US-Vorwahlen: Wer ist hier der Radikale? Bernie Sanders? (2/2)
Sollten sich bei den ab Montag stattfindenden Vorwahlen zur US-Präsidentschaft die „falschen“ Kandidaten durchsetzen, will offenbar auch noch der Milliardär Michael Bloomberg als unabhängiger Kandidat einsteigen. Sein Ziel ist es, die USA vor „den Radikalen von rechts und links zu bewahren“ – und diese Radikalen sind Donald Trump und Bernie Sanders, so steht es dann auch ohne Konjunktiv und Anführungszeichen bei SPIEGEL Online. Die Botschaft ist klar: Amerika und somit die westliche Welt ist erst dann gerettet, wenn ein „gemäßigter“ Kandidat zum Showdown antritt und das kann bei der momentanen Gemengelage natürlich nur die unvermeidliche Hillary Clinton sein. Hillary Clinton ist demnach „gemäßigt“, ihr einziger ernsthafter Konkurrent Bernie Sanders, der sich auch noch selbst einen Sozialisten nennt, ein „Radikaler“? Es ist an der Zeit, unseren politischen Kompass neu zu justieren. Von Jens Berger
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Dieser Artikel ist in zwei Teile aufgeteilt. Heute beschäftige ich mich mit den Demokraten, im ersten Teil ging es gestern um die Republikaner. Zusätzlich zu diesen beiden Artikeln wird Ihnen in den nächsten Tagen und Wochen unser NachDenkSeiten-Kolumnist Norman Birnbaum qualifizierte Einblicke in die Vorwahlen geben.
Nach traditionellem Wahlkampfwissen ist Bernie Sanders der wohl unwahrscheinlichste Top-Kandidat der jüngeren Politikgeschichte. Sanders ist 74 Jahre alt, trägt preiswerte Anzüge von der Stange und nuschelt beim Sprechen – gerade in den USA, wo bereits die Wahlen zum Schulsprecher oft als moderne Kampagnen aufgezogen werden ist dies ein echter Anachronismus. Doch dieser Anachronismus wirkt: Bernie ist cool! Der demokratische Senator Bernhard „Bernie“ Sanders ist der Kandidat der jungen Wähler, der vor allem in den sozialen Netzwerken und im Netz einen echten Hype entfacht hat. Bis zum Jahreswechsel hat Sanders mehr als 72 Millionen Dollar Wahlkampfspenden von mehr als einer Million Kleinspendern mobilisieren können – letzteres ist ein Rekord, der selbst Obamas berühmte Kampagne aus dem Jahre 2008 in den Schatten stellt. Aber haben Sie je in einer deutschen Zeitung etwas über die Sanders-Kampagne gelesen? Obama war 2007/2008 omnipräsent. Mehr Spenden als Sanders konnte bei den Demokraten nur Hillary Clinton mobilisieren – freilich nicht von Kleinspendern, sondern von Großunternehmen und Lobbygruppen, den sogenannten „Political Action Committees“. Auch wenn es ein wenig abgeschmackt klingt: Sanders ist der Mann des Volkes, Clinton die Frau des großen Geldes. Zynisch könnte man darauf folgern: Clinton 1: Sanders 0.
Wer ist Bernie Sanders?
Bernie Sanders ist ein politisches Urgestein. Von 1991 bis 2007 saß Sanders im US-Repräsentantenhaus, seitdem vertritt er seinen Staat Vermont, der in etwa halb so viele Einwohner wie der New Yorker Stadtteil Bronx hat, im Senat. Sanders ist selbst nach europäischen Vorstellungen links, was für einen US-Politiker eine sehr ungewöhnliche Eigenschaft ist. Auch wenn er sich selbst als Sozialist bezeichnet, würde das Prädikat „alter Sozialdemokrat“ wohl besser passen. Hillary Clinton ist in diesem Sinne eine „moderne Sozialdemokratin“, hat also mit Sozialdemokratie nicht viel am Hut.
Politiker, die alle Nase lang ihre Positionen ändern, werden in den USA gerne als „Flip-Flopper“ verspottet. Wenn man Bernie Sanders eines nicht vorwerfen kann, dann ist es, dass er ein Flip-Flopper sei. Im Gegenteil: Die Positionen, die Sanders heute vertritt, vertritt er schon seit Ewigkeiten – wahrscheinlich sogar seit seiner Geburt. Gerade in den USA, wo es für Spitzenpolitiker üblich ist, ihre Positionen anhand von Umfrageergebnissen und taktischen Wähleranalysen auszurichten, ist dies ein absolutes Alleinstellungsmerkmal. Sanders tut nicht so, als sei er authentisch, er ist authentisch. Und genau dies ist wohl auch sein Erfolgsgeheimnis bei seinen Fans und Unterstützern.
Die Frau des großen Geldes
Das zentrale Wahlkampfthema von Sanders ist die Einkommens- und Vermögensungleichheit, die immer absurdere Maße annimmt. Sanders will Wall Street an die Kandare nehmen, den Mindestlohn auf mindestens 15 Dollar erhöhen, über das Steuersystem von oben nach unten umverteilen, das Gesundheits- und Sozialsystem gerechter machen und die Hochschulgebühren abschaffen. Bernie Sanders will also, dass sich (fast) alles ändert. Hillary Clinton will, das alles so bleibt, wie es ist. „Uns geht es doch gut!“. Kein Wunder, schließlich zahlen die Großunternehmen nicht nur ihren Wahlkampf, sondern auch die Einnahmen der Familie Clinton.
Das Politikerpaar Clinton strich in den letzten Jahren mehr als 35 Millionen Dollar für Vorträge bei Banken und Finanzdienstleistern ein. Seit ihrem Ausscheiden aus dem Außenministerium vor drei Jahren hat Mrs. Clinton für zwölf Vorträge bei Großbanken mindestens 2,9 Millionen Dollar kassiert – darunter 675.000 Dollar von Goldman Sachs und 485.000 Dollar von der Deutschen Bank; dagegen ist sogar Peer Steinbrück ein blutiger Anfänger. Clintons Verbindungen zu Wall Street sind derart ungeniert, dass man sich fragt, wie glaubhaft ihr vergleichsweise soziales wirtschafts- und finanzpolitisches Programm überhaupt sein kann. Jedoch nicht Clinton, sondern Sanders wird regelmäßig als „Radikaler“ oder gar als „Irrer“ dargestellt. Deshalb, weil er die 99% vertritt und Clinton das 1%?
Gemäßigtes Säbelrasseln?
Auch auf dem Gebiet der Außen- und Sicherheitspolitik ist der Unterschied zwischen Sanders und Clinton gewaltig. Der ehemalige Kongressabgeordnete Joe Scarborough beschrieb die Vorstellung, dass sie Präsidentschaftskandidatin wird, folgendermaßen: „Das ist schon faszinierend. Wenn sie sich entscheidet, anzutreten und nominiert wird, dann wird sie die größere Säbelrasslerin und die überzeugtere Neokonservative sein, als ihr republikanischer Kontrahent. Ist es nicht so? Es gibt in den letzten 20 Jahren kaum ein militärisches Engagement der USA, das Hillary nicht unterstützt hätte“. In diesem Punkt hat Scarborough zweifelsohne Recht. Alle Kriege der letzten Jahr, alle außenpolitischen Abenteuer – Hillary Clinton war entweder dafür oder hat sie gar selbst angestoßen, wie beispielsweise die amerikanische Einmischung in den syrischen Bürgerkrieg. Sanders plädiert dafür, die US-Soldaten nach Hause zu holen und nicht weltweit Kriege anzuzetteln. Clinton vergleicht Putin mit Hitler, Sanders plädiert für eine diplomatische Lösung der Probleme. Wer ist hier irre? Wer radikal?
Vermeidet der Wähler die Unvermeidbare?
Dass Hillary Clinton überhaupt einen nennenswerten Gegner bei den Vorwahlen hat, ist eine echte Überraschung. Intern hat sie bereits seit Längerem den Spitznamen „die Unvermeidbare“ und nach ihrer knappen Niederlage gegen Obama 2008 war die Kandidatur 2016 eigentlich für sie reserviert. Bis zum Spätsommer letzten Jahres dominierte sie die Umfragen dementsprechend auch im Alleingang.
Dann setzte im Netz der Bernie-Hype ein und der Umfragevorsprung von Clinton sank von einst mehr als 60% auf heute rund 15%. Dies ist zwar immer noch eine gewaltige Zahl. Sanders versteht es jedoch, auch abseits des Netzes und der sozialen Netzwerke zu punkten. Auch in den TV-Debatten hatte er schlichtweg die besseren Argumente.
Dennoch darf man bei aller Begeisterung nicht vergessen, dass Sanders für große Teile der US-Amerikaner ein echter Kulturschock ist. In einem Land, in dem „sozialistisch“ immer noch vielerorts ein Schimpfwort ist, stellt ein echter linker Präsidentschaftskandidat schon eine Herausforderung dar. Dabei wäre der linke Kandidat Sanders ohne die erzkonservative Tea Party wohl nie möglich gewesen. Jahrelang haben die „Teabagger“ nun in und auf ihren Veranstaltungen, Märschen, Radio-Shows und Internetauftritten gegen „die da oben“, gegen „das Establishment“ gewütet. Nun ist jedoch nicht nur das republikanische politische Establishment diskreditiert bis ruiniert; auch das demokratische politische Establishment ist angeschlagen und niemand repräsentiert das Establishment so gut wie Hillary Clinton. Sanders ist also auch eine Art „Anti-Clinton“, ein Saubermann, der übrigens erst 2015 der Demokratischen Partei beigetreten ist.
Dass Bernie Sanders für einen Mann wie Michael Bloomberg, Milliardär, elf Jahre lang Bürgermeister von New York, also elementarer Bestandteil des Establishments, ein „Radikaler“ ist, ist verständlich. Dass aber deutsche Medien diese Einschätzung übernehmen, ist alles andere als verständlich. Bei näherer Betrachtung ist es ohnehin nicht vermittelbar, warum ein Großteil der deutschen Medien sich mal direkt, mal indirekt eine Präsidentin Hillary Clinton wünscht. Vor allem bei der auch für uns Deutsche elementaren Frage von Krieg und Frieden wäre eine Präsidentin Clinton die womöglich schlechteste Alternative im Oval Office, während ein Präsident Sanders ein echter Hoffnungsschimmer wäre.
Zugegeben – ein paar Umfragen machen noch keinen Kandidaten und man braucht schon sehr viel Phantasie, um sich vorzustellen, dass ein echter Linker, der Wall Street und den Militärisch Industriellen Komplex an die Kette legen will, ins Oval Office einzieht. Dies wäre jedoch eher ein Traum als ein Albtraum. Wir sollten vor allem endlich aufhören, uns von ein paar eigennützigen Milliardären und Journalisten, die ihnen alles nachplappern, einreden zu lassen, wer oder was hier radikal ist. Denn eins steht fest – nicht nur in den USA sind die Politiker, die uns als „gemäßigt“ verkauft werden, in vielen Punkten wesentlich radikaler als die Politiker, die uns als „radikal“ verkauft werden. Radikalität ist auch eine Frage der Perspektive und wer für das oberste Prozent als radikal gilt, muss für die unteren 99% noch lange nicht radikal sein.