich zum Rentenrecht vor der Reform.“ Norbert Blüm hat diesen Text für die NachDenkSeiten analysiert. Wir veröffentlichen ihn in der Rubrik andere interessante Beiträge. Noch lieber hätte ich die kritische Analyse eines führenden Sozialdemokraten veröffentlicht. Warum schweigen sie zur politischen Korruption mit dem Namen Riester-Rente? Albrecht Müller.
„Blüm antwortet Riester“
( von Norbert Blüm )
für die „Nachdenkseiten“
Die Zweifel und Einwände gegen die Riester-Rente nehmen zu. Walter Riester nimmt Stellung.
Die Quintessenz des Riester-Renten-Positionspapiers lautet einfach: „Die Riester-Reformen bringen den Rentnern keine Einbußen.“ Riester behauptet, dass alle Reformschritte der Riester-Reform 2001 „nicht nur zu einer Stärkung der Finanzbasis der Rentenversicherung, sondern auch zu einer Verbesserung der einzelnen Leistungspositionen der Rentenversicherung geführt haben“.
Gegen diese verwegene Feststellung von Walter Riester stehen allerdings die amtlichen Angaben der Bundesregierung. Im Rentenversicherungsbericht 2007 prognostiziert die Bundesregierung (S. 39), dass das Versorgungsniveau im Jahre 2021 vor Steuern auf ein Niveau von 46,2 % aus der gesetzlichen Rentenversicherung gesunken sein wird. Selbst bei Hinzuziehung der maximalen Riester-Rente erreicht es nur 50,3 %. Damit liegt das Niveau, das durch gesetzliche und Riester-Rente erreicht wird, in 15 Jahren unter dem Leistungsniveau, das heute allein durch die gesetzliche Rentenversicherung erreicht wird, nämlich 51 %. Die private Altersvorsorge kann den Leistungsverlust aus der gesetzlichen Rentenversicherung nicht kompensieren. Ganz abgesehen von der Lage derjenigen, die sich keine Riester-Rente leisten können.
Riester behauptet trotzig: „Die Entscheidung für die neue Rentenanpassungsformel hat im Vergleich zur alten Rentenanpassung formal (Nettoerhöhung und Minderung durch den Demografiefaktor) zu keiner zusätzlichen Minderung geführt.“
Wie das?
Die Regierung Schröder hat sich doch damit gebrüstet, dass die Riester-Reformen den Beitragssatz zur Rentenversicherung im Jahr 2030 um zwei Beitragspunkte unter dem Beitragssatz liegt, der ohne Riester-Reformen nötig geworden wären. Beide Behauptungen unter einen Hut zu kriegen, gelingt nur, wenn man das Geheimnis erklärt, wie man mit weniger Beitrag mehr Rente bezahlen kann.
Riester selbst war doch stolz, Reformen durchgeführt zu haben, die sein Vorgänger angeblich verschlafen habe. Jetzt hört sich das alles anders an. „Auch die aktuelle Lage zukünftiger Rentenanhebungen führen mit Sicherheit zu keiner geringeren Rentenhöhe, als dies im Vorgängerrecht bei Nettoanhebung und Demografiefaktor der Fall gewesen wäre. Insofern ist der Aufbau einer vom Staat geförderten freiwilligen und die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung ergänzenden kapitalgedeckten Altersvorsorge eine zusätzliche Leistung.“
Riester behauptet hier mit knappen Worten, dass seine Reformen die alte Rentenhöhe unangetastet läst, es nur zusätzlich eine vom Staat geförderte private Rente gäbe. Damit reduziert sich nach Worten von Riester die Rentenreform lediglich auf eine steuerliche Förderung eines Instrumentes, das es vorher schon gab, nämlich der Privatvorsorge. Der Wind hat sich gedreht, und schon wird die Riester-Reform anders dargestellt. Vorher „mutige Umstellung“, jetzt nur „zusätzliche Förderung der Privatvorsorge“.
Bei allen Vergleichen übersieht Riester, dass das vorhergehende Rentenrecht eine Niveausicherungsklausel enthielt, nach der das Nettorentenniveau nie unter 64 % sinken durfte. Mit dieser Sicherungsmarke sollte ein deutlicher Abstand zur Sozialhilfe gewahrt bleiben. Das ist jetzt nicht mehr der Fall, Das Rentenniveau gerät weit unter diesen Prozentsatz, was dazu führt, dass nach Aussagen aller Experten wir mit einer steigenden Armut im Alter rechnen müssen. Während die alte Rentenversicherung es schaffte, dass nur 1,5 % der über 65-Jährigen sozialhilfebedürftig wurden, schafft es die Riester-Rente, dass dies Quote schätzungsweise bis zu 20 % steigen wird. Wieso eigentlich, wenn alles durch Riester beim Alten geblieben ist? Nein, die Logik der Riester-Reform lautet: „Weil die alte Rentenversicherung so erfolgreich im Kampf gegen Altersarmut war, deshalb wird sie ramponiert.“ Gewinner sind Allianz, BILD & Co.. Übrigens: die neue Lösung wird teurer, als die alte Rentenversicherung geworden wäre.
Eine „besonders abwegige Kritik“ wirft Walter Riester mir vor: Er stößt sich an meiner Behauptung, die Rente der Verkäuferin sinkt, weil ihr Verkaufschef eine Riester-Rente abschließt. Was ist daran falsch? Das ist die Pointe einer Neuregelung der Rentenanpassung. „Die Rente folgt dabei grundsätzlich der Bruttolohnentwicklung – unter Berücksichtigung von Veränderung des Beitragssatzes, des Altersvorsorgeanteils und des Nachhaltigkeitsfaktors“ (Deutsche Rentenversicherung „Vom aktuellen Rentenwert zur Zurechnungszeit“, S. 91). Riester-Rente und gesetzliche Rente stehen deshalb in einem Zusammenhang, weil die Riester-Rente die Rentenanpassung dämpft. Die Rentner ohne Riester-Rente tragen also die Folgen der Riester-Rente mit, weil ihre Rente geringer steigt, als das der Fall gewesen wäre, wenn es keine Riester-Rente gäbe. Die Schwächeren zahlen also eine Rechnung für eine Leistung, die Stärkere erhalten. Das ist zumindest ein originelles Verständnis von Solidarität, die bisher nie so verstanden wurde. Mit anderen Worten: Die Solidarität wird auf den Kopf gestellt: Die Schwachen finanzieren die Starken mit.
Die Riester-Rente ist keine Antwort auf die Altersarmut, denn selbst wenn ein Geringverdiener eine Riester-Rente abschließen würde, läuft er Gefahr, dass sein Beitrag real nichts bewirkt, weil ihm die Riester-Rente auf seine Grundrente angerechnet wird. Er hat also für den Staat gespart. Das ist zwar systematisch richtig, denn eine Fürsorgeleistung muss einer Bedürftigkeitsprüfung unterzogen werden. Eine kleine Rente ist noch kein Beweis für Bedürftigkeit. Die „kleine Rente“ könnte auch die Rente eines Millionärs sein, der nur wenige Jahre beitragspflichtig gearbeitet hat. Die Ursache des Problems liegt aber einen Schritt vorher. Man darf das Rentenniveau nicht so weit absinken lassen, dass immer mehr Menschen in die Bedürftigkeitsprüfung absinken.
Walter Riester hat in seinem bemerkenswerten Positionspapier noch einige originelle Behauptungen aufgestellt: „Die Rücklagen der Rentenversicherung betrugen beim Regierungswechsel 1998 noch 0,6 Monatsrücklagen.“ Das ist richtig. Die Mindestreserve beträgt 1 Monatsausgabe. Sie ist allerdings keine Rücklage im klassischen sinne, sondern eine Sicherstellung der Liquidität, die unterjährig immer schwankt. Deshalb heißt die „Rücklage“ auch „Schwankungsreserve“. Im Oktober und November eines jeden Jahres erreicht sie meistens den Tiefpunkt. Wenn allerdings mittelfristig das Ziel der Monatsrücklage nicht erreicht wird, müssen die Beiträge erhöht werden. Insofern ist die Schwankungsreserve auch ein Auslöser der Beitragsbewegungen, die nicht in die Willkür des Gesetzgebers gegeben ist. Das alles schmeißt Walter Riester durcheinander. Der Witz des ganzen Geheimnisses, den allerdings Walter Riester unterschlägt, besteht darin, dass die nachfolgende Regierung die Schwankungsreserve von 1 Monatsausgabe auf 0,2 Monate gesenkt hat. Also Walter Riester waren 0,6 Monatsrücklagen zu unsicher, deshalb hat die Regierung Schröder sie auf 0,2 Monatsausgaben abgesenkt. Das ist vergleichbar dem Versuch, ein kaltes Zimmer durch Absenken des Thermostates aufzuwärmen.
Nebenbei bemerkt bedient sich Walter Riester noch einiger kleinerer oder größerer Tricks. Beispielsweise vergleicht er den Bundeszuschuss 1997 von 44 Mrd. mit dem gegenwärtigen von 80 Mrd.. Der Vollständigkeit halber müsste man noch hinzufügen, dass inzwischen nicht nur der Bundeszuschuss gestiegen ist, sondern auch die Rentenausgaben.
Nach dem Muster der biblischen Brotvermehrung beharrt Walter Riester auf der Erhöhung des Bundeszuschusses durch die Öko-Steuer. Die Einnahmen der Rentenversicherung mit Hilfe der Öko-Steuer betrug im Jahr 2006 1,3 Mrd., im Jahr 2007 9,2 Mrd.. Mit diesem Geld wurden nach Riesters Angaben „dauerhaft“ und „zusätzlich“ folgende Aufgaben finanziert:
- Kindererziehungszeiten mit 11 Mrd.,
- Die einigungsbedingten Zusatzkosten der Rentenversicherung ohne Angabe des Betrages
- Und einen zusätzlichen jährlichen Bundeszuschuss von ca. 10 Mrd.
Das ist ein erstaunliches Rezept, wie man mit 9 Mrd. Öko-Steuer so viel bezahlen kann.
Walter Riester listet eine Reihe von Maßnahmen auf, die zu einer deutlichen Verbesserung der Rentner führten. Er vergisst dabei allerdings auch zu erwähnen den Schlag, den die Langzeitarbeitslosen dadurch erhielten, dass ihr Rentenanspruch jetzt auf 2,19 € pro Jahr Arbeitslosigkeit absinkt. Das trifft besonders diejenigen, die einen geringen Rentenanspruch haben und die ersten Kandidaten für das Heer der Altersarmen sein werden, das uns in Zukunft begleiten wird.
Mit dem Begriff „Fremdleistungen“, wie ihn Riester und andere einsetzen, muss man in der Sozialversicherung vorsichtig umgehen, denn man landet sonst in kurzen Schritten bei einem Versicherungsbegriff, der in der Privatversicherung bevorzugt wird. Nicht jede Sozialversicherungsleistung ist beitragsgestützt. Die Sozialversicherung enthält Gott sei Dank auch einen solidarischen Ausgleich. Und ob die Familienmitversicherung eine Fremdleistung ist oder nicht, die Erwerbsunfähigkeit durch Beiträge abgesichert werden muss oder nicht, darüber streiten sich die Gelehrten. Auf keinen Fall darf man – wie es Walter Riester offenbar tut – die Kosten der Wiedervereinigung und die der Spätaussiedler zu „Fremdleistungen“ rechnen. Die Rentner aus der ehemaligen DDR haben die westdeutschen Kassen nicht geplündert, wie viele Stammtische behaupten und Walter Riester suggeriert. Es gibt im Umlagesystem keine Rücklage. Immer bezahlen die aktiven Beitragszahler die aktuellen Rentner. So haben auch die Beitragszahler aus der ehemaligen DDR die neuen Rentenzahlungen mitfinanziert. Dass infolge der hohen Arbeitslosigkeit es zu Beitragsausfällen kam, ist allerdings kein ostdeutsches Spezifikum, sondern geschieht auch in Krisenregionen Westdeutschlands. Es ist das Wesen der Solidarität, solche Nachteile auszugleichen. Schließlich wollten wir nicht die Mauer ausgerechnet in der Rentenversicherung stehen lassen. Im übrigen erhöhten sich auf Grund gestiegener Renten-Ausgaben auch der steuerfinanzierte Bundeszuschuss, und außerdem zahlte der Bund zum Aufbau der Rentenversicherung Ost 5 Mrd. Anschubfinanzierung. Auch das Finanzproblem, das mit den Spätaussiedlern verbunden war, stellt sich bei Licht betrachtet anders dar als Stammtische und Walter Riester behaupten. Unter den Spätaussiedlern waren überdurchschnittlich viele Junge, also Beitragszahler. Kluge Leute haben behauptet, eine Rentenversicherung für Spätaussiedler käme mit geringeren Beiträgen aus als die gesamtdeutsche. Das ist allerdings mehr eine witzige Bemerkung und macht nur auf den Aspekt aufmerksam, der mit jeder Umlagefinanzierung verbunden ist. Entscheidend ist nicht nur die Zahl der Rentner, sondern ebenso die Zahl der Beitragszahler.
Es gibt bei der Riester-Rente nur einen Gewinner. Gewinner sind nicht die Beitragszahler. Deren Gesamtbelastung durch die Alterssicherung wird höher, als sie beim alten Rentenbeitrag gestiegen wäre. Gewinner sind auch nicht die Rentner. Deren Rente wird niedriger ausfallen als ohne Riester-Reform.
Sieger sind Allianz & Co.. Für die ist die Riester-Rente ein Bombengeschäft, und deshalb jubeln ihre Helfer und das Zentralorgan für Volksverdummung: die BILD-Zeitung.