Zu welchen Konsequenzen können Steinbrücks verfassungsrechtliche Schuldensbegrenzungspläne führen?
Der Hayek/ Friedmansche Neoliberalismus der Übertragung des marktwirtschaftlichen Wettbewerbsmodells auf alle staatlich-gesellschaftlichen Bereiche dient als Blaupause für den gegenwärtig in Gang befindlichen System-Transformationsprozess der Abschaffung unseres Rheinischen Kapitalismus. Diese Neoliberalismus-Religion fällt hinter die Grunderkenntnis der Aufklärung von der Machbarkeit der Verhältnisse in Staat und Gesellschaft zurück und verstößt letzlich gegen elementare demokratische Grundwerte unserer Verfassung (siehe dazu etwa Ralf Ptak in Butterwegge/Lösch/Ptak „Kritik des Neoliberalismus“, Wiesbaden 2007). Von Gerhard Kilper
Joan Robinson hatte schon in den späten 1920-er Jahren im Hinblick auf die Passivität liberaler Wirtschaftspolitik angesichts krisenhafter Entwicklungen geäußert, dass sich liberale Wirtschaftspolitik durch ihre Neoklassik-Orientierung in der strikten Herstellung eines ausgeglichenen Staatsbudgets erschöpft. Wenn jetzt im Jahr 2008 nach einem dreivietel Jahrhundert wirtschaftswissenschaftlicher Weiterentwicklung der Finanzminister der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt strikte staatliche Haushaltsdisziplin verfassungsrechtlich verankern will, fällt er nicht nur in wirtschaftsliberales Denken von vorvorgestern zurück, sondern tut damit den entscheidenden Schritt zur endgültigen Zerschlagung unseres bisherigen sozialen Marktwirtschaftsmodells.
Nach der mit dem Maastricht-Vertrag auf deutsches Drängen (Waigel, Köhler u.Co.) erfolgten Aushebelung der klassischen wirtschaftspolitischen Instrumente der Zins-, Geld- und Wechselkurspolitik wird mit der Realisierung von Streinbrücks Plänen auch noch das letzte verbliebene Konjunktur-Steuerungsinstrument von der deutschen Politik auf dem Altar neoliberaler Orthodoxie geopfert. Welche Folgen sind von einer Realisierung der Steinbrück-Pläne zu erwarten?
Zur Abwendung einer rezessiven wirtschaftlichen Entwicklung bleibt der staatlichen Wirtschaftspolitik nur noch eine angebotsorientierte weitere Exportförderung, also die bedingungslose Orientierung an potentieller Auslandsnachfrage. Damit aber sind langfristig folgende makroökonomische und gesellschaftspolitische Konsequenzen absehbar:
- Fortbestehen der Massenarbeitslosigkeit zumindest auf gegenwärtigem Niveau; die Massenarbeitslosigkeit muss nach der Realisierung der Steinbrück-Pläne als bewusst politisch gewollt angesehen werden (siehe Michal Kaleckis Aufsatz zur politischen Einschätzung der Verweigerung des Budget-Instruments aus dem Jahr 1943)
- Fortbestehen eines im internationalen Vergleich niedrigen Lohnniveaus, Ausweitung des Niedriglohnsektors sowie Verschärfung der Flexibilisierungen; dies wird der Öffentlichkeit als „sachlich notwendig zur Aufrechterhaltung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen“ verkauft werden
- Zerstörung des deutschen Sozialversicherungssystems; die aktuelle Entwicklung wird verschärft, bis zum bitteren Ende weitergetrieben und als „sachlich notwendige Senkung der Lohnnebenkosten zwecks Aufrechterhaltung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit“ verkauft werden
- Weitere Senkung des Spitzensteuersatzes, Verflachung oder Abschaffung der Einkommensteuerprogression zur „Schonung der Leistungsträger“; Abschaffung der Erbschaftssteuer für Unternehmer und endlos weitere Senkungen aller Arten von „Unternehmensbelastungen“, dies alles „zwecks Aufrechterhaltung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit“
- Über fehlende Staatseinnahmen letztendlich Zerstörung des öffentlichen Dienstes und öffentlicher Güter mit allen Konsequenzen für die gesellschaftliche Daseinsfürsorge
- Langfristige Stagnation oder Verlangsamung des Wirtschaftswachstums, radikale weitere Öffnung der Einkommens- und Vermögensschere.
Hat Herr Steinbrück über die Mitarbeiter seines Ministeriums den Irrglauben verinnerlicht, dass es Marktversagen qua neoliberaler Religion in einer „freien marktwirtschaftlichen Ordnung“ überhaupt nicht geben könne?