Der Einsatz deutscher Soldaten in AWACS-Flugzeugen über der Türkei hätte der Zustimmung des Bundestags bedurft – doch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist leider nur ein Pyrrhussieg

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Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Mai 2008 ist in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung:

  1. Aktuell, weil es die die Rolle der Bundeswehr als „Parlamentsarmee“ bekräftigt und die schleichende Ausdehnung der militärischen Entscheiddungskompetenzen der Exekutive begrenzt,
  2. rückblickend für die juristische Beurteilung der deutschen Beteiligung am Irak-Krieg,
  3. für die Zukunft, weil es den Plänen der CDU/CSU für ein neues Sicherheitskonzept enge Grenzen setzt.
  4. Spannender wird aber nun die Frage werden, wie sich dieses Urteil zu Artikel 28a des EU-Reformvertrages verhält, in dem die Sicherheits- und Verteidigungspolitik auf die Europäische Union übertragen wird und unter Führung der Union militärische „Missionen“ auch mit Hilfe der Bundeswehr durchgeführt werden dürfen.

Wolfgang Lieb

Zu 1.: Die Bundeswehr eine „Parlamentsarmee“

Das Grundgesetz hat die Entscheidung über Krieg und Frieden dem Deutschen Bundestag als Repräsentationsorgan des Volkes anvertraut. Dies ist für die Feststellung des Verteidigungsfalls und des Spannungsfalls ausdrücklich festgelegt (Art. 115a Abs. 1, Art. 80a Abs. 1 GG) und gilt darüber hinaus allgemein für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte, auch in Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit im Sinne von Art. 24 Abs. 2 GG. Das Bundesverfassungsgericht hat aus dem Gesamtzusammenhang wehrverfassungsrechtlicher Vorschriften des Grundgesetzes und vor dem Hintergrund der deutschen Verfassungstradition seit 1918 dem Grundgesetz ein allgemeines Prinzip entnommen, nach dem jeder Einsatz bewaffneter Streitkräfte der konstitutiven, grundsätzlich vorherigen Zustimmung des Deutschen Bundestags bedarf (BVerfGE 90, 286 <381 ff.>). Die auf die Streitkräfte bezogenen Regelungen des Grundgesetzes sind darauf angelegt, die Bundeswehr nicht als Machtpotential allein der Exekutive zu überlassen, sondern sie als „Parlamentsheer“ in die demokratisch rechtsstaatliche Verfassungsordnung einzufügen (vgl. BVerfGE 90, 286 <381 f.>).

Der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt begründet ein wirksames Mitentscheidungsrecht des Deutschen Bundestags in Angelegenheiten der auswärtigen Gewalt. Ohne parlamentarische Zustimmung ist ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte unter dem Grundgesetz grundsätzlich nicht zulässig; nur ausnahmsweise ist die Bundesregierung – bei Gefahr im Verzug – berechtigt, vorläufig den Einsatz bewaffneter Streitkräfte zu beschließen, damit die Wehr- und Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland durch den Parlamentsvorbehalt nicht in Frage gestellt werden. Die Bundesregierung muss in einem solchen Ausnahmefall jedoch das Parlament umgehend mit dem so beschlossenen Einsatz befassen und die Streitkräfte auf Verlangen des Bundestags zurückrufen (BVerfGE 90, 286 <388>).

Dies Sätze aus dem gestrigen Urteil des Bundesverfassungsgerichts lassen an Klarheit im Hinblick auf die Entscheidungskompetenz über Krieg und Frieden an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: Diese schwerwiegende Entscheidung liegt beim Deutschen Bundestag als dem „Repräsentationsorgan des Volkes“.

Zu 2.: Die juristische Beurteil der deutschen Beteiligung am Irak-Krieg

Die Verharmlosungen des Einsatzes der „unbewaffneten“ AWACS-Überwachungsflugzeuge an der türkischen Grenze zum Irak durch die Regierung Schröder/Fischer im Jahre 2003 als „Routineflüge“, als „defensive Luftraumüberwachung“, als nicht unter deutschem sondern unter dem Nato-Oberbefehl stehend, sind in aller Klarheit zurückgewiesen worden. Die Verlagerung der Verantwortung für diesen Militäreinsatz auf „Bündnisebene“ war nur eine Ausrede.

Das Urteil lässt das Engagement der Bundesregierung im Irak-Krieg der USA und ihrer „Koalition der Willigen“ höchstrichterlich in einem anderen Licht erscheinen, als es der „Friedenskanzler“ Schröder gerne als historische Legende dargestellt hat.

Ob die damalige Bundesregierung den völkerrechtswidrigen Krieg der USA nicht wenigstens indirekt unterstützt hat, indem Deutschland den US-Streitkräften sein Territorium und den Luftraum für die Vorbereitung und Durchführung eines Militärschlags gegen den Irak zur Verfügung gestellt hat, ist schon früher thematisiert worden und hat einen dunklen Schatten auf die Aussage Gerhard Schröders am 29. 10. 2002 vor dem Deutschen Bundestag geworfen, wo er verkündete, „dass wir uns an einer militärischen Intervention nicht beteiligen werden“. Jedenfalls hat sich die Bundesregierung durch die Einräumung von Lande- und Überflugrechten an die US-Streitkräfte dem Kriegseinsatz nicht widersetzt. Die Frage, ob sie sich damit einer Völkerrechtsverletzung schuldig gemacht hat, ist nach wie vor umstritten.

Das Karlsruher Gericht schreibt nun der damaligen rot-grünen Bundesregierung zusätzlich ins Stammbuch:

Mit der Luftraumüberwachung der Türkei in AWACS-Flugzeugen der NATO haben sich deutsche Soldaten an einem Militäreinsatz beteiligt, bei dem greifbare tatsächliche Anhaltspunkte für eine drohende Verstrickung in bewaffnete Auseinandersetzungen bestanden…Vielmehr hatte die Überwachung des türkischen Luftraums von Beginn an einen spezifischen Bezug zu einer aufgrund konkreter Umstände für möglich gehaltenen militärischen Auseinandersetzung mit dem Irak.

Und weiter:

Damit wäre bei einem Angriff des Irak auf die Türkei auch die Bundesrepublik Deutschland in der solcherart angelegten Bündnisautomatik unmittelbar kämpfende Partei geworden. Dass es sich dabei allein um eine Verteidigung der Türkei gegen einen Angriff und nicht etwa um eine deutsche Beteiligung an einem offensiven Vorgehen gegen den Irak gehandelt hätte, wie es die Antragsgegnerin stets abgelehnt hatte, ist unerheblich.

Und nochmals an anderer Stelle:

Deutsche Streitkräfte waren mit der Teilnahme an diesem Einsatz ungeachtet des Ausbleibens von Kampfhandlungen in bewaffnete Unternehmungen einbezogen.

Deutsche Soldaten waren also nach Auffassung des Gerichts „an einem Militäreinsatz beteiligt“, der in einem „spezifischen Bezug“ zum darauffolgenden Krieg gegen den Irak stand. Das erklärt, warum die damalige Bundesregierung eine Debatte und vor allem auch eine Abstimmung im Parlament zu vermeiden versuchte.

Wie später, als die Bundesregierung duldete, dass Deutschland zur militärischen Operationsbasis der US-Streitkräfte im Irak-Krieg wurde, war die Überwachung des türkischen Luftraums nach Auffassung des Gerichts zumindest ein Flankenschutz für die völkerrechtswidrige Invasion der US-Amerikaner in den Irak.

Zu 3.: Das „Sicherheitskonzept“ der Union ist gescheitert

Das Urteil bedeutet aber auch einen erheblichen Dämpfer, wenn nicht gar ein Scheitern für das von Unions-Fraktionschef Volker Kauder entwickelte neue „Sicherheitskonzept“ und für die Pläne eines „nationalen Sicherheitsrats“. Nach dieser Entscheidung wäre es grundgesetzwidrig, wenn ein „eigener handlungsfähiger Stab“ bei einer Bedrohung der äußeren Sicherheit ohne Zustimmung des Parlaments „präventive Maßnahmen einleiten“ würde.

Dazu das Bundesverfassungsgericht:

Seinen rechtserheblichen Einfluss auf die Verwendung der Streitkräfte kann der Deutsche Bundestag nur dann wahren, wenn er über ein wirksames Mitentscheidungsrecht über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte verfügt, bevor das militärische Unternehmen beginnt und dann maßgeblich zu einer Frage militärischer Zweckmäßigkeit wird.

Überlegungen, dass eine aktuelle Bedrohungssituation unterstellt wird, die der Exekutive zu einer parlamentarisch nicht vorab gebilligten Entscheidung über einen Militäreinsatz erlaubte, sind damit zunächst einmal gestoppt.

Prompt verlangte Kauder, dass nun der Parlamentsvorbehalt angepasst werden müsse. Es müsse sichergestellt werden, dass das Parlament in dringenden Fällen rechtzeitig zusammentreten könne und einen multinationalen Einsatz genehmigen könne. Noch weiter ging wie immer Wolfgang Schäuble, der in den Tagesthemen davor warnte „die Debatte über den Parlamentsvorbehalt zu tabuisieren“. Was nichts anderes bedeutet, als dass man halt nach diesem Urteil einfach nur die Verfassung ändern müsse.

Was bedeutet dieses Urteil jedoch weiter für das von Schäuble propagierte „Verständnis von vernetzter Sicherheit“, eine beschönigende Umschreibung für den Einsatz der Bundeswehr auch im Innern? Würde dann der Parlamentsvorbehalt nur bei auswärtigen Militäreinsätzen gelten, für den Einsatz der Bundeswehr im Innern aber nicht?

Einmal davon abgesehen, dass ein bewaffneter Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der inneren Sicherheit ohnehin der Verfassungslage widerspräche, doch selbst wenn man das Grundgesetz an dieser Stelle ändern würde, so wäre damit immer noch das „allgemeine Prinzip“ des Parlamentsvorbehalts nicht außer Kraft gesetzt. Das Gericht hat mit seinem gestrigen Urteil auch hier eine klare Aussage gemacht: „Der Deutsche Bundestag muss ausnahmslos jedem Einsatz bewaffneter Streitkräfte zustimmen.“

Zu 4.: Wehrverfassung des Grundgesetzes und Militärverfassung der EU

Richtig brisant wird der vom Bundesverfassungsgericht nunmehr für Deutschland bekräftigte Parlamentsvorbehalt, wenn erst einmal der EU-Reformvertrag in Kraft getreten ist. Was ist dieser Vorbehalt noch wert, wenn erst einmal die im Reformvertrag vorgesehene europäische Armee aufgebaut ist, für die auch Deutschland als Mitgliedstaat seine „Fähigkeiten“ bereitstellen müsste (Art. 28 a des Reformvertrages)?

In seinen jüngsten Urteilen zur Dienstleistungsfreiheit hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass das europäische Recht über den nationalen Gesetzen steht. Das hat natürlich Schäuble schon längst erkannt. Mit einem Seitenhieb auf den SPD-Außenminister Steinmeier sagte er, „wer eine europäische Armee fordere, müsse sich auch über den Parlamentsvorbehalt Gedanken machen. Eine EU-Armee werde nicht zustande kommen, wenn zuerst die nationalen Parlamente in drei Lesungen über den Einsatz ihrer Soldaten entscheiden müssten.“. Man müsse deshalb „darüber nachdenken, wie man das Parlamentsbeteiligungsrecht so entwickelt, dass es eine europäische Armee möglich macht.“

Der Bundestag hat vor wenigen Tagen mit großer Mehrheit dem EU-Reformvertrag zugestimmt. Eine Debatte darüber, was der vom Bundesverfassungsgericht nun bekräftigte Parlamentsvorbehalt nach dem Grundgesetz noch Wert ist, wenn der EU-Reformvertrag in Kraft treten sollte und eine europäische Armee aufgebaut wird, hat natürlich nicht stattgefunden.

Es steht zu befürchten, dass die deutsche „Parlamentsarmee“ mit der Zustimmung in Form der europäischen Armee schon bald der Vergangenheit angehört. Das gestrige Urteil des Bundesverfassungsgerichts dürfte also nur ein Pyrrhussieg für das Parlament sein, der Deutsche Bundestag hat die Schlacht auf der europäischen Ebene mit seiner Zustimmung zum EU-Reformvertrag schon längst verloren.

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