BILD macht Stimmung gegen die Rentenerhöhung
„Höher Rente senkt den Nettolohn“ liest man heute in der berüchtigten Balkenüberschrift der BILD-Zeitung. Auf der Seite 2 heißt es weiter: „Höhere Renten kosten Arbeitnehmer bis zu 21 Euro netto mehr im Monat“. Bild lenkt so einmal mehr den Unmut der Arbeitnehmer gegen die Rentner. Die Rechnung des Propagandablattes für die private Vorsorge ist in mehrerlei Hinsicht irreführend, um nicht zu sagen verfälschend. Wolfgang Lieb
- Bild stützt sich bei seinen Angaben über zusätzliche Kosten von 12 Milliarden Euro in den nächsten 5 Jahren auf Angaben der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), also einer Lobbyorganisation der Arbeitgeber. Ein Mitglied der Hauptgeschäftsführung der BDA, Alexander Gunkel hatte tags zuvor, am 25.03.08, in der FAZ behauptet: „Die außerplanmäßigen Rentenerhöhungen 2008 und 2009 kosten die Rentenkassen in den nächsten fünf Jahren rund 12 Milliarden Euro zusätzlich“.
Nach Angaben der Bundesregierung kostet das Aussetzen des sog. Riester-Faktors in diesem Jahr hingegen „nur“ 650 Millionen und 2009 1,95 Milliarden Euro. Die regierungsamtliche Berechnung liegt also weit entfernt von den vom Arbeitgeberverbandsfunktionär genannten 12 Milliarden Euro. Die Bundesregierung hält diese Berechnung der BDA für nicht nachvollziehbar.Bild stellt die Behauptung des Verbandsvertreters jedoch als eine Tatsache dar: „Höhere Renten kosten Arbeitnehmer bis zu 21 Euro netto mehr im Monat“.
- Es ist verständlich, dass die Arbeitgeber für eine Senkung der Beitragssätze für die Rentenversicherung von derzeit 19,9 Prozent des Bruttolohnes kämpfen, müssen sie doch je zur Hälfte vom Arbeitgeber und vom Arbeitnehmer aufgebracht werden. Die Beiträge sind also ein Kostenfaktor auch für die Arbeitgeber. „Solange die Pläne der Regierung, in die Rentenformel einzugreifen und die Finanzreserve der Rentenversicherer anzuheben, nicht im Gesetzblatt stehen, werden wir dagegen angehen“, kündigte Gunkel an. An dieser Aussage wird deutlich, dass der Kampf gegen eine Rentenerhöhung aus einem spezifischen politischen Interesse des Arbeitgeberverbandes motiviert ist.
Bild macht sich somit mit seiner Schlagzeile zum politischen Sprachrohr des Arbeitgeberverbandes.
- Bild behauptet, die Bundesregierung habe bereits eine Senkung der Rentenbeiträge auf bis zu 19,1 Prozent im Jahr 2012 „angekündigt“. Richtig ist, dass nach dem „Rentenversicherungsbericht“ der Beitragssatz bis zum Jahr 2010 bei 19,9 Prozent stabil bleiben soll und dass er nach den „derzeitigen Berechnungen“ auf 19,4 Prozent sinken könnte.
Von einer „Ankündigung“, die Beiträge auf 19,1 Prozent zu senken, findet sich auf den Informationen der Bundesregierung zur Rente kein Wort. Eine solche Zusage bis 2012 wäre auch äußerst unseriös. Sie wäre auch gar nicht möglich, weil dazu die entsprechenden Rentenschätzungen vorliegen müssten und bekanntlich hängen die Beitragseinnahmen unmittelbar mit der Zahl der Beschäftigten und der Lohnhöhe zusammen, über die seriöse Prognosen für die nächsten 4 Jahre nicht möglich sind.
Die einzig bisher politisch gegebene Zusage ist, dass der Beitragssatz bis zum Jahr 2020 einen Wert von 20 Prozent und bis zum Jahr 2030 einen Wert von 22 Prozent nicht übersteigen darf.
Bild und die Arbeitgeber unterstellen also eine Beitragssenkung „auf bis zu 19,1 Prozent im Jahr 2012“ als Faktum. Sie berechnen aus einer noch gar nicht vorhersehbaren Beitragssenkung in 4 Jahren einen Nettogewinn für die Arbeitnehmer in Höhe von „bis zu 21 Euro netto im Monat!“
Man nimmt also eine hypothetische Annahme und stellt sie als reale „Senkung des Nettolohns“ dar. Motto: Wenn ich 2012 weniger Rentenbeiträge bezahlen müsste, dann hätte ich entsprechend mehr im Geldbeutel. - Durch die jetzige Rentenerhöhung um 1,1 Prozent müsse die Senkung der Rentenbeiträge „mangels Masse“ verschoben werden. Selbst wenn man einmal den Berechnungen der Arbeitgeberverbände folgen würde und tatsächlich „in den nächsten fünf Jahren rd. 12 Milliarden in der ´eisernen Reserve` der Rentenkasse“ fehlen würden. Wie lässt sich diese Behauptung mit der Tatsache vereinbaren, dass schon angesichts der leicht verbesserten Einnahmesituation der gesetzlichen Rentenversicherung dank einer etwas günstigeren Konjunktur nach telefonischer Auskunft der Deutschen Rentenversicherung die „Nachhaltigkeitsrücklage“ immerhin 10,875 Milliarden Euro beträgt? Warum sollten also im schlimmsten Fall aus dieser Rücklage in fünf Jahren nicht jährlich etwa 1,4 Milliarden an „Masse“ sein?
- Weil die „Senkung der Rentenbeiträge auf bis zu 19,1 Prozent im Jahr 2012 verschoben werden“ müsse, rechnen die Arbeitgeber und Bild schon mal vor: „Einen Arbeitnehmer kostet das bis zu rd. 21 Euro netto im Monat!“
Rechnen wir also mal nach: Die Differenz zwischen 19,9 Prozent des Bruttolohns von heute zu 19,1 Prozent im Jahr 2012 beträgt 0,8 Prozent. Davon zahlt der Arbeitnehmer 0,4 Prozent und der Arbeitgeber nochmals den gleichen Anteil. Würde also der Beitrag gesenkt werden, hätte der Arbeitnehmer tatsächlich 0,4 Prozent „mehr netto“. Wenn 0,4 Prozent mehr Netto aber 21 Euro ausmachen, ergibt sich rechnerisch ein Bruttogehalt von 5.250 Euro.
„Der“ Arbeitnehmer, den das 21 Euro netto kostet, liegt also knapp unterhalb der Beitragsbemessungsgrenze von derzeit 5.300 Euro monatlich im Westen und im Osten hätte er diese Grenz schon um 750 Euro überschritten.
Das Durchnittsbruttoeinkommen eines Arbeitnehmers liegt heute hingegen etwa bei (positiv angenommenen) 2.250 Euro.Bild und die Arbeitgeberverbände unterstellen also bei ihrer Rechnung einen Spitzenverdiener, tun aber so, als würde sie für einen durchschnittlich verdienenden Arbeitnehmer zutreffen.
Das nenne ich ein bewusste Irreführung und eine Verfälschung der Tatsachen. - Man fragt sich nun, warum sich die Deutsche Rentenversicherung nicht gegen diese Propaganda zur Wehr setzt.
Aber auch darüber braucht man sich nicht zu wundern: Der in der FAZ als Mitglied der Hauptgeschäftsführung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) mit seinen Behauptungen über die Kosten der Rentenerhöhung zitierte Alexander Gunkel ist zugleich Vorsitzender des Vorstandes der Deutschen Rentenversicherung Bund.
Kein Wunder also, wenn bei der gesetzlichen Rentenversicherung solche Lobbyisten an verantwortlicher Stelle sitzen, dass von dort keinerlei Verteidigung der minimalen Erhöhung der Rente um 1,1 Prozent erfolgt.
Nebenbei: Real ist das ja noch nicht einmal eine Erhöhung, da das Statistische Bundesamt von einer Preissteigerung im Jahre 2008 von über 2 Prozent ausgeht. - Nach einer Langzeitstudie des Konfliktforschers Wilhelm Heitmeyer hat die „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ in unserer Gesellschaft deutlich zugenommen. Die „Arbeitslosenfeindlichkeit“ hat die „Fremdenfeindlichkeit“ überholt, dazu hat Bild in den letzten Jahren kräftig beigetragen. Die Kampagnen mit der die Arbeitnehmer gegen die Rentner aufgehetzt werden, wie in der heutigen Bild-Zeitung, schaffen ein weiteres gesellschaftliches Feindbild, nämlich die „Rentnerfeindlichkeit“.
- Die heutige Schlagzeile der Bild-Zeitung passt in die schon jahrelang betriebene Kampagne dieses Blattes zusammen mit der Versicherungswirtschaft gegen die gesetzliche Rente und für die private Vorsorge. (Vgl. dazu das Kritische Jahrbuch 2007 der NachDenkSeiten S. 75 ff.)