Was ist eigentlich aus der Aufklärung über das Bombardement eines Krankenhauses in Kundus geworden?
Es ist gut, dass es Zeitgenossen gibt, die nachhaken, die vergangenen Geschichten nachgehen und aufstöbern, wenn etwas vergessen gemacht werden soll oder auch nur vergessen wird, ohne Absicht. Im konkreten Fall ist Absicht zum Vergessen nicht ausgeschlossen. Der Journalist Florian Osrainik hat nachgefragt. Hier das Ergebnis. Albrecht Müller.
Kundus-Bombing nachgehakt
Von Flo Osrainik
Anfang Oktober 2015 bombardierte das US-Militär in Kundus, Afghanistan, ein Krankenhaus der Organisation Ärzte ohne Grenzen (MSF). Mit gezielten Luftschlägen wurden dabei 42 Menschen getötet und das Gebäude, ein Traumazentrum in dem Zivilisten und Kämpfer beider Seiten behandelt wurden, komplett zerstört. Die Koordinaten der Einrichtung waren den beteiligten Parteien bekannt. Am 09. Dezember 2015 übergab die Organisation der US-Regierung in Washington eine Petition mit über 547.000 Unterschriften, um ihrer Forderung nach einer unabhängigen Untersuchung des Vorfalls nochmals Nachdruck zu verleihen. Was hat sich seitdem getan?
„Es gab meines Wissen keine Reaktion der US-Regierung auf unsere Petition“, teilt der Pressereferent der deutschen Sektion von MSF auf Anfrage mit. Dabei hatte US-Verteidigungsminister Ashton Carter eine „volle Untersuchung“ des „tragischen Vorfalls“ angekündigt. Präsident Obama sprach von einer „Tragödie“.
Bisher haben nur die Angreifer – das US-Militär, die afghanischen Streitkräfte und die NATO – den Vorfall gemeinsam „untersucht“. Aus dem angeblich 3000 Seiten umfassenden Bericht der US-Streitkräfte über den Angriff auf das Traumazentrum wurden allerdings nur fünf Seiten veröffentlicht. Die US-Regierung hält das nach wie vor für ausreichend, denn der Bericht wurde nach Auskunft von MSF noch immer nicht publik gemacht. Und auch Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier hat damit kein Problem, da die USA den Fehler ja eingeräumt und sich entschuldigt hätten. Fall abgehakt.
Ärzte ohne Grenzen stellt auch keine Anzeige beim Internationalen Strafgerichtshof. Es geht der Organisation „nicht primär um eine strafrechtliche Aufarbeitung, sondern um eine unabhängige Untersuchung der Fakten und ein Bekenntnis der beteiligten Staaten zu den völkerrechtlichen Regeln der Genfer Konvention“, so MSF. Human Rights Watch hat die USA Ende Dezember 2015 aufgefordert, strafrechtliche Verfahren einzuleiten. Von einem strafrechtlichen Verfahren in Sachen Kundus ist allerdings nichts bekannt.
MSF pocht darauf, dass „die Staaten die völkerrechtlichen Vereinbarungen beachten und die Instrumente, die sie in diesen Verträgen geschaffen haben (wie die IHFFC) entsprechend einsetzen“.
Gezielte Kriegsverbrechen lassen sich also, ohne Konsequenzen – von wem auch – befürchten zu müssen, problemlos durchführen, wenn man den „Fehler“ eingesteht und einen gewissen Imageschaden in Kauf nimmt. Man sollte allerdings, auch das scheint zwingend nötig, im Verbund mit der Nato agieren. Eine Begründung für zahlreiche weitere Angriffe auf von MSF betriebene oder unterstützte Krankenhäuser, wie in Jemen oder Syrien, wäre damit auch gleich gefunden.
Mit einer unabhängigen Aufklärung der begangenen Kriegsverbrechen durch die Internationale Humanitäre Ermittlungskommission (IHHFC), der einzigen Instanz zur Untersuchung von Verletzungen des humanitären Völkerrechts nach der Genfer Konvention, ist im Fall Kundus wohl erstmal nicht zu rechnen.
Flo Osrainik