Nachtrag zu Herzog und ein Anstoß für Ihre Gespräche im kleinen Kreis
In meinem Beitrag „Ein Alt-Bundespräsident als Volksverhetzer …“ hatte ich nicht erwähnt, dass es mir nicht sinnvoll erscheint, im konkreten Fall Anzeige wegen Volksverhetzung zu erstatten. Die juristischen Hürden liegen sehr hoch. Auch wenn der Vergleich des Textes des § 130 Strafgesetzbuch mit den Einlassungen des Alt-Bundespräsidenten nach meinem Sprachverständnis nahe legt, dass die Strafvorschrift verletzt ist, bleibt eine Anzeige mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolglos. Dazu wollte ich jedenfalls nicht anregen. Ich wollte allerdings dazu anstoßen, über die laufende Kampagne zur Anheizung eines Generationenkonfliktes mit anderen Menschen zu sprechen. Nutzen Sie dazu unseren Text und zwei interessante Zwischenrufe zum Thema. Albrecht Müller.
Es ist wichtig, dem Versuch entgegenzutreten, die Jungen und die Alten gegeneinander aufzuhetzen. Einen Generationenkonflikt können wir wahrlich nicht auch noch gebrauchen. Deshalb die Anregung, mit anderem über dieses Thema zu sprechen und aufklärend zu wirken. Das Thema würde sich aus meiner Sicht gut eignen, um zu einem Gespräch im kleinen Kreis von Freunden, Nachbarn und Verwandten einzuladen. Wir haben diese Idee, die auf einige unsrer Leser zurückgeht, in einem früheren Beitrag aufgegriffen – am 15.1.2007 unter dem Thema „Was tun zum Aufbau einer kritischen Gegenöffentlichkeit?“. Dort ist unter Ziffer 2 die Anregung, Kleine Kreise zu bilden, skizziert worden.
Und nun noch zu den beiden Zwischenrufen:
Auf meinen Beitrag zu Herzog kamen eine Reihe von Mails. (Danke vielmals!) Zwei davon sind hier wiedergegeben. Sie sind von zwei jungen Leuten geschrieben und lösen Nachdenken aus. Prüfen Sie selbst.
Damit Sie es mit der Nutzung der Texte für ihre Gespräche einfacher haben, haben wir alle drei Texte – den ursprünglichen von mir und die beiden Mails – in einer eigenen Datei zusammengefügt und um die Aufmacher aus der Bild-Zeitung und SpiegelOnline mit den Einlassungen von Alt-Bundespräsident Herzog ergänzt. Sie können das ausdrucken, weitergeben und zum Gespräch einladen. Das ist nur ein Angebot, mehr nicht[PDF – 114 KB].
Hier die beiden Mails:
1. Mail von Esther Hesse
Sehr geehrter Herr Müller,
seit Jahren lese ich begeistert die NDS, praktisch täglich. Heute (11.04.08) geht es in einem Bericht von Ihnen um die Hetzrede von Roman Herzog. Die Argumentation von Herzog ist natürlich völlig absurd. Andererseits glaube ich nicht, dass die Jahrgänge, die jetzt so Pech haben (70er und 80er Jahrgänge) sich von einer derartigen Argumentation wirklich aufhetzen lassen würden. Dass meinesgleichen und jünger den Rentnern ihre wohlverdiente Rente nicht gönnt, oder glaubt, denen ginge es zu gut, wo man ja vor allem bei Rentnerinnen weiß, dass es teilweise winzige Renten sind.
Die Gefahr der Spaltung der Gesellschaft sehe ich aber ganz stark von der anderen Seite kommen.
Es sind aus meiner Erfahrung gerade die Älteren, die einem gegenübertreten, als sei man faul und einem gegenüber regelrecht mit einem erfüllten Arbeits- und Privatleben protzen, auf das meine Generation kaum eine Chance hat.
Dass jemand so wie Sie sagt, dass Sie – auch – Glück bei der ganzen Sache hatten, dass die Zeiten andere waren, man mehr Chancen hatte usw. – das habe ich von dieser Seite eigentlich noch nie gehört – das finde ich ganz untypisch! Es wird stattdessen komplett alles unter “eigene Lebensleistung” verbucht.
Aus welchen Gründen auch immer so argumentiert wird, man wird oft den Eindruck nicht los, dass manche Älteren die Jüngeren auf eine ganz andere Weise ausnutzen, als das in den neoliberalen Medien dargestellt wird.
Nämlich nicht etwa materiell – das überhaupt nicht – sondern um sich als “bessere Bürger” aufzuführen – mit dem anständigeren, sich an bürgerlichen Werten orientierenden Leben, im Gegensatz zu den scheinbar “verlotterten” und oberflächlicheren jüngeren Generationen.
Das finde ich gefährlich, weil dies m. E. eine teilweise Hinwendung zu faschistischen Deutungen der sozialen Probleme darstellt. Und je mehr (die zahlenmäßig anwachsenden) Älteren so denken, desto eher wiederholt sich die Geschichte, nur dass die “neuen Juden” halt jetzt unter den jüngeren Verlierer-Jahrgängen sind.
Viele Grüße an das NDS-Team und machen Sie weiter diese tolle Internetzeitung!
Esther Hesse
Anlage 4: Mail von J. O.-A. vom 12.4.2008 an die NachDenkSeiten
Sehr geehrte Damen und Herren,
seit ungefähr einem Jahr lese ich die Nachdenkseiten mit wachsendem Interesse und nachlassender Fassung. In den meisten Fällen gebe ich ihnen Recht, so auch Herrn Müller im Artikel “Ein Alt-Bundespräsident als Volksverhetzer – der Sittenverfall beschleunigt sich”.
Eines jedoch sehe ich nicht. Mit 28 zähle ich mich noch zur jüngeren Generation, durch den späten Studienbeginn bin ich viel mit noch einmal jüngeren Menschen zusammen. Ich habe noch nie gehört, dass irgendjemand sich darüber Gedanken macht, von “den Älteren” ausgeplündert zu werden. Das liegt vielleicht auch daran, das man es sich nur schwer vorstellen kann, das einem die eigene Großmutter etwas wegnehmen will (eher im Gegenteil).
Als ich die ersten Überschriften dieser Kampagne las, musste ich fasst schmunzeln. Ich stellte mir vor, wie Millionen Leser jung wie alt vor der BILD stehen und verständnislos den Kopf schütteln. Ich kann mir anders als Herr Müller nicht vorstellen, dass diese Kampagne auf fruchtbaren Boden fällt, eher habe ich die Hoffnung, das der Schuss nach hinten losgeht.
Es ist einfach zu weit hergeholt, dass jemand, der sein Leben lang gearbeitet hat, nicht seine Rente bekommen sollte. Und schwer erträglich fände ich es, sollte die Mehrheit meiner Generation anderer Ansicht sein. Ich würde aus Protest schneller altern!
Mit freundlichen Grüßen,
J. O.-A.
Heute kommt noch folgende einschlägige Meldung auf den Tisch:
Immer mehr Rentner müssen arbeiten
Die Finanzlage älterer Menschen wird immer schlechter. Die Zahl der Senioren, die arbeiten gehen müssen, weil sie von ihrer Rente nicht leben können, ist dramatisch angestiegen. Zudem ist das reale Einkommen der Rentner laut einer Banken-Studie in den letzten vier Jahren stark gesunken.
…
Der Präsident des Sozialverbandes Deutschland (SoVD), Adolf Bauer, sagte der Zeitung: “Es ist zu befürchten, dass die Kaufkraftverluste der Rentnerinnen und Rentner bis 2010 auf mehr als zehn Prozent ansteigen.” Der tatsächliche Kaufkraftverlust für viele Rentner sei sogar noch höher, als dies die Inflationsrate nahelege. Höhere Gesundheitsausgaben würden nicht abgebildet. Darüber hinaus sei die Teuerung bei Lebensmitteln, die einen relativ hohen Anteil an den Ausgaben eines Rentnerhaushalts ausmachten, höher als die durchschnittliche Inflation. Die an den Löhnen orientierte Rentenanpassung solle daher um einen Inflationsschutz erweitert werden.
Quelle: Spiegel