Ein Jahr Syriza und ein Buch dazu
Es ist nun genau ein Jahr her, nämlich am 25. Januar, dass die Linkspartei Syriza in Griechenland die Parlamentswahlen gewonnen hat. Die Hoffnungen, die sich mit der noch jungen Partei verbanden, waren groß. Syriza war angetreten, um die neoliberale Vorherrschaft in Europa zu brechen und die rigorose Austeritätspolitik der Troika, bestehend aus der Europäischen Union (EU), der Europäischen Zentralbank (EZB) und dem Internationalen Währungsfonds (IWF), zu beenden. Zudem sollte von dem Wahlsieg Syrizas ein Signal an alle linken Bewegungen in Europa ausgehen. Von Thomas Trares[*].
Wer sich noch einmal den Aufstieg der Partei und deren Rolle in der Griechenlandkrise vor Augen führen möchte, dem sei das Buch von Giorgos Chondros „Die Wahrheit über Griechenland, die Eurokrise und die Zukunft Europas – Der Propagandakrieg gegen Syriza“ empfohlen.
Kern des Buches sind die Geschehnisse des ersten Halbjahres 2015, als die Griechenlandkrise in ihre heiße Phase trat. Zunächst im Januar der Wahlsieg Syrizas, dann die Gipfeltreffen in Brüssel, das Referendum am 5. Juli, bei dem die Griechen mit „Oxi“, also „Nein“, stimmten. Und dann jener verhängnisvolle 12. Juli; jener Tag, an dem der griechische Premier Alexis Tsipras in Brüssel vor die Wahl gestellt wurde, entweder einen unkontrollierten Staatsbankrott in Kauf zu nehmen oder aber einem knallharten Austeritätsprogramm zuzustimmen. Danach war von „Erpressung“ und „Demütigung“ die Rede. Der Hashtag „This is a coup“ – „Dies ist ein Putsch“ wurde millionenfach getwittert. Dies „wird in die Geschichte Europas als größter Putsch ohne Waffen eingehen“, schreibt Chondros in seinem Buch.
Chondros selbst ist umweltpolitischer Sprecher und Gründungsmitglied von Syriza und deswegen mit den Interna der Partei bestens vertraut. Er kann also aus nächster Nähe berichten. Und was Chondros da beschreibt, erinnert bisweilen an den biblischen Kampf David gegen Goliath. Auf der einen Seite die große Troika, die „Hardliner des Neoliberalismus“, denen Chondros eine „antidemokratische und kolonialistische Haltung“ vorwirft, auf der anderen Seite die kleine Syriza mit einem Modell eines „anderen Europas“, eines Europas „der sozialen Gerechtigkeit, der demokratischen Entwicklung und des ´guten Lebens´“.
Anders als im Alten Testament hat hier jedoch der David den Kampf verloren. Und dies hat seine Gründe. Syriza ist eine Partei, die es vor vier Jahren noch gar nicht gab. Ihr steiler Aufstieg binnen weniger Monate von vier auf 36 Prozent der Stimmen lässt sich nur mit den besonderen Umständen in Griechenland erklären. Die Wirtschaftsleistung des Landes ist in der Krise um rund 25 Prozent eingebrochen, die Staatsschulden von 120 auf 180 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gestiegen, die Arbeitslosigkeit liegt bei rund 30 Prozent. Die etablierten Parteien Nea Dimocratia (ND) und PASOK hatten abgewirtschaftet.
Und so kam mit Syriza eine neue Partei mit unerfahrenem Personal an die Macht, die später bei den Verhandlungen in Brüssel auf verlorenem Posten stehen sollte. Über eine griechische Delegation, die in Brüssel über die Mehrwertsteuersätze verhandelte, berichtet Chondros wie folgt: „Die Verhandlungsgruppe der griechischen Regierung – jung, fern ihrer gewohnten Umgebung, wenig erfahren im Umgang mit einer tief gestaffelten Bürokratie – sah sich einem erfahrenen und eingespielten Team gegenüber, das als Vertretung der Institutionen über großen technischen und wissenschaftlichen Support verfügte.“ „Die hatten sogar das Psychogramm jedes Einzelnen von uns studiert“, sagte ihm ein Teilnehmer.
Zudem hatte man den Faktor Macht komplett unterschätzt. Bei Syriza glaubte man, es reiche aus, ökonomisch zu argumentieren. Damit biss man aber bei der Troika auf Granit. Denn darum ging es dieser gar nicht. Deren Strategie war rein politisch. Letztlich wollte man an Syriza ein Exempel statuieren, das alle anderen Staaten in Europa abschrecken sollte, die den gleichen Weg wie Griechenland gehen wollten. Als „schicksalhafte Schwachstelle“ sollte sich aber erweisen, dass Syriza beim ersten Gipfeltreffen am 20. Februar die EZB nicht darauf verpflichtete, den griechischen Banken Liquidität bereitzustellen. Im weiteren Verlauf der Verhandlungen war dies der entscheidende Hebel, mit dem die Troika Druck auf die Griechen ausüben konnte.
Begleitet wurde der ganze politische Prozess von einer „breit angelegten, bis ins Detail ausgearbeiteten und hervorragend geplanten Desavouierungskampagne“, wie Chondros weiter schreibt. Es ging dabei vor allem darum, Syriza moralisch zu diskreditieren. Insbesondere die deutschen Medien taten sich hier hervor. Man denke etwa an das „Mittelfinger-Video“ des damaligen griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis oder an den unvermeidlichen Rolf-Dieter Krause, Leiter des ARD-Studios in Brüssel, der vor laufender Kamera über Tsipras sagte: „Das ist sowas von verantwortungslos, der gehört zum Teufel gejagt.“
Chondros hat diese Form des Propagandakriegs aber auch am eigenen Leib erfahren. Studiert hat er in Wien, spricht also hervorragend Deutsch und ist deswegen Gast in vielen Talkshows gewesen. Dazu schreibt er: „Es war eine ganz eigene Erfahrung, deren Verständnis und Verarbeitung mich sicher noch länger beschäftigen wird. Die Arroganz, die Aggressivität, die Verdrehung und Diskreditierung all dessen, was die griechische Krise argumentativ ausmacht, übertraf die Grenzen meiner Vorstellungskraft bei Weitem.“
Interessant für den deutschen Leser dürfte darüber hinaus sein, dass Chondros auch die Fragen diskutiert, die ihm gerade hierzulande immer wieder gestellt werden: Erstens warum Syriza die Rüstungsausgaben nicht senke, zweitens warum Syriza die Reichen nicht besteuere und drittens warum Syriza ausgerechnet mit der rechtskonservativen Partei Anel koaliert.
Eine gänzlich unabhängige Sicht auf die Dinge darf der Leser aber weder bei der Beantwortung dieser drei Fragen noch bei der Lektüre des Buches an sich erwarten. Dies weiß Chondros aber auch selbst. So schreibt er: „Für mich persönlich hat es eine besondere Bedeutung, wenn von Syriza die Rede ist. Als aktives Gründungsmitglied und als Mitglied des Zentralkomitees habe ich die Entwicklung der Partei aus der Innenperspektive erlebt. In diesem Sinne ist es unvermeidbar, dass in meinem Text eine subjektive Sichtweise enthalten ist – mit alledem, was es mit sich bringt.“
[«*] Thomas Trares ist Diplom-Volkswirt. Studiert hat er an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Danach war er Redakteur bei der Nachrichtenagentur vwd. Seit über zehn Jahren arbeitet er als freier Wirtschaftsjournalist in Berlin.