Private Rente im Schulalltag
Ich berichte von einer Sozialkundeunterrichtsstunde des vergangenen Monats Februar 2008. Seit letztem Jahr besuche ich (2. Bildungsweg) eine sog. Berufsoberschule in Rheinland-Pfalz, die es Menschen mit fachgebundenem Hochschulabschluss ermöglicht, die allg. Hochschulreife innerhalb eines Jahres (13. Klasse) nachzuholen.
Seit eben jener Zeit huscht auch ein Sozialkundelehrer (studierter Politologe, Germanist) für zwei Stunden wöchentlich durch unseren Klassenraum und „unterrichtet“ uns in Sachen Politik / Soziales. Einblicke in den Schulalltag eines Schülers und NachDenkSeiten-Lesers über die unverbrämte Werbung für die Riester-Rente im Unterricht.
Mag man von den schlecht ausfallenden Arbeiten einmal absehen, jedenfalls offenbart sich der Unterricht als recht „rezeptlos“ (im Vergleich mit anderen Lehrern desselben Unterrichtsfaches). Hier und da wird eine Ausgabe der „ZEIT“ ausgegeben, hier und da werden wir mit „Informationen zur politischen Bildung“ zugeworfen. Kurzum, es heißt ständig: Durchlesen, zusammenfassen, präsentieren, eine Arbeit darüber schreiben. Folglich gibt es dann mehrere Stunden, die zum Präsentieren genutzt werden. Hier werden in kleinen Gruppen binnen 45 Minuten Präsentationen abgehalten.
Entmutigend sitzt Herr S.* dann den präsentierenden Schülern gegenüber hinten im Klassenraum, kritisiert alle paar Minuten, unterbricht ständig, tadelt. Ein berüchtigt gewordener Satz:„…eben hier hättet ihr euch tiefer gehend darüber informieren müssen. Ich weiß darüber nichts Genaues und hätte gerne mehr gewusst. Das scheint mir doch sehr wichtig zu diesem Thema…“
Da ackert man sich also für Präsentationen stundenlang ab, wird ständig unterbrochen, bekommt bloß Kritik anstatt Verbesserungsvorschläge und schreibt später über eben den gesamten Stoff eine Klassenarbeit, die dann mit Noten zwischen 3,9 und 5,0 bewertet wird.
Ist das sinnvoll? Es sitzen durchaus Schüler in unserer Klasse, die ein enormes Intelligenzpotential besitzen, dies jedoch bei solcher Unterrichtsführung nicht zeigen können, da sie eben zurückhaltend sind und sich nicht so glatt verkaufen können. (Jedoch scheint gutes Schauspielen in der momentanen, von medialem Wahnsinn durchzogenen Welt einen enormen Stellenwert errungen zu haben. Schade.)
Als größtes Problem scheint mir jedoch die Vertiefung des Stoffes, wozu ob der vielen zu beackernden restlichen Fächer ja kaum Zeit vorhanden ist. („Man“ kratzt dieser Tage gerne an der Oberfläche. Jucken würde es den Schüler schon, sich einmal intensiver mit einem Thema zu beschäftigen, bloß…)
Weshalb ich eigentlich schreibe:
Unser aktuelles Sozialkunde-Thema heißt „Zuwanderungspolitik“.
Dazu warf besagter Lehrer eine Folie an die Wand (Quelle: UNO-Abteilung), an der wir uns klarmachen sollten, wie sich der Altersquotient (relativ: 15-64-Jährige zu den 65- Jährigen) entwickelt, wie viele Zuwanderer es gibt usw.
(Was wäre wenn: BRD keine Zuwanderung hätte: 1,8 ,… mäßige Zuwanderung hätte : 2,1 …)
Dies alles schien noch nachvollziehbar.
Im Anschluss daran kam jedoch das Empörende: Es wurde über die alternde Gesellschaft gesprochen und uns wurde mächtig Angst eingeflößt, dass wir später einmal Probleme mit unserer Rente hätten.
Die Lösung kam prompt.
Und sie schoss gleich einem Rürup-Reklame-Schild aus des Lehrers Mund: „Lasst euch Privat versichern! In solchen Zeiten sollte man diese Möglichkeit nutzen…etc…“. Da alles schwieg, hakte ich kurz nach, was denn passiere, wenn man denn einmal arbeitslos würde, was ja, realistisch gesehen, jedem passieren könne. Antwort: „Dann ruht das Einzahlen“ und etwas später, mit etwas mehr Ironie: „Ihr dürft nicht arbeitslos werden!“ Geschlossen wurde der Unterricht mit der Weisheit: „Also…am besten eine Berufsunfähigkeitsversicherung und die Riester-Rente. Ich riestere ebenfalls und ihr glaubt gar nicht, wie das sich lohnen wird!“
Solches aus dem Mund eines Lehrers zu hören, schien mir etwas einseitig, wo er uns doch immer mahnte, kritisch nachzudenken, den SPIEGEL und DIE ZEIT zu lesen, um sich zu informieren, was in der Welt so passiert. Mich jedenfalls hat die Stunde Nerven gekostet und einen weiteren schlechten Eindruck von mir beim Lehrer hinterlassen (wie schon einmal, als es ums Thema Agenda 2010 ging und er uns davon zu überzeugen suchte, dass es in diesen Zeiten ohne Schröders „Sozialpolitik“ nicht mehr ginge.)
Ich wurde belächelt und belacht, und zwar von beinahe der gesamten Klasse, als ich Norbert Blüms einstige Worte von 1986 zur gesetzlichen Rente wiederkäute. Der Lehrer meinte noch spaßend: „Glauben sie ernsthaft daran?“
– Ja. Ich will… – aber das habe ich vorsichtshalber nicht mehr gesagt, sondern nur noch gedacht.
*Name verändert